Biographie

Zimmer, Heinrich Robert

Herkunft: Pommern
Beruf: Indologe
* 6. Dezember 1890 in Greifswald
† 20. Februar 1943 in New York

Heinrich Robert Zimmer wurde am 6. Dezember 1890 in Greifswald als zweites Kind des Keltisten, Linguisten und Indologen Heinrich Friedrich Zimmer (1851-1910), Professor an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald, und seiner Ehefrau Martha Sophie, geb. Hirt (1864-1926), geboren.

Bis 1901 besuchte er die Grundschule und zwei Gymnasialklassen in Greifswald. Im Herbst zog die Familie nach Berlin, nachdem der Vater auf den neuerrichteten und gleichzeitig ersten europäischen Lehrstuhl für Keltische Philologie an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin berufen worden war. Heinrich Zimmer besuchte das Königliche Joachimsthalsche Gymnasium. Im letzten Schuljahr vor dem Reifezeugnis (Ostern 1909) interessierte er sich dank der Berliner Sammlungen europäischer Malerei des 15.-17. Jahrhunderts und den Werken des deutschen und französischen Impressionismus besonders für Kunstgeschichte. Noch unentschlossen für eine Fachrichtung, studierte er zunächst ein Semester Kunstgeschichte in München. Ab Wintersemester 1909/10 nahm er in Berlin seine Studien u.a. in Sanskritgrammatik, altgermanischen Dialekten, vergleichender Sprachwissenschaft sowie früher und mittelalterlicher Literaturgeschichte auf. Später studierte er Altindisch bei Heinrich Lüders. Mit der Dissertation Studien zur Geschichte der Gotras wurde Heinrich Zimmer am 29. April 1914 zum Dr. phil. promoviert. Von 1914-1918 leistete er Militärdienst. 1916 wurde er Leutnant der Reserve. Er konnte sich u.a. als Französisch-Dolmetscher betätigen und wurde im Abhördienst des Gardekorps, in der Auswertungstechnik, im Stab des Nachrichten-Generals und im Funkerdienst eingesetzt. Im Februar 1919 nahm er seine Studien in Berlin wieder auf: Chinesisch, Indologie, buddhistische Texte, tantrische Weisheit, Mythologie und Symbolik. Auf den 1. April wurde Heinrich Zimmer Assistent in der Orientalischen Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin. Mit dem Ergebnis der Arbeit in der Orientalischen Kommission sowie der Probelesung Die klassische Kunstdichtung der Inder erlangte er an der Universität Greifswald am 31. Juli 1920 die Habilitation und wurde Privatdozent für Indische Philologie. Ab Sommersemester 1922 nahm er einen Lehrauftrag an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg wahr, wo er am 1. Februar 1926 zum a. o. Professor für Indologie und Mythenforschung ernannt wurde.

Es ist ein seltener Zufall, daß gerade Heinrich Zimmer einen Aufsatz über Arthur Schopenhauer schrieb, der zum 100. Todestag von Schopenhauer (1788-1860) und zum 70. Geburtstag von Heinrich Zimmer (1960) in dem Heidelberger Universitätsorgan Ruperto Carola erschien (Heidelberg 1960). Zusammenfassung der Zimmerschen Darstellung über die Persönlichkeit und das Umfeld von Schopenhauer klassifiziert zugleich seinen eigenen Dualismus: „…Von Hegel läuft eine Schicksalslinie zu den entscheidenden Umbrüchen im Leben europäischer Völker seit dem (Ersten) Weltkrieg, zu Revolutionen, die unter entgegen gesetzten Vorzeichen die göttliche Allmacht des Staates, die Vergottung des souveränen Volkes als Quelle seiner Kräfte an die Spitze aller Werte stellen; eine andere Linie geht von Schopenhauer über Wagners nordischen Mythos, über Nietzsches Antichrist“… und die „Umwertung aller Werte“… zur Mythologie des 20. Jahrhunderts; und beide Linien verschlingen sich zur Hieroglyphe der Gegenwart!“

