Biographie

Valjavec, Fritz

Herkunft: Baltikum (Estland, Lettland, Litauen)
Beruf: Kulturhistoriker
* 26. Mai 1909 in Wien
† 10. Februar 1960 in Prien/Chiemsee

Am 10. Februar 1960 starb erst 50-jährig der Historiker Fritz Valjavec. An der Konzipierung der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa hatte er entscheidenden Anteil. Sein Name ist auf das engste mit Gründung und Anfängen des Südostdeutschen Kulturwerks, der Südosteuropa-Gesellschaft sowie der Südostdeutschen Historischen Kommission verbunden, und er gehörte überdies dem Ostdeutschen Kulturrat an. Vor allem aber hat Valjavec von 1935 bis zu seinem Tod maßgeblich die Entwicklung des 1930 als „Institut zur Erforschung des deutschen Volkstums im Süden und Südosten“ gegründeten Münchner Südost-Instituts geprägt. Besonders seit er im Jahr 1937 zum Geschäftsführer und dann 1943 zum stellvertretenden Leiter bestellt wurde, lag die eigentliche Institutsleitung in seinen Händen. Nach 1945 war dann die tatsächliche Fortführung des Südost-Instituts, welches als Rechtspersönlichkeit über das Kriegsende hinaus fortbestand, im Wesentlichen das Werk von Valjavec. Ihm ist es zu verdanken, dass diese Einrichtung, deren Leitung ihm dann 1955 auch formell übertragen wurde, im Zeitpunkt seines plötzlichen Todes allgemein als die führende wissenschaftliche Einrichtung nicht bloß zur Erforschung der Geschichte des Südostdeutschtums, sondern der interdisziplinären Südosteuropaforschung im allgemeinen galt.

Fritz (Friedrich Maria Ludwig) Valjavec wurde am 26. Mai 1909 als Sohn eines aus dem späteren Jugoslawien stammenden k.k. Staatsbeamten und einer donauschwäbischen Mutter in Wien geboren. Beim Zerfall des Kaisertums Österreich wurde wohl Laibach für die Familie zuständig. Unter Verlust seiner österreichischen Staatsbürgerschaft erhielt Valjavec daher aufgrund des Staatsvertrags von St. Germain die Staatsangehörigkeit des 1929 in Jugoslawien umbenannten Königreichs S.H.S. (Aus diesem Grund erwarb er dann auch nicht im Jahr 1938 infolge des „Anschlusses“ Österreichs die Reichsangehörigkeit, sondern wurde erst 1941 in Deutschland eingebürgert.) Die Einschulung erfolgte zunächst in Werschetz (Banat), dem Geburtsort seiner Mutter, der aufgrund des Vertrags von Trianon an den S.H.S.-Staat gefallen war. Hier besuchte er die Volksschule, um dann mit seiner donauschwäbischen Mutter, Marie Valjavec, und einer Schwester nach Budapest zu ziehen. In der ungarischen Hauptstadt besuchte er dann ab 1923 die Reichsdeutsche Schule, und an dieser Schule legte er im Jahr 1930 die Reifeprüfung (Realgymnasium) ab. Das Abschlusszeugnis dieser Bildungseinrichtung wurde sowohl in Ungarn als auch in Deutschland als Abitur anerkannt. Es war Valjavec daher möglich, ohne weitere Nostrifizierung der Leistungsnachweise an einer Hochschule im Reich zu studieren, und so immatrikulierte er sich 1930 an der Philosophischen Fakultät der Universität München, wo er das Studium der Geschichte aufnahm.

