Biographie

Valjavec, Fritz

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Kulturhistoriker
* 26. Mai 1909 in Wien
† 10. Februar 1960 in Prien/Chiemsee

Fritz Valjavec wurde am 26. Mai 1909 in Wien als Sohn eines Staatsbeamten geboren. Sein ganzer wissenschaftlicher Werdegang wirft ein bezeichnendes Licht auf die kulturvermittelnde und völkerverbindende Rolle der Habsburger Monarchie. Dafür bürgt schon der slawische Familienname, der uns an die Militärgrenze dieses Reiches führt, die einst von der Adria entlang der südlichen Grenze des ehemaligen Alt- oder Großungarns bis Siebenbürgen verlief und das Abendland vor der Bedrohung durch die Türken schützte. In diesem Grenzgebiet waren die Ahnen von Valjavec zuhause, zuletzt als Inhaber einer Poststation und einer Kambiatur, wo die Post- und Reisewagen gewechselt wurden. Nach der Auflösung der Militärgrenze (1873) bzw. ihrer Einverleibung in das ungarische Komitatssystem wanderten viele gesamtösterreichisch gesinnte Familien nach Wien ab. So gelangte die Familie Valjavec nach Wien.

Der Zusammenbruch der Monarchie, 1918, brachte eine neue Wende im Leben der Familie. Wegen der unsicheren politischen Lage inÖsterreich, aber vielleicht auch darum, weil die Mutter von Valjavec eine Donauschwäbin war, siedelte die Familie 1919 nach Budapest (Ofenpest) um, wo Fritz Valjavec in der Reichsdeutschen Schule (Volksschule und Gymnasium) 1923-1930 seine bereits in Wien begonnenen Gymnasialjahre fortsetzte und abschloß. In der ungarischen Landeshauptstadt, in der einstigen Metropole der östlichen Hälfte der Monarchie mit ihren Bibliotheken, Museen/Archiven kam Valjavec schon während seiner Gymnasialjahre mit der kulturellen Ausstrahlungskraft Ofenpests auf alle Völker und Kulturen des Donau-Karpatenraumes in Berührung. Dieser Umstand war aber nur die eine Komponente, die seinen späteren wissenschaftlichen Werdegang mitbestimmte. Entscheidender als diese erste war die zweite Komponente. An der kgl. ung. Peter-Pázmány-Universität, der ältesten des Landes (begründet 1635 durch den genannten Kardinal), lehrte seit 1911 der Donauschwabe Jakob Bleyer (1874-1933), der letzte große Gelehrte an einer ungarischen Universität, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, den deutschen Einfluß in Ungarn zu erforschen. Zu diesem Zweck schwebte Bleyer die Gründung eines eigenständigen Instituts und einer Zeitschrift vor Augen. Das war bei der damaligen wirtschaftlichen Flaute ein Wagnis.

So gründete Bleyer 1929 die „Deutsch-ungarischen Heimatblätter“ als „Vierteljahresschrift für Kunde des Deutschtums in Ungarn und für deutsche und ungarische Beziehungen“. Ab dem Jg. 1931 gehörte Valjavec zu den ständigen Mitarbeitern dieser Heimatblätter.

Dem Einstieg von Valjavec in den Mitarbeiterstab des einzigenüberregionalen wissenschaftlichen Organs des Südostdeutschtums im altungarischen Rahmen war bereits eine mehrjährige Freundschaft zwischen Bleyer und Valjavec vorausgegangen. Valjavec, der inzwischen ungarisch gelernt hatte, wäre gewiß gerne in Ungarn geblieben, wenn unliebsame Streitereien um eine mögliche ungarische Staatsbürgerschaft die Familie nach dem Abitur (1930) nicht zum Rückzug nach Wien gezwungen hätten. Aber hier widerfuhr dem jungen Valjavec dasselbe, nämlich das Gezänk um die Anerkennung seines an einem reichsdeutschen Gymnasium – im Ausland – erworbenen Abiturs. So sah Valjavec schließlich keinen anderen Ausweg, als nach München zu gehen und deutscher Staatsbürger zu werden. Aber diese Wanderungen taten der Freundschaft mit seinem Mentor, Jakob Bleyer, keinen Abbruch, und Valjavec sprach zeitlebens nur mit größter Hochachtung von seinem „unvergessenen“ Lehrmeister. Als Valjavec 1930 nach München kam, hatten auch hier, wie in Budapest (Ofenpest), in der Erforschung der deutschen Kulturbeziehungen zum Südosten grundsätzliche Änderungen stattgefunden, ohne daß beide Pole der deutschen Südostforschung sich vorher abgesprochen hätten. Im Jahre 1930 gründete Karl Alexander von Müller in München das „Institut zur Erforschung des deutschen Volkstums im Süden und Südosten“, das in den nächsten Jahren nur das „Südostinstitut“ genannt wurde. „Süden“, der auf Südtirol gemünzt war, fiel weg, weil man dafür Österreich bzw. Tirol zuständig hielt. Es ist erstaunlich, mit welchem Elan Valjavec sich in München auf seine Lebensaufgabe, die Erforschung des deutschen Kultureinflusses im Südosten warf. Dazu gehörte auch der direkte Zugang zur Kultur der Südostvölker, die Kenntnis ihrer Sprache. Das Slawische bzw. Serbokroatische brachte Valjavec von Haus aus mit. Ungarisch und Rumänisch hatte er privat dazugelernt. Daß er in beiden Weltsprachen, Englisch und Französisch, bewandert war, bewies er durch seine Rezensionen bzw. Aufsätze. Schon während seiner Münchner Universitätsjahre hatte Valjavec an der Arbeit des Südostinstituts großen Anteil genommen. Die Institutsleiter in dieser Zeit, Karl Alexander von Müller und Fritz Machatschek, hörten gerne auf seine Ratschläge und erblickten in ihm den künftigen Leiter des Südostinstituts.

