Biographie

Weber, Ilse

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Schriftstellerin
* 11. Januar 1903 in Witkowitz/ Mähren
† 6. Oktober 1944 in Auschwitz-Birkenau

Ilse Weber, geborene Herrlinger, wurde am 11. Januar 1903 in Witkowitz bei Mährisch Ostrau geboren und wurde am 6. Oktober 1944 zusammen mit den Kindern, die sie betreute, in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet – ähnlich wie Janusz Korczak, der mit seinen Kindern‘ in die Gaskammer ging.

Sie wuchs in Witkowitz, einer Industriestadt bei Mährisch Ostrau, in einem kulturellen Miteinander von Tschechen, Polen, Deutschen und Juden auf. Sie fing schon mit 14 Jahren an, Gedichte, Kindermärchen, auch jüdische Kindermärchen und Theaterstücke zu verfassen, die sie zum Teil auch vertonte. Sie wurden bald in österreichischen und in Schweizer Zeitungen, in Büchern und im Radio als Hörspiele veröffentlicht. Was sie schon seit ihrer Jugend machte, wurde später auch zu ihrem Beruf und war ihre Berufung. Auch als Hörfunkautorin war sie erfolgreich. Sie war sehr wach und hatte schon früh intensive Brieffreundschaften im In- und- Ausland.

1930 heiratete Ilse Willi Weber, das Paar lebte in Ostrau. Am 1.1.1931 wurde der Sohn Hanuš geboren und im März 1934 der Sohn Tomáš. Der rege Briefwechsel machte sie hellhörig und hellsichtig, was die düstere Zukunft betraf, die sich anbahnte. Man fand 32 Jahre nach ihrem Tode Briefe an ihre Freundin Lilian von Löwenadler. Diesen Briefen zufolge hatte sie eine Vorahnung von dem Schlimmen, das sich politisch und gesellschaftlich entwickelte. Sie litt zunehmend unter den antisemitischen Anfeindungen, die sie von Nachbarn und Arbeitskollegen erdulden musste, bis hin zu den Schikanen, weil sie als Jüdin noch in der Redaktion arbeitete.

Schließlich floh die Familie im März 1939 nach Prag. Im Mai 1939 gelang es ihr, ihren Sohn Hanuš mit einem von Nicholas Winton organisierten Kindertransport nach England bringen zu lassen, der so Hunderten Kindern das Leben gerettet hatte. Von dort aus nahm ihn ihre Freundin, Lilian von Löwenadler, mit nach Schweden und er wuchs als ihr Pflegekind in der Familie heran. Als die Freundin früh starb, konnte Hanuš bei deren Mutter, Gertrud von Löwenadler, bleiben. So konnte ihr Sohn Hanuš gerettet werden.

Ilse litt nun auch in Prag sehr unter der Situation der Aus­grenzung und Bedrohung in der vergifteten judenfeindlichen Atmosphäre. Sie wurde immer mutloser. So schrieb sie an ihre Freundin: „Ich bin innerlich wie tot, kein Gedicht gelingt mir mehr.“ 1942 wurde die ganze Familie nach Theresienstadt deportiert. Dort angekommen sah sie das große Elend und in ihr begann ein Wandel: sie begann zu arbeiten.

Ihre Angst vor der Bedrohung und Lethargie schien wie weggeblasen und sie handelte. Sie richtete eine Kinderkran­kenstube ein, sie umgab die Kinder nicht nur mit Pflege, sondern auch mit einer wunderbaren Musiktherapie. Des nachts schrieb sie Gedichte und Trostgesänge, um den Kindern Hoffnung und Mut zu geben, um weiterleben zu können. Aber ihre Gedichte zeigten auch den Schrecken des Lageralltags. So wird sie zur Zeitzeugin. Durch ihre Texte und Gedichte und Gesänge gab sie den Leidensgeschichten der Gefangenen eine Stimme, wie sehr sie unter der ständigen Todesdrohung in dem sogenannten Vorzeigelager Theresienstadt litten. Sie sang mit den Kindern, erzählte, las ihnen vor und führte mit ihnen kleine Theaterspiele auf. So entstand das auch heute noch bekannte Wiegala mit dem berührenden Text und der von ihr dazu komponierten schönen eingängigen Melodie. Das Gedicht Die Keuchhusten-Kinder zeugt von ihrem Bemühen, kranken Kinder Hoffnung zu geben. Ebenso schrieb sie ein Gedicht über das Geschehen in Lidice: Die Schafe von Lidice. Das Gedicht gelangte nach außen und Adolf Eichmann selber fahndete nach dem Verfasser des Gedichts. Aber kein Lagerinsasse verriet Ilse Weber. Für Ihren Sohn Hanuš schrieb sie das Gedicht Ich wandere durch Theresienstadt, immer in der Hoffnung ihn wiederzusehen. So gut es möglich war, hatte sie mit Schweden und dem Sohn Briefkontakt. Als bestimmt wurde, dass die Kinder der Krankenstube deportiert werden sollten, meldete sich Ilse Weber freiwillig, um mit den Kindern zu gehen. Auch ihr Sohn Tomáš war dabei. Am 6. Oktober 1944 in Auschwitz-Birkenau angekommen, wurden sie sofort in die Gaskammer geführt. Ein Überlebender, der Ilse Weber von Theresienstadt kannte, ging auf sie zu und klärte sie auf, was es mit den Duschen auf sich hatte und gab ihr den Rat, mit den Kindern zu singen, denn dann würde der Tod schneller kommen, bevor eine Panik ausbrach und sie zu Tode getrampelt werden konnten.

