Biographie

Werfel, Franz

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Dichter, Schriftsteller
* 10. September 1890 in Prag
† 26. August 1945 in Beverly Hills/USA

Franz Werfel gehört zu den Prager Dichtern, die um die Jahrhundertwende und später Wesentliches zur deutschen Literatur beigetragen haben. Ein anderer berühmter Prager, Rainer Maria Rilke, schrieb über Werfel: „Werfel schaffte, wenngleich einsam, so doch aus dem Gemeinsam-Menschlichen heraus, mehr als aus der Natur: aber es ist um so erschütternder oft, wie er ans Elementare kommt, ans fast Anorganisch-Rücksichtslose, hinaustritt aus der Stube unmittelbar ins All und es erträgt.“

„Expressionistische Weltglut“ prägt Werfels frühe Anfänge, eine Rekapitulierung früher Themen und die religiös-philosophische Einstimmung auf den Tod soll die letzten Jahre des Einsamen erträglicher gestalten. „Mein Leben“, schreibt der Prager Jude nach zahlreichen wohlgefügten deutschen Gedichtbüchern, „Immer wieder komme ich in eine unbekannte Stadt und bin fremd. Auch im Jenseits werde ich nur ein Zugereister oder Refugie sein.“ Werfels Werk ist eine sehr streng und konsequent gestaltete Einheit, sein Leben war ein – wie das vieler Zeitgenossen – durch Unstetigkeit und Bedrohung gekennzeichneter Fluchtweg aus Prag über Leipzig und Wien nach Frankreich und Spanien in die USA, wo Werfel wenig Ruhe, aber sein Ende fand.

