Biographie

Witting, Otto Erich

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Forstmann, Kunstmäzen
* 4. Februar 1889 in Kronstadt/Siebenbürgen
† 9. September 1955 in Kronstadt/Siebenbürgen

Vor 50 Jahren starb in seiner Heimatstadt Kronstadt, im Alter von 66 Jahren einer der wohl bedeutendsten deutschen Forstmänner des Südost-Karpatenraumes: Otto E. Witting. Er sollte in seiner erfolgreichen beruflichen Laufbahn die höchste – von einem Deutschen je erreichte – Stufe in der Staatsforstverwaltung des 1862 gegründeten und 1919 zum Großstaat sich entwickelten Königreichs Rumänien erklimmen. Vergleichbare Leistungen deutscher Forstleute im ost- und südeuropäischen Raum sind uns bisher bekannt geworden aus: Griechenland – Simon Schmidschneider (1803-1883), Inspekteur sämtlicher Forsten des Königreiches; Rußland – Theodor Arnold (1819-1902), genannt „Großvater des russischen Waldes“ (s. auch OGT 1999, S. 392); Italien – Adolf von Berenger (1815-1895), Begründer der ersten Forstschule Italiens; Ungarn – Karl Wagner (1830-1879), Chef des königlich ungarischen Forstwesens.

Otto Witting wurde am 4. Februar 1889 als zweiter Sohn des wohlhabenden Kronstädter Kaufmanns Friedrich Witting und seiner Ehefrau Friederike, geb. Halamka, geboren. Sein Lebensweg verlief bemerkenswert wechselreich, zu Beginn jedoch charakteristisch für einen Großteil der siebenbürgischen Jugend, deren Ausbildung noch durch die k.u.k.-Vielvölkermonarchie tiefgründig geprägt war. In seiner Geburtsstadt besuchte Witting die Volksschule und das Honterus-Gymnasium (1900-1908), um anschließend an der renommierten Forstakademie in Schemnitz (Selmeczbánya – damals Oberungarn, heute Banská Stiavnicá in der Slowakei) zu studieren (1908-1912). Diese erste akademische Forstlehranstalt des damals großen Königreiches Ungarn (zugleich auch des Kaiserreiches Österreich) wurde 1809 von Heinrich D. Wilckens (1763-1832) begründet; bis zum Zusammenbruch der k.u.k.-Monarchie war Schemnitz eine der bekanntesten und hoch geschätzten Forstlehranstalten Europas. Hier studierte auch der ältere Bruder Wittings, der namhafte Jagdschriftsteller Emil Witting (1880-1952). Zu den akademischen Lehrern Wittings gehörten u. a. die Professoren Ludwig Fekete und Tibor Blattny, deren internationaler Ruf durch die Herausgabe des zweibändigen Monumentalwerkes über die phytogeographische Verbreitung der Bäume und Sträucher Ungarns begründet wurde. Später sollte auch ihr Schüler Witting durch mehrere Beiträge zur Komplettierung dieses Werkes beitragen. In der Zeitspanne 1913 bis 1919 war er am Forstamt Şimleul Silvaniei (Szilágysomlyó) tätig; bis 1914 als Forstingenieurs-Praktikant (Forstreferendar) und nach der großen Staatsprüfung im selben Jahr in Budapest als Forstrat. Bereits 1914 jedoch wurde er als Einjährig-Freiwilliger zum Wehrdienst nach Klosterneuburg bei Wien einberufen, wo auch sein erster Sohn Wido Rolf (1916-1981) geboren wurde.

