Biographie

Werfel, Franz

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Dichter, Schriftsteller
* 10. September 1890 in Prag
† 26. August 1945 in Beverly Hills/USA

Franz Werfel wurde als Sohn des wohlhabenden Handschuhfabrikanten Rudolf Werfel in Prag geboren. Die Familie war nicht streng religiös. Man ging aber in die Maisel-Synagoge, die jüdischen Rituale wurden eingehalten, man fühlte sich dem böhmischen Judentum zugehörig. Franz Werfel war bei aller Hochbegabung ein schlechter Schüler, die Tertia musste er wiederholen. Das feierliche synagogale Leben bildete ein Gegengewicht zu den ernüchternden Schulerfahrungen, die in dieser Generation vielfach literarisch verarbeitet wurden, von Werfel selbst in seiner Erzählung Der Abituriententag. In die frühen Jahre datieren oft lebenslang wirksame Freundschaften, vor allem mit Willy Haas Max Brod, später auch mit Franz Kafka. Wärme und die ersten erotischen Anmutungen der Frau gingen für ihn von dem Kindermädchen aus. Zu Religion und erotischer Grunderfahrung kam das Theater: Werfel und seine theaterbegeisterten Freunde bekamen vor allem durch Gastspiele die großen Wiener Schauspieler der Zeit zu sehen. In seiner Erinnerung spielte eine Aufführung des Sommernachtstraums unter der Regie Max Reinhardts eine besondere Rolle. An die euphorisierenden Theaterabende schlossen sich weniger erhabene Gänge durch die Prager Nachtlokale an. Auch spiritistische Séancen waren Teil der Betätigungen des Freundeskreises. Werfel entwickelte sich in dieser Zeit einerseits zum notorischen Schulschwänzer, andrerseits galt er in dem jungen Literatenkreis als Mittelpunkt und Doyen. Er war auch derjenige, der die verschiedenen Kreise zusammenhielt. Kafka schrieb zur Zeit der engen Bindung: „Werfel ist tatsächlich ein Wunder“.

Werfel schrieb früh, vor allem während der Sommerfrischezeit, Dialoge und Gedichte. Die Freundeskreise erweiterten sich. Freundschaften galten auch dem Schauspieler Ernst Deutsch und dem Literaturagenten Ernst Polak.

Die Familie Werfels schrieb sich vielfach in die Kulturgeschichte ein: Seine jüngere Schwester Hanna Fuchs-Robettin wurde zur Geliebten Alban Bergs, eine andere Schwester Marianne Rieser machte eine beachtliche Karriere als Schauspielerin.

Nach der Matura drang der Vater darauf, dass Werfel entweder studieren oder eine kaufmännische Lehre absolvieren sollte. Der zweite Weg wurde gewählt. Werfel ging in einem namhaften Hamburger Speditionshaus in die Lehre. Er konnte sich, wenig überraschend, mit dem Kaufmannsleben nicht anfreunden, erfüllte das Taugenichtsclichée und träumte den Schiffen im Hamburger Hafen nach. In dieser Zeit festigte sich aber zugleich der literarische Ruhm. Der seinerzeit schon legendäre, mit seiner Fackel zur Instanz gewordene Karl Kraus druckte mehrfach Gedichte von Werfel ab und wies mit Nachdruck auf dessen Gedichtband Der Weltfreund hin. Die Erstauflage erreichte immerhin 4.000 Exemplare.

In den Jahren 1911/12 leistete Werfel den einjährigen freiwilligen Militärdienst ab, und heuerte anschließend bei einem der für den Expressionismus prägendsten Verlage an: bei Kurt Wolff in Leipzig. Die expressionistische Buchreihe „Der jüngste Tag“ ging auf seine Initiative zurück. Das freundschaftliche Umfeld verschob sich in der Leipziger Zeit. Walter Hasenclever kam hinzu, auch die Bindungen zu Karl Kraus wurden intensiviert. Später kam es zu einem drastischen Zerwürfnis: Werfel wurde zu einem der Feindbilder und Antitypen von Kraus.

Als er 1912 Prag verließ, ließ der junge Schriftsteller in dem elterlichen Haus in zwei Kästen das zurück, was er als seinen „literarischen Nachlass“ bezeichnete. Das Frühwerk war weitgehend lyrisch orientiert.

Die Einstellung zum eigenen Judesein hatte sich in der Zwischenzeit verändert. Die einstige tiefe Berührtheit wich einer Gleichgültigkeit. Eine für Werfels persönliche und literarische Entwicklung besonders wichtige Beziehung entwickelte sich zu Rainer Maria Rilke, der auf Werfels frühe Publikationen mit Begeisterung reagierte.

