Biographie

Zülch, Klaus Joachim Fürchtegott

Herkunft: Ostpreußen
Beruf: Neurologe
* 11. April 1910 in Allenstein
† 2. Dezember 1988 in Berlin

Zu den der breiten Öffentlichkeit weniger bekannten Persönlichkeiten, die in Allenstein geboren und aufgewachsen sind, gehört Klaus Joachim Zülch, der in seiner Zeit einer der größten Neurologen und Neuropathologen war, indessen wohlbekannt und hochgeschätzt als hervorragender Wissenschaftler unter seinen Fachkollegen. Er kam als sechstes Kind des Oberbürgermeisters der Stadt Allenstein, Georg Zülch und seiner Ehefrau Lilly, geb. von Brincken, als dritter Sohn in diese Welt. Damit war sozusagen das Gleichgewicht zwischen den Geschwistern wieder hergestellt. Er wurde auf die Namen Klaus Joachim Fürchtegott getauft.

Seine Schulausbildung von 1916 bis 1928 erhielt Klaus Joachim in der Volksschule und dem staatlichen (humanistischen) Gymnasium in Allenstein, die er mit dem Abitur abschloss. Die vermittelten Kenntnisse in Latein und Altgriechisch waren gründlich, sie sollten sich in der Zukunft bei der Aneignung weiterer Sprachen – englisch, französisch, portugiesisch – als vorteilhaft erweisen.

Das Studium der Medizin begann er anschließend auf Wunsch des Vaters an der Philipps-Universität in Marburg a.d. Lahn, wechselte dann nach Rostock, wo er 1930 die vorklinische Ausbildung mit dem Physikum beendete. Die klinischen Semester in Wien, Heidelberg und Berlin fielen in eine Zeit, in der bekannte Koryphäen der Medizin wie August Bier, Ferdinand Sauerbruch und Walter Stöckel lehrten. An Stelle der Anfang der 1930er Jahre aus politischen Gründen abgelehnten Bewerburg für ein Stipendium in den USA erhielt Zülch ein einjähriges „Sir-Daniel-Stevenson-Stipendium“ an der schottischen Universität Aberdeen, zugeteilt bei Operationen dem jungen Professor James R. Learmonth als zweiter Assistent. Dieser war kurz vorher aus den USA zurückgekehrt, wo er seine Ausbildung als Allgemein- und Neurochirurg abgeschlossen hatte. Hier nun empfing der deutsche cand. med. entscheidende Impulse durch die Berührung mit der Neurochirurgie, die seine zukünftige Laufbahn prägten. Das Jahr war aber nicht nur außerordentlich fruchtbar in fachlicher Hinsicht, sondern blieb auch durch die persönliche Fürsorge seines schottischen Chefs in dankbarer Erinnerung seines damaligen Stipendiaten.

Nach seiner Rückkehr schloss sich das letzte klinische Semester in Berlin mit längerer Famulustätigkeit und 1935 abschließendem ärztlichem Staatsexamen an. Der nächste Schritt seiner medizinischen Laufbahn führte ihn bis 1936 als Medizinalpraktikant der neurologischen Abteilung des Wenzel-Hanke-Krankenhauses in Breslau zu dem derzeit besten deutschen Neurologen und Neurochirurgen Prof. Otfried Foerster, wo er neben der Klinik auch im angeschlossenen neurologischen Forschungsinstitut arbeitete. Seine Dissertation Über die primäre Kleinhirnrindenatrophie konnte er 1936 dort abschließen und wurde an der medizinischen Fakultät der Schlesischen Friedrich Wilhelm-Universität zu Breslau zum Dr. med. promoviert. In dankbarer Erinnerung an seine Stipendiatenzeit in Schottland hatte er die Arbeit „seinem verehrten Lehrer Prof. J.R. Learmonth“ gewidmet, der später Leibarzt des englischen Königs war. Die nächste Station für Zülch war die neurologische und neurochirurgische Abteilung mit angeschlossenem neuro-pathologischen Labor des Luitpold-Krankenhauses der Universität Würzburg, wo er für 3 Jahre ein „Rockefeller-Stipendium“ zur weiteren Ausbildung unter Prof. Schaltenbrand erhalten hatte. Hier begann seine systematische Forschung an der Klassifikation der Hirntumore, deren Ergebnisse er 1937 vorlegen konnte. Sie führte zu der langen und fruchtbaren Zusammenarbeit mit dem nachmaligen Leiter der Neurochirurgischen Klinik in Berlin, Prof. Wilhelm Tönnis. Dieser bot Zülch eine Assistentenstelle an der von ihm neu zu erbauenden Abteilung für Tumorforschung und experimentellen Neuropathologie am Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung in Berlin-Buch an, der daraufhin sein Stipendiat abbrach und nach Berlin-Buch wechselte. Hier setzte er seine Ausbildung in Neuropathologie bei den dortigen Professoren Spatz und Hallervorden fort, übernahm gleichzeitig die neue Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts als Assistent von Tönnis und führte seine Arbeit an der Klassifizierung der Hirntumoren weiter. Den Grundstock hierfür bildete das aus Würzburg überführte, von der Neurochirurgischen Universitätsklinik Berlin und anderen gleichartigen Kliniken nach Berlin