Biographie

Wilcken, Ulrich

Herkunft: Pommern
Beruf: Althistoriker
* 18. Dezember 1862 in Stettin/Pommern
† 10. Dezember 1944 in Baden-Baden

Als Althistoriker begann Wilcken seine wissenschaftliche Laufbahn in Berlin, wo er 1888 Privatdozent wurde; sie führte ihn dann nach Breslau, wo er Außerordentlicher und 1891 Ordentlicher Professor wurde, 1900 nach Würzburg, 1903 nach Halle, 1906 nach Leipzig, 1912 nach Bonn, 1914 nach München und schließlich 1917 wieder nach Berlin. Dort wurde er 1931 emeritiert. Bemerkenswert ist, daß angesichts dieses lebhaften Standortwechsels ein so reichhaltiges wissenschaftliches Werk entstand, wie es Wilcken hinterlassen hat.

Von Theodor Mommsen, dem Althistoriker, der sich wesentlich von der rechtlichen Seite der römischen Geschichte genähert hat, empfing Wilcken den Anstoß, sich intensiver mit den Papyri zu befassen, nachdem in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts ein neuer Aufschwung der Papyruskunde eingesetzt hatte. In dieser Beziehung war Wilckens nachhaltigste wissenschaftsorganisatorische Tat die 1901 erfolgte Begründung der Zeitschrift Archiv für Papyrusforschung und verwandte Gebiete. Dieses Periodikum wurde sehr schnell der Sammelpunkt des fortlaufenden wissenschaftlichen Werks Wilckens in Form von Aufsätzen, Miszellen und vor allen Dingen von papyrologischen Urkundenreferaten, die fast zu jedem Band beigesteuert wurden. Bei diesen Beiträgen bestach die bis in die letzten Einzelheiten reichende Genauigkeit und Zuverlässigkeit, angefangen von der äußeren Beschaffenheit des Beschreibstoffes bis zum Geschriebenen selbst. Wilcken verfügte einevon wenigen erreichte Entzifferungskunst. Sein Scharfsinn ermöglichte es ihm, zahllose Ergänzungen lückenhafter Texte und Verbesserungen unzureichender Lesungen zu erreichen, was er durch seine sichere Kenntnis der Sprache und Terminologie sowie durch seine ungeheure Beherrschung des gesamten Papyrusmaterials zu leisten vermochte.

Wilcken konnte die Papyrusüberlieferung mit Hilfe seiner umfassenden Kenntnis der Geschichte und Kultur der Mittelmeerländer und des Vorderen Orients zum Sprechen bringen. Der Kommentarband der zweibändigen Griechischen Ostraka aus Ägypten und Nabien (1899), der eine zusammenfassende Darstellung der Staats- und Verwaltungseinrichtungen und der wirtschaftlichen Verhältnisse des ptolemäischen und römischen Ägyptens enthielt, bot so viele systematische Darlegungen, daß er für die junge Disziplin der Papyrologie den Rang eines Lehrbuches gewann. Die 1912 in zwei Bänden mit Ludwig Mitteis herausgegebenen Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde haben mit den damaligen Erkenntnissen, die zum großen Teil in Untersuchungsform dargeboten wurden, ebenfalls die Funktion von Lehrbuch und Nachschlagewerk über viele Jahrzehnte wahrnehmen können. Eine Hauptfrucht dieses Gelehrtenlebens sind schließlich die seit 1922 erschienenen, aber erst posthum abgeschlossenen Urkunden der Ptolemäer-Zeit. Neben den kommentierten Urkundeneditionen haben vorzügliche Einzeleditionen literarischer Papyri der sich entwickelnden Disziplin der Papyrologie methodisch und systematisch zusätzlich Kontur gegeben. So ist es sicherlich nicht zu weit gegriffen, wenn man Wilcken nicht nur als den Begründer der Papyruskunde, sondern auch als den bedeutendsten Erforscher der antiken Papyri apostrophiert. Das Organ dieser Wissenschaft, das Archiv für Papyrusforschung, hat er von Heft l bis Heft 13, d. h. bis 1939, betreut.

Aus der breiten Quellenkenntnis Wilckens erwuchsen in den reifen Jahren Untersuchungen über die Geschichte Philipps II. von Makedonien und 1931 eine Darstellung Alexander der Große. Neben Einzelstudien zu Problemen der römischen Geschichte verfaßte Wilcken schließlich eine Griechische Geschichte im Rahmen der Altertumskunde, die zahlreiche Auflagen bis in die fünfziger Jahreerfuhr. Fernab von seinem ostdeutschen Geburtsort Stettin ist Wilcken in Baden-Baden gestorben.

Lit.: Kürschners Deutscher Gelehrtenkalender 1940/41, Bd. 2, Sp. 1093-1094. – F. Zucker in: Archiv für Papyrusforschung 15 (1953) S. 1-3. – F. Oertel: U. Wilcken. 1968, – H. Beister: Art.: Wilcken, U. In: R. von Bruch u. R. A. Müller (Hrsg.): Historikerlexikon. 1991, S. 339f.