Biographie

Voigt, Friedrich Wilhelm

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Schuster,
* 13. Februar 1849 in Tilsit
† 3. Januar 1922 in Luxemburg

Als ‚Hauptmann von Köpenick‘ erlangte der Ostpreuße Friedrich Wilhelm Voigt Berühmtheit. Der Sohn eines Schuhmachers wurde am 13. Februar 1849 in Tilsit geboren. In seiner Heimatstadt besuchte er die Oberrealschule, die er abbrach, um das Schuhmacherhandwerk zu erlernen.

Erstmals im Alter von 14 Jahren strafrechtlich auffällig geworden, verbrachte Voigt viele Jahre seines Lebens in Gefängnissen. Wegen Diebstahls verurteilte das Kreisgericht Tilsit ihn im Juni 1863 zu vierzehn Tagen Gefängnis. Im September 1864 wurde er, erneut wegen Diebstahls, zu drei Monaten Gefängnis verurteilt, im September 1865 wiederum vom Kreisgericht Tilsit, diesmal wegen Diebstahls im Wiederholungsfall, zu neun Monaten Gefängnis und einem Jahr Ehrverlust.

Seine Wanderjahre als Schuhmachergeselle führten Voigt nach Pommern und Brandenburg. Wegen Urkundenfälschung verur­teilte das Schwurgericht Prenzlau Voigt im April 1867 zu zehn Jahren Zuchthaus und einer Geldstrafe, die in zwei weitere Jahre Haft umgewandelt wurde. Wegen schweren Diebstahls wurde er im Juli 1889 vom Landgericht Posen zu einem Jahr Gefängnis, im Februar 1891 vom Landgericht Gnesen zu 15 Jahren Zuchthaus und zehn Jahren Ehrenverlust verurteilt.

Im Februar 1906 aus der Haft im Zuchthaus Rawitsch entlassen, zog Voigt nach Wismar. Dort wollte er sich als Geselle beim Hofschuhmachermeister Hilbrecht in der Lübschen Straße 11 niederlassen. Ungeachtet seiner guten Führung wurde er wegen seiner Vorstrafen schon im Mai 1906 aus dem Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin wieder ausgewiesen.

Daraufhin zog Voigt nach Rixdorf bei Berlin zu seiner älteren Schwester Bertha und deren Mann und begann, als Maschinist für eine Schuhwarenfabrik zu arbeiten. Kurz darauf wurde ihm jedoch auch der Aufenthalt in Berlin verboten. Voigt tauchte zunächst in Berlin-Friedrichshain unter, verabschiedete sich dann aber aus der Fabrik und von seiner Lebensgefährtin Riemer, einer Fabrikarbeiterin. Er gab vor, verreisen zu müssen, um eine Erbschaft in Odessa anzutreten. Tatsächlich blieb er in Berlin.

Am 16. Oktober 1906 besetzte Voigt, mit einer Uniform eines Hauptmanns des preußischen Ersten Garde-Regiments zu Fuß verkleidet, das Rathaus der Stadt Köpenick bei Berlin. Ihn unterstützte dabei ein Trupp an Soldaten, die er in Berlin unter sein Kommando gebracht hatte. Er gab vor, einen „allerhöchsten Befehl“ zu exekutieren, der tatsächlich nicht existierte. In beispielloser Anmaßung ließ Voigt das Köpenicker Rathaus besetzen, den Bürgermeister verhaften und die Stadtkasse beschlagnahmen.

Von seinem ehemaligen Zellengenossen Kallenberg denunziert, wurde Voigt am 26. Oktober 1906 in seiner Unterkunft in der Langen Straße nahe dem Schlesischen Bahnhof in Berlin von der Polizei verhaftet. Das Landgericht II in Berlin verurteilte ihn am 1. Dezember 1906 zu vier Jahren Gefängnis wegen „unbefugten Tragens einer Uniform, des Vergehens wider die öffentliche Ordnung, der Freiheitsberaubung, des Betruges und der schweren Urkundenfälschung“. Kaiser Wilhelm II. begnadigte Voigt per Erlass vom 15. August 1908, so dass er am folgenden Tag aus der Haftanstalt Tegel wieder entlassen wurde.

