Biographie

Wolff, Karl

Herkunft: Siebenbürgen
Beruf: Publizist, Politiker, Volkswirtschaftler
* 11. Oktober 1849 in Schäßburg/Siebenbürgen
† 3. Oktober 1929 in Hermannstadt/Siebenbürgen

Karl (auch Carl) Wolff war am Ende des vorigen und Anfang unseres Jahrhunderts die bedeutendste weltliche Führerpersönlichkeit der Siebenbürger Sachsen. Er war Vorsitzender des Zentralausschusses der Siebenbürgisch-sächsischen Volkspartei, Leiter verschiedener völkisch-wirtschaftlicher Institutionen, Einrichtungen und Vereine sowie Kurator der evangelisch-sächsischen Volkskirche. Bei der starken Verbindung zwischen Volk und Kirche bei den Siebenbürger Sachsen bildeten der Bischof und der Vorsitzende des Zentralausschusses ein Duumvirat, das auf allen Gebieten des politischen, kirchlichen und völkischen Lebens eng zusammenarbeitete. Wolff hat nacheinander mit drei hervorragenden Bischöfen – mit Georg Daniel Teutsch, Friedrich Müller und Friedrich Teutsch – die Geschicke der Siebenbürger Sachsen geleitet.

Karl Wolff wurde als Sohn des Schäßburger Stadtarztes geboren. Nach Abschluß des Gymnasiums in seiner Vaterstadt studierte er in Wien und Heidelberg die Rechtswissenschaften und besuchte anschließend noch Vorlesungen in Pest, Hermannstadt und Klausenburg. Vorübergehend fand er Anstellung bei der Neuen Freien Presse in Wien. Er folgte jedoch bald dem Ruf der Heimat und übernahm am 1. Januar 1874 die Leitung des neu gegründetenSiebenbürgisch-Deutschen Tageblattes, die er bis 1885 innehatte. Von 1881 bis 1887 gehörte er als Abgeordneter dem ungarischen Parlament an. Im Jahre 1885 wurde er mit der Leitung der “Hermannstädter allgemeinen Sparkassa” betraut und war bis Ende des Ersten Weltkrieges hauptberuflich deren Direktor. Auf dem zweiten Sachsentag von 1890 wurde Wolff zum Vorsitzenden des Zentralausschusses der Siebenbürgisch-sächsischen Volkspartei gewählt. Von 1901 bis 1913 war er zugleich Landeskirchenkurator der evangelisch-sächsischen Kirche, die neben ihrer kirchlichen Funktion als wahre Volkskirche bedeutende völkische Aufgaben im schulischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich wahrnahm.

Als mit Wolff als Schriftleiter das Siebenbürgisch-Deutsche Tageblatt gegründet wurde, das zum bedeutendsten Sprachrohr der Siebenbürger Sachsen werden sollte, bereitete die ungarische Regierung die Auflösung des sächsischen Selbstverwaltungsgebietes, des sogenannten Königsbodens, vor, der das Parlament gegen den Protest der sächsischen Abgeordneten 1876 zustimmte. Damit verloren die Sachsen den letzten noch auf die Zeit ihrer Einwanderung in Siebenbürgen zurückgehenden und sie bis dahin schützenden privilegierten Status. Sie mußten sich, um in einer andersvölkischen Umwelt als deutsche Minderheit nicht unterzugehen, neue Institutionen aufbauen. Gleichzeitig nämlich praktizierte Ungarn, zu dem Siebenbürgen gehörte, eine forcierte Magyarisierungspolitik mit dem Ziel, die nichtmagyarischen Völkerschaften zu assimilieren, um einen einheitlichen Nationalstaat zu errichten. Gegen diese minderheitenfeindliche Politik führte Wolff sowohl als Publizist als auch als Abgeordneter einen erbitterten Kampf, wobei er sich für die Gleichberechtigung der nationalen Minderheiten einsetzte, zumal diese mehr als die Hälfte der Bevölkerung Ungarns ausmachten. Aus diesem Grunde war er heftigen Attacken seitens der ungarischen Presse und der Parlamentarier ausgesetzt.

