Biographie

Wegener, Paul Hermann

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Schauspieler
* 11. Dezember 1874 in Arnoldsdorf/Kr. Briesen
† 13. September 1948 in Berlin

Die Geburt Paul Wegeners auf dem Landgut Jerrentowitz stand scheinbar unter keinem guten Stern. Das Neugeborene war so schwach, daß der Arzt der Mutter riet, den Tod des Säuglings auf dem Gut abzuwarten, da dieser den geplanten Umzug der Familie ins ermländische Bischdorf nicht überleben werde. Otto Wegener, Pauls Vater, hatte gerade seinen Besitz in Westpreußen verkauft, um sich auf einem ostpreußischen Gut niederzulassen. Wider Erwarten überlebte das Kind jedoch und wuchs zu einem kräftigen Knaben heran. Da er schon mit drei Jahren seine Mutter verlor und sich sein Vater um die Erziehung kaum kümmerte, blieb Paul Wegener sich weitgehend selbst überlassen. Ersten Unterricht erhielt er zusammen mit seinen älteren Geschwistern durch Hauslehrer, wobei er früh Interesse an Schauspiel und Dichtung zeigte. Schon mit acht Jahren trug er den Abschiedsmonolog der Maria Stuart aus Schillers gleichnamigem Drama auswendig vor und verfaßte kleine Gedichte.

1883 kam Paul Wegener in das Gymnasium von Rössel. Als Untertertianer wechselte er 1885 auf das Kneiphofsche Gymnasium zu Königsberg über. In der aufstrebenden Großstadt gründete er mit Mitschülern einen dramatischen Verein namens „Melpomene“, in dem Szenen aus den klassischen Dramen und selbstgeschriebene kleine Stücke zur Aufführung kamen. Auch wirkte Wegener als Komparse im Stadttheater mit, wo seine Neigung zur Bühne, wie er später bezeugte, endgültig durchbrach. Dem väterlichen Wunsch entsprechend begann er jedoch im Sommersemester 1894 zunächst ein Jurastudium an der Universität Freiburg im Breisgau, wo er gleichzeitig philosophische und kunstgeschichtliche Veranstaltungen besuchte. Besonders faszinierte ihn die Kunst des Fernen Ostens. Im Frühjahr 1895 wechselte Wegener an die Universität Leipzig, wo er neben dem Studium Schauspielunterricht bei Oscar Borcherdt, dem Regisseur des Leipziger Stadttheaters, nahm. Als dieser ihm sein Talent bescheinigte, entschied sich Wegener endgültig für den Schauspielerberuf.

Zwischen 1895 und 1900 durchlief Wegener auf Bühnen in Leipzig, Rostock, Lübeck, Koblenz, Bromberg, Magdeburg und Aachen alle Höhen und Tiefen eines jungen Schauspielerdaseins. Privat lebte er in äußerst bescheidenen Verhältnissen, da sein Vater ihm die finanzielle Unterstützung wiederholt entzog. Eine Verbesserung trat erst ein, als er 1900 am Wiesbadener Hoftheater einen Fünfjahresvertrag erhielt. Doch auch in Wiesbaden konnte Wegener künstlerisch nicht recht vorankommen, so daß er ans Hamburger Stadttheater wechselte, das damals den zeitgenössischen Stücken von Gerhart Hauptmann, Henrik Ibsen und Oscar Wilde breiten Raum einräumte. Dort gelangte Wegener zur schauspielerischen Reife. Anläßlich der Uraufführung des StücksDie Byzantiner von Victor Hahn wurde Wegener Max Reinhardt in Berlin als „großes Talent“ empfohlen. Am 17. Oktober 1906 debütierte er im Deutschen Theater und erhielt von Siegfried Jacobsohn, Berlins strengstem Theaterkritiker, sogleich eine glänzende Besprechung. Max Reinhardt besetzte Paul Wegener in nahezu allen bedeutenden Männerrollen des Theaters, so beispielsweise als Anton Antonowitsch in Gogols Der Revisor, als Präsident in Schillers Kabale und Liebe und als Franz Moor in SchillersDie Räuber. Seine bevorzugte Partnerin war Tilla Durieux.

