Biographie

Wolff, Nathanael Mattheus von

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Mediziner, Astronom
* 26. Januar 1724 in Konitz/Westpr.
† 15. Dezember 1784 in Danzig

Nathanael von Wolff hat ausgedehnte Reisen durch ganz Europa unternommen und sich einen ausgezeichneten Ruf als Mediziner erworben, der es ihm erlaubte, sich in verschiedenen Stellungen und an unterschiedlichen Orten Europas ein kleines Vermögen zu erwirtschaften. Dadurch war es ihm möglich, seinen Interessen als Astronom in einer eigenen Sternwarte nachzugehen. Dieses Observatorium unmittelbar vor den Toren Danzigs vermachte er nebst weiteren wertvollen Stiftungen testamentarisch der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig, als deren großer Gönner er schon zu Lebzeiten angesehen wurde.

Aus der Jugendzeit des Nathanael Mattheus (auch Matthäus) von Wolff oder Wolf ist nur wenig bekannt. Sein Vater soll Apotheker in Konitz, einst eine Stadt des Deutschen Ordens, gewesen sein, die Vorfahren väterlicher- und mütterlicherseits hatten hohe militärische Ränge bis zum General inne. Seine Eltern müssen früh gestorben sein, denn es wird berichtet, daß er nach dem Besuch des angesehenen Akademischen Gymnasiums in Danzig “trotz Abratens seiner Vormünder und unter drückendster Dürftigkeit” wohl zunächst in Jena, dann in Leipzig und Halle ein Studium aufnahm, in dem er sich mit den alten Sprachen, mit der englischen, französischen und italienischen Sprache, schließlich mit Philosophie, Mathematik und Medizin beschäftigte. Seine große Begabung muß sich bald erwiesen haben, da der Fürstbischof von Ermland, Grabowski, ihm in den letzten Semestern ein Stipendium gewährte.

Nach seiner Promotion im Fach Medizin 1748 in Erfurt ließ sich Wolff für kurze Zeit als praktischer Arzt in Warschau nieder und nahm dann für etwa drei Jahre die Stelle eines Leibarztes beim Fürstbischof von Posen, Theodor Czartoriski, an. Die Unruhe seiner soldatischen Vorfahren mag ihm im Blut gelegen haben, denn 1753 wurde er – 29 Jahre alt – für etwa drei Jahre Stadtphysikus seiner Vaterstadt Konitz, die in dieser Zeit zu den wohlhabenderen und aufstrebenden kleineren Städten Westpreußens gehörte. Er trat dann als Leibarzt in die Dienste des polnischen Krongroßmarschalls Fürst Lubomirski, war zwischenzeitlich wohl auch kurze Zeit wieder in Danzig und begab sich 1758 mit dem Fürsten auf eine etwa dreijährige Reise nach Ungarn, Österreich, durch Deutschland und nach Frankreich, Holland und wohl auch England. Seine Interessen an Sprachen, an der Wissenschaft und an fremden Ländern führten ihn in den Jahren danach auf eigene Kosten nach Italien – Neapel, Livorno und Genua werden als Aufenthaltsorte genannt –, durch die Schweiz und Deutschland wieder nach Holland und England. In London hat er sich einige Jahre niedergelassen, führte hier eine bedeutende ärztliche Praxis und errang durch seine wissenschaftlichen Arbeiten die Aufnahme in die Royal Society und in die Londoner Gesellschaft zur Aufmunterung der Künste, der Manufakturen und des Handels.

Wegen einer Beeinträchtigung seiner Gesundheit, offenbar eine beginnende Schwindsucht, kehrte Wolff zwar in seine Heimat zurück, wurde aber dennoch Leibarzt des polnischen Fürsten Adam Czartoriski, General von Podolien, und begab sich mit diesem wiederum auf eine weite und anstrengende Reise in die Türkei, nach Frankreich und England. Auf dem polnischen Reichstag von 1766 wurde er “auf Antrag seiner hohen Gönner” in den Adelsstand erhoben. Offenbar hatte seine Gesundheit aber durch Studium, Reisen und Arbeit so stark gelitten, daß er sich 1769, also mit 45 Jahren, als wohlhabender Privatmann “in eine philosophische Ruhe nach Dirschau” an der Weichsel in Westpreußen zurückziehen mußte. Hier wendete er sich nun astronomischen Studien zu. Als das Land an der unteren Weichsel im Jahre 1772 preußisch wurde, verlegte Wolff seinen Wohnsitz nach Danzig, ohne daß wir nähere Gründe dafür kennen, und hier werden die Quellen über das Leben dieses Mannes von Standhaftigkeit und seltener Geradheit deutlicher und ausführlicher.

