Joseph Wilpert wurde im oberschlesischen Kreis Leobschütz als Sohn einer Bauernfamilie geboren, besuchte das Katholische Gymnasium der Kreisstadt und legte dort die Reifeprüfung ab. Anschließend studierte er an der – nach seinem Zeugnis aus dem Jahre 1930 – „von Jesuiten musterhaft geleiteten Fakultät“ der Universität Innsbruck Theologie und trat 1878 der Studentenverbindung Austria-Innsbruck bei, die zu den ältesten Korporationen des Gar-tellverbandes farbentragender katholischer deutscher Studenten (CV) gehörte und der er treu blieb.
Nach dem Empfang der Priesterweihe im Jahre 1883 hätte Wilpert eigentlich in seine Heimatdiözese Olmütz zurückkehren müssen, doch wollte er sich dem Studium der christlichen Altertumskunde widmen. „Dazu, und nur dazu, glaubte ich berufen zu sein. Der Drang, die von der ersten Christenheit hinterlassenen sichtbaren Spuren zu erforschen, war so stark, daß kein Mensch mich von meinem Entschluß hätte abbringen können.“ Man wird, gerade aus heutiger Sicht, kritisch fragen können, warum Wilpert Geistlicher geworden war, wenn er nur der Wissenschaft und nicht in der Seelsorge dienen wollte.
Der junge Geistliche besaß nicht das Geld, um seinen Plan, in Rom zu forschen, durchzuführen, hatte aber das Glück, vom Leiter desdeutschen Hospizes am Campo Santo, dem Rheinländer Anton de Waal, eine Freistelle zu erhalten, und traf im Herbst 1884 in der Ewigen Stadt ein, vom Olmützer Erzbischof zwei Jahre für wissenschaftliche Studien beurlaubt. Aus den zwei Jahren wurden – vom Ersten Weltkrieg unterbrochen – 60.
Gleich am Tag nach Wilperts Ankunft in Rom führte ihn de Waal in die Katakombe des heiligen Kallistus. „Es waren feierliche Momente“ (Wilpert). Der junge Priester widmete nun sein ganzes Leben der christlichen Archäologie, von der in ihr liegenden Aufgabe begeistert und besessen, ebenso wie der berühmte Begründer der christlichen Altertumswissenschaft, Giovanni Battista de Rossi, der in Wilpert den verwandten Geist erkannte, den es zu fördern galt. In den folgenden Jahrzehnten erkundete Wilpert, zuerst zusammen mit dem Luxemburger Johann Peter Kirsch, seinem Kaplanskollegen am Campo Santo und Freund, der später Professor an der Universität in Freiburg (Schweiz) wurde, zielstrebig und manchmal auf abenteuerliche Weise, zeitweilig auf dem Rücken liegend, die Katakombenmalereien. Weil die alten Kopien unzuverlässig und oft fehlerhaft waren, begann er selber mit dem Abzeichnen, bis er schließlich die Photographie zur Hilfe heranzog und die Photos von Künstlerhand farbig ausmalen ließ. Die archäologischen und ikonographischen Forschungen Wilperts fanden ihren Niederschlag in Büchern und Aufsätzen. So erschien 1903 sein Werk Die Malereien der Katakomben Roms; „es brachte seinem Verfasser und Organisator endgültig Anerkennung unter den Gelehrten in aller Welt“ ein (Dassmann). Schon 1892 hatte ihm die Katholisch-theologische Fakultät der Universität Münster den Ehrendoktortitel verliehen – eine seltene Ehrung für einen erst Fünfunddreißigjährigen. Bei den Generalversammlungen der Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland hielt Wilpert in den Jahren 1907,1908 und 1913 Vortrage. Als Wilpert im Ersten Weltkrieg Italien verlassen mußte, nutzte er die Zeit zur Überwachung der Fertigstellung seines von Kaiser Wilhelm II., Fürstbischof Kardinal Kopp von Breslau (+ 1914) und Krupp von Bohlen und Halbach finanziell geförderten vierbändigen Monumentalwerkes Die römischen Mosaiken und Malereien der kirchlichen Bauten vom IV bis XIII. Jahrhundert, das 1916 im Herder-Verlag erschien. 1919 kehrte er nach Rom zurück, 1926 erfolgte seine Ernennung zum Professor am gerade gegründeten Päpstlichen Institut für christliche Archäologie, 1928 lud ihn die Harvard-Universität zu Gastvorlesungen ein, die er krankheitshalber nicht halten konnte. In seinem 87. Lebensjahr starb Wilpert an den Folgen eines Unfalles. Sein Leib ruht auf dem Campo Santo Teutonico.
Der schlesische Bauernsohn Joseph Wilpert hat – als Autodidakt und wissenschaftlicher Einzelkämpfer – Hervorragendes geleistet, insbesondere mit seinen Standardwerken über Katakombenbilder, Kirchenmalereien und Sarkophage. Freilich ist heute davon vieles überholt. Den persönlich Anspruchslosen, aber um seine Leistungen Wissenden schmückte die katholische Kirche mit der Erhebung zum Dekan der Wirklichen Apostolischen Protonotare.
Weitere Werke: I sarcofagi cristiani antichi, 5 Bde., 1929-1938. – Erlebnisse und Ergebnisse im Dienste der christlichen Archäologie, 1930. – Einbändige Neuaufl. seines vierbändigen Werkes aus dem Jahre 1916: J. Wilpert u. W. N. Schumacher: Die römischen Mosaiken der kirchlichen Bauten vom IV.-XIII. Jahrhundert, 1976.
Lit.: Joseph Sauer (Nachruf). In: Das Münster l, 1947/48, S. 118-122. – Ernst Dassmann: Joseph Wilpert und die Erforschung der römischen Katakomben. In: Hundert Jahre Deutsches Priesterkolleg beim Campo Santo Teutonico 1876-1976, Rom [u.a.] 1977, S. 160-173.