Biographie

Wittstock, Joachim

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Schriftsteller
* 29. August 1939 in Hermannstadt/Siebenbürgen

In dem siebenbürgischen Dreigestirn der Postwendezeit der rumäniendeutschen Literatur Eginald Schlattner (geboren 1933, OGT 2003/2004), Hans Liebhardt (geboren 1934, siehe oben) und Joachim Wittstock (geboren 1939), ist Wittstock nicht nur der Jüngste, sondern auch der gattungsmäßig Abwechslungsreichste: Lyrik, Kurzprosa, Roman, Essayistik. Dabei ist er zugleich auch der vielleicht psychisch Beständigste unter ihnen in seiner weitausholenden Art, sich im Überlegen Zeit zu lassen, um den Aufgeregtheiten der Welthektik in gemessenem Hinterfragen im landläufigen Sinn Paroli bieten zu können.

Vor dem Umbruch schrieb Wittstock Gedichte. Sein erster Gedichtband 1972 hieß Botenpfeil, seine oft parabelhafte Kurzprosa sammelte er im Band Blickvermerke 1976 und im Band Karusselpolka, verlegte er aktuelles Geschehen aus den Alltagsdrangsalierungen des Ostblocksozialismus in die siebenbürgisch-sächsische Geschichte des 17. Jahrhunderts. Hier setzt er mutig dem frühvollendeten, durch Selbstmord geendeten Georg Hoprich ein Denkmal (OGT 2008).

Joachim Wittstocks wichtigstes Buch vor dem Umbruch war der Roman Ascheregen (1985, 1989 auch ins Rumänische übersetzt). Hier gelingt es ihm, an Hand der Lebensläufe eines Deutschen, eines Rumänen, eines Ungarn und eines Juden die spezifischen Existenzprobleme siebenbürgischer Ethnien literarisch zu gestalten.

Nach dem Umbruch von 1989 veröffentlichte Wittstock schon 1991 im Westen im Dipa Verlag Frankfurt am Main den Prosaband Der europäische Knopf, wo er seine oft parabelhafte Kurzprosa weiterführt. Ebenfalls im Westen brachte er in der Innsbrucker Edition Löwenzahn Erzählungen unter dem Titel Die dalmatinische Friedenskönigin heraus. Zuhause in Siebenbürgen brachte er die BändeIm Spiegelsaal 1994 und Kurator, Söldner, Gouverneur 1995 heraus.

Sein umfassendstes Werk schrieb Wittstock nach der Wende mit dem Roman Bestätigt und besiegelt 2003. Hier greift er zurück auf das lange Zeit tabuisierte Thema der Deportation der Rumäniendeutschen zur Wiedergutmachungszwangsarbeit in die Sowjetunion schon im Januar 1945, als der Krieg noch nicht zu Ende war. Er folgt auch hier seinem Anliegen, die Geschichte der Siebenbürger Sachsen ins Weltgeschehen hineinzutragen. Dabei geht er als homme de lèttres, als poeta docta, auch von authentischem Material aus. Es handelt sich um die hinterlassenen Briefe eines Heltauer Notars.Heltau/ Cisnadie ist die Nachbarstadt von Hermannstadt/ Sibiu, die auch als das kulturelle Zentrum der Siebenbürger Sachsen angesehen wird. Dieser Notar hatte ungefähr 30 Hefte Briefe an seinen deportierten Sohn geschrieben, ohne sie ihm senden zu können, aber in dem Bewusstsein, sie ihm bei der Rückkehr präsentieren zu können als Spiegelbild des Zeitgeschehens.

Dies ist die eine Erzählebene. Die andere Erzählebene ist die des Autors, dessen Ansichten und Überlegungen dem Leser gewissermaßen als objektivierende Waagschale angeboten werden, da die Erzählperspektive des Notars subjektiv ist. Es fehlt nicht an Ironie und Humor, trotz des dramatischen Geschehens, da die oft bieder-kleinbürgerliche Gesellschaft der Siebenbürger Sachsen keinen Mangel an Sonderlingen, ja richtigen Käuzen, hatte. Hinzu kommt, dass gerade Hermannstadt/ Sibiu durch seine umgängliche, warmherzige Art so etwas durchaus tolerierte, während im viel härteren rücksichtslosen Kronstadt ähnliche Zeitgenossen es viel schwerer hatten.

In der Gestalt des Heinrich Schirmer, der sich selbst Schirmherr nennt und sich als solchen auch sieht, da er mit Hilfe des Übersinnlichen den Deportierten aus der fernen Heimat helfen will, setzt Joachim Wittstock dem romantischen Dichter ein spätes Denkmal. Heinrich Schirmer weist sich auch als Romanschreiber aus und spart nicht mit poetologischen Überlegungen der Wirklichkeitserfassung und Verarbeitung, so dass hier praktisch die romantische Ironie – Bezugnahme auf das Geschehen innerhalb des Geschehens selbst – auf eine mitunter skurrile Verdichtung zum Zuge kommt.