Krisenhafte Empfindungen mehrten sich am Vorabend des Ersten Weltkriegs und durchzogen auch Werfels Werk. In seinem Vorwort zu der Nachdichtung der Troerinnen des Euripides schrieb Werfel, „Auch in unserer Seele hat der Glaube seine Form verloren“. Zum Kriegsbeginn demonstrierte er seine physische und psychische Labilität und wurde vorläufig für drei Monate zurückgestellt. Zeittypisch schleuderte er in seinem Dialog Euripides oder über den Krieg den Greisen und Alten entgegen, sie seien für die Kriegseskalation verantwortlich und machten die junge Generation zu Kanonenfutter. Enge, über das Literarische hinausreichende Verbindungen knüpften sich in dieser Zeit zu Martin Buber, Gustav Landauer und Max Scheler, die – als Avantgarde in dieser Zeit – einen Geheimbund gegen den Militarismus schlossen.

Nach einer Beinverletzung kurierte sich Werfel vor allem in Bozen aus. Immer stärker zog ihn die Pracht und liturgische Inkarnations- und Vergegenwärtigungsmacht der römisch-ka­tho­lischen Kirche an. Zwischen Katholizismus und der jüdischen Herkunftsreligion changierte seine tiefe Empfänglichkeit für das Numinose in der Folgezeit.

Von 1915 bis 1917 diente Werfel in dem Feldartillerieregiment Nummer 17. Eine Danteske Hölle erschien ihm nun als diesseitige Perspektive. Er kam an jene ostgalizische Front, an der Georg Trakl zerbrochen war und deshalb seinem Leben ein Ende gesetzt hatte. Trotz der extrem belasteten Grundsituation schrieb Werfel gerade in dieser Zeit intensiv und konstant. Unter anderem entstand ein Drama Stockleinen, das eine Aussicht auf die Zeit nach dem großen Krieg skizzierte. Es beginnt mit einer enthusiastisch entfesselten Freudenszenerie, aus der sich aber eine neue totalitäre Konstellation freisetzte: hellsichtige Vision des kommenden Unheils.

Nach dem Krieg übersiedelte Werfel nach Wien, wo die Begegnung mit Alma Mahler, der Witwe Gustav Mahlers, in seinem Leben Epoche machte und alles veränderte. Später notierte er einmal, er wisse nicht, ob Alma sein größtes Glück oder sein größtes Unglück sei. Alma Mahlers Antisemitismus war notorisch. Er richtete sich auch gegen Werfel. So bedachte sie ihn mit dem Epitheton des „fetten, o-beinigen Juden mit seinen wulstigen Lippen“. Politisch hätten ihre Wege in dieser Zeit nicht weiter auseinandergehen können: Werfel stand seinerzeit unter dem starken Einfluss von Egon Erwin Kisch, des rasenden Reporters. Die junge Sowjetunion erschien nun als mögliches Utopia, als fast schon messianisches Reich. Alma hingegen tendierte zur äußersten, ressentimenthaften Rechten. Dennoch kam eine Beziehung zustande, die alle Züge einer amour fou hatte. Alma Mahler war in der Zwischenzeit nach Mahlers Tod mit dem Architekten Walter Gropius verheiratet, von dem sie während der beginnenden Liaison mit Werfel ein Kind erwartete.

Gropius verhielt sich äußerst generös. Er nahm mit Werfel Kontakt auf, in einer Phase einer lebensbedrohlichen Schwangerschaft kamen beide überein, dass es nun darum gehe, der „göttlichen Frau“ beizustehen. Der in diese unglücklichen Umstände hineingeborene Sohn Johannes wurde nur ein Jahr alt. Er starb im Frühjahr 1919.

Die Gefühlslagen während der Annäherung waren wechselseitig ähnlich kompliziert wie die äußeren Umstände. Alma vertraute ihrem Tagebuch an, dass der Wille, Werfel zu lieben, alles überlagert und alle Gründe, die gegen ihn sprächen, in ihr erstickt habe. Eines Willensaktes bedurfte es aber offensichtlich. Gropius legte Alma am Ende der Krise nahe, mit Franz Werfel ein neues Leben zu beginnen.

An keinem anderen ihrer Partner bewahrheitete sich so sehr wie an Werfel Friedrich Torbergs Aussage, Alma sei „eine Frau von gewaltigem Kunstverstand und Kunstinstinkt“ gewesen. „Wenn sie von jemandes Talent überzeugt war, ließ sie für dessen Inhaber – mit einer oft an Brutalität grenzenden Energie – gar keinen anderen Weg mehr offen als den der Erfüllung“.