Indes kam die Anregung zu seiner Doktorarbeit und Habilitationsschrift weder von dem einen noch von dem anderen, sondern von Jakob Bleyer. Dieser hatte u.a. vor, über den Preßburger Bürgermeister und Aufklärer Karl Gottlieb von Windisch eine Arbeit zu schreiben, kam aber wegen seines politischen Einsatzes um die hartbedrängte ungarndeutsche Volksgruppe nicht mehr dazu. Die Dissertations- und Habilitationsschrift: „Karl Gottlieb von Windisch (1725-1793). Das Lebensbild eines südostdeutschen Bürgers der Aufklärungszeit" erschien 1936 sowohl als Gemeinschaftsveröffentlichung des Südostinstituts in München und des „Instituts für ostbairische Heimatforschung" in Passau als auch als Nr. 3 der Schriftenreihe der „Neuen Heimatblätter" (des Nachfolgeorgans der Bleyer’schen Heimatblätter) in Ofenpest. Durch die Aufnahme in die Schriftenreihe der letzteren wollte Valjavec unmißverständlich andeuten, in welche Richtung seine künftige wissenschaftliche Tätigkeit gehen werde. Aber ein Institut ohne eigenes wissenschaftliches Organ? Diesen Mangel hatte Valjavec schon früh erkannt. Darum gründete er im selben Jahr (1936) die „Südostdeutschen Forschungen" als Jahresorgan des Südostinstituts, die 1940 in den umfassenderen Namen „Südostforschungen" umbenannt wurden und auch Aufsätze in Englisch und Französisch brachten. 1937 wurde er Geschäftsführer des Südostinstituts; 1938 erhielt er (bis 1940) eine Dozentur an der Universität München; in den Kriegsjahren 1940/45 war er, ohne seinen Wohnsitz nach Berlin zu verlegen, a.o. Professor an der Berliner Universität. Der Kriegsausgang traf Fritz Valjavec und sein Südostinstitut in München hart. Er und das Südinstitut waren vielen Verdächtigungen und Diskriminierungen ausgesetzt, die uns heute unglaublich erscheinen. Erst 1951 konnte das Südostinstitut seine Tätigkeit in der Güllstraße am Rande der Theresienwiese wieder aufnehmen. Im selben Jahr gründete er das Südostdeutsche Kulturwerk und 1958 die Südostdeutsche Historische Kommission, deren Organ das „Südostdeutsche Archiv" ist. Diese drei Gremien haben heute noch in demselben Gebäude ihren Sitz. Außerdem war Valjavec maßgeblich an der Gründung der Südosteuropa-Gesellschaft 1957 in München beteiligt. Im Ostdeutschen Kulturrat (Bonn) mit seinem Organ „Ostdeutsche Wissenschaft" vertrat er die südostdeutschen Landsmannschaften. In ihrem Auftrag sammelte er Material zur sogenannten „Bonner Dokumentation" über die Vertreibung bzw. Vernichtung der Donauschwaben in Ungarn und Jugoslawien. Zur Dokumentation selbst wurde er leider nicht mehr herangezogen. Mittlerweile erfolgte seine teilweise Rehabilitierung an der Münchner Universität. 1954-58 war er Honorarprofessor ohne Promotionsrecht und ab 1958 bis zu seinem Tode o.ö. Professor an der Staatswirtschaftlichen Fakultät für Wirtschaft (!) und Kultur Südosteuropas ebenda.