Trotz seiner fortgeschrittenen Krankheit eröffnete Wolff im Zeichen seines großen Ansehens und seiner Erfolge auf medizinischem Gebiet auch in Danzig eine ärztliche Praxis. Selbst Kollegen erbaten seinen Rat. Seine astronomischen Arbeiten gab er dennoch nicht auf, sondern richtete sich in einem Eckzimmer des zweiten Stocks seines Wohnhauses am Holzmarkt, dem stattlichen Haus des Abtes vom Zisterzienserkloster Oliva, eine Sternwarte ein, die der bekannte “wissenschaftliche Reisende” Johann Bernoulli ausführlich beschreibt. Im Jahre 1776 trat Wolff als 56. Mitglied in die schon 1743 gegründete Naturforschende Gesellschaft in Danzig ein. Im Kreise der hier tätigen Wissenschaftler erfuhr er Anerkennung und Anregung, so daß er sich entschloß, aus seinem Vermögen für rund 22.500 Mark auf dem höchsten Punkt des Bischofsberges, auf dem westlichen Wall der stark befestigten, selbständigen Stadt Danzig, 1780 eine Sternwarte nach modernsten Gesichtspunkten zu bauen, “die beste Ehrensäule, die ein Gelehrter sich selbst errichten kann!” (J. F. Goldbeck). Wolff verschaffte sich eine Reihe sehr guter und prächtiger Instrumente, vorwiegend aus England, die auf isoliert gesetzten Fundamenten standen, damit die Erschütterungen in der quadratischen, etwa acht Meter Seitenlänge messenden Sternwarte sich nicht auf die Beobachtungsinstrumente, darunter Mauerquadranten und Fernrohre, übertragen konnten. Er stellte einen Gehilfen für astronomische Arbeiten, Füllbach, ein, obwohl er selber der eifrigste Beobachter war, und übereignete die Sternwarte der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig, wobei er sich deren Nutzung auf Lebenszeit vorbehielt.

Neben seiner astronomischen Tätigkeit war Wolff ein gesuchter Arzt, der trotz der “1774 bekannt gemachten Ratsverordnung, durch welche das Einimpfen der Kinderblattern – um Ansteckung zu verhindern – nur außerhalb der Stadt erlaubt wurde”, gerade diese Impfung in Danzig einführte, zudem bei drei Töchtern einer der bekanntesten Danziger Ratsfamilien. Die älteste von ihnen, Johanna Trosiener, verheiratete Schopenhauer, ist als Schriftstellerin später sehr bekannt geworden und hat in ihren Jugenderinnerungen den gefährlichen und umständlichen Vorgang höchst amüsant beschrieben. Die Pocken sind noch heute eine hochansteckende, melde- und isolierpflichtige Infektionskrankheit, gegen die europäische Ärzte am Anfang des 18. Jahrhunderts aus Istanbul eine Kind–zu–Kind–Impfung übernahmen, die sich wegen ihrer Gefährlichkeit nur sehr langsam durchsetzte und später verboten wurde, nachdem E. Jenner 1796 die wesentlich harmlosere Schutzimpfung mit Kuhpockenlymphe gefunden hatte. Das Impfgesetz gegen die Pocken oder Blattern des Deutschen Reiches datiert erst aus dem Jahre 1874 (in Hessen und Bayern schon 1807).

