Biographie

Wekerle, Alexander

Herkunft: Ungarn
Beruf: Ministerpräsident
* 14. November 1848 in Moor/Ungarn
† 26. August 1921 in Budapest

Alexander Wekerle ist eine ausnehmende Gestalt der neueren ungarischen Geschichte, in der der Adel infolge seiner historischen Stellung bis 1945 eine führende Rolle spielte. Der bürgerliche Alexander Wekerle hat im 19. Jahrhundert diese historische Führungsrolle des Adels zum erstenmal durchbrochen. Zum anderen schlug er als dreimaliger Ministerpräsident der dualistischen Zeit (1867-1918) alle Rekorde. Er wurde im donauschwäbischen Marktflecken Moor (Mór) im ungarischen Schildgebirge geboren. Moor ist eine Wiege des Donauschwabentums und gehört zu den ältesten donauschwäbischen Siedlungen überhaupt. Die Gründung bzw. Wiederbesiedlung reicht in die 1690er Jahre zurück. Die Wekerles sind seit den 1730er Jahren in Moor nachweisbar. Da die Familie in Moor selbst keine Entfaltungsmöglichkeit fand, wanderte der Urgroßvater Wekerles, Philipp Wekerle, aus und starb 71jährig 1803 in Lanzenau (Dárda) im heutigen jugoslawischen bzw. kroatischen Branauer Dreieck. Er stand als Fouragemann in kaiserlichen Diensten. Auf Grund des schwäbisch klingenden Familiennamens war Wekerle selbst der Überzeugung, daß seine Ahnen aus Württemberg eingewandert seien.

Der genannte Urahn, Philipp Wekerle, kam durch Heirat mit einer Adeligen in den seinerzeit auch von Donauschwaben besiedelten Marktflecken Poppau (Pápa) im Weißbrunner Komitat nördlich des Plattensees. Sein Großvater, Josef Wekerle, war in den Minoritenorden eingetreten. Nach dessen Auflösung durch Joseph II. heiratete er und war bereits 1803 wieder in Moor ansässig, wo er in den Dienst des Grundherrn, des Grafen Lamberg, trat. Alexander Wekerle wuchs bereits zweisprachig auf, wie es damals in den mittleren und höheren Schichten überhaupt Sitte war. Sein Vater hieß auch Alexander; die Mutter war eine geborene Antonia Szép („Schön“). Durch die Mutter war also die Hinwendung des jüngeren Alexander zum Madjarentum gewissermaßen vorherbestimmt. Wekerle besuchte das Zisterzienser-Gymnasium in der Komitatsvorstadt Stuhlweißenburg. In dem dem Gymnasium angeschlossenen „Selbstbildungskreis“ fiel er alsbald durch Führungsqualitäten auf, vor allem aber durch seine madjarischen Deklamationen. Als Vorbild diente ihm der 48er revolutionäre Lyriker Alexander Petöfi. Es war somit kein Wunder, daß er zum Vorsitzenden des genannten Schülerkreises gewählt wurde. Zu dem hier gepflegten patriotisch-nationalen Geist gesellte sich dann an der Ofenpester Universität der liberale Geist der Zeit, womit die politische Laufbahn Alexander Wekerles vorbestimmt war.

Ab 1867 studierte Wekerle an der Pester (ab 1877: Ofenpester) Universität die Rechte, wodurch in Ungarn im allgemeinen der Eintritt in den Staatsdienst schon festgelegt war. Vor allem interessierten ihn Nationalökonomie und Finanzwesen. Die Semesterferien verbrachte er zuhause in den Moorer Amtsstuben, wo er in die Verwaltung eines Marktfleckens unmittelbaren Einblick gewann. Er zählte in seinen Universitätsjahren zur sogenannten Parlamentarischen Jugend. Während dieser Zeit machte er ausgedehnte Auslandsreisen, vor allem nach Deutschland und Österreich. 1877 wurde er 29jährig Universitätsdozent in Ofenpest. Hier machte er sich mit der Politik bekannt. Vor allem interessierten ihn die Finanzen, denn bereits 1870 war er ins Finanzministerium eingetreten. 1878 wurde er ebenda mit der Leitung der Präsidialabteilung betraut, 1886 Staatssekretär. Damit waren ihm für einen politischen Aufstieg bereits Tür und Tor geöffnet.

Bei den Landeswahlen 1887 trat Wekerle in zwei Wahlkreisen auf: in Neustadt (ung. Nagybánya, rum. Baia Mare) und im Banater Wahlkreis Bánátkomlos. Er erhielt das Neustädter Mandat in Siebenbürgen. Am 9. April 1889 wurde er Finanzminister und damit Mitglied der Regierung und daraufhin 1891, wie üblich, Wirklicher Geheimer Rat. Die Erhebung in den Adelstand bzw. in die Baronie lehnte Wekerle zeitlebens ab. Den Gipfel seiner politischen Karriere erreichte er mit den Regierungen der Jahre 1892 bis 1895, 1906 bis 1910 und 1917 bis 1918, die er als Ministerpräsident anführte. Kein ungarischer Politiker hat länger an dieser Stelle gestanden. Die industrielle Umwälzung Ungarns bleibt sein Verdienst. Alexander Wekerle machte die Landeshauptstadt Budapest (Ofenpest) zur Wirtschaftsmetropole Ungarns. Dazu gehörte unter anderem der Ausbau des Eisenbahnnetzes mit dem Zentrum der Landeshauptstadt.

In denselben Zusammenhang gehört sein Bestreben, die beiden Stadtteile der Landeshauptstadt, Ofen (Buda) rechts und Pest links der Donau durch eine ganze Reihe von Brücken zu verbinden. Auf Wekerles Initiative geht auch die Ofenpester U-Bahn zurück, die nach der Londoner die zweite Europas war. Sie konnte ausgerechnet im Jubiläumsjahr der Tausendjährung Ungarns, nämlich 1896, ihren Betrieb aufnehmen. In Wekerles erste Amtsperiode fallen die sogenannten kirchenpolitischen Gesetze, die Errichtung der zivilen Standesämter, die Rezeption der jüdischen Religion und nicht zuletzt die Wiederherstellung des finanziellen Gleichgewichts Ungarns. Am 30. November 1896 wurde Wekerle zum Präsidenten des neuerrichteten Verwaltungsgerichtshofes ernannt.

Trotz aller dieser persönlichen Erfolge hatte Alexander Wekerle die Zeichen der Zeit nicht mehr erkannt. Als Politiker oder noch mehr als ungarischer Patriot verfocht er, Chauvinist, der er war, die madjarische Suprematie ohne Abstriche. Er war nicht bereit, den Nationalitäten kulturelle Autonomie einzuräumen, weil diese die madjarische Vorherrschaft gefährden mußte. Dessen ungeachtet steht die Arbeitersiedlung „Wekerletelep“ (Wekerlesiedlung), heute der 19. Bezirk Ofenpests. Überdies erinnert „Wekerlefalva“ (Wekerledorf) im Batscherland an ihn (heute im jugoslawischen Batscherland). Einige Städte ernannten ihn zu ihrem Ehrenbürger. Die nachstehende lexikalische Dissertation hat den Jubilar wieder ins öffentliche Bewußtsein gerückt.

Lit.: Géza Andreas von Geyr: Sándor Wekerle 1848-1921. Die politische Biographie eines ungarischen Staatsmannes der Donaumonarchie. München 1993.

Bild: Sándor Wekerle im Jahre 1920.

 

Anton Tafferner