Biographie

Woyrsch, Felix

Herkunft: Sudeten (Böhmen u. Mähren, österr. Schlesien)
Beruf: Komponist, Dirigent, Organist, Musikpädagoge, Städt. Musikdirektor
* 8. Oktober 1860 in Troppau/ Sudetenschlesien
† 20. März 1944 in Hamburg

Felix Woyrsch gehört zu den bedeutendsten deutschen Komponisten der um 1860 geborenen Generation; seine Werke wurden auch international beachtet. Große Anerkennung erwarb er sich insbesondere mit seinen drei abendfüllenden Oratorien Passions-Oratorium, Totentanz und Da Jesus auf Erden ging. Aber auch als Sinfoniker, Kammermusikkomponist und Meister der kleineren Formen wurde er sehr geschätzt.

Er war der Sohn eines aus dem Militär ausgetretenen Offiziers, der einem alten südböhmischen, ab etwa 1500 in Troppau ansässigen Adelsgeschlecht entstammte, und einer Schauspielerin. Katastrophal wirkte sich der Tod des Vaters aus, als Felix sechs Jahre alt war, denn ohne Unterstützung durch die Adelsfamilie des Vaters musste die Mutter die kleine Familie allein durchbringen; an eine planvolle Förderung des sich andeutenden musikalischen Talents des Jungen war gar nicht zu denken. Noch vor dem Stimmbruch ist Woyrsch mit seiner Mutter über Dresden nach Hamburg bzw. Altona gezogen; dies wird im Kreise seiner Nachfahren überliefert. Schon früh musste er zum Lebensunterhalt der Familie beitragen, unter anderem wohl auch auf Jahrmärkten, wo er als „Kunstpfeifer“ auftrat. Bei einer solchen Gelegenheit wurde er von dem Hamburger Komponisten und Chorleiter Heinrich Chevallier (1848-1908) entdeckt, als dieser einer Gruppe von Künstlern zuschaute, die mit ihren Musikinstrumenten Kunststücke aufführten. Chevallier war so begeistert von den musikalischen Fähigkeiten des Jungen, dass er ihm kostenlos musikalischen Unterricht erteilte. Woyrsch bekam jetzt auch Gelegenheit, bei Kirchen- und Chorkonzerten, die von Chevallier geleitet wurden, im Chor mitzuwirken. Musikalisch entwickelte sich der Heranwachsende rasch, so dass seine Mutter später schreiben konnte: „Seit seinem 16. Jahre ernährt er sich und mich mit seinem Talent und hat seinem Namen nur Ehre gemacht.“ In der Öffentlichkeit erschien der Name Woyrsch erstmals 1883 in Zusammenhang mit der Leitung des „Musikvereins von 1882“ und der Aufführung einer Ballade in a-Moll für Orchester. Sowohl als Dirigent als auch als Komponist trat Woyrsch in den folgenden Jahren nun regelmäßig im Musikleben Hamburgs und Altonas in Erscheinung.

Zunächst übernahm Woyrsch die Leitung verschiedener Chorvereinigungen, so 1884 die Leitung des „Vereins für Geistlichen und Weltlichen Chorgesang“, der „zur festlichen Ausgestaltung der Gottesdienste beitrug.“ (August Volquardsen, Woyrsch, in: Kirchliche Nachrichten für die Gemeinden der Propstei Altona 3, 1926, 28, S. 65). Im Jahre 1887 konnte sich Woyrsch nach einem Probedirigat gegen mehrere Bewerber bei der Ausschreibung als musikalischer Leiter der Altonaer Liedertafel durchsetzen. Von großer Bedeutung für das Altonaer Musikleben war 1893 die Umwandlung des „Vereins für Geistlichen und Weltlichen Chorgesang“ in den „Altonaer Kirchenchor“, als dessen Dirigent Woyrsch jetzt wöchentlich unentgeltliche Konzerte an verschiedenen Altonaer Kirchen gab und Programme mit Chor- und Orgelwerken sowie Solodarbietungen realisierte. Diese Konzerte, als deren Leiter Woyrsch fast 45 Jahre tätig war, prägten ihn in nicht unerheblichem Maße, denn es war ihm immer ein Anliegen, auch minder bemittelte Schichten der Bevölkerung an die musikalische Hochkultur heranzuführen.