Als Nathanael von Wolff im 61. Lebensjahr starb, hinterließ er der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig nicht nur seine erst vier Jahre alte Sternwarte, sondern auch ein Kapital von 4000 Gulden (oder 36.000 Mark), dessen Zinsen zur Unterhaltung der Sternwarte und zur Anstellung eines ständigen Astronomen dienen sollten. Außerdem vermachte er der Gesellschaft Bücher, sein herbarium vivum von 40 Folio-Bänden, seine Conchylien–(Weichtier-) und seine Mineraliensammlung mit gedruckten Verzeichnissen. Er wurde so zu einem der bedeutendsten Förderer der Naturforschenden Gesellschaft, die sein Bildnis in Öl malen und in Kupfer stechen ließ und ihm auf seinem Grab 1794 ein Denkmal setzte, das 1876 inmitten der Festungswerke noch vorhanden war. Der Körper des in Danzig hochangesehenen Wissenschaftlers wurde auf seinen Wunsch hin einbalsamiert und in einem von ihm selbst gefertigten eichenen Sarg neben der Sternwarte feierlich begraben. Die Gedächtnisrede von Lampe wurde gesondert gedruckt und dem polnischen König Stanislaus August gewidmet und übergeben, der der Naturforschenden Gesellschaft als Gegengabe einen Ring für den Direktor der Gesellschaft überreichen ließ.

Nathanael von Wolff hat zahlreiche Schriften in lateinischer, englischer, französischer und deutscher Sprache veröffentlicht. Er versuchte, abweichend von Linnè, eine einfachere und zweckmäßigere botanische Klassifikation einzuführen, doch geriet sie zu umständlich und war wohl nie in Gebrauch. Ihm gelang die Entdeckung des Männchens der Lack-Schildlaus, die damals zum Scharlachfärben benutzt wurde, und er veröffentlichte diese Entdeckung und mehrere seiner astronomischen Arbeiten in den angesehenenPhilosophical Transactions der Royal Society und in anderen anerkannten Zeitschriften. Zudem verfaßte er eine Reihe von eher populären medizinischen Schriften. Seine Sternwarte bestand leider nur gut 30 Jahre: während der französischen Belagerung Danzigs 1708 beschädigt und nach einer Beschwerde des Direktors der Naturforschenden Gesellschaft, Dr. Joh. Gottfried Kleefeld, von Napoleon wieder repariert (!), wurde sie auf Befehl des französischen Generals Rapp 1813 abgebrochen, weil die französischen Truppen in der Stadt wegen der Belagerung Danzigs durch russische und deutsche Truppen freies Schußfeld verlangten.

Werke: Diss. inaug. de senectutis natura et artibus longissimam vivendi senectutem veris. Erford 1748. – Reflexions sur les Dissidens en Pologne. 1766. – Unterricht gegen die Kinderblattern. Danzig 1774. – Genera plantarum vocabulis characteristicis definita (nebst einer Concordantia botanica). (Regiom.) 1776 und 1781. – Unterricht fürs Volk gegen die Pest. Danzig 1776 (Wurde auf Befehl der Kaiserin von Rußland und des polnischen Krongroßmarschalls ins Russische und Polnische übersetzt.) – Übersetzung einer Arbeit des Thomas Mudge (1715–1794 in London) von den Kinderblattern, nebst einem Anhange von der Stiftung und dem Fortgange der Inokulation in Warschau und im Poln. Preussen. Danzig 1778.

Lit.: J.F. Goldbeck: Literarische Nachrichten von Preußen, T. 1, 1781, T. 2, 1783. – Johann Bernoulli (Hrsg.): Observationes astronomicae factae Dantisci… Berolini 1785. – Friedrich Carl Gottlob Hirsching: Historisch-literarisches Handbuch, Bd. 16, 2. 1815. – Gotthilf Löschin: Geschichte Danzigs von der ältesten bis zur neuesten Zeit. Danzig 1823. – E. Schumann: Geschichte der Naturforschenden Gesellschaft in Danzig. Danzig 1893. – Johanna Schopenhauer: Ihr glücklichen Augen. Berlin 1979, S. 98 ff, S. 530. – H.-J. Kämpfert: Aspekte der Medizingeschichte in Danzig. In: Gilbert Gornig (Hrsg.): Deutsch-polnische Begegnung zu Wissenschaft und Kultur, Band 2 der Schriftenreihe der Danziger Naturforschenden Gesellschaft, Lübeck 1998.

 

  Hans-Jürgen Kämpfert