Biographie

Wenzel II.

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Premylide, König von Böhmen und Polen
* 17. September 1271
† 21. Juni 1305 in Prag

Will man die Persönlichkeit König Wenzels II. Premysl richtig würdigen, so erscheint es notwendig, einen Blick auf die Zeitumstände des ausgehenden 13. Jahrhunderts zu werfen. Es war eine Zeit, in der die Territorialfürsten erbittert um die Ausdehnung ihres eigenen Territoriums und um die Macht im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation kämpften. Die hauptsächlich eingesetzten Mittel bestanden in Kriegen und Eheschließungen, die der Vergrößerung des eigenen Besitzstandes durch den Erwerb neuer Ländereien dienten.

Wenzel II. bildete in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Sein politisches Hauptziel bestand in der Festigung und Erweiterung der Macht des Königreiches Böhmen. Dabei ging er äußerst geschickt zu Werke. Er hatte im eigenen Land mit dem Widerstand einer mächtigen Adelsopposition und des Klerus, bei den Nachbarn mit mächtigen Neidern, insbesondere den österreichischen Habsburgern, zu rechnen.

Dabei war seine Ausgangsposition äußerst ungünstig. Nach dem Tod seines Vaters, des Premyslidenkönigs Ottokar II. in der Schlacht auf dem Marchfeld im Jahre 1278, war der erst siebenjährige König unter die Vormundschaft des Markgrafen Otto IV. von Brandenburg gestellt worden. Otto IV. mißbrauchte das Vormundschaftsrecht, er hielt den jungen König praktisch in einer Art von Gefangenschaft. Die Chronisten berichten, daß Wenzel II., der zunächst in Brandenburg, später in Spandau, danach in Zittau, später wieder in Spandau und in Berlin inhaftiert war, häufig unter Hunger und Kälte litt. Dies führte zu Mangelkrankheiten, die zu seinem frühen Tod – der König starb im Alter von 37 Jahren – beigetragen haben mögen.

Die königslose Zeit in Böhmen nutzten die Brandenburger und ihreVerbündeten zur Drangsalierung der Bevölkerung, zur Ausplünderung des Landes und zur Aneignung königlicher Güter. Der Widerstand gegen die Besatzer begann sich zu formieren. Der böhmische Landadel, der Klerus und das städtische Patriziat schlossen sich unter der Führung des Witigonen Zavis von Falckenstein zusammen. Gefördert wurden sie heimlich durch Kunigunde, die Mutter Wenzels II. und Witwe von Ottokar, die auf Schloß Hradec, weit außerhalb von Prag, Hof hielt und ein Liebesverhältnis mit Zavis von Falckenstein einging.

Durch Verhandlungen erreichten sie den Abzug der brandenburgischen Besatzungstruppen und die Freilassung des böhmischen Thronfolgers nach der Zahlung eines hohen Lösegeldes. Allerdings zögerten sie auch nicht mit der Andeutung möglichen militärischen Drucks.

1285 wurde Wenzel II. in Eger (Cheb) mit der erst vierzehnjährigen Guta (moderne Schreibweise Jutta) von Habsburg, einer Tochter König Rudolfs von Habsburg (1218-1291), vermählt.

Jedoch konnte der aus der brandenburgischen Gefangenschaft befreite Thronanwärter noch immer nicht selbst das Land regieren, denn die Vormundschaft war von Otto IV. von Brandenburg auf Zavis von Falckenstein übergegangen. Nach dem Tode von Kunigunde wurde Zavis von Falckenstein auf Betreiben der Habsburger und einiger böhmischer Adeliger des Hochverrats angeklagt und im Jahre 1290 auf Schloß Frauenburg an der Moldau (Hluboka nad Vltavou) hingerichtet.

Obwohl Wenzel II. naturgemäß ein gespanntes Verhältnis zu seinem zweiten Vormund und Stiefvater hatte, scheint er diese Hinrichtung mißbilligt zu haben. 1292 ließ er nämlich als Sühne für den Tod von Zavis von Falckenstein in Zbraslav ein Zisterzienserkloster errichten. Dieses Kloster beherbergte fortan auch in seinem Königssaal die Leichname der Premyslidenkönige.

Seit 1289 galt Wenzel II. als Kurfürst. Dies ermöglichte ihm, auf die Ergebnisse der deutschen Königswahlen in den Jahren 1292 und 1298 Einfluß zu nehmen. 1292 verhinderte er die Wahl Albrechts von Habsburg zum deutschen König und wählte Adolf von Nassau (1255-1298 ) mit. Dies brachte ihm in der Folgezeit die erbitterte Feindschaft Albrechts von Habsburg ein.

