Biographie

Wisniewski, Roswitha

Herkunft: Pommern
Beruf: Philologin, Politikerin
* 23. September 1926 in Stolp/Pommern
† 3. Dezember 2017 in Bonn

Roswitha Wisniewski kam als Tochter des Architekten Bruno Wisniewski und seiner Ehefrau Edith, geb. Berndt, zur Welt. In ihrem Geburtsort in Hinterpommern besuchte sie die katholische Grundschule und das Staatliche Lessing-Gymnasium. Im Herbst 1945 wurde die Familie aus Stolp vertrieben. Im völlig zerstörten Berlin setzte Roswitha Wisniewski ihren Schulbesuch fort und legte dort 1946 das Abitur ab.

Seit dem Wintersemester 1946/47 studierte sie an der soeben wiedereröffneten Universität Berlin, nunmehr Humboldt-Universität genannt, Germanistik und Latein. Nach den politischen Auseinandersetzungen um den Zusammenschluß von KPD und SPD zur SED und infolge der politischen Reglementierungsversuche an der Humboldt-Universität wechselte sie 1948 an die neugegründete Freie Universität Berlin und wirkte dort am Aufbau des Germanistischen Seminars mit. 1953 wurde sie dort zum Dr. phil. promoviert und war danach Assistentin des Altgermanisten Helmut de Boor. Mit Hilfe eines Habilitationsstipendiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft absolvierte sie ein Theologiestudium an den Universitäten Marburg und Bonn. Nach ihrer Habilitation im Januar 1960 mit einer Arbeit aus dem Gebiet der altnordischen Saga war sie als Dozentin und apl. Professorin an der Freien Universität tätig. Als Gastprofessorin und Leiterin wirkte sie von 1965 bis 1967 am Aufbau des 1965 gegründeten Departements für Deutsche Sprache und Literatur an der Universität Kairo mit. Von 1967 bis zu ihrer Emeritierung 1994 war Frau Wisniewski ordentliche Professorin für ältere deutsche Sprache und Literatur an der Universität Heidelberg. Sie war die erste Frau, die auf einen Lehrstuhl dieser altehrwürdigen Universität (1386 gegründet) von auswärts berufen wurde.

Infolge der heftigen Studentenunruhen in Heidelberg entschloß sich Roswitha Wisniewski 1972 zu parteipolitischem Engagement und trat in die CDU ein. Dort war und ist sie in zahlreichen führenden Funktionen auf regionaler Ebene tätig, etwa als Bezirksvorsitzende der CDU-Frauenunion Nordbaden (seit 1973) und als stellvertretende Landesvorsitzende der CDU-Frauenunion Baden-Württemberg, als Mitglied des Bezirks- und Landesvorstandes der CDU Nordbaden bzw. Baden-Württemberg. Von 1977 bis 1980 war sie Stadträtin von Schwetzingen. Von 1986 bis 1990 gehörte sie dem Bundesvorstand der Frauenunion an.

Von 1976 bis 1994 war Frau Wisniewski Mitglied des Deutschen Bundestages, seit 1983 als direkt gewählte Abgeordnete des Wahlkreises Mannheim II-Bergstraße. Im Bundestag hat sie sich insbesondere der Arbeit im Innenausschuß gewidmet: In verschiedenen Unterausschüssen hat sie sich vor allem um die Probleme der Vertriebenen und um Fragen der Wiedergutmachung gekümmert. Als CDU/CSU-Sprecherin des Unterausschusses "Kunst und Kultur" sowie als ständiges Mitglied der Gruppe der Vertriebenen in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war sie an der Vertriebenen-Gesetzgebung entscheidend beteiligt, vornehmlich bezüglich der Kulturpolitik gemäß Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes. In diesen Funktionen führten sie mehrere Reisen in die ehemaligen Staaten des Ostblocks und speziell in die ehemaligen deutschen Ostgebiete. Als Vorsitzende des Unterausschusses "Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts" hat sie einen besonderen Akzent auf die Pflege der Mahn- und Gedenkstätten nationalsozialistischen Unrechts gelegt. So leitete sie im April 1993 eine Delegation des Deutschen Bundestages zu den Mahn- und Gedenkstätten Auschwitz und Birkenau.

Ein weiterer Schwerpunkt ihres parlamentarischen Wirkens war die Hochschul- und Bildungspolitik. Vor ihrer Tätigkeit im Innenausschuß war sie Mitglied im Ausschuß "Bildung und Wissenschaft" und Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für die Erneuerung des Hochschulrahmengesetzes, zeitweilig auch stellvertretendes Mitglied im Ausschuß Forschung und Technologie. Im bildungspolitischen Feld hat sich Frau Wisniewski vor allem um die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses –  etwa um verbesserte Beschäftigungsmöglichkeiten für Habilitierte –  gekümmert, den gebührenden Rang der geisteswissenschaftlichen Disziplinen eingefordert und sich für die Beseitigung der Unterrepräsentanz von Frauen im Hochschulbereich eingesetzt. Für dieses Anliegen konnte sie auch in ihrem Amt als Vorsitzende des Hochschulausschusses des Deutschen Akademikerinnenbundes wirken, das sie bis 1992 innehatte. Generell betonte sie die Rolle der Frau in Politik und Gesellschaft und hob die Bedeutung der Frauengeschichte und ihrer Erforschung hervor. Zusammen mit dem evangelischen Bischof Dr. Hermann Kunst gab sie ein Handbuch für Frauenfragen (Bonn 1988) heraus.