Die großen Romane entstanden erst in der Zeit mit Alma. 1924 kam der, Werfels Liebe zur italienischen Oper angemessene Verdi-Roman bei Zsolnay heraus: Werfel wurde zum Erfolgsschriftsteller.

Während manche Zeitgenossen wie Elias Canetti die Gewaltsamkeit und das zerstörerische Naturell der Frau in der Retrospektive hervorhoben und bis ins Monströse steigerten, bekundete Werfel ihrem fördernden und fordernden Regime über sein Leben durchaus lebenslang Dankbarkeit und Respekt. Torberg erinnert die Aussage: „Wenn ich Alma nicht getroffen hätte – ich hätte noch hundert Gedichte geschrieben und wäre selig verkommen“. Nach der Konvention sprach fast alles gegen die Verbindung. Alma Mahler-Werfel war eine geschiedene Frau und nur neun Jahre jünger als Werfels Mutter. Werfel heiratete Alma Mahler am 7. August 1929.

Werfels Lebensform änderte sich unter dem Einfluss Almas tatsächlich rasch. Das öffentliche Leben der Vortrags- und Lese­reisen reduzierte er weitgehend. Stattdessen unternahmen sie ausgedehnte gemeinsame Reisen, unter anderem zwei Mal in den Nahen Osten. Während der zweiten Nahostreise im Jahr 1930 begegnete Werfel in einem Waisenhaus in Syrien einer der Überlebenden des Völkermordes an den Armeniern; Dies war die Keimzelle des großen Geschichtsromans Die vierzig Tage des Musa Dagh, der 1933 zweibändig erschien. In einer plastischen und einfühlsamen Erzählstruktur thematisierte Werfel darin die Flucht von 5.000 verfolgten Armeniern auf den Berg des Musa Dagh. Schon zu Lebzeiten zollten ihm Armenier große Dankbarkeit, dass er zum Chronisten ihres Leidens und ihrer Widerstandsfähigkeit wurde.

Die Sommer verlebte man oftmals in Breitenstein, dem Sommerhaus Almas. Venedig wurde eine wichtige Station im Reisekalender. Dort gelang es der lebenstüchtigen Alma, in bester Lage nahe dem Canale Grande einen Palazzo zu erwerben, der Refugium wurde. Alma schaltete sich in vielfacher Hinsicht in Franz Werfels Leben ein. Sie gab ihm Kompositionsunterricht, beglich seine Schulden bei dem Verleger Kurt Wolff und ermahnte Wolff zugleich, Werfel, der weit über anderen Autoren stehe, auch entsprechend zu honorieren. Er wurde ihr „Kindmann“, Spielzeug und Wunderwesen. Der qualvolle Tod der Stieftochter Manon traf ihn tief: 1935 empfand er als Krisenjahr, Bote von Unheil.

In den frühen zwanziger Jahren war Werfel vor allem als Dramenautor erfolgreich gewesen. Die meisten der damals viel und unter großem Echo gespielten Stücke sind heute kaum mehr bekannt. Man kann fragen, ob sie zu Recht vergessen sind? Sie sind darin bedeutsam, dass Werfel hinter die Vordergrundansichten der Charaktere zurückgeht und seelisches Tiefengeschehen auf die Bühne bringt. Neben dem Stück Spiegelmensch ist vor allem Schweiger hervorzuheben: Franz Schweiger, ein Massenmörder, wird in der Anstalt des Professors Vier­eck geheilt, er eröffnet eine Uhrmacherwerkstatt, in der ihn der Professor aufsucht und sein Leben durch das Vorwissen in die buchstäbliche Hölle verwandelt. Daraufhin wird der Professor wird von seinem Adlatus, dem somnabulen Privatdozenten Dr. Grund, ermordet. Grund ist zugleich das Alter Ego Schwei­gers, sein Spiegel-Ich. Literaturgeschichtlich wichtig wurde dieses Drama, weil an ihm die Freundschaft mit Kafka endgültig zerbrach. Gemeinsame Gespräche und Überzeugungen hatte er vor allem der zweifelhaften Gestalt Grund in den Mund gelegt, was Kafka tief verärgerte.