Ab 1290 begann Wenzel II. aktiv zu regieren und richtete dabei sofort sein Augenmerk auf die Erweiterung des eigenen Territoriums. Zunächst wandte er sich Polen zu. Durch einen Erbvertrag fiel ihm zunächst das Fürstentum Krakau seines kinderlos verstorbenen Cousins Heinrich IV. Probus zu.

Damit hatte Wenzel II. Zugang zum wichtigsten Territorium des zersplitterten polnischen Staates erlangt. Nun konnte er damit beginnen, die alten böhmischen Ansprüche auf die Herrschaft über Schlesien zu erneuern. In den Jahren 1291 und 1292 eroberte er Krakau und Sandomierz, Großpolen und Pommern. Seinem wichtigste Ziel, der Erlangung der polnischen Königskrone, kam er jedoch zunächst nicht näher. 1295 unterlag er zunächst dem großpolnischen Fürsten Przemyslaw II., der von der Römischen Kurie unterstützt wurde, die das Anwachsen der Macht des Königreiches Böhmen mit Besorgnis verfolgte.

1297 starb Wenzels erste Ehefrau, Guta von Habsburg, in Prag. Sie hatte dem König insgesamt 14 Kinder geschenkt, von denen jedoch einige kurz nach der Geburt und andere im frühen Kindesalter starben.

Im gleichen Jahre, am 2. Juni 1297, ließ sich Wenzel II. in Prag durch Erzbischof Gerhard von Mainz zum König krönen; die zeitgenössischen Chroniken berichten von einer kostspieligen Festlichkeit. Die aufwendige Zeremonie diente auch der Konspiration. Bei den Krönungsfeierlichkeiten trafen sich der Erzbischof von Mainz, wie Wenzel deutscher Kurfürst, die Kurfürsten von Brandenburg und Sachsen, die vertriebenen Wettiner und sogar der zuvor mit Wenzel verfeindete Herzog Albrecht von Habsburg. Sie sprachen sich untereinander ab, auf die Absetzung Adolfs von Nassau als deutscher König hinzuwirken. Die Verschwörung war erfolgreich.

Am 23. Juni 1298 wurde Adolf von Nassau durch die deutschen Kurfürsten auf dem Mainzer Fürstentag abgesetzt, ein bisher in der deutschen Geschichte einmaliger Vorgang. Er fiel in der entscheidenden Schlacht bei Göllheim am 2. Juli 1298 gegen seinen Rivalen Albrecht von Habsburg. Als Belohnung für die Unterstützung Albrechts wurden Wenzel II. die beiden Lausitzen (Ober- und Niederlausitz), das Egerland, Meißen und das Pleißenland zugesprochen.

Im Jahre 1300 brachte Wenzel II. unter Verwendung militärischen Drucks eine polnische Ständeversammlung zu der Entscheidung, ihn zum Fürsten von Großpolen zu wählen. Im August des gleichen Jahres ließ er sich in Gnesen zum König von Polen krönen. Wenzels Gegner, der Piastenherzog Władysław I. Lokietek, war nicht in der Lage, nennenswerten Widerstand zu leisten.

Um sich die Herrschaft in Polen zu sichern, heiratete Wenzel II. am 26. Mai 1300 Elisabeth-Rixa von Polen, die Tochter seines ehemaligen Rivalen, des polnischen Königs Przemyslaw II. Aus der Ehe mit Elisabeth-Rixa gingen zwei Kinder hervor, außerdem hatte Wenzel II. einen unehelichen Sohn (Johann von Wolek), der später Erzbischof von Olmütz wurde.

Nach dem Aussterben der Arpaden eroberte Wenzel II. im Jahre 1301 Ungarn. Er setzte seinen Sohn Wenzel III. dort als König ein. Nunmehr waren drei mittelosteuropäische Königskronen, Böhmen, Polen und Ungarn, unter dem Zepter der Premysliden vereint. Die ersten Umrisse eines westslawischen Königsreiches von der Ostsee bis zur Adria begannen sich abzuzeichnen. Wenzel II. hatte den Zenit seiner Macht erreicht.

Durch den Erwerb Ungarns hatte sich Wenzel II. gegen den Papst gestellt, der Ungarn als päpstliches Lehen ansah und das Haus Anjou damit belehnte. Die Habsburger hingegen sahen Ungarn als Reichslehen an, auch empfanden sie das Anwachsen der premyslidischen Herrschaft als bedrohlich.