Ihr Mann Willi Weber ließ sich freiwillig nach Auschwitz deportieren, um in der Nähe seiner Familie zu sein. Er arbeitete im Ghetto Theresienstadt als Gärtner an der Verschönerung des ‚Vorzeigelagers‘. So war es ihm möglich, kurz vor der Deportation die Gedichte, Zeichnungen, Noten seiner Frau außerhalb des Geländes in einem Schuppen einzumauern. Er arbeitete in Auschwitz, wurde aber dann ins KZ Gleiwitz überstellt, um dort in einem Arbeitslager zu arbeiten. So überlebte er. In einer anderen Darstellung heißt es, er sei kurz vor der Befreiung von Auschwitz auf den Todesmarsch nach Westen geschickt worden und hätte bei Gleiwitz fliehen können. Bei Gleiwitz, heißt es weiter, schloss er sich der Svobodaarmee an und mit der Hilfe eines Majors konnte er nach Theresienstadt zurückkehren, um die Stelle zu finden, wo er die Bilder und Texte und Gedichte und Lieder seiner Frau eingemauert hatte, bevor sie nach Auschwitz deportiert worden waren. So ist vieles von Ilse Weber noch erhalten.

Frau Ulrike Migdal, einer deutschen Historikerin, die an der Erinnerungsstätte Yad Vashem an einer Dokumentation über das künstlerische Schaffen der Gefangenen von Theresienstadt arbeitete, haben wir eine Dokumentation über das Leben der jüdischen Autorin Ilse Weber zu verdanken. Sie hat alle Dokumente und Fotos zusammengetragen, die das Leben der fast vergessenen Lyrikerin nachvollziehen lassen.

Werke (Auswahl): Das Trittrollerwettrennen und andere Erzählungen, Reichenberg/Böhmen 1927. – Der blaue Prinz, Märchenspiel, Mährisch Ostrau 1928. – Jüdische Kindermärchen, Mähr. Ostrau 1928 (als Ilse Herrlinger). – Die Geschichten um Mendel Rosenbusch. Erzählungen für jüdische Kinder, Mähr. Ostrau 1929 (als Ilse Herrlinger); wiederveröffentlicht als: Mendel Rosenbusch. Geschichten für jüdische Kinder, mit Übersetzung ins Hebräische von David Abramov, Zeichnungen von Özgür Erkök Moroder, Nachwort von Annegret Völpel, Herausgegeben von Ulrich Leinz, Berlin 2020. In deinen Mauern wohnt das Leid – Gedichte aus dem KZ Theresienstadt, Gerlingen 1991. – lch wandre durch Theresienstadt. Lieder für Singstimme und Klavier. Nach den Quellen und in Bearb. hrsg. von Winfried Radeke Boosey & Hawkes – Bote & Bock, Berlin 2008.

Lit.: Jochen Shelliem in: Deutschlandfunk: „Das Leben einer fast vergessenen Lyrikerin“. – Ludvig Vaclavik, Ilse Weber, Lexikon deutsch-mährischer Autoren, Olmütz 2002.  – Ulrike Migdal (Hrsg.), Ilse Weber. Wann wohl das Leid ein Ende hat. Briefe und Gedichte aus Theresienstadt, 2008.

Bild: Wikipedia gemeinfrei.

Hildegard Schiebe