Seinen eigenen jüdischen Wurzeln wendete sich Werfel in der Zeit des Nationalsozialismus in einem großen Roman zu: Höret die Stimme!, der in tiefer Weise die Klagen Jeremias’ vergegenwärtigt. Der große mahnende Prophet erschien Werfel als Alter Ego, zugleich sah er ihn aber als den „grandiosesten Untam (also Unglücksraben) der Weltgeschichte“. In fast schon unheimlicher Koinzidenz fielen Abschluss des Jeremias-Romans und Vorbereitung der Emigration zusammen.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs 1938 kehrte Werfel, der den Sommer bereits am Mittelmeer verbracht hatte, nicht mehr nach Wien zurück. Zunächst ließ sich das Paar in Südfrankreich, in der Emigrantenkolonie Sanary-sur-mer nieder. Die Wehrmacht besetzte weite Teile Südfrankreichs. In dieser bedrängten Situation kam Werfel nach Lourdes, wo er mit der Lebensgeschichte der Bernadette Soubirou und ihren Marienerscheinungen vertraut wurde. Die hohe religiöse Musikalität Werfels bewährte sich an diesem Stoff, den Werfel dadurch auflud, dass er sich in einem regelrechten Gelübde auf der Flucht zu dem Buch verpflichtete. Die Flucht glückte. Gemeinsam mit Alma, Heinrich und Golo Mann und anderen kamen die Werfels auf ihrer Pyrenäenüberquerung bis nach Spanien. Selbstverständlich war ein glücklicher Ausgang keineswegs, wie man an dem Fall Walter Benjamins sah, der aus Verzweiflung den Weg in den Freitod wählte. Auf einem griechischen Dampfer kamen Werfel und Alma in die USA. Die späte Lebenszeit verbrachte Werfel im Exil in Beverly Hills und Santa Barbara in Kalifornien.

1941 erhielt er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Auch die späten Jahre waren von großen Erfolgen auch in einer breiten Öffentlichkeit gekennzeichnet: 1941 bereits wurde Das Lied von Bernadette mit großer Resonanz verfilmt. Der Gesundheitszustand Werfels verschlechterte sich unterdessen immer weiter. Mit Leidenschaft arbeitete er an einem letzten großen Roman: Dem interstellaren Reiseroman Stern der Ungeborenen, einem „humoristisch-kosmisch-mystischen Weltgedicht, in einer Mischung, wie es so noch nicht versucht worden ist“.  Sogar sein eigenes Begräbnis hatte er in die Romanhandlung integriert. Seit 1943 kam es zu einem Wettlauf mit der Zeit. Werfel litt unter einer „Angina Pectoris“. Er erlitt mehrere schwere Herzanfälle, löste sich aber zunehmend aus Almas Umklammerung und schrieb in einem eigenen Refugium.

Das Manuskript konnte noch abgeschlossen werden. Der Tod kam letztlich gnädig. Werfel kehre zu seinen Anfängen zurück, er redigierte die ihm liebsten seiner Gedichte, als ihn der Tod am 26. August 1945 in den frühen Abendstunden ereilte.

Der Tote wurde von der trauernden Witwe nochmals ganz und gar vereinnahmt. Sie sorgte dafür, dass Werfel in die katholische Kirche reintegriert wurde und post mortem die „Begierdetaufe“ erhielt. So wie er das Begräbnis geschildert hatte, in Frack und Seidenhemd, wurde er in die kalifornische Erde gelegt. Die sterblichen Überreste wurden 1975 nach Wien überführt.

Werfels Ruhm und Bedeutung zu Lebzeiten hat sich nur bedingt gehalten. Dennoch lohnt es sich, diesen heiteren, sensiblen und brillanten Dichter wieder zu lesen, als einen Autor aus der Zwischenzeit, der jenseits von Über- und Unterschätzung nach wie vor anregend ist: ein prachtvoller Fabulierer, der Lust und Humor mit der Freude am Schönen verbindet.

Werke (Auswahl): Der Gerichtstag (Gedichte) 1919. – Neue Gedichte 1928. – Gedichte aus den Jahren 1908 bis 1945, 1946. – Verdi. Roman einer Oper 1924. – Der Abituriententag. Die Geschichte einer Jugendschuld 1928. – Die vierzig Tage des Musa Dagh 1932. – Höret die Stimme 1937. – Das Lied von Bernadette 1941. – Stern der Ungeborenen 1946. – Gesammelte Werke in Einzelbänden, hrsg. von K. Beck, Frankfurt/Main 1989-1993.

Lit.: P. S. Jungk, Franz Werfel. Eine Lebensgeschichte, Frankfurt/ Main 1987.W. Paulsen, Franz Werfel. Sein Weg in den Roman, Tübingen u.a.1995.

Bild: Franz Werfel 1940, Foto von Carl Van Vechten – Wikipedia gemein­frei.

Harald Seubert