Dank seiner Sprachbegabung hatte er sich in seiner Schulzeit – zuerst im Werschetz, dann in Budapest – nicht nur Kenntnisse im Serbo-Kroatischen und im Ungarischen angeeignet, sondern auch in den übrigen landesüblichen Sprachen des historischen Transleithaniens. Schon im Gymnasium zeichnete sich Valjavec zudem durch ungewöhnliches historisches Wissen aus, und er entwickelte dort ein intensives Zugehörigkeitsgefühl zur deutschen Minderheit in Ungarn. Von diesem Gefühl zeugt auch die Arbeit, mit der er 1934, im Alter von 25 Jahren, an der philosophischen Fakultät in München promoviert wurde. Die Dissertation behandelt nämlich Leben und Wirken des deutsch-ungarischen Publizisten und Politikers Karl Gottlieb v. Windisch (1725-1793), den Valjavec – so der Untertitel der Arbeit – als das „Leitbild eines südostdeutschen Bürgers der Aufklärungszeit“ darstellt. Dieser Untertitel markiert bereits die späteren Forschungsschwerpunkte des Autors: Das Schicksal der Deutschen in den Ländern der Stephanskrone, dann den deutschen Kultureinfluss in Ungarn und schließlich die abendländische Aufklärung, besonders den Josephinismus. Doktorvater und Betreuer von Valjavec war der Historiker Karl Alexander v. Müller, der seit seiner Gründung im Jahr 1930 auch das Münchner Südost-Institut leitete (und dann ab 1936 Präsident der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wurde).

Bereits im Jahr nach der Promotion (1935) wurde Valjavec von seinem Doktorvater an das Südost-Institut geholt. Dort sollte er zunächst das Projekt eines Jahrbuchs für das Deutschtum im Südosten konkretisieren und dann als verantwortlicher Herausgeber fungieren. Der erste Jahrgang der Südost-Forschungen erschien 1936 (seit 1940 unter diesem Titel, die ersten vier Hefte hießenSüdostdeutsche Forschungen). Neben seiner editorischen und administrativen Tätigkeit für das Südost-Institut sowie der Abfassung zahlreicher kleinerer Beiträge zu Sammelwerken sowie Aufsätze und Rezensionen in Zeitschriften kam in dieser Zeit noch die Habilitation: Im Jahr 1938, vier Jahre nach seiner Promotion, wurde Valjavec mit einer Abhandlung zum „deutschen Kultureinfluß im nahen Südosten“ habilitiert. Diese Habilitationsschrift wurde im Jahr 1940 veröffentlicht, wobei der eingereichte Text als erster Band einer umfassender angelegten Untersuchung konzipiert war – in den Jahren 1953 bis 1970 erschien dann eine zweite, wesentlich erweiterte Auflage in fünf Bänden unter dem Titel Geschichte der deutschen Kulturbeziehungen zu Südosteuropa (Bd. 4 und Bd. 5 wurden postum herausgebracht).

Wie schon angedeutet, weist das wissenschaftliche Werk von Valjavec weit über den engeren Bereich der Südosteuropaforschungen hinaus: Noch vor Kriegsende publizierte er Der Josephinismus: Zur geistigen Entwicklung Österreichs im 18. und 19. Jahrhundert (1944, 2. Aufl. 1945). Im Jahr 1951 folgte Die Entstehung der politischen Strömungen in Deutschland 1770 bis 1815 und 1961 erschien dann postum seine Geschichte der abendländischen Aufklärung. Schließlich oblag ihm vom ersten bis zum letzten Band die Herausgeberschaft und Gesamtredaktion derHistoria Mundi. Dieses erste große internationale Gemeinschaftswerk der deutschsprachigen Geschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg war angelegt als „Handbuch der Weltgeschichte in zehn Bänden“, die dann zwischen 1952 und 1961 erschienen. Valjavec konnte namhafte in- und ausländische Forscher zur Mitarbeit gewinnen, und er hat zu den einzelnen Bänden auch selber zahlreiche eindrucksvolle Beiträge geliefert.