Die ungarischen Magnaten, die Wenzel II. durch beträchtliche finanzielle Zuwendungen zunächst ruhig gestellt hatte, begannen zu rebellieren, nachdem Papst Bonifaz VIII. öffentlich die Herrschaft Wenzels III. über Ungarn und die Wenzels II. über Polen für ungesetzlich erklärt hatte.

1304 sah sich Wenzel II. gezwungen, in Ungarn militärisch zu intervenieren, um seinen Sohn Wenzel III. sicher nach Böhmen zurückzugeleiten.

Schon bald darauf mußte sich Wenzel II. gegen König Albrecht von Habsburg zur Wehr setzen, der mit Hilfe seiner Verbündeten aus dem ungarischen Hochadel in Böhmen intervenierte. Seine Truppen drangen bis Kuttenberg (Kutna Hora) vor, damals wegen der Münzprägestätte die wichtigste Stadt Böhmens. Es gelang Wenzel II. jedoch, den Angriff zurückzuschlagen und die königliche Gewalt voll wiederherzustellen.

1304 verzichteten die Premysliden auf die ungarische Krone, um die polnische Krone zu retten.

Im Frühjahr 1305 erkrankte Wenzel II. an Tuberkulose (sehr wahrscheinlich eine Spätfolge der in der Kindheit und frühen Jugend erlittenen Haft) und starb am 21. Juni 1305. Ein Jahr später, am 4. August 1306, wurde sein erst siebzehnjähriger Sohn, König Wenzel III., auf dem Wege nach Polen in Olmütz im Gebäude des Dekanats ermordet. Damit endete die Herrschaft der Premysliden. Gleichzeitig war damit die dynastische Union zwischen Polen und Böhmen beendet.

Wenzel II. zählte zu den herausragenden Persönlichkeiten des ausgehenden 13. Jahrhunderts. Seine politischen Ziele verwirklichte er durch diplomatisches Geschick und militärische Stärke. Allerdings neigte er dazu, die eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten zu überschätzen.

Er erwarb sich auch Verdienste als Förderer der Wissenschaften und Künste. Das Projekt zur Gründung einer Universität in Prag scheiterte am massiven Widerstand des böhmischen Adels. Er pflegte die Kunst des Minnesanges, betätigte sich selbst als Minnesänger und verfaßte seine Lieder in deutscher Sprache. Er holte bekannte Minnesinger und Dichter an den böhmischen Konigshof, dazu zählten u. a. der Meißner, Ulrich von Eschenbach, Heinrich der Klausner und Heinrich von Freiberg. Er förderte die Baukunst in Böhmen. 1285 gründete Wenzel II. in Prag ein Augustiner-Eremiten-Kloster und ließ die dazu gehörige Kirche St. Thomas erbauen. Auch in anderen Städten Böhmens ließ er kirchliche Bauten errichten.

Er bemühte sich, die Finanzen des Königreiches in einem stabilen Zustand zu halten. 1300 verfügte er eine Finanzreform. Er erließ die „Kuttenberger Bergordnung“ und förderte den Bergbau. Er ließ die Grossi Pragenses („Prager Groschen“) prägen. Allerdings brachten ihn die Bezahlung des Heeres und die Subsidien für die polnischen und ungarischen Magnaten in finanzielle Schwierigkeiten.

Wie seine premyslidischen Vorgänger, förderte Wenzel II. den Zuzug von deutschen Handwerkern und Bauern und stattete sie mit Privilegien aus.

Seine Lebensweise war keineswegs asketisch. Die stattliche Zahl von insgesamt 19 Kindern spricht eine deutliche Sprache. Auch dem Alkoholgenuß war der König nicht abgeneigt. Noch heute erinnert ein Berg mit der Bezeichnung „Vesely Kopec“ (Fröhlicher Berg) in der Nähe von Pardubitz (Pardubice) an ein fröhliches Zechgelage, das Wenzel II. 1302 der Sage nach hier abgehalten haben soll. Der König unterschied sich damit nicht von anderen Fürsten seiner Zeit. Um so höher ist es zu bewerten, daß er seine politischen und militärischen Pflichten erfüllte und auch noch Zeit für kulturelle Interessen fand. Sein Gesamtlebensbild kennzeichnet ihn als einen der bedeutendsten Fürsten des Mittelalters.

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