„Keiner vor ihm und noch keiner nach ihm hat die Musik der schlesischen Mundart, ihre Innigkeit, ihre Schalkhaftigkeit, ihren Rhythmus und ihre gemütvolle Tiefe so voll erfasst und rein gestaltet wie er in den besten seiner schlesischen Lieder“. Die Nachwelt war, wie das Zitat von Hermann Stehr zeigt, tief beeindruckt von dem Dichter Johannes Reinelt, der seine Werke unter dem Pseudonym Philo vom Walde verfasst hatte. Am Waschteich in der Nähe der Breslauer Pestalozzi-Schule, seiner letzten Wirkungsstätte, errichtete man 1912 ein Denkmal, das den bärtigen Dichter in sinnender Haltung darstellt.
Geboren wurde Johannes Reinelt am 5. August 1858 im oberschlesischen Kreuzendorf bei Leobschütz als Kind einer in ärmlichen Verhältnissen lebenden Familie. Sein Vater, der Weber und Tagelöhner Karl Reinelt, hatte in zweiter Ehe Rosalie Kuhr geheiratet und wohnte mit ihr und fünf Kindern aus beiden Ehen in wechselnden bescheidenen Unterkünften. Mutter und Kinder mussten selbstverständlich Geld zum Unterhalt der Familie hinzuverdienen.Die Erfahrungen der Kindheit und Jugend sollten Reinelts Werk entscheidend prägen. Dass er kränkelnd blieb und früh geistig verwirrt starb, führte man später auf dürftige Kost und Entbehrungen der Jugendzeit zurück, doch ist bei dieser Einschätzung mit posthum erfolgender Stilisierung der Persönlichkeit zu rechnen.
Ursprünglich dazu bestimmt, das Schusterhandwerk zu erlernen, wurde Reinelt vom Dorfschullehrer, der die hohe sprachliche Begabung des Jungen erkannte, mit kostenlosen Privatstunden fortgebildet, um ihm so den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen. Die Unterstützung durch Lehrer und Pfarrer bewirkten, dass Reinelt 1874 im Lehrerseminar von Züls ein Studium aufnehmen konnte. Nach dessen erfolgreichem Abschluss ging er 1878 als Adjuvant (Hilfslehrer) nach Bielau, später nach Nowag, wo er Maria Brausemann heiratete. 1882 wurde er Lehrer in Korkwitz, 1884 dann nach Neiße versetzt und schließlich 1904 zum Oberlehrer an die Pestalozzi-Schule zu Breslau berufen.
Bereits während seiner Studienzeit und erst recht neben seiner Lehrtätigkeit äußerte sich Reinelt in den Feuilletons verschiedener Zeitungen vor allem zu regionalen Themen. Mit seinem BuchSchlesien in Sage und Brauch zeichnete er 1883 ein bewegtes Bild der Volksdichtung und des Brauchtums der Kreise Neiße und Leobschütz sowie des Neustädter Weichbildes – direkt an der oberschlesischen Sprachgrenze. Seit 1898 war er Herausgeber des Kalenders Der gemittliche Schläsinger als Nachfolger von Carl Holtei.
Unter dem genannten romantisierenden Pseudonym Philo vom Walde entfaltete Reinelt ein reges literarisches Schaffen als Autor von Mundartdichtung, in der er die mit großer Sensibilität beobachtete Lebenswelt seiner schlesischen Heimat in gefühlsgeladenen Bildern beschrieb. Dies betrifft sowohl erzählerische und dramatische als auch poetische Werke, die in kurzen Abständen erschienen. Reinelt verwendete dabei nicht einen bestimmten, lokal gebundenen Dialekt, vielmehr entwickelte eine er überörtliche Sprache, mit der man sich in weiten Teilen Schlesiens zu identifizieren vermochte.
Zu erwähnen sind hier fünf Sammlungen von Gedichten:Aus der Heemte (1893), A schläsches Bilderbüchel (1885), A Singvägele (1886), Vagantenlieder (1888) undSonntagskinder(1904). Mehrere der Gedichte wurden von Paul Mittmann vertont, u.a. Reinelts bekanntestes Gedicht Mein Schlesierland. Neben qualitätvollen Gedichten mit sozialer, ja sozialkritischer Thematik finden sich handwerklich ebenso korrekte, wenn auch von oft übermäßiger Sentimentalität geprägte Arbeiten.