Das Jahr 1912 markierte erneut einen Einschnitt in Wegeners Schaffen. Als einer der ersten in Deutschland beschäftigte er sich mit den künstlerischen Gestaltungsmöglichkeiten des neuen Mediums Film. In dem 1912/13 gedrehten Streifen Der Student von Prag verkörperte er die erste Doppelrolle der Filmgeschichte. Bei weiteren Filmen (zum Beispiel Rübezahls Hochzeit,Der Rattenfänger) wirkte er nicht nur als Hauptdarsteller, sondern auch als Autor, Regisseur oder Produzent mit. 1914 trat er wieder in Bühnenrollen auf. Da er sich mit Max Reinhardt entzweit hatte, bereitete er mit Freunden und Kollegen die Einrichtung eines Sozietätstheaters vor, das im Oktober 1914 eröffnet werden sollte. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegsmachte diese Pläne zunichte. Wegener erlebte die erstenKriegsmonate als Unteroffizier an der Westfront bei Dixmuiden und Ypern. Aufgrund einer schweren Herzerweiterung war er ab 1915 nur noch eingeschränkt kriegstauglich. Erfreut nahm er daher das Angebot Max Reinhardts an, auf die Bühne zurückzukehren. Von 1915 bis 1919 wieder Mitglied der Ensembles des Deutschen Theaters und der Volksbühne in Berlin, spielte Wegener in Dramen von Shakespeare, Ibsen und Strindberg meist gespenstisch-düstere Charaktere. Damit verkörperte er gewissermaßen den Zeitgeist einer aus den Fugen geratenen Welt.

Anfang der Zwanziger Jahre war Max Reinhardt der unumstrittene Theaterkönig Berlins. Er hatte 1919 das Große Schauspielhaus mit 5000 Plätzen eröffnet. Das führte zu einer Überbeanspruchung der Schauspieler, unter der auch Wegener litt. 1920 kam es zum erneuten Bruch zwischen den beiden Theaterbesessenen. Wegener wandte sich wieder dem Film zu. Den Höhepunkt seiner künstlerischen Laufbahn erreichte er 1920 mit dem als Klassiker geltenden Stummfilm Der Golem, wie er in die Welt kam. Theatertourneen führten ihn durch Europa und Ende der Zwanziger Jahre auch nach Südamerika. Daran schlossen sich neue Filmprojekte in Deutschland, den USA und in der Sowjetunion an. 1932 gehörte Wegener vorübergehend dem Ensemble des Hessischen Landestheaters in Darmstadt an. Danach spielte er in Mannheim und am Wiener Burgtheater. Im selben Jahr wirkte er in Unheimliche Geschichten erstmals in einem Tonfilm mit.

Mit der Veröffentlichung seines Flandrischen Tagebuches(1933), einer Darstellung seiner Kriegserlebnisse im Ersten Weltkrieg, gab sich Wegener deutlich als Pazifist zu erkennen, was ihn bei den Machthabern des Dritten Reichs in Mißkredit brachte. Sein künstlerisches Schaffen erfuhr mannigfache Beschränkungen, doch ließ er sich nicht auf Kompromisse mit dem NS-Regime ein. Stattdessen widmete er sich literarischen Studien, vor allem der chinesischen Literatur. Außerdem trug er zahlreiche fernöstliche Kunstobjekte in seinem Haus in Berlin-Wilmersdorf zusammen. Dieses Domizil stand weiterhin vielen Persönlichkeiten offen, die vom offiziellen NS-Kulturbetrieb ausgeschlossen waren, wie etwa Ernst Barlach und Joachim Ringelnatz. Nach einer Tournee durch Deutschland mit StrindbergsTotentanz (1935) nahm Wegener ein Angebot Heinrich Georges, des neuen Intendanten des Berliner Schiller-Theaters, an. George gelang es, am Schiller-Theater zahlreiche Schauspieler von Rang zu versammeln, unter anderen Lucie Höflich, Eduard von Winterstein und Will Quadflieg. Zu seinem 65. Geburtstag (1939) verkörperte Wegener den König Philipp in Schillers Don Carlos. In Hollywood organisierte Ernst Deutsch eine Geburtstagsfeier der im Exil lebenden deutschen Schauspieler für Paul Wegener.