„Was in Heidelberg über hundert Jahre zuvor Joseph Görres und Friedrich Creuzer angebahnt hatten, die wissenschaftliche Erforschung der mythischen Symbolik, das brachte Heinrich Zimmer in seiner Deutung des indischen Mythos zum transparenten philosophischen Bewußtsein!“ Dieser auf einen kurzen, zusammenfassenden Satz gebrachten Umriß des Schaffens Zimmers in der Zeit seiner Lehrtätigkeit in Heidelberg von 1924 bis 1938 hat Kurt Rossmann um 70. Geburtstag Heinrich Zimmers in der oben genannten Universitätsschrift in einem kleinen Aufsatz über ihn geschrieben. Heinrich Zimmer soll zu den eigenwilligsten und zu den freiesten Geistern der Lehrenden gehört haben. Eloquent und gedanklich überströmend faszinierte seine Persönlichkeit durch seine Menschlichkeit. Er verstand es, sich bildreich mitteilen zu können, auch dort, wo ihm wohl mancher nicht gleich folgen konnte. Er ließ das Wort zum Bild werden, er setzte es ins Gegenständliche um, wandelte es aber beliebig wieder zurück in die Sprache. Als Gegenpol zu dem Mythos als „dem unergründlichen, aller Möglichkeiten volle Rätselbild des Lebens“ stellte er das bloße rationale Denken. Dieses Auf-einander-abstellen zwischen Mythos und Ratio, das sich ständig vergewissernde Suchen nach der Grenze zwischen den beiden Polen hat ihn nicht nur immer von neuem angeregt, darin sah er das Menschliche, das zwischen Freiheit und Anbindung hin und her pendelt und schließlich sich im Ewigen vereint

Heinrich Zimmer hat sich mit Carl Gustav Jung ausgetauscht, ebenso u.a. mit Karl Jaspers, Emil Nolde, Hermann Hesse, Alfred Kubin und Thomas Mann, dem er sogar den Stoff für dessen Erzählung Die vertauschten Köpfe lieferte. Ursprünglich von Johann Jakob Bachofens Erkenntnissen geleitet, gelangte er unabhängig von dem Psychologen Jung und dessen Typenlehre zu einer freien, seiner Mentalität und seiner Auffassung entsprechenden eigenen Deutungsweise der Mythologie. Der Gesamtdeutung des indischen Mythos waren zahlreiche Untersuchungen einzelner mythischer Problemkreise vorangegangen.

Am 14. Juni 1928 heiratete Heinrich Zimmer Christiane Maria Anna Katharina Pompilia Patronilla Augusta von Hofmannsthal (1902-1987), einzige Tochter des österreichischen Dichters und Schriftstellers Hugo von Hofmannsthal. Aus dieser Ehe gingen vier Söhne hervor: Christoph Heinrich Hugo (1929-1931), Andreas Peter (1930-2003), Clemens (1932-1955) und Michael Johannes (1934-2008). Ab Januar 1924 und bis zu seinem Tod hatte Heinrich Zimmer zudem eine Lebensbeziehung zu Mila Esslinger, geb. Rauch (1886-1972), mit der er drei Kinder hatte: Elisabeth Maja (1925-2008), Ernst Michael (1926-1945) und Hannes Lukas (geb. 1932). Von dieser Gemeinschaft zeugt eine äußerst umfangreiche Korrespondenz zwischen 1924 bis Ende 1941. Durch den Eintritt Amerikas in den Krieg wurde der Briefwechsel abgeschnitten. Von beiden Familien leben Nachkommen, sowohl in den USA als auch in der Schweiz.