Die frustrierenden Nachkriegsjahre führten in der Einstellung von Valjavec zur Geschichte eine entscheidende Wende herbei. Wegen scheinbarer Verzweiflung über die Südostforschung wandte er sich der Weltgeschichte zu. In diesen Nachkriegsjahren wurde Valjavec mit dem Schweizer Fritz Kern bekannt, der ein auf zehn Bände geplantes Handbuch der Weltgeschichte: Historia Mundi in Angriff genommen hatte. Kern starb 1950 nach dem Erscheinen der Bände 1-2. Valjavec führte die restlichen Bände zu Ende, der 10. Band erschien in seinem Todesjahr. 1952 rief Valjavec den „Wissenschaftlichen Dienst Südosteuropa" ins Leben.

Fritz Valjavec war ein Gelehrter von außerordentlichen Geistesgaben, ein umfassender Geist, der in kulturmorphologischer Betrachtungsweise alle Erscheinungen des kulturellen und geistigen Lebens berücksichtigte. Unter Kulturgeschichte verstand er Literatur, Kunst, Musik, Theater, Volkskunde, Buchdruck, Buchhandel, Kirche, Religion, Presse, Urkunden jedweder Art, Briefe, Sprachwissenschaft, Lehnwörter, Fremdwörter, Paläographie, Diplomatik, Genealogie, Numismatik, Schulbücher, Übersetzungen, Tagebücher, d.h. die Beziehungen aller dieser Gebiete im Südosten zur deutschen Kultur. Die Voraussetzung dazu war die Beherrschung der Sprache und der einschlägigen Literatur. Aber er betrachtete die Wissenschaft nicht nur um ihrer selbst willen, sondern auch als ein völkerverbindendes Element. Darum war er bestrebt, für sein wissenschaftliches Organ, die „Südostdeutschen Forschungen" bzw. die „Südostforschungen", Mitarbeiter aus allen Nationen, Ländern und sogar Erdteilen zu gewinnen, darunter Ungarn, zu denen er ein besonders inniges Verhältnis hatte, Serbokroaten, Bulgaren, Rumänen, Engländer, Franzosen und Amerikaner. Valjavec betrieb eine internationale Wissenschaft. Auf derselben Ebene bewegten sich die zu dengenannten Organen parallel laufenden Buchreihen (Publikationen) der Südostdeutschen Historischen Kommission und des Südostdeutschen Kulturwerkes.

Trotz dieser internationalen Verbindungen hielt Valjavec zu den südostdeutschen Volksgruppen, vor allem zu den Donauschwaben, denen er sich abstammungsmäßig zugehörig fühlte, lebendigen Kontakt. Er hat Südosteuropa als eine kulturgeschichtliche und kulturgeographische Einheit begründet. Unter diesem Stern steht sein Lebenswerk: Die „Geschichte der deutschen Kulturbeziehungen zu Südosteuropa in vier Bänden: Band I, Mittelalter (1953 ); Band II, Reformation und Gegenreformation (1955); Band III, Aufklärung und Absolutismus (1958); Band IV, Das 19. Jahrhundert (1965), postum herausgegeben von Felix von Schröder. Zu allen vier Bänden erschien von demselben ein Ergänzungsband. MR Karl August Fischer und Mathias Bernath, der Nachfolger von Valjavec im Südostinstitut, gaben einen Sammelband „Ausgewählte Aufsätze“ von Fritz Valjavec heraus. (München 1963. Südosteuropäische Arbeiten, Band 60, 418 Seiten). In diesem Sammelband finden sich eine „Geschichte der Donauschwaben“ und „Das älteste Zeugnis für das völkische Erwachen des Donauschwabentums“. Den Anhang des Sammelbandes bildet ein „Verzeichnis der Arbeiten von Fritz Valjavec“ mit 104 Nummern, zusammengestellt von Felix von Schröder, und eine „Übersicht über die Nachrufe auf Fritz Valjavec“ mit 20 Nummern bzw. Titeln.

Angesichts dieser Leistungen gebührt Fritz Valjavec in der deutschen Kulturgeschichte ein erstrangiger Platz. Herzinfarkt bereitete dem Frühvollendeten ein jähes Ende. Sein Grab befindet sich auf dem Münchner Nordfriedhof.

Lit.: Südostforschungen (München). Band 19 (1960).