Aufgrund ihrer gegensätzlichen politischen Ansichten verschlechterte sich Wegeners Verhältnis zu Heinrich George zunehmend. 1943 verließ Wegener das Schiller-Theater. Vor der endgültigen Schließung aller Theater im Herbst 1944 übernahm er im Staatstheater am Gendarmenmarkt, in dem Gustaf Gründgens viele regimekritische Schauspieler um sich geschart hatte, drei Rollen, zuletzt den alten Moor in SchillersDie Räuber. Das Kriegsende verbrachte Wegener in Berlin. Da sein Name auch in der Sowjetunion einen guten Klang hatte, wurde sein durch Artilleriebeschuß teilweise zerstörtes Haus von den Soldaten der Roten Armee ausdrücklich unter Schutz gestellt. Trotz angegriffener Gesundheit erklärte Wegener sich im Mai 1945 auf Bitten des sowjetischen Stadtkommandanten Generaloberst Bersarin bereit, beim Wiederaufbau des Kulturlebens in Berlin mitzuwirken. Wegener trat sogar als Präsident an die Spitze der „Kammer der Kunstschaffenden“, woraufhin manche Kritiker ihn als bedingungslosen Anhänger des sowjetischen Systems diffamierten. Wegener ging es jedoch nur darum, in Berlin möglichst rasch wieder ein Theaterleben zu organisieren. Er selbst übernahm die Titelrolle in LessingsNathan der Weise (Premiere im Deutschen Theater am 7. September 1945). Wiederholte Schwächeanfälle und Kreislaufstörungen zwangen ihn jedoch, seine Tätigkeit in der „Kammer der Kunstschaffenden“ aufzugeben und seine Bühnenaktivitäten immer mehr einzuschränken. Nach seiner letzten Bühnenrolle in OsbornsGalgenfrist (Premiere im Hebbel-Theater am 3. Dezember 1946) erlitt er im Frühjahr 1947 einen Schlaganfall. Ein Kuraufenthalt in der Schweiz brachte nur vorübergehende Besserung. 1948 übernahm Wegener inDer große Mandarin zum letzten Mal eine Filmrolle. Während einer Aufführung des Nathan im Deutschen Theater brach er am 11. Juli 1948 auf der Bühne zusammen und starb zwei Monate später in seinem Haus. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Berliner Waldfriedhof an der Heerstraße.

Paul Wegener war eine der vielseitigsten und markantesten Persönlichkeiten der deutschen Theatergeschichte. Leider ist er heute fast nur noch aufgrund seiner Darstellung des Golem einem breiteren Publikum in Erinnerung.

Lit.: Kai Möller: Paul Wegener. Sein Leben und seine Rollen. Ein Buch von ihm und über ihn, Hamburg 1954. SYMBOL 150 f "Times New Roman CE" s 9 Wolfgang Noa: Paul Wegener, Berlin 1964. SYMBOL 150 f "Times New Roman CE" s 9 Theater-Lexikon. Hrsg. v. Henning Rischbieter, Zürich/Schwäbisch-Hall 1983, Sp. 1379-1381. – Lexikon Filmschauspieler International. Hrsg. v. Michael Bock, Berlin 1995, S. 886f.

Abb.: aus: Noa, a.a. O., S. 98.

 

  Christof Dahm