Für einen poeta docta, wie es Joachim Wittstock vor allem auch Dank seiner Belesenheit bezüglich der siebenbürgischen Kultur, Geschichte und vor allem auch Kirchengeschichte ist, ziemen sich gewissermaßen keine billigen Anspielungen oder mitunter etwas vordergründigen Sprachspiele, die bei den Siebenbürger Sachsen äußerst beliebt sind. Oskar Pastior, der Büchnerpreisträger 2006, kann gewissermaßen als deren Aufgipfelung gesehen werden.Wittstocks Erzählduktus entspricht sein etwas abgehobener, getragener Humor der atmosphärischen Spannung zwischen Stimmigkeit und Unstimmigkeit, wie er sich herausbildet innerhalb des geschlossenen sprachlichen kulturellen und vor allem religiösen Gemeinschaftswesen, zu dem die Siebenbürger Sachsenseit den Tagen ihrer eigenen Reformation durch den Lutherschüler Johannes Honterus (1498-1549) im Laufe der Jahrhunderte geworden sind.

Auch in seinem bisher letzten Essayband Keulenmann und schlafende Muse, Erfahrungsschritte, Hora Verlag Hermannstadt 2005, kommt bei aller Dramatik des Geschehens doch wieder der für Joachim Wittstock charakteristische abgehoben getragene, souverän schon leicht verspielte Humor zum Tragen, wenn er in der Kurzprosa Agenten gesucht seine Erfahrungsschritte mit der Securitate, dem rumänischen Geheimdienst schildert.

Zu Beginn gelingt es hier Wittstock, der Banalität böser Andeutungen sogar einen Humor der besonderen Art abzugewinnen, wenn er beispielsweise überlegt, was man Besonderes verlangen könne von ihm als Zuträger, der in einem Kellergeschoss bloß mit Ausblick auf die Beine der Vorübergehenden arbeitet. „Lediglich beim Verzeichnen von Knien und Waden, von Strümpfen und Hosen dürfte er eine gewisse Fertigkeit erlangen und auf diesen Sondergebieten gar Spezialist werden.“

So grotesk humorvoll ist jedoch die Securitate nicht. Sie hat sehr wohl auch für einen Sonderling, einen für Literaten schwärmenden Einzelgänger durchaus Verwendung. Umso mehr wenn es sich wie im Falle von Wittstock um den Sohn und Erben des literarischen Nachlasses eines berühmten, auch jenseits der Grenzen Rumäniens in der befreundeten DDR bekannten Schriftsteller handelt. In diesem Fall Erwin Wittstock (1899-1962), dessen Werk sein Sohn Joachim fürsorglich betreute und von dem ihn nun die Securitate zwingt, Manuskripte aus dem Nachlass herauszugeben.Wie es dazu kommt und welche Methoden die Offiziere der Geheimpolizei Ceauşescus anwenden, schildert Wittstock zunächst fiktional an Hand eines literarischen Helden, Ahrnoder, um dann unter der Last der Erinnerung auf die Ebene der Realität überzuwechseln.

Joachim Wittstock, der von 1971 bis 1999 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungszentrums für Gesellschaftswissenschaften in Hermannstadt tätig war und dem im Jahre 2000 von der Universität Hermannstadt die Ehrendoktorwürde verliehen wurde, erhielt u.a. 1978, 1983 und 2002 Preise des rumänischen Schriftstellerverbandes, 1991 die Ehrengabe der Deutschen Schillerstiftung in Weimar, 1992 die Ehrengabe des Andreas-Gryphius-Preises. 2010 erhält Joachim Wittstock endlich den ihm schon lange zustehenden Siebenbürgisch Sächsischen Kulturpreis der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen. Ein Jahr nach dem Erscheinen seiner letzten bedeutenden Essaysammlung Einen Halt suchen. Essays nach der allein in Rumänien blutigen Wende 1898/1990.

Joachim Wittstock lebt heute als freiberuflicher Schriftsteller in seiner Geburtsstadt. Sein letzter Roman ist Die uns angebotene Welt, 2007 im ADZ-Verlag, Bukarest, erschienen – ein einziger Beweis seines feinsinnigen, hintergründigen Humors, mit dem er seine Studienjahre von 1956-1961 in Klausenburg/ Cluj-Napoca Revue passieren lässt und dem damaligen Höhepunkt des Stalinismus so manches Schnippchen schlägt.

Bild:Siebenbürgische Zeitung, 28.8.2009.