Biographie

Wolfthorn, Julie

Herkunft: Westpreußen
Beruf: Malerin
* 8. Januar 1864 in Thorn/ Westpreußen
† 29. Dezember 1944 in KZ Theresienstadt

Die Angaben zum Familiennamen und zum Geburtsdatum bedürfen der Erläuterung: Unter dem relativ häufigen Namen „Wolf“ geboren, verwandte Wolfthorn etwa ab 1896 bis ca. 1902 den Namen „Wolf-Thorn“, wohl aus Abgrenzungsgründen zu anderen gleichnamigen Künstlern und auch mehr als Malerin dann durchgehend. So etwa ab 1902 führte sie nur noch den Namen „Wolfthorn“, auch nach ihrer Heirat 1904 mit Rudolf (Rolf) Klein (auch: Klein von Diepold), Maler und Kunstschriftsteller (1871-1925). Offiziell lautete von Beginn der 1940er Jahre an bis zu ihrem Tode ihr Familienname „Klein“.

In etlichen Veröffentlichungen, u.a. auch im „Thieme-Becker“, wird Wolfthorns Geburtsjahr fälschlich mit „1868“ angegeben. Es ist möglich, dass Wolfthorn selbst die Urheberin dieser „Verjüngung“ war, weil ihr Ehemann sieben Jahre jünger war als sie.

Wolfthorn wurde als fünftes Kind in eine ärmliche Familie hineingeboren, als ihr Vater Julius Wolf (?-1863), ein selbständiger Geschäftsmann, bereits verstorben war. Er und seine Frau Mathilde, geb. Neumann (1838-1870), hatten zuvor versucht, durch Auswanderung um 1857 in die USA ihrem Leben eine Wendung zum Besseren zu geben, jedoch ohne Erfolg. Wolfthorns ältester Bruder Georg, später von Beruf Bildhauer, wurde noch in den USA geboren (1858-1926). Als ihr zweiter Bruder Franz geboren wurde (1859-1876), war die Familie schon wieder in Thorn ansässig. 1860 kam Wolfthorns Schwester Luise (gen. Liese), gest. Ende 1942 im KZ Theresienstadt, zur Welt. Mit dieser zeitlebens unverheiratet gebliebenen Schwester hatte Wolfthorn lebenslang eine enge Beziehung, ab ca. 1900 bis 1942 lebten die Schwestern nahezu 40 Jahre zusammen. Das vierte Kind der Wolfs – vor Julie – war Martha (später verehelichte Schäfer), geb. 1861, gest. durch Suizid in der NS-Zeit nach Erhalt des Deportationsbefehls.

Zur Schulzeit von Wolfthorn ist kaum etwas bekannt. Als ihre Mutter 1870 gestorben war und sie und ihre Geschwister somit Vollwaisen wurden, haben ihre Großeltern mütterlicherseits, Johanna Neumann geb. Kühlbrand (1816-1899) und Nehemias Neumann (?-1882), die drei weiblichen Enkel Martha, Luise und Julie in ihre Familie aufgenommen und vertraten praktisch Elternstelle. Ca. ein Jahr nach dem Tod des Großvaters (1882) zog die Großmutter mit den drei Enkelinnen nach Berlin, wohl weil dort bereits Verwandte wohnten, wo Julie die Luisenschule (besteht heute nicht mehr) in Berlin-Mitte besucht haben soll.

Nach dem Schulbesuch musste Wolfthorn, um sich im Malen fortzubilden, andere Wege als den akademischen gehen, denn bis 1919 wurden Frauen in der Berliner Kunstakademie zum Studium nicht zugelassen. Schon früh und bis 1919 beteiligte sich Wolfthorn intensiv an Aktionen, die die Zulassung von Frauen zur Berliner Akademie zum Ziel hatten. Für Wolfthorn, die mit ihren Studien um 1890 begonnen haben soll, blieb nur Privatunterricht, Auslandsstudium und Aufenthalte in Künstlerkolonien. So begann sie in Berlin wohl im Schülerinnenatelier des Malers Ernst Nelson, ein angeheirateter Vetter von Wolfthorn, ihre künstlerische Ausbildung, die sie in einem gleich­artigen Institut des Malers Curt Herrmann fortsetzte. Reisen (um 1890) nach München und Dachau sowie in Paris (1892/93 Privatakademie Colarossi, Gustave Courtois) und der nahegelegenen Künstlerkolonie Grez-sur-Loing vervollkommneten Wolfthorns Kunst. Ihre ersten Ausstellungen beschickte sie – soweit bekannt – 1894 in Berlin (Große Berliner Kunst­ausstellung) und in München (Jahresausstellung im Glaspalast). Von da an stellte Wolfthorn bis 1937 fast jedes Jahr, oft in verschiedenen Städten und auch im Ausland, aus, zumeist aber in Berlin, München und Hamburg. Ab 1897 (wohl bis 1904) arbeitete sie an der künstlerischen Ausgestaltung, auch als Gebrauchsgraphikerin, der Zeitschrift „Jugend“ mit. 1897 hielt sich Wolfthorn ein paar Wochen in der Künstlerkolonie Worpswede auf.

