Biographie

Wimmer, Gustav

Herkunft: Pommern
Beruf: Maler
* 10. April 1877 in Stettin
† 22. März 1964 in Kiel

Gustav Wimmer wurde oftmals als Caspar David Friedrich des 20. Jahrhun­derts bezeichnet. Er war Sohn eines Buchbindermeisters und war für die Beam­tenlaufbahn bestimmt. Als 14-Jähriger kam er zur Versicherungsanstalt „Germa­nia“, wo er sechs Jahre tätig war. In dieser Zeit entstanden viele Zeichen­übungen und Aquarelle und mit 16 Jahren stand für ihn fest, dass er Maler wer­den würde. Die Eltern gaben schließlich seinem Wunsch auf ein Studium an der Berliner Akademie nach. Fürsprache und etwas finanzielle Unterstützung erhielt er von Helene Wendisch, einer alte Dame aus Stettiner Honoratioren­familie, welche die Begabung des jungen Künstlers erkannte. Einige Zeit hatte er Unterricht bei dem Maler Reinhold Hoberg. 1897 begann sein Studium an der Berliner Akademie u.a. bei Otto Brausewetter. Er bezeichnete seine Lehrer als gut, was die Vermittlung einer soliden technischen Ausbildung betraf, „in erster Linie des Zeichnens, nicht so sehr auf die Malerei und nicht auf die Kunstan­schauung bezogen“ (Kasdorff). Bedeutsam für seine Entwicklung waren die Besuche in den Berliner Museen. Die altdeutschen Maler und niederländischen Landschafter schätzte er besonders, aber auch Leibl, zu dem sich in seinen Bildern Kontinuität findet. Überliefert ist, dass er von Vermeer van Delfts Das Perlenhalsband besonders fasziniert war: das Stoffliche, das Inkarnat, die Perfektion, die Konzentration. Vertraut war ihm das Schaffen und Leben des C.D. Friedrich. 1901 schloß er das Studium ab. Danach vollzog sich seine weitere Entwicklung ohne jegliches Einwirken von Zeitgenossen.

Seine Gönnerin ermöglichte ihm eine mehrmonatige Italienreise. Landschaft und Architektur scheinen keinen Einfluß auf sein Schaffen gehabt zu haben. Er besuchte die Museen in Florenz und Rom. Vielleicht fand er sich durch die Bilder des Quattrocento mit ihrer abgeschiedenen Bildwelten bestärkt, auch durch die Fiori eines Bottichelli für seine Blumenbilder und Bodenstücke mit Blumen und Schmetterlingen.

Von Erfolglosigkeit geprägt war das Jahrzehnt nach dem Studium, dass „ich ohne die Hilfe einiger nächster Angehöriger, die ihr Weniges mit mir teilten, längst zugrundegegangen wäre, wie sich das doch eigentlich für einen deutschen Maler, der in seiner Heimat unfranzösisch, unimpressionistisch malt, gebührt.“ (Kasdorff). Einfluss auf das Schaffen sollten zwei Auf­ent­halte auf Bornholm erlangen, zusammen fast ein Jahr, wenngleich er die Ernte dieses Aufenthalts später weitgehend vernichtet haben soll. Seine Gönnerin hinterließ ihm einen Teil ihres Vermögens, was eine geringe Erleichterung mit sich brachte. Bis 1913 gelangen ihm keine nennenswerten Verkäufe. Anerkennung brachte eine ausführliche Besprechung seiner Ausstellung 1912 in Köslin. Im Dezember dieses Jahres machte er eine Ausstellung in seinem Atelier in der Kaiser-Wilhelm-Straße, welche von zwei Kulturschaffen­den Stettins durch günstige Rezensionen in die Stadt getragen wurde. Dadurch kam der Leiter des gerade erbauten Museums auf der Hakenterrasse, Dr. W. Riezler, der zwanzig Bilder für die Eröffnungsausstellung übernahm. Er schrieb in der Ostsee-Zeitung, dass Wimmer eine der „stärksten jetzt in Deutschland schaffenden Persönlichkeiten sei“. Dadurch ist Gustav Wimmer in seiner Heimatstadt bekannt geworden. Wenige Verkaufserfolge stellten sich ein und 1913 konnte Wimmer im Hamburger Kunstverein ausstellen. Ein Kritiker sieht „jene letzte Einheit von Natur, Seele und Darstellungsmittel entstehen, der alle Kunst zustrebt.“ Das Bildnis der Mutter vor weiter Landschaft kam ins Kaiser-Friedrich-Museum Magdeburg.