Als Vorsitzende der 1980 gegründeten Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe trug Roswitha Wisniewski zur Pflege der freundschaftlichen Beziehungen zu Ägypten als einem wichtigen Faktor der deutschen Nahost-Politik bei. Als Präsidentin der Deutsch-Ägyptischen Gesellschaft Bonn-Kairo e.V. lag ihr der kulturelle und wissenschaftliche Austausch mit Ägypten am Herzen. Vor allem aber gehörte zu beiden Ämtern die ständige Kontaktpflege zu den ägyptischen Spitzenpolitikern, insbesondere zu Präsident Mubarak, zu den verschiedenen Ministerien und zum ägyptischen Parlament. Von 1992 bis 1994 war sie Mitglied der Bundestags-Enquete-Kommission "Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur". Sie leitete dabei die Arbeitsgruppe "Ideologie" und legte eine Expertise zum Thema "Marxismus –  die Voraussetzung des politischen Systems der DDR" vor, in der sie die falschen anthropologischen Grundannahmen der marxistischen Theorie betonte.

Frau Wisniewskis Spezialgebiet war und ist die Pflege des ostdeutschen kulturellen Erbes auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Sie setzte sich dafür ein, daß die Bemühungen der Vertriebenenorganisationen und Landsmannschaften zur kulturellen und muttersprachlichen Identitätswahrung für die rund 3,5 Millionen Deutschen bzw. Deutschstämmigen in Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa durch den Aufbau und die Pflege entsprechender wissenschaftlicher Einrichtungen unterstützt wurden. So hat sie etwa an der Errichtung der Stiftungslehrstühle für deutsche Literatur und Sprache im östlichen Europa an den Universitäten Leipzig und Heidelberg sowie an der Vergabe einschlägiger Forschungsaufträge entscheidend mitgewirkt. Sie ist Mitglied der Auswahlkommission des Bundesinnenministeriums für die Vergabe des Immanuel-Kant-Habilitationsstipendiums und war bis 1990 Mitglied einer Kommission desselben Ministeriums für die Vergabe des Jacob-Grimm-Doktorandenstipendiums.

Von 1986 bis 1993 war Roswitha Wisniewski Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der "Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen". Vielfältig war und ist ihr Engagement für die "Stiftung Ostdeutscher Kulturrat": Seit 1984 ist sie Mitglied im Kuratorium, seit 1994 Vorstandsmitglied und seit dem 24. April 1995 Vizepräsidentin dieser Stiftung. 1994 war sie Vorsitzende der Jury für den Erzählwettbewerb des Kulturrats. Zur Zeit arbeitet sie in der Jury für dessen Wissenschaftspreis. Seit Oktober 1994 ist sie Kuratorin für Literaturgeschichte der Gesellschaft für Pommersche Geschichte.

Frau Wisniewski ist seit 1994 Trägerin des großen Bundesverdienstkreuzes.

Lit.: Altgermanistisches Schrifttum: Die Darstellung des Niflungenunterganges in der Thidrekssaga: Eine quellenkritische Untersuchung, Tübingen 1961 (Habilitationsschrift). – Kudrun, 2. überarb. u. erw. Auflage, Stuttgart 1969. –  Das Nibelungenlied. Nach der Ausg. von Karl Bartsch; hrsg. von Helmut de Boor; 21. rev. u. von Roswitha Wisniewski erg. Aufl., Wiesbaden 1979. – Mittelhochdeutsche Grammatik, von Helmut de Boor und R. Wisniewski, 9. erw. Aufl., Berlin 1984. –  Kreuzzugsdichtung: Idealität in der Wirklichkeit, Darmstadt 1984. – Mittelalterliche Dietrichdichtung, Stuttgart 1986. –  In Vorbereitung: Eine Untersuchung über das frühmittelhochdeutsche Hohe Lied und Bd. 1 einer Literaturgeschichte (Die Anfänge der deutschen Literatur).

Veröffentlichungen zur ostdeutschen Kulturgeschichte: Vorwort zu: Ostdeutsches Lesebuch. Vier Jahrhunderte deutscher Dichtung vom Baltikum bis zum Banat. Bd. 1. Hrsg. Ernst-Edmund Keil, Bonn: Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen, 1983. – Vertreibung als Schicksal und Auftrag. In: Flucht und Vertreibung als literarisches Thema, Bonn: Stiftung Ostdeutscher Kulturrat, 1985 (Kulturpolitische Korrespondenz: Sonderdienst 50/1985).  –  Flucht und Vertreibung in pommerscher Literatur. In: Flucht und Vertreibung in der Nachkriegsliteratur. Formen ostdeutscher Kulturförderung; Hrsg. Klaus Weigelt, Melle 1986 (Konrad-Adenauer-Stiftung: Forschungsbericht 51). –  Wolfgang Koeppen. Repräsentant der Literatur der Nachkriegszeit. In: Pommern 24 (1986). –  Pommersche Lyrik. In: Deutsche Literatur in Mittel- und Osteuropa; hrsg. von Carola L. Gottzmann, Tübingen 1991. –  In Vorbereitung: Ausgabe von Hans Hoffmann, "Das Gymnasium zu Stolpenberg" (Deutsche Bibliothek des Ostens).

Bild: Christlich Demokratische Union

 

  Manfred Agethen