Besondere Hervorhebung verdient an dieser Stelle die bereits erwähnte Mitarbeit von Valjavec an der Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, die seit ihrer Entstehung in den 1950er Jahren mehrfach (zuletzt 2004) neuaufgelegt wurde und an deren Konzipierung er maßgeblich beteiligt war. Es handelt sich hier um ein frühes Beispiel für „oral history“. Besonders die Ergebnisse der Befragungen von Vertreibungsopfern für die 1956 ff. erschienenen Bände II (Ungarn),III (Rumänien) und IV (Jugoslawien) beruhen großenteils auf den Vorarbeiten von Valjavec, auch wenn er dann zur Herausgabe der Dokumentation nicht mehr herangezogen wurde. Möglichen Schwächen der Grundkonzeption der „oral history“ als wissenschaftlicher Methode wird in derDokumentation der Vertreibung dadurch Rechnung getragen, dass sich die einzelnen Bände keineswegs in der Wiedergabe der protokollierten Interviews mit Vertreibungsopfern erschöpfen, sondern sehr umfangreiche, redaktionelle Abschnitte enthalten. Diese gesondert paginierten einleitenden Teile gehen durchaus ausgewogen und objektiv auch auf die historischen Zusammenhänge und auf die unmittelbare Vorgeschichte der Vertreibung der Deutschen ausdem Osten und Südosten am Ende des Zweiten Weltkrieges ein. In Vorwürfen gegen die Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa wird diese breite historische Unterfütterung der Befragungsergebnisse verkannt.

Nicht nur wegen seiner Mitarbeit an der Dokumentation der Vertreibung, sondern in Hinblick auf sein wissenschaftliches Werk bis 1945 ist Valjavec seit der Jahrtausendwende in den Fokus der Kritik geraten. Es wird zusätzlich seine Involvierung in Mordhandlungen der Einsatzgruppe D in Czernowitz im Juli 1941 behauptet. Was Letzteres angeht, so widerlegt ein unvoreingenommenes Studium der Protokolle der Münchner Staatsanwaltschaft über die Vernehmungen von beteiligten Zeugen und Beschuldigten zu den Vorgängen in Czernowitz am 8. Juli 1941 diesen Vorwurf. Angesichts seines wissenschaftlichen Werkes bis Kriegsende kann auch nicht ernsthaft behauptet werden, Valjavec sei Rassist und Antisemit gewesen oder er habe Hitlers Politik unterstützt. Es findet sich in seinen Publikationen bis Kriegsende keine tragende wissenschaftliche Aussage, die er nicht unverändert auch nach 1945 hätte veröffentlichen können, und auch in den von Valjavec begründeten Südost-Forschungen gab es von Anfang an – und auch noch in den Jahren 1943-45 – zahlreiche Beiträge von Juden, Freimaurern oder sonst im Sinne des NS-Regimes „unliebsamen“ Autoren.

Was bleibt, sind die unbestrittenen Verdienste von Valjavec um die Erinnerungsarbeit der Heimatvertriebenen sowie um die fachliche Ausrichtung und um den organisatorischen Neuaufbau der bundesdeutschen Südosteuropa-Forschung. Ihm allein war es zu verdanken, wenn das Münchner Südost-Institut über das Kriegsende hinweggerettet werden konnte. Seine besonderen Verdienste um diese Forschungseinrichtung ließen sich, so sein enger Mitarbeiter Hans Hartl in einem Rückblick aus dem Jahr 1982, dahin zusammenfassen, dass man beim Südost-Institut ohne weiteres von einem „Fritz-Valjavec-Institut“ sprechen könnte.

Werke: Nachweise bei Felix v. Schroeder, Verzeichnis der Werke von Fritz Valjavec, in: Südost-Forsch. 19 (1960), S. 16-33.

Lit.: Karl August Fischer, Fritz Valjavec (1909-1960), in: Südost-Forsch. 19 (1960), S. 1-15. – Harold Steinacker, Der Kulturhistoriker Fritz Valjavec (1909-1960). Ein Lebensbild, in: Südostdt. Arch. 3 (1960), S. 3-13. – Felix v. Schroeder, Valjavec, Fritz, in: Biogr. Lexikon zur Gesch. Südosteuropas Bd. IV (1981), S. 380-381. – Hans Hartl, 50 Jahre Südost-Institut, in: Südosteuropa-Mitteilungen 22/2 (1982), S. 39-47). – Karl Nehring, Zu den Anfängen der Südost-Forschungen, in: Südost-Forsch. 50 (1991), S. 1-30.

Zur Abwegigkeit der Anschuldigungen gegen Valjavec, insbes. wegen seiner Tätigkeit bis 1945 und seiner Rolle bei Erstellung der Dokumentation vgl. Michael Silagi, IFLA Informationsdienst 54 (2005), S. 87-93.

Bild: Südost-Institut Regensburg

Michael Silagi