Zeit seines Lebens war Werfel auf der Suche nach „jenem Weg des Geheimnisses, der auch heute noch unverwandelt als lebendiges Zeichen des göttlichen Planens mitten durch unsere sinnblinde Zeit führt.“ Dabei verband sich bei ihm jüdische Denktradition mit deutscher. Ebenso wie seine Freunde Max Brod und Franz Kafka hat Werfel den Versuch nie aufgegeben, die Hintergründe des individuellen und des kollektiven Kulturuntergrundes zu erhellen, die Rätsel des schwer begrifflich zu erfassenden Daseins anzudeuten. Als Sohn eines wohlhabenden jüdischen Kaufmanns in Prag geboren, wird Werfel, nachdem er in seiner Heimatstadt die Piaristenschule und das Stefansgymnasium besucht hatte, nachdem er in Prag, Leipzig und Hamburg Studien nachgegangen war, durch die Aufgabe seiner Stellung bei einer Speditionsfirma an der Alster(1910) Verlagslektor bei Kurt Wolff in Leipzig (1911-1914), wo er zum Mitbegründer der Sammlung: Der jüngste Tag und damit zu einem Förderer der deutschen Literaturavantgarde wird (nicht nur für Georg Trakl hat sich Werfel immer wieder eingesetzt). Nach seinem Debüt als Lyriker im Jahre 1907 hat Werfel durch seine Gedichtsammlungen stets die begeisterte Zustimmung seiner schreibenden Generationskollegen erfahren. Die Gedichtbücher: Der Weltfreund(1911), Wir sind (1913), Einander (1915), Gesänge aus den drei Reichen (1917), Der Gerichtstag (1919) werden als Werfels eigenwilliger Beitrag zur expressionistischen Poesie betrachtet; Pazifismus, weltweite Verbrüderungsvisionen, prägen diesen sinnlich-diesseitigen Expressionismus, dessen carpe diem modellgebend wirken soll, selbst wenn Werfel festhält: „Es ist, glaube ich, keinesfalls Aufgabe des Dichters, zur Revolution zu blasen.“ Durch die Enthaltsamkeit im Zeitalter eines verbalen Aktionismus bleibt der Prager Dichter am Rande einer meditativen Intimität, die ihm den Übergang zu einer symbol-suchenden Dramatik erleichtert. In den zwanziger Jahren ist Werfel als Dramatiker bemüht, krasse Gegensätze zu harmonisieren. Meist steht das Individuum mit seinem jeweiligen Dilemma im Mittelpunkt: das geschieht in dem erfolgreichsten Stück Werfels, in: Juarez und Maximilian (1924), das mit dem Grillparzer-Preis ausgezeichnet wurde, wo die Kontrahenten keinen Sieg erringen: bloß ein historischer Augenblick wird von einem anderen verdrängt. Unentschieden bleibt auch die Bewußtseinsspaltung im Spiegelmenschen (1920), wo Thamal und der Spiegelmensch einander zwar ergänzen und ausschließen, wo aber keine eindeutige und endgültige Wahl möglich ist. Die Vielfalt der Standpunkte, die Fremdheit des Einzelnen in allen Lebensbereichen: sie führen Werfel in Richtung einer theologischen Begründung der Kunst. Wenn dabei recht bald auch Beschäftigung mit der Situation von Außenseitern und Minderheitengruppen zu erkennen ist, dann spiegelt das die Situation Werfels, der in Wien eine Bleibe gefunden hat, durch ausgedehnte Reisen (Schweiz, Italien, Ägypten, Palästina) die Unbehaustheit bestätigt und der in psychologisch einfühlsamen Monologen des Fremdseins sich als Erzähler und Romancier Geltung verschafft. Aus der expressionistischen Schuldverstrickung ist der Roman: Der Abiturientenstag (1928) verständlicher, wo es dem Richter weniger um die Schuld des verhörten Franz Adler, eher um die Frage der eigenen Schuld und der zwingenden Unerbittlichkeit eines „höheren Gesetzes“ geht. Eine Aufhebung dieses Gesetzes – sie spielt auch in den Texten Kafkas eine entscheidende Rolle – erhofft sich Werfel einzig und allein durch den Messias, der im Drama: Der Weg der Verheißung (1935), „einer Art Matthäuspassion“, zu einer Zukunftsvision trotz der bevorstehenden Verbannung ermächtigt. In einem großangelegten Rahmenroman (Höret die Stimme, 1937), der auf die biblische Jeremiaserzählung zurückgreift, wird das Thema Israel verschlüsselt; auch ist die Vorbestimmung des Propheten als Künder einer für die vielen unverständlichen Botschaft, die deshalb keine Rettung zu bringen vermag, das Eingeständnis der eigenen Vergeblichkeit. Daß aber Prophetie und Auswegsvorgabe dennoch überhaupt vorhanden sind, soll auf die tröstlichere Leiderfahrung verweisen. 1938 muß Werfel nach Frankreich emigrieren. 1940 überschreitet er auf beschwerlichen Pyrenäenpfaden die spanische Grenze und gelangt aus Portugal in die USA. Die Arbeit an dem Roman: Das Lied von Bernadette (1941) und vor allem an: Der Stern der Ungeborenen (1945) bestimmen die letzten Lebensjahre in Kalifornien, für die Werfel die Kennzeichnung bereithält: „Eine völlige Verkehrung  der Werte hat stattgefunden“. In einem Jahrtausend, das alle sozialen Fragen gelöst hat, sind die fehlenden Individualitäten, ist der Dschungel als Gegenpart noch lebendig: eine Idylle gedeiht jenseits der Verluste, jenseits der beseitigten Subjektivität nicht mehr. Von den pathetischen Monologen in Versen, die für eine allseitige Verbrüderung abstrakten Zuschnitts eintreten, zu Erlösdramen und zu Romanen, in welchen Existenzfragen des Ich gestellt werden, bewegt sich Werfels Sinnsuche. Hoffnung und Glaube stehen zuletzt hinter jeder Desillusion und jedem konkreten Scheitern. So wird das Werk dieses typischen Vertreters eines ausgehenden Habsburgerreiches zum Ansatzpunkt für eine Überwindung der realen Ausweglosigkeiten.

Lit.: Gesammelte Werke, hg. von Adolf D. Klarmann, Frankfurt/M., 1948 ff., Bd. 1-10, Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig, N., 1920; Verdi. Roman der Oper, R., 1923; Die vierzig Tage des Musa Dagh, R., 1933; Jakubowsky und der Oberst, Dr., 1944; Über Werfel: Adolf D. Klarmann: Musikalität bei Franz Werfel, Diss. Pennsylvania, 1931; Kornelius Fleischmann: Die religiöse Anschauung Werfels, Diss. Wien, 1947; Marisia Turrian: Werfel und Dostojewski, Diss. Bern, 1949; Lore B. Foltin: Franz Werfel 1890-1945, Univ. of Pittsburgh Press, 1961 (Bibliographie); Deutsche Literatur im 20. Jahrhundert. Strukturen und Gestalten. Hg. von Otto Mann und Wolfgang Rothe, München-Bern, 1967, Bd. II., S. 219-237; Vincent J. Günther: Franz Werfel, in: Benno von Wiese: Deutsche Dichter der Moderne. Ihr Leben und Werk, Berlin, 1975, S. 307-326.