Den Weltkrieg 1915-1918 erlebte er als Oberleutnant der österreichisch-ungarischen Armee; wie alle seine damaligen Kameraden kehrte er enttäuscht vom Kriegsausgang in seine Siebenbürgische Heimat zurück. Hier – in Şimleul- Silvaniei – sollte er den hier geborenen Iuliu Maniu (1873-1953) kennen lernen, der bis 1918 Abgeordneter im ungarischen Parlament war und es in dem 1919 entstandenen Groß-Rumänien bis zum Regierungschef brachte, wobei er eine antideutsche Politik führen sollte. 1919 wurde Witting zum Leiter des Forstamtes seiner Vaterstadt Kronstadt ernannt; hier gab er mit R. Jacobi (s. OGT 2001/2002) und dem Maler Fritz Kimm (1890-1979) den „Siebenbürgischen Jagd-Kalender“ und den „Karpathen-Jagdkalender“ heraus. Hier schrieb er auch die „Geschichte der Forstwirtschaft, der Jagd und der Fischerei“, veröffentlicht 1929 in Band V „Das Burzenland“ (Herausgeber Erich Jekelius, Kronstadt). In dieser Zeit durchforschte er intensiv das reiche Stadtarchiv seiner Vaterstadt; anhand dieser Ergebnisse veröffentlichte er 1936 in Bukarest das von der Rumänischen Akademie der Wissenschaften prämierte Werk „Die Geschichte des Jagdrechtes in Siebenbürgen“. 1926 wurde Witting zum Leiter des Sachgebietes Waldbautechnik der Forstdirektion Szeklerburg (Miercurea-Ciuc) ernannt, um dann ab 1930 bis 1931 als Sachgebietsleiter an der Forstdirektion Klausenburg (Cluj) zu fungieren. 1931 bis 1939 wurde ihm die Leitung (als Forstpräsident) der Forstdirektion Schäßburg (Sighişoara) übertragen. In dieser Zeit (1936) starb seine Ehefrau Wilhelmine, geb. Stadlmüller; nach der Trauerzeit heiratete Witting die Schwester der Verstorbenen, Luise-Marie (1894-1993).

Beruflich, sowie auch in der Freizeit, widmete sich Witting in besonderem Maße der Rotwild- und Gamshege; so pachtete er u. a. im Fogarascher Gebirge ein großes Gämsenrevier. Hier führte er die traditionelle Hege und den Schutz dieses edlen Karpatenwildes fort, welche schon im 19. Jahrhundert ihren Auftakt erfuhr, und der sich so berühmte siebenbürgische Jäger und Jagdschriftsteller widmeten, wie: Oberst A. Berger (1850-1919), A. Florstedt (1860-1929), Oberst A. v. Spiess (1864-1953), E. Witting, u. a.m.

Im Mai 1938 wurde Witting – als Zeichen der Anerkennung für seine bisher erschienenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen – zum korrespondierenden Mitglied der Rumänischen Akademie der Wissenschaften gewählt, eine Ehre, die nur wenigen Rumäniendeutschen zuteil geworden ist. Hier lernte er auch Mihail Sadoveanu (1880-1961) kennen, den fruchtbarsten und bedeutendsten Repräsentanten der rumänischen Prosaliteratur, der es später (1947-1961) zum Stellvertretenden Vorsitzenden des Präsidiums der Großen Nationalversammlung Rumäniens bringen sollte. Da beide passionierte Jäger waren und Sadoveanu den Vorsitz des Rumänischen Jagdverbandes innehatte, veranlaßte er Witting, ehrenhalber den Verbands-Sekretärposten anzunehmen.

