Das Leben des oberschlesischen Komponisten Hans Zielowsky war tragisch überschattet. Geldmangel und fehlendes Verständnis für die ”brotlose Kunst” im evangelischen Elternhaus verzögerten seine fachliche Schulung; autodidaktisch versuchte er bis ins dritte Lebensjahrzehnt voranzukommen. ”In der Musik zigeunerte ich so weiter”. Als endlich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg die fachliche Schulung neben dem ”Strippen” (Spielen von Unterhaltungs- und Tanzmusik in Gasthäusern) nachgeholt war und sich unter anderem bei Rundfunkaufträgen Erfolge eingestellt hatten, ging sein Leben im Alter von 34 Jahren zu Ende.
Nach Widmungseinträgen auf einigen seiner Werke wuchs Hans Zielowsky mit seiner Schwester heran. Der Vater arbeitete zur Zeit seiner Geburt im Lazarettdienst, wenige Wochen später trat er in die Postlaufbahn ein. Er wurde nach Myslowitz, später Pleß in Oberschlesien, schließlich nach Luckau in der Niederlausitz versetzt. Die Musikalität des Knaben zeigte sich früh, so daß er einem kirchlichen Knabenchor beitrat. ”Das Singen wurde zur Leidenschaft. Die Harmonien der Orgel bewegten meiner Seele innerste Sehnsucht ins Unendliche … Gottesfürchtig erzogen, konnte es gar nicht anders sein, als daß die schönen Choräle immer mehr mein Herz entflammten”.
Der Vater erkannte mit Besorgnis, daß beim Gymnasiasten Musik mehr und mehr das Hauptinteresse, ja der Lebensinhalt wurde. So hielt er den Militärkapellmeister für ein reelles Berufsziel und sandte den Sohn ins Schlesische Konservatorium in Breslau. Da brach der Krieg aus. Der junge Soldat verlor bei einer Granatexplosion das Gehör. Feldwebel und Militärarzt hielten ihn für einen Simulanten. ”Qualvolle Wochen folgten. Wo ich ging und stand, flehte ich innerlich zu meinem Gott, dauernd war ich im Gespräch mit ihm … Wie sehr ich meinen Schöpfer lobte und ihm dankte, als ich Besserung verspürte und von Tag zu Tag die altbekannten Stimmen der Kameraden, die Kommandos und die Kanonaden immer besser hörte, das weiß nur ich”.
Nach dem Krieg erwarb Zielowsky durch ”Strippen” seinen Lebensunterhalt. In Franz Czerny, Breslau, fand er einen verständnisvollen Kompositionslehrer, bei dem sich Unterrichtsstunden nicht selten zu ganzen Nachmittagen ausdehnten. In rastlosem Arbeitseifer gelangte er zu einem Ausbildungsstand, der eine Beschäftigung als Hilfslehrer am Breslauer Konservatorium ermöglichte. Franz Czerny hatte die Abrundung der Ausbildung am Leipziger Konservatorium empfohlen, doch fehlten dazu die unumgänglichen Geldmittel. Ab 1921 unterrichtete Zielowsky am Konservatorium in Waldenburg und leitete dort einen Arbeitergesangverein. Doch 1924 ging die Anstalt wegen finanzieller Mißwirtschaft ein. Sechs Wochen spielte der Mittellose darauf Unterhaltungsmusik in einer Gaststätte der Stadt Neisse und lernte in dieser Zeit seine Geburtsstadt näher kennen. Dann erlangte er die Stelle des Pianisten in einem Breslauer Operettenorchester. Mit Energie widmete er sich in der dienstfreien Zeit seinen kompositorischen Arbeiten und erwarb allmählich einen Kreis von privaten Musikschülern. 1925 heiratete er eine begabte Sängerin. In der Verlobungszeit war seine Befähigung für das Liedschaffen voll erblüht.
Wiederholt erschütterte schwere Krankheit seine Gesundheit. Doch sobald er einigermaßen genesen war, arbeitete er wie ein Besessener. In seinem Notizbuch findet sich an versteckter Stelle die Eintragung vom Januar 1931: ”Wer früh stirbt, muß entsprechend mehr arbeiten. Der muß schneller leben, der muß das Leben viel intensiver erleben. Das Ende kommt”. Noch im selben Jahr ist Hans Zielowsky gestorben, ohne daß man die unmittelbare Todesursache erfahren hat. Noch auf dem Sterbelager arbeitete er an einer Eichendorff-Ouvertüre für Orchester. Diese sollte das hohe Lob seiner oberschlesischen Heimat singen. In seinem Tagebuch steht:
War dies Kommen, Gehen, Schwinden,
Stetes Suchen, seltnes Finden
Alles, was das Leben bot?
Einen will ich Bruder nennen,
Einem nur mein Leid bekennen,
Meine Sorgen, meine Not.
Einer nur mit Bruderhänden
Kann dem Leben sich verschwenden.
Gibst du oder nimmst du, Tod?
(Im Neisser Stadtpark)
Im Studium an der Breslauer Universität bei Gerhard Strecke erfuhr der Verfasser von diesem tragischen Komponistenschicksal. In jenen Jahren war Zielowsky bereits verstorben, doch wußte Strecke Abschriften von Kompositionen zu vermitteln. So konnte sich der junge Student ein eigenes Urteil bilden.