Sein Fall war bereits vom Gericht wohlwollend betrachtet worden, da man Voigt zugutehielt, sich mehrfach darum bemüht zu haben, eine ehrbare Existenz aufzubauen. Dem hätten jedoch die Stigmatisierung durch seine Vorstrafen und die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis entgegengestanden.

Bereits unter den Zeitgenossen erregte die später sprichwörtlich gewordene „Köpenickiade“ großes Aufsehen. Zum Prozess reis­ten Journalisten aus dem In- und Ausland an. Während Voigt in Haft saß, erreichten die Behörden zahllose Nachfragen, Grußbotschaften und Gnadengesuche. Angeblich soll selbst der Kaiser angesichts der Originalität dieses Coups gelacht haben, welcher die Obrigkeitshörigkeit amtlicher Vertreter vorgeführt hatte.

Der einzigartige Gauner- und Geniestreich wurde schon früh, satirisch aufbereitet, auf deutsche Bühnen und in die Kinos gebracht und wird bis heute noch auf vielfältige Weise künstlerisch verarbeitet. Als berühmteste Adaption kann wohl Carl Zuckmayers Theaterstück „Der Hauptmann von Köpenick“ aus dem Jahr 1930 gelten.

Voigt war nach seiner Entlassung aus der Haft ein gefragter Klein-, vor allem Selbstdarsteller, der auf Rummelplätzen, Jahrmärkten, in Lokalen, Varietés und auf Bühnen aller Art in ganz Deutschland, Österreich, Ungarn, Frankreich, England und wohl sogar in den USA öffentlich auftrat.

Im Mai 1909 konnte Voigt in Luxemburg Wohnrecht erwerben. Im selben Jahr publizierte er seine Autobiographie. Am 1. Mai 1910 erhielt er einen luxemburgischen Ausweis und siedelte endgültig dorthin über. Am 3. Januar 1922 starb Voigt in Luxemburg. Voigts Grabstelle auf dem Friedhof Notre Dame kaufte 1961 der Zirkus Sarrasani. Seit 1975 kümmern sich die Stadt Luxemburg und die Europäische Union um die Pflege des Grabs. Am historischen Tatort, in Köpenick, wird des „Hauptmanns“ und seiner Tat in Form von Theateraufführungen, Ausstellungen und Touristenführungen bis zum heutigen Tag gedacht.

Lit.: Voigt, Wilhelm: Wie ich Hauptmann von Köpenick wurde: mein Lebensbild, Berlin 1909. – Löschburg, Winfried: Ohne Glanz und Gloria. Die Geschichte des Hauptmanns von Köpenick, Berlin 1998. –  Der Fall Köpenick. Akten und zeitgenössische Dokumente zur Historie einer preußischen Moritat, hrsg. v. Wolfgang Heidelmeyer, Frankfurt am Main 1968. – Frieling, Wilhelm Ruprecht: Der Hauptmann von Köpenick. Die wahre Geschichte des Wilhelm Voigt, Berlin 2011. – Unterordnen – jewiß! Aber unter wat drunter?! Vom Schuster Friedrich Wilhelm Voigt zum „Hauptmann von Köpenick“. Ausstellung im Rathaus Köpenick. Festschrift zum 90. Jahrestag der Köpenickiade am 16. Oktober 1996, Köpenick 1996. – Dahms, Wolfgang: Der Hauptmann von Köpenick. Ein Lesebuch über das „janze Leben“ des Friedrich Wilhelm Voigt – die etwas andere Biographie, Teltow 2016.

Bild: Friedrich Wilhelm Voigt 1910, gemeinfrei

Sabine Dumschat