Als Woyrsch schließlich 1895 als Nachfolger des damals weithin bekannten Komponisten Arnold Krug (1849-1904) die Leitung des größten und bedeutendsten Chores Altonas, der „Alto­naer Singakademie“, übernahm und zudem auch als Organist an der Altonaer Friedenskirche und später an der Altonaer St. Johanniskirche (1903-1926) tätig wurde, nahm er die führende Position im Altonaer Musikleben ein.

Altona hatte sich bis zur Jahrhundertwende zu einer beachtlichen Großstadt mit ca. 160.000 Einwohnern entwickelt. In dieser Zeit wurden in den vergleichbaren Städten Kiel und Lübeck Sinfonieorchester gegründet und regelmäßige Abonnementskonzerte angeboten. In Altona war es insbesondere Felix Woyrsch, der diese Bestrebungen aufgriff. Als sich die Chance auftat, im Neubau des Hotels Kaiserhof einen Konzertsaal zu errichten, gelang es ihm in Zusammenarbeit mit der Stadt Altona, 1903 die „Städtischen Volks-, Schüler- und Symphonie-Konzerte“ zu konstituieren. Woyrsch leitete diese Konzertreihe bis zu seiner Pensionierung 1931, ab 1914 unter dem Titel eines „Städtischen Musikdirektors“. Eine ganz besondere Ehre wurde Woyrsch zuteil, als zum 25-jährigen Bestehen der Konzertreihe alle Sinfoniekonzerte mit Werken ihres Leiters bestritten wurden.

Der bedeutende Musikschriftsteller Ferdinand Pfohl würdigt 1934 Woyrschs Wirken als Städtischer Musikdirektor von 1914 bis 1931: „In der regsamen Stadt wird Woyrsch der feste Mittelpunkt: er bedeutet ihr musikalisches Gewissen und in allen musikalischen Angelegenheiten eine oberste Instanz und Autorität.“ (Ferdinand Pfohl, Felix Woyrsch, eine Skizze seines Lebens, in: Zeitschrift für Musik 101, 1934, S. 1197).

Im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung wurde Woyrsch 1933 weitgehend aus dem Altonaer Musikleben eliminiert, vordergründig aus Altersgründen. Doch darf vermutet werden, dass der musikalische Repräsentant Altonas aus der Zeit der Weimarer Republik als nicht opportun galt für die Reorganisation des Musiklebens der Stadt. Besonders traf es Woyrsch, als ihm der Vorstand der Altonaer Singakademie den Rücktritt nahelegte. Dennoch war Woyrsch als Komponist auch im sogenannten „Dritten Reich“ durchaus umworben, wovon eine Reihe von Auszeichnungen zeugt, darunter die „Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft“ (1936) und der bedeutende „Staatliche Beethoven-Preis der Preußischen Akademie der Künste“ (1938). Bereits früher erworbene Auszeichnungen, wie die Ernennung zum Professor (1901), die Ernennung zum Mitglied der „Königlichen Akademie der Künste zu Berlin“ (1917) oder die Verleihung der „Silbernen Plakette der Stadt Altona“ (1928) verdeutlichen seinen prominenten Status im deutschen Musikleben der damaligen Zeit.

War Woyrsch schon seit 1883 als Komponist von drei Opern und zahlreichen Werken kleinerer Form hervorgetreten, so war es doch erst die Uraufführung des Passions-Oratoriums op. 45 (1899), die ihm nationale Anerkennung verschaffte. Aufführungen in etwa 50 Städten in Deutschland und enthusiastische Kritiken in der Tages- und Fachpresse katapultierten Woyrsch in die erste Reihe zeitgenössischer Komponisten. So schrieb der Rezensent Rudolf Birgfeld: „Nach der Veröffentlichung dieses Werkes zählt Woyrsch zu den bedeutendsten lebenden Tondichtern…“ (Concert, in: Hamburger Neueste Nachrichten, 7.12.1900). Mit den zwei folgenden oratorischen Werken, dem Totentanz und Da Jesus auf Erden ging entwickelte Woyrsch die Gattung Oratorium durch eine stärkere Akzentuierung des dramatischen Elements weiter. Diese Werke festigten insbesondere Woyrschs kompositorische Geltung auf dem Gebiet der Chormusik, wobei seine Oratorien gerne als deutsche Replik auf die sehr erfolgreiche britische Oratorienproduktion um Edward Elgar angesehen wurden.