In der Zeitspanne 1939 bis 1941 wurde Witting (seit 1931 Generalforstinspekteur) die Leitung der Forstdirektion Weißenburg (Alba Iulia) anvertraut (Forstpräsident). Seine bisher erzielten Ergebnisse im Dienste der rumänischen Staatsforstverwaltung führten zu seiner Ernennung (November 1941) zum Ministerialdirigenten bzw. 1947 zum höchsten Beamtengrad, den je ein Deutscher im Rumänischen Forstministerium erreichen konnte: Ministerialdirektor. 1942 ernannte ihn König Michael I. für seine Verdienste um das Jagdwesen Rumäniens zum „Ritter der Krone Rumäniens“. Seine beiden Hochwildjagdreviere Dittersdorf (Ditrău) in den Ostkarpaten und Pojorta-Tal (in den Südkarpaten), waren Treffpunkte bekannter Persönlichkeiten des In- und Auslandes jener Zeit, wie Prinz Alfonso von Bourbon, Kieferchirurg Prof. Dr. Axhausen aus Berlin, Schokoladefabrikant Heller aus Wien, Carlo Schmid, Völkerrechtler und Politiker aus Bonn, Mihail Sadoveanu, Aurel Comşia, einst führender kanadischer Wildbiologe, Dr. Rudolf Müller (siehe OGT 1998) – ehemaliger Forstattaché Deutschlands in Rumänien, mit dem ihn eine enge Männerfreundschaft verband, u. a.m. Mit Manfred von Killinger, dem Gesandten des Deutschen Reiches in Bukarest (1941-1944), vermied Wittung soweit möglich die Gemeinschaftsjagden, da dieser bekanntlich kaum die üblichen gesellschaftlichen Kontakte pflegte, dem Alkohol nicht abgeneigt war und als leidenschaftlicher Bärenjäger die Urwälder der Karpaten durchstreifte; in Rumänien nannte man von Killinger damals „Landsknecht und Hofnarr“ zugleich. Als im August 1944 Rumänien dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, beging von Killinger mit seiner Sekretärin Selbstmord. Die Gesandschaftsangehörigen wurden durch den späteren Minister der Streitkräfte Emil Bodnăraş (1904-1976, deutsch-ruthenischer Abstammung aus dem Buchenland/Bukowina) verhaftet und kamen teils in sowjetische Gefangenschaft, teils in rumänische Internierungslager. Trotz außergewöhlicher Gefährdung seiner Person, seiner Familie und seiner professionellen Zukunft, gelang es Witting in dieser schweren Situation, seinem Freund Dr. R. Müller sowie den anderen Internierten der Botschaft die überlebensnötigen Lebensmittel und Medikamente zukommen zu lassen (gem. Tagebuch Dr. Müller). Als im Januar 1945 die arbeitsfähigen deutschen Frauen (18 bis 30 Jahre) und Männer (17 bis 45 Jahre) zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion deportiert wurden, gelang es dem älteren Sohn Wittings sich in den Bergen zu verstecken. Seine beiden jüngeren Brüder Kurt Herbert (* 1919) und Hans Horst (1923-1971) gehörten damals zu den rund 25.000 Siebenbürger Sachsen, die bei der Waffen-SS dienten; beide gerieten in Gefangenschaft, wobei der Jüngste 10 Jahre im berüchtigten Gulag Vorkuta verbrachte. Nun war der Samen aufgegangen, den Iuliu Maniu – in enger Zusammenarbeit mit der damaligen tschechoslowakischen Exilregierung unter Eduard Benesch (1884-1948) – zur Vertreibung der Deutschen aus Siebenbürgen und der Tschechoslowakei ausgeworfen hatte. Als Maniu 1946 einen politischen Vortrag in Kronstadt hielt und dabei Gift gegen die Deutschen Rumäniens spuckte, zeigte er mit dem Finger auf den Ministerialdirektor Diplom-Forstingenieur Witting – der in der vorderen Sitzreihe der Honoratioren saß – und keifte: „Seht ihn euch an! Auch er ist einer von denen!“

Trotz dieser harten Schicksalsschläge für die deutsche Minderheit Rumäniens wurde Witting von seinen Kollegen und Freunden beschützt, ja sogar gefördert. Ein Jahr darauf (1947) wurde Maniu von den Kommunisten in einem Schauprozeß zu lebenslanger Haft verurteilt und starb 1953 in einem der gefürchtesten Gefängnisse in Sighet (Sighetul Marmaţiei), dem Geburtsort des jüdischen Nobelpreisträgers Elie Wiesel (*1928). Am 30. Dezember 1947 wurde die rumänische Monarchie gestürzt und König Michael I. des Landes verwiesen. Ab 1. Januar 1948 wurde auch Witting seines Postens entbunden und pensioniert. Nach der kommunistischen Hochschulreform 1948 wurde in Kronstadt eine eigenständige Forstwissenschaftliche Fakultät gegründet. Witting wurde nun wieder reaktiviert und zum Professor für Jagd- und Fischereiwirtschaft berufen, eine Tätigkeit die er bis zu seinem Tode am 9. September 1955 in Kronstadt, ausübte. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse veröffentlichte Witting in 92 Arbeiten, darunter in 15 Büchern, wie: „Die Fischerei in den Gebirgsbächen“ 1952, „Jagd- und Fischereiwirtschaft“ 1953, „Waldbau auf natürlichen Grundlagen. Das Wild“ 1955, „Die Jagdwirtschaft“ 1960, u. a.m. Parallel übte er auch andere Tätigkeiten aus, wie: Veranstaltung der Landesjagdausstellungen mit Trophäenschau (die erste 1940 in Bukarest, die letzte 1950 in Moskau). Es folgen: 1951 Ernennung zum Wissenschaftlichen Rat im Ministerium für Landwirtschaft und Forsten; 1952 Ordentliches Mitglied des Technischen Rates des Ministeriums; 1953 Mitglied der Technisch-Wissenschaftlichen Abteilung des Ministeriums; im selben Jahr wählte ihn die Gesellschaft für Naturwissenschaften und Geographie zum Ehrenmitglied der Sektion Kronstadt.