Im Jahre 1938 wurde Heinrich Zimmer die Lehrbefugnis an der Universität Heidelberg entzogen wegen sog. „nichtarischen Versippung“. Zur Emigration gezwungen, konnte er dank der tatkräftigen Hilfe des Philosophen Raymond Klibansky und der finanziellen Garantin Ava Alice Muriel Astor mit seiner Frau Christiane und den drei Söhnen 1939 zunächst nach Oxford gehen, ein Jahr später weiter nach New York. Dort und an diversen anderen Universitäten hielt er gelegentlich Gastvorlesungen und publizierte zudem einige Werke, die in den 60er Jahren in der Schweiz ins Deutsche übertragen werden sollten. Erst Ende 1942 bekam Heinrich Zimmer – mittlerweile Henry R. Zimmer – die Zusage, ab Frühjahr 1943 für ein Jahr als Visiting Lecturer für Indische Philosophie und Religion an der Columbia University unterrichten zu können. Diese Aufgabe ließ sich nicht mehr verwirklichen, da er am 20. März 1943 an Lungenentzündung starb, erst im 53. Lebensjahr.Kurt Rossmann schreibt in seinem o. a. Aufsatz zum 70. Geburtstag von Heinrich Zimmer (1960) „Literatur und Wissenschaft haben in den letzten Jahrzehnten in Deutschland unersetzliche Verluste erlitten. Zu ihren schmerzlichsten gehört der zu frühe Tod des Indologen und Mythenforschers Heinrich Zimmer.“ Es ist reine Spekulation, wenn man bedenkt, was er noch hätte schaffen können, hätte er nach dem Krieg zurückkommen können.Hier in Deutschland, wo er ein weites Arbeitsfeld hatte und sich für seine wissenschaftliche Deutung der indischen Mythologie einsetzte und auch durchsetzte und damit schon nach kurzer Zeit seiner Lehrtätigkeit große Anerkennung fand, ist er vergessen oder völlig unbekannt geblieben.

Aber in seinem zum 100. Geburtstags von Heinrich Zimmer verfassten Artikel hält der Germanist, Philosoph und Historiker Alois M. Haas in der Neuen Zürcher Zeitung noch einmal fest, dass dieser Indologe in der „Zunft der Indologen“ ein „bewunderter Außenseiter“ war und laut Heinrich Zimmers Freund Carl Jakob Burckhardt ein Mann „von mächtiger Anlage des Geistes, fast fieberhaft rasch im Kombinieren und Assoziieren eines staunenswerten Wissens. Alles bei ihm ist weiträumig, frei“. „An dieser Charakterisierung“, fügt Alois M. Hass hinzu, wird man sich halten dürfen, denn sie gibt das an Zimmer wieder, was noch heute die Lektüre seiner Werke zu einem hohen Vergnügen macht.“

Werke: Kunstform und Yoga im indischen Kultbild, Berlin/Frankfurt 1926 – Ewiges Indien, Potsdam 1930 – Maya. Der indische Mythos, Stuttgart 1936 – Weisheit Indiens. Märchen und Sinnbilder, Darmstadt 1938 – Der Weg zum Selbst. Lehre und Leben des Heiligen Shri Ramana Maharshi aus Tiruvannamalei, Zürich 1944 – Myths and Symbols in Indian Art and Civilization, New York 1946 – Hindu medicine, Baltimore 1948 – The King and the Corpse. Tales of the Soul’s Conquest of Evil, New York 1948 – Philosophies of India, New York 1951 – The Art of Indian Asia. Its Mythology and Transformations, 2 Bde., New York 1955. – Die indische Weltmutter. Aufsätze, Frankfurt 1980.

Übersetzungen: Karman. Ein buddhistischer Legendenkranz, München 1925 – Spiel um den Elefanten. Ein Buch von indischer Natur, München 1929 – Dunbar, Sir George: Geschichte Indiens von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, München 1936 – Suzuki, Daisetz Teitaro: Die große Befreiung. Vorwort von C.G. Jung, Leipzig 1939 – Zeichen der Liebe. Wie man lieben und die Liebe dichten soll. Ein indisches Lehrbuch für Liebende und Dichter, Stuttgart 1948

Lit.: Drüll, Dagmar: Heidelberger Gelehrten-Lexikon 1803-1932, Heidelberg 1986. Rossmann Kurt: Heinrich Zimmer in „Ruperto Carola“, Jg. 1960, Bd. 28. Alois M. Haas: Heinrich Zimmers weite Perspektiven, NZZ 6.12.1990. Unveröffentlichte Briefe und Dokumente.

Ilse Gudden (1990), Überarbeitung Katharina Geiser (2010)