Vorrangige Gebiete des Schaffens von Hans Zielowsky waren Sololieder mit Klavierbegleitung, Klavier- und Kammermusik sowie Kirchenmusik, wie Peter Epstein 1930 in den Schlesischen Monatsheften urteilte. Zielowsky vertonte etwa 80 Gedichte; die Dichter gehörten dem 19. und 20. Jahrhundert an. Darunter waren (in alphabetischer Folge) Otto Julius Bierbaum, Max Dauthendey, Gustav Falke, Martin Greif, Hermann Hesse, Arno Holz, Viktor Kaluza, Eduard Möricke, Richard von Schaukal, Gustav Schüler, Julius Stern und Julius Sturm. Gesunde, sangbare Melodik wurde anfangs von einem ins Virtuose wuchernden Klaviersatz gestützt. Später lichtete dieser sich mehr und mehr zu kontrapunktischer Faktur. In seinen letzten Jahren verwendete Zielowsky stimmig geführtes Orchester als Begleitung. Durch Rundfunksendungen wurden ”Dreikönigslegende”, Maria singt” und ”Zum neuen Jahr” bekannt. Auch Zielowskys Kinderlieder auf Texte von Schaukal wurden gern ausgestrahlt (”Die Mutter Gottes” ist gedruckt inDer Oberschlesier 14, Oppeln 1932). Für Klavier verfaßte er neben Sonaten Variationen und Fuge über ”Es ist ein Schnitter, heißt der Tod”, aber auch Variationen und Rondo über das heitere Volkslied aus dem Isergebirge ”Der Gassenschlingel” sowie Charakterstücke und Tänze. Auch Klavierstücke für Kinder setzte er. Bei der Kammermusik ist neben Violin-Sonaten und einem Klaviertrio die Suite für Flöte und Klavier von 1925 hervorzuheben. Zur Kammermusik mit Orgelbegleitung steuerte er 1928 eine Kirchensonate und 1930 eine Choralsonate für Violine und Orgel bei.
Für Kirchenmusik setzte Zielowsky unter anderem 4 Weihnachtslieder für Alt und Orgel, sowie 4 Geistliche Gesänge für Alt, Flöte und Orgel, auch Chorsätze für gemischten und für Männerchor. Einer rein instrumentalen Form folgen die Variationen über das Abendmahlslied ”Mein Jesu, der du vor dem Scheiden” für Streichorchester und Orgel. Das umfänglichste Werk ist diePfingstkantate aus dem Jahr 1929. Den Text stellte er aus dem Neuen Testament zusammen, aus Briefen des Apostels Paulus sowie aus Evangelienabschnitten von Johannes und Lukas. Ferner fügte er Bearbeitungen von zwei Kirchenliedern ein, die ihm von Jugend auf kostbarer geistlicher Besitz waren. Das 25 Minuten dauernde Werk beschäftigt einen Solo-Sopran, gemischten Chor, Streichorchester und Orgel und ist in sieben Abschnitte gegliedert.
Für Zielowskys musikalische Kompositionen setzten sich der Schlesische Rundfunk, mehrere Zeitschriften und die ”Gilde schlesischer Tonsetzer” ein. Sein letzter vollendeter Auftrag für den Funk war die Hörspielmusik zu Ein Leben in Versen von Anton Schnaak. Lieder und Klavierstücke erschienen zwischen 1919 und 1931 als Beilagen in der Bergstadt, dem Oberschlesier und in denSchlesischen Monatsheften. Bei der zweiten Tagung der ”Gilde schlesischer Tonsetzer” 1935 in Neisse (nach dem Tod des Komponisten) wurden in weltlichem Rahmen Variationen und Rondo ”Der Gassenschlingel” musiziert und im Kirchenkonzert die Kirchensonate für Violine und Orgel geboten.
Mögen außer den Zeitschriften-Beilagen auch keine gedruckten Kompositionen existieren, so ist das Schaffen Hans Zielowskys doch nicht untergegangen. Von seiner Ehefrau Ruth wurde es sorgfältig gehütet und in die Bundesrepublik gebracht. 1974 übergab der Sohn von Hans und Ruth Zielowsky die Manuskripte dem Institut für Ostdeutsche Musik in Bergisch Gladbach. Dort können sie studiert und kopiert werden.
Lit.: Erich Müller: Deutsches Musiker-Lexikon, 1929, Sp. 1628. – Peter Epstein: Hans Zielowsky, in: Schlesische Monatshefte 7 (1930), S. 474-477. – Oskar Guttmann: Junge oberschlesische Komponisten auf Welle Breslau und Gleiwitz; in: Der Oberschlesier 12, Oppeln 1930, S. 689. –Hans Zielowsky: Neisser Erlebnis; in: Der Oberschlesier 14, Oppeln 1932, S. 247 – 249. Frank-Altmann: Kurzgefaßtes Künstler-Lexikon, Band 14, Regensburg 1936, S. 711. Heinrich Simbriger: Werkkatalog zeitgenössischer Komponisten aus den deutschen Ostgebieten, Eßlingen/Neckar 1955, S. 203 u. ö. – Musik in Geschichte und Gegenwart, Band 2, Kassel [u. a.] 1952, Sp. 300. – Joseph Thamm: Musikalische Chronik der Stadt Neisse, Dülmen 1974, S. 185 und 222 f. – Schlesisches Musiklexikon, Artikel H. Zielowsky (in Herst.). – Gerhard Strecke: Hans Zielowsky zum Gedächtnis, in: Der Oberschlesier 14, Oppeln 1932, S. 243 – 246.
Abb.: ”Der Gottsucher”, Lied für Gesangsstimme, Flöte oder Violine und Klavier auf ein Gedicht von Gustav Schüler von Hans Zielowsky (entstanden 1930).
Rudolf Walter