Als Komponist von großformalen Instrumentalwerken wie Sinfonien oder Kammermusikschöpfungen trat Woyrsch erst relativ spät in Erscheinung. Beginnend mit der 1. Sinfonie in c-Moll von 1908 – Woyrsch war zu diesem Zeitpunkt schon 48 Jahre alt – entwickelte sich dieser Gattungszweig in den folgenden Jahren zum bevorzugten Gebiet seiner kompositorischen Tätigkeit. In den Jahren bis zu seinem Tode 1944 entstanden so sechs Sinfonien sowie fünf Streichquartette und weitere kammermusikalische Werke, die teilweise von sehr prominenten Interpreten, wie z.B. dem Aachener Generalmusikdirektor Peter Raabe oder Klangkörpern wie den Berliner Philharmonikern, uraufgeführt wurden. Diese Aufführungen dokumentieren, dass Woyrsch auch auf diesem Gebiet zu den anerkanntesten deutschen Komponisten seiner Zeit zählte.

Woyrsch gehört zur vergessenen Generation der um 1860 geborenen Komponisten in Deutschland und Österreich, von denen sich nur Richard Strauss, Gustav Mahler und mit Einschränkungen Hans Pfitzner, Max Reger und Hugo Wolf im Repertoire halten konnten. Ihnen gemein ist, dass sie bis ca. 1900 ihren spezifischen Personalstil ausgebildet hatten, der sich im Allgemeinen innerhalb des Rahmens einer romantisch-klassischen Musiktradition bewegte. Mit diesem Stil wurden sie aber nach der Urkatastrophe des Ersten Weltkriegs und der damit verbundenen Etablierung avantgardistischer Strömungen in der Wahrnehmung der musikalischen Öffentlichkeit mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt und nach ihrem Tode schnell vergessen. Bei Woyrsch kommt erschwerend hinzu, dass in dieser Zeit der musikalischen Krise der Großteil seiner gewichtigsten Werke entstand (Sinfonien, Kammermusik).

Wohl bleibt Woyrsch der klassisch-romantisch geprägten Musiksprache in einer sehr individuellen Ausprägung treu, er entzieht sich inhaltlich aber keineswegs der Auseinandersetzung mit der neuen Zeit. Als Beispiele seien genannt das Choralvorspiel Verleih uns Frieden gnädiglich (mit dem Zusatz Im Kriegsjahr 1918) und der Schlusssatz der 3. Sinfonie, bei der sich Woyrsch trotz Per-aspera-ad-astra-Thematik einer triumphalen Apotheose enthält; ein weiteres Beispiel ist der Via crucis überschriebene Mittelsatz des 6. Sinfonie, der – entstanden zu Beginn des Zweiten Weltkriegs – wie eine Vorahnung des unermesslichen Leides während des Krieges wirkt. Diese auch über seine Zeit hinausgehende Aktualität seiner Werke, verbunden mit einer gerade im Detail äußerst ideenreichen Kompositionsweise, lässt seit den 1990er Jahren das Interesse an dem schlesisch-norddeutschen Meister wieder steigen und hat auch zur Gründung der seinem Werk verpflichteten „Pfohl-Woyrsch-Gesellschaft“ geführt.

Werke (nur summarisch): 7 Sinfonien, 5 sinfonische Dichtungen und weitere Orchesterwerke, 1 Violinkonzert, 1 Klavierquintett, 1 Klaviertrio, 1 Streichsextett, 5 Streichquartette, 12 Orgelwerke, 25 Klavier­kom­positionen, 3 Opern, 3 Oratorien, 9 Chorwerke mit Orchester, 75 Chorwerke a cappella, 105 Lieder.

Lit. (nur Quellen mit ausführlichen Literaturangaben): Felix Woyrsch, Violinkonzert (Skaldische Rhapsodie) opus 50. Hrsg. von Walter F. Zielke, AlbisMusik, 2019. – Andreas Dreibrodt, Felix Woyrsch (1860-1944), in: Schlesische Lebensbilder, Bd. XI. Hrsg. von Joachim Bahlke, Verlag Degener & Co., Insingen, 2012, S. 417-432. – Marili Werle, Komponist in Altona: Felix Woyrsch (1860-1944) – biographische und schaffensgeschichtliche Aspekte. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Universität Hamburg, Hamburg 2010. – Axel Feuß (Bearb.), Felix Woyrsch (1860-1944). Komponist und Städt. Musikdirektor in Altona, Altonaer Museum in Hamburg, Norddt. Landesmuseum, in Zusammenarbeit. mit der Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Hamburg, 7. Sept. 1990 – 21. Jan. 1991, Altonaer Museum, Hamburg, 1991.

Bild: Minya Diéz-Dührkoop, Hamburg, ca. 1928.

Andreas Dreibrodt