Dieses Schaffen fand seinen Höhepunkt in dem Volksepos Leutenot, das 1900 erschien. Hier verarbeitete Reinelt die Erfahrungen der Jugendzeit: die HauptfigurHanseleträgt deutlich autobiographische Züge. Es werden elende Lebensverhältnisse, Hunger und Krankheit, Verachtung und Unterdrückung, Selbst- und Gotteszweifel geschildert – ein konsequenter Realismus, der durch den Gegensatz zur strengen gebundenen Form des Reim-Epos noch gesteigert wird. Reinelt geht mit diesem Werk weit über die modische „Heimatkunst“ hinaus, nähert sich, vielleicht von Gerhart Hauptmann beeinflusst, dem Naturalismus. Friedrich Schön wertetLeutenot in seiner Geschichte der deutschen Mundartdichtung als „bedeutenden Wurf“.
Demgegenüber geringer bewertet werden in der Literaturwissenschaft Reinelts dramatische Werke, so die Bauernkomödie mit GesangDie Dorfhexe und die Sammlungen von Lustspielen in einem Aufzug Sonderlinge (1881) undHygienische Volksbühne (1892). Die beiden Dramen Befreiung und Unter dem Schutz der Gottesmutter beschlossen das dramatische Schaffen.
In den Lustspielen verarbeitete Reinelt bevorzugt Erlebnisse der zahlreichen Kuraufenthalte, die seine stets angegriffene Gesundheit erforderlich machte. Doch nicht nur hier zeigte er sich als eifriger Verfechter von Naturheilverfahren, sondern auch in einer Reihe von ihm verfasster Sachbücher, die sich vor allem mit Leben und Wirken des Gräfenberger Landwirts Vinzenz Prießnitz beschäftigen, den Reinelt als Begründer des Wasserverfahrens verehrte. Gern zitierte man in entsprechenden Kreisen Reinelts Spruch „Die besten Ärzte in der Welt,/ trotz aller Neider, aller Hasser,/ es sind, im Bunde treu gestellt:/ Diät, Bewegung, Licht, Luft, Wasser.“
Nachhaltig positive Wirkung auf Reinelts Gesundheit sollten die zahlreichen Kuraufenthalte auf dem Gräfenberg indes nicht haben: Nach nur zweijähriger Tätigkeit als Lehrer an der Pestalozzi-Schule in Breslau verstarb er im Alter von 47 Jahren am 16. Januar 1906.
Ungeachtet der bisweilen schwankenden Qualität seiner Werke kann Johannes Reinelt, Philo vom Walde, zu den bedeutenden Vertretern deutscher Dialektdichtung seiner Zeit gezählt werden. Die Wertschätzung unter den Schlesiern, die ihm in der heimatlich vertrauten Sprache aufgezeichnete Bilder ihrer Lebens- und Denkweise verdanken, hat bis heute Bestand – entsprechend dem Appell, den zu seinem 70. Geburtstag 1928 die HalbmonatsschriftWir Schlesier an alle Landsleute richtete: „Ein Schlesier ist ohne Philo vom Walde nicht zu denken. Schlesier, setzt ihm das lebendige Denkmal in euren Herzen!“
Lit.: August F. Krause (Hrsg.), Schlesisches Dichterbuch, Breslau 1902. – Friedrich Schön, Geschichte der deutschen Mundartdichtung, 2. Teil, Freiburg/Br. 1921. – F. Till, Philo vom Walde zum Gedächtnis, Der Schlesier, 9. Jg., 1957/31. – Arno Lubos, Geschichte der Literatur Schlesiens, Bd. 2, München 1967. – Eduard Beigel (Hrsg.), Philo vom Walde. Ein schlesischer Heimatdichter. Leobschützer Heimatverein, Eschershausen 1974. – Pachnicke, Gerhard, „Was andre Gaue können, das können wir auch“. Philo vom Walde als Gerhart Hauptmanns Briefpartner, in: Schlesien. Kunst, Wissenschaft, Volkskunde 1987.
Bild:Archiv der Kulturstiftung.