Die sich anbahnende günstige Entwicklung wurde durch den Krieg jäh unterbrochen. Als Wachmann war er in Flandern und im Osten eingesetzt. 1919 kam er mit dem letzten Transport aus dem Baltikum geschwächt zurück. Er lebte zurückgezogen bei den Eltern und konnte aus gesundheitlichen Gründen lange nicht malen. Mit Präsentationen beim Pommerschen Künstlerbund 1919 und 1922, dessen Mitglied er war, fanden seine Bilder in den an Kunst inter­essierten Kreisen Stettins wieder Aufmerksamkeit. Be­sonders durch den unermüdlichen Einsatz des Bruders Bruno gelang es, Bil­der in Berlin auszus­tellen (Große Kunstausstellung 1922, 1925, 1927 Kunst­salon Schulte) sowie 1928 in Elberfeld. Ausstellungsbeteiligungen setzten sich vereinzelt in den 30er Jahren bis in den Zweiten Weltkrieg hinein fort: Sassnitz (1934 Deutsch-Schwe­dische Kunstausstel­lung), Stettin, Greifswald, Halle, im Verein Berliner Künstler, im Haus der Kunst in München (ohne sein Wissen).

Die ganze Tragödie seiner Ungewandtheit, ja seines Starrsinns spiegelt sich in den drei Mühlen-Bildern wieder, die überliefert ist. Die erste Windmühle bei Kreckow wurde von Justizrat Wehr­mann erworben. Das Bild hatte allgemein gefallen und so kamen einige Stettiner, welche ihm Aufträge geben wollten, aber er hatte diese so brüsk, ja beleidigend zurückgewiesen, dass es sich sofort herum­sprach. So war es Museumsdirektor Riezler nicht möglich, weitere Ankäufe für das Museum zu tätigen oder sich für private Ankäufe einzusetzen. Große Überredung kostete es den Bruder und den Eltern, dass er doch noch die zweite Windmühle bei Kreckow gemalt hat, für einen großzügigen Auftrag­geber. Die Mühlen blieben im Gedächtnis der Stadt und 1926 entstand eins seiner Hauptwerke, die Windmühle bei Klütz, an welcher er ein Jahr gearbeitet hatte. Dieses Werk machte Wimmer in seiner Heimat bekannt, es wurde repro­duziert und kam als Leihgabe in das Stettiner Museum und wurde nach Bildung einer Ankaufskommission 1929 erworben. Karla König schrieb 1931 in dem Buch Pommern zur Abbildung „Der Maler selbst steht als ein völlig Eigener und Einsamer unberührt von Stilfragen und Zeitfragen, wie sie gerade die moderne Malerei in den letzten Jahrzehnten bis ins Mark durchwühlt haben.“ 1937 wurde zum 60. Geburtstag durch den Stettiner Mu­seumsverein eine große Ausstellung durchgeführt. „Er gehörte weder der Partei noch irgendeiner ihrer Gliederungen jemals an, auch nicht einer nationalsozialistischen kulturellen Organisation“ (Kasdorff). Wimmer war zur Eröffnung der Ausstellung seiner Werke geladen, aber er erschien nicht.

Am 31. August 1944 ging seine Wohnung in der Yorkstraße, in welcher er seit dem Tod der Eltern noch lebte, im alliierten Bombenhagel unter. Zwar waren 25 Gemälde in einen bombensicheren Keller des Museums gebracht worden, aber nach dem Krieg waren diese Gemälde verschwunden. Wimmer wurde nach Heringsdorf evakuiert – vereinsamt, ohne Staffelei und Ölfarben. 1945 kam die Flucht, welche ihn über Leer nach Logabirum führte. Das Haus in Leer, in welchem er ein Unterkommen fand, geriet noch in Kampfhand­lungen, so dass er die letzten Habseligkeiten, auch alles Zeichenmaterial verlor.