Wolfthorn gehörte im Laufe ihres Lebens mehreren Vereinen von Künstlerinnen, Künstlern, Literaten und Ausstellungsgemeinschaften an: von 1898 bis in die 1930er Jahre dem „Verein der Künstlerinnen zu Berlin“ (bestand ab 1867), als Gründungsmitglied von 1898 an (bis 1902) der „Berliner Secession“, dem seit 1900 in Berlin gegründeten Verein „Die Kommenden“, dem „Deutschen Lyceum-Club“ (bestand seit 1905 in Berlin), der „Verbindung Bildender Künstlerinnen Berlin-München“ (bestand ab 1905), dem „Frauenkunstverband“ (bestand ab 1913 in Mannheim und Berlin), dem „Hiddensoer (sic!) Künstlerinnenbund“ (bestand ab 1922 auf Hiddensee), dem Verein „Jüdischer Kulturbund und Jüdische Künstlerhilfe“ (bestand seit 1933 in Berlin), dem Verein „Das Kunst-Werk“ (bestand ab 1933 in Berlin) und dem „Jüdischen Frauenbund“, den es seit 1904 in Berlin gab. Oft war Wolfthorn in diesen Organisationen Mitglied des jeweiligen Vorstands. Nach „Dreßlers Kunsthandbuch“ (siehe Nachweise) soll Wolfthorn außerdem Mitglied gewesen sein in der Allgemeinen Deutschen Kunstgenossenschaft (ADK), im Deutschen Künstler­Bund (DKB), Weimar, im Künstlerinnen-Verein (KVM), München und im Reichsverband bildender Künstler Deutschlands (RvbK), Berlin.

Da die Erlöse Wolfthorns aus ihren Bilderverkäufen vor dem Ersten Weltkrieg auch trotz der Heirat ihren aufwendigen Lebensstil (viele Reisen, u.a. Venedig, Rom, Belgien und oft innerhalb Deutschlands) nicht deckten, gründete sie Ende 1903 in Berlin ein „Atelier für Mal- und Zeichenunterricht“, das wohl auch guten Zulauf hatte. Sein Bestehen dürfte zwischen 1912 und 1914 sein Ende gefunden haben.

Um ihre Person baute Wolfthorn in Berlin ein regelrechtes Netzwerk auf, zu dem Verwandte, Freunde und Bekannte gehörten. Regelmäßige Treffen (Jour fixe) waren die Folge. Zu dem Kreis gehörten u.a.: ihr Bruder mit Familie, Schwester Luise, Schwester Martha mit Mann, Cousine Olga Hempel mit Familie, Paula und Richard Dehmel, Ida Dehmel, Alice Bensheimer, Anna Muthesius, Hedwig Lachmann, Adele von Finck, Margarethe Ansorge, Oskar und Max Kruse, Gustav Landauer, weiter diverse Maler und Bildhauer, dazu etliche Neffen, Cousinen, Cousins, ferner Schriftsteller, Schauspieler und Politiker.

Aus den Jahren 1909 bis 1933 sind Aufenthalte Wolfthorns außerhalb Berlins, die wohl auch auf ihre Kunst eingewirkt haben, zu erwähnen: die mehrfachen Besuche bei ihrer Cousine Olga Hempel geb. Fajans (Ärztin) in Ferch bei Berlin – der Ort hält noch heute die Erinnerung daran wach – sowie auf Hiddensee, wahrscheinlich ab 1910 mehrfach über viele Jahre.

Die in der Zeit ab 1933 von den Nationalsozialisten erfolgende Drangsalierung, Verschleppung und Ermordung des Großteils der jüdischen Bevölkerung Deutschlands und anderer Staaten ist bekannt. Auch Wolfthorn und die mit ihr zusammenlebende Schwester Luise blieben davon nicht verschont. Mit der Deportation der Schwestern im Oktober 1942 – zunächst in ein Sammellager in Berlin – gingen der Vermögensentzug und die Wohnungsbeschlagnahme einher. Ende Oktober 1942 wurden die Schwestern nach Theresienstadt verbracht, kurz nach der Ankunft verstarb Luise Wolf, wahrscheinlich an einem Schlaganfall. Julie Wolfthorn schuf im KZ noch einige, noch heute erhaltene Bildwerke. Sie starb kurz vor ihrem 81. Geburtstag, ihre Asche wurde, wie auch die aller anderen verstorbenen und kremierten KZ-Insassen dieser Zeit, in die Eger geschüttet. In Berlin-Mitte erhielt im Jahre 2005 eine Straße ihren Namen.

Ein Werkverzeichnis, aufgestellt von Heike Carstensen in ihrem Buch (siehe Nachweise), weist 499 Werke aus, meist Porträts. Am häufigsten malte Wolfthorn in Öl, dann folgen Zeichnungen, Pastelle, Aquarelle, Lithographien, Radierungen, Holzschnitte und mischtechnisch hergestellte Werke. Etwa 100 Bilder sind in Privatbesitz, etwa 40 bei öffentlichen Institutionen, der große Rest ist verschollen.

Lit.:  Heike Carstensen, Leben und Werk der Malerin und Graphikerin Julie Wolfthorn (1864-1944). Rekonstruktion eines Künstlerinnenlebens, Tectum Verlag Marburg 2011. – Dreßlers Kunsthandbuch 9. Jahrgang, Verlag Karl Curtius Berlin 1930. – Stefanie Krentz, Havelländische Malerkolonie – Künstler am Schwielowsee um 1900, Verlag Atelier im Bauernhaus Fischerhude 2011. – Neue Photographische Gesellschaft Steglitz. Die Geschichte eines vergessenen Weltunternehmens (1897-1921), hrsg. Wilma Gütgemann-Holtz und Wolfgang Holtz, Selbstverlag Berlin 2009. – Der obige (vollständige) Text wurde veröffentlicht in „Altpreußische Biographie“ Band V, 3. Lieferung 2015, S. 2296, N. G. Elwert Verlag Marburg, ISBN 978-3-7708-1343-8.

Bild: Titelblatt der Zeitschrift „Die weite Welt“, Februar 1902.

Joachim Artz