Witting war nicht nur ein verdienstvoller Forstmann, Wissenschaftler und akademischer Lehrer, sondern auch ein begeisterter Kunstliebhaber, Kunstsammler und Mäzen. Freundschaft und Bewunderung für ihr künstlerisches Wirken, verband ihn mit den siebenbürgischen Malern Hans Eder (1883-1955), Fritz Kimm (1890-1979), Waldemar Schachl (1893-1957) u. a. sowie mit dem ungarischen Maler Imre Nagy und der Malerin Noemi Ferenczi. Seine reichhaltige Kunstsammlung befindet sich heute z.T. im Besitz seines Sohnes Kurt in München und seiner Tochter Inge (*1933) in Dachau.

Es muß hervorgehoben werden, daß Witting zu jeder Zeit ein loyaler Bürger seiner Heimat war, ob diese nun zum Königreich Ungarn, zum Kaisertum Österreich oder zu Rumänien gehörte. Nach dem Ersten Weltkrieg verfolgte er mit Besorgnis den wachsenden Einfluß der nationalsozialistisch orientierten „Erneuerer“ in Rumänien, enthielt sich hingegen jedweder politischen Tätigkeit. Otto Witting – einer aufrechten, liebenswürdigen, der Kunst und der Natur gleichermaßen aufgeschlossenen Persönlichkeit mit väterlicher Ausstrahlung – werden in diesem Jahr, anläßlich seines 50. Todestages seine einstigen noch lebenden Studenten mit Hochachtung gedenken als des unvergeßlichen Nestors der siebenbürgischen Forst- und Jagdwissenschaften.

Werke:Das Verzeichnis der Veröffentlichungen von Otto Witting siehe bei H. Heltmann (1985), S. 312-315.

Lit.:A. v. B. (Albert von Bedö), Karl Wagner, in: Centralblatt für das gesamte Forstwesen 6, 1880, S. 84-85. – Heinz Heltmann, Otto Erich Witting, ein siebenbürgischer Forstmann, in: Südostdeutsche Vierteljahresbl., 34 Jg., 4, 1985, München, S. 310-315, – Michael Kroner, Flucht und Evakuierung der Nordsiebenbürger Deutschen im Kontext der Südostdeutschen Umsiedlungspolitik, in: Hist. Kommiss. 36, 1997, München, S. 91-113. – Rudolf Rösler, Witting. Forstmann und Jagdwissenschaftler, in: Lexikon der Siebenb. Sachsen, Thaur bei Innsbruck, 1993, S. 576-577. – Ders., Simon Schmidschneider. Vom königlich bayerischen Revierbeamten zum Inspekteur sämtlicher Forsten des Königreiches Griechenland, in: Oberpfälzer Heimat, 39, 1995, Weiden, S. 135-142. – Ders., Adolf von Berenger (1819-1895). Zum Gedenken an den Begründer der ersten Forstschule Italiens, in: Forstl. Forschungsber., Univ. München, 152, 1995, S. 71-83. – Ders: Rudolf Müller (1898-1995). Forstwissenschaftler und letzter aktiver „preußischer reitender Feldjäger“, in: Ostdeutsche Gedenktage, 1998, Bonn, S. 40-44. – Ders., Neuorganisation der russischen Forstwirtschaft durch deutsche Forstpioniere vor 250 Jahren, in: Ostdeutsche Gedenktage, 1999, Bonn, S. 388-394. – Ders., Studierende aus dem Südost-Karpatenraum an der Königlich Ungarischen Berg- und Forstakademie Schemnitz, in: Siebenb. Familienforschung, 21. Jg., 2, 2004, S. 72-78. – Ders., Forstmann, Universitätsprofessor und Kunstmäzen. Zum Gedenken an den Kronstädter Otto Erich Witting (1889-1955). Siebenb. Zeitung, 56. Jg., 6, 2006, München, S. 9.

Rudolf Rösler