Mitte der achtziger Jahre wurden sich die sächsischen Abgeordneten darüber klar, daß ihre Gruppe im Reichstag von Budapest als kleine Oppositionspartei nichts erreichen konnte, da sie von der ungarischen Mehrheit des Hauses niedergeschrieen und überstimmt wurde. Wolff verzichtete daher nicht nur auf eine neue Kandidatur, sondern er war es auch, der angesichts der trostlosen Lage sich für eine andere politische Taktik einsetzte. Ungarische Politiker hatten sich nämlich bereit erklärt, den Sachsen gegenüber einige politische Zugeständnisse zu machen, falls sie die offene Opposition im Parlament aufgeben würden. Der zweite Sachsentag von 1890 nahm auf Vorschlag von Wolff dieses Angebot an und stimmte der “Versöhnung” mit der ungarischen Regierung zu. Die sächsischen Parlamentarier schlossen sich nun meistens der jeweiligen Regierungspartei an und versuchten hinter den Kulissen ihre Forderungen auszuhandeln. Diese taktische Wende blieb zwar nicht unbestritten – vor allem die als “Grüne” bezeichnete Gruppe von jüngeren Intellektuellen war gegen diese Politik –, sie hat sich aber letztlich als nützlich erwiesen, da die Sachsen sich eines wohlwollenderen Verhaltens der Regierung erfreuten, die ihnen gegenüber die allgemeinen minderheitenfeindlichen Maßnahmen nicht so rigoros anwandte. Dadurch konnten alle Schulen der Sachsen sowie ihr Volks- und Kulturleben die Magyarisierungspolitik unbeschadet überstehen. Wolff war seit 1890 der Exponent dieser Politik, deren Anhänger zum Unterschied von den “Grünen” als die “Schwarzen” bezeichnet wurden.

Das vom zweiten Sachsentag angenommene “Volksprogramm”, das von Wolff präsentiert wurde, wies darauf hin, daß in Zukunft der Schwerpunkt der völkischen Betätigung auf volkswirtschaftliche, gesellschaftliche, kommunale und kulturelle Bereiche zu verlegen sei, da die bisher im politischen Kampf erfolglos vergeudeten Kräfte nun an anderen Fronten eingesetzt werden könnten. Er stand dabei in vorderster Linie, wobei ihm die Mittel der “Hermannstädter allgemeinen Sparkassa” zur Verfügung standen, die laut Satzung ihren Reingewinn gemeinnützigen und wohltätigen Zwecken zur Verfügung stellte.

Das erste bedeutende Werk, das Wolff 1885 mit Hilfe der Sparkassa in Angriff nahm, war die Gründung von Raiffeisengenossenschaften auf dem Lande, die als Spar- und Darlehnsvereine den Wucher bannen und den Bauern die Möglichkeit geben sollten, ihre kleinen Ersparnisse anzulegen bzw. Kredite zu einem niedrigen Zinsfuß zu erwerben. Dabei griff die Hermannstädter Sparkassa den Raiffeisenvereinen tatkräftig unter die Arme und half, wo es nötig war mit Krediten, vor allem aber durch fachliche Beratung. Die Raiffeisenvereine, die sich unter dem Vorsitz von Wolff zu einem Verband zusammenschlossen, erfaßten den Großteil des sächsischen Siedlungsgebietes, und sie haben bei dem Schutz bedrohter Bauern gegen Zwangsveräußerung von Boden oder Höfen sowie bei der Einführung eines modernen landwirtschaftlichen Betriebes eine segensreiche Tätigkeit entfaltet. Die mit den Raiffeisenvereinen verbundenen Konsumvereine versorgten die Bauern unter Ausschaltung von Zwischenhändlern mit allerlei Waren, einschließlich moderner Maschinen, und übernahmen die Vermarktung ihrer Agrarprodukte. Die Raiffeisenvereine haben bis weit über den Tod ihres Gründers hinaus erfolgreich gewirkt.

Im Jahre 1891 gründete Wolff die “Siebenbürger Vereinsbank”, die durch Ankauf von Boden verarmten Bauern eine Existenzmöglichkeitschuf und durch Innerkolonisation neue deutsche Siedlungen gründete. Es sollte dadurch die Amerika-Auswanderung, die erschreckende Ausmaße angenommen hatte, gebremst werden.

Karl Wolff hat sich sodann um die Modernisierung der gewerblichen Betriebe bemüht, wobei er auch unter den Handwerkern – allerdings mit weniger Erfolg – den Genossenschaftsgedanken propagierte. Sein größtes Verdienst ist es, auf die Bedeutung der elektrischen Energie für Gewerbe und Industrie hingewiesen zu haben. Seinem Einsatz verdankt Hermannstadt die Errichtung des Elektrizitätswerkes im Zoodt-Tal, das 1897 den Betrieb aufnahm. Den Plan für dieses Werk hat kein geringerer als Oskar von Miller, bekannt als Gründer des Deutschen Museums in München, erstellt, den Wolff dafür gewonnen hatte. Bald ratterten in zahlreichen Werkstätten Elektromotoren, 1905 fuhren in Hermannstadt die ersten Straßenbahnen, in immer mehr Häusern fand das elektrische Licht Eingang und abends freute man sich über die hellere Straßenbeleuchtung. Andere Städte folgten der Vorreiterrolle Hermannstadts.