Aus Mangel an Malmaterial wandte er sich der Farbzeichnung zu, eine Misch­technik aus Farb-, Bleistift und Wasserfarben, mit welcher ihm sublimste Werke gelangen, deren Faktur unter verbergender Feinheit, zu hoher „kammer­musikalischer“ Vollendung gelangten. 1950 übersiedelte er nach Laboe, später nach Kiel. Er kam wieder in Besitz von Ölfarben und so entstanden in meisterhafter Kontinuität bis zu seinem Tod noch annähernd 150 Gemälde. Ein für ihn bedeutungsvolles Besitztum wurde ein Radio­apparat, da er gerne die Musik der großen Meister wie Beethoven hörte. Zwar gelangen hin und wieder, besonders durch die Vermittlung von Dr. Hans Kas­dorff, Verkäufe, aber Wimmer versprach sich mit einer Übersiedlung nach München mehr Möglichkeiten. Ein Unfall, den er zwar überwand, vereitelte diese Absicht. 1962 erhielt er als erster Träger den neugestifteten Pommerschen Kulturpreis.

Gustav Wimmers Werk ist „eine hermetische Bilderwelt“, wie es Thorsten Ro­diek nannte (Kat. 1989). Dieser Begriff fügt sich zu dem unbeirrbaren und schweren Weg seines langen Künstler­lebens in Aufrichtigkeit ohne Kompro­misse. Wimmer nannte seine Bilder „Landschaftsporträts“, im Aufzeigen von unüberbrückbarer Einsamkeit in der Natur, in der sowohl dichte Nebel als auch gleißende Sonnenuntergänge dieselbe Funktion, die der unendlichen Distanz und des Verbergens, übernehmen. In der Bildgestaltung sind Horizontale domi­nant, als Ufer, flache Hügel, Meer und Fluss, aufgeschichtete Ufersteine und Zäune, Ackerfurchen und Dielenböden. Sein Schaffen galt nicht nur der Meer- und Flusslandschaft, sondern auch Blumen, Porträts sowie klei­nen Landschafts­ausschnitten wie Bodenstücke und Waldinneres, nicht zu vergessen die drei Mühlen. Menschen gehen in seine von Stille, Statik und Isolation geprägte Bildwelt hinein und hinaus oder verharren in Rückenansicht. Meditative Stille steht in fassungsloser Melancholie dem Ausgeliefert­sein einer unerbittlichen Realität gegenüber.

„Eine große Hoffnung verbindet den Wunsch, dass Wimmer im Bewusstsein all derer bleibt, die sich für die Förderung und Weitergabe künstlerischer Botschaften verantwortlich wissen“ (Schremmer Kat. 1974).

Lit.: Thieme-Becker. – Hans Kasdorff, Gustav Wimmer. Leben und Werk eines Malers aus Pommern (Werkverzeichnis), Hamburg 1961. – Gustav Wimmer – 10. Todestag, in: Ostdeutsche Gedenktage 1974, Bonn (1973), S. 36f (1 Abb.). – Hans Kasdorff, Eröffnungsrede der Gustav-Wimmer-Ausst. in der Ostdeutschen Galerie Regensburg (S. 12-15) sowie weitere Notizen, in: Die Künstlergilde 8.-9. Folge Esslingen 1974 (4 Abb.) . – Kat. Gustav Wimmer, Ölbilder – Zeichnungen – Farbige Blätter, Stiftung Pommern Kiel und Ostdeutsche Galerie Regensburg 1974. – Stiftung Pommern – Katalog der Gemälde, Kiel 1982, S. 242-250 (12 Abb.) . – Ausst. Gustav Wimmer in der Stiftung Pommern Kiel, in: Pommern Jg. XXVII 1989, H. 1, S. 39 (1 Abb.) . – Kat. Gustav Wimmer (1877-1964) Gemälde, Zeichnungen, farbige Blätter, Beitr. H. Kasdorff u. Thorsten Rodiek, Ausst. Schloss Rantzaubau Kiel 1989 Stiftung Pommern.

Bild: Photo 1912 Katalog Kiel/Regensburg 1974.

Helmut Scheunchen