Zu den Einrichtungen, die Wolff mit Mitteln der Sparkassa in Hermannstadt mitfinanzierte, gehörten am Anfang unseres Jahrhunderts die Eröffnung eines Volksbades mit Schwimmbecken und Kurbad, dem bald ein Sanatorium angeschlossen wurde, die Erneuerung und Erweiterung des Wasserleitungsnetzes, derBau von Kanalisationsanlagen sowie die Erschließung des “Jungen Waldes” als Naherholungsgebiet. Damit im Zusammenhang sei erwähnt, daß Wolff 1880 zu den Gründungsvätern des “Siebenbürgischen Karpatenvereins” gehörte und dessen erster Vorsitzender war. Dieser Verein hat den Startschuß zur touristischen Erschließung der heimischen Bergwelt und zum Bau von Berghütten gegeben.

Ein besonderes Kapitel in Wolffs Lebenswerk bilden sein Einsatz sowie seine Anregungen für den Bau von Eisenbahnen und Wasserstraßen. Während unter seiner Mitwirkung Hermannstadt in den neunziger Jahren direkte Eisenbahnverbindungen erhielt, nachdem die Stadt beim Bau der ersten Eisenbahnlinien der siebziger Jahre bloß durch eine Zubringstrecke von Klein-Kopisch an die Hauptlinie angeschlossen worden war, blieben Wolffs Projekte zum Bau eines weitverzweigten Netzes von Kanälen bloß Wünsche. Er plädierte für die Schiffbarmachung des Alt-Flusses, für eine Binnenwasserstraße, die von Budapest über einen Donau-Theißkanal, den Mieresch, die Große Kokel, den Weißbach und Zibin bis zum Alt führen sollte. Er machte sich Gedanken über eine Verbindung von Donau, Main und Rhein, über einen Wasserweg vom Schwarzen Meer zur Ostsee und träumte von einem Kanalsystem, das im Osten bis nach China und Indien führen sollte. Diese Projekte gehören zum Teil ins Reich der Utopie, einige davon sind aber mittlerweile verwirklicht worden.

1917 stellte Wolff sein politisches Amt als Vorsitzender des Zentralausschusses zur Verfügung und trat 1918 auch von der Leitung der “Hermannstädter allgemeinen Sparkassa” zurück. Durch den Ersten Weltkrieg brachen einige seiner altruistischen Einrichtungen zusammen, und durch die Geldentwertung erlitt die Sparkassa große Verluste. Mit dem Rücktritt Wolffs von seinen Ämtern ging eine Ära zu Ende – im Jahre 1918 wurde Siebenbürgen an Rumänien angeschlossen. Eine neue Generation war gefragt, um die Weichen für die Eingliederung der Deutschen in den neuen rumänischen Staatsverband zu stellen. Wolff konnte sich in den neuen Verhältnissen nur schwer zurechtfinden. Er ist als hochverehrter Mann wenige Tage vor seinem 80. Geburtstag verstorben. An Karl Wolff erinnert heute in Hermannstadt ein seinen Namen tragendes Altersheim, das vor einigen Jahren mit Mitteln der Bundesrepublik Deutschland errichtet wurde. Die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland und Österreich sowie das Forum der Deutschen in Siebenbürgen beabsichtigen das Jahr 1999 zum Karl-Wolff-Jahr zu erklären.

Werke: Unser Parteiprogramm, Hermannstadt 1890. – Die Geschichte der Hermannstädter allgemeinen Sparkassa während der ersten 50 Jahre ihres Bestandes 1841-1891. Hermannstadt 1891. – Die Altschiffahrt und ihre Bedeutung für Ungarn und Rumänien. Hermannstadt 1893. – Vorgeschichte, Finanzierung und Rentabilität eines Elektrizitätswerkes in Hermannstadt. Hermannstadt 1893. – Das Genossenschaftswesen in Land und Stadt. Hermannstadt 1910. – Verbindung Rumäniens mit der Ostsee. Hermannstadt 1922. – Aus meinem Leben. Lauban 1929. – Schriften und Reden. Hrg. Michael Kroner. Bukarest 1976 (Enthält eine Auswahl von Zeitungsartikeln und Schriften Wolffs mit einer ausführlichen Würdigung seines Lebenswerkes).

Lit.: Dr. Karl Wolff als Direktor der Hermannstädter allgemeinenSparkassa. Hermannstadt 1910. – Gustav Adolf Klein: Geschichte der Hermannstädter allgemeinen Sparkassa 1841-1941. Hermannstadt 1941. – Reimar Alfred Ungar, Nicolae Nistor: Carl Wolff. Sein Leben und Wirken in Wort und Bild. Bukarest 1989. – Lexikon der Siebenbürger Sachsen. Thaur bei Linz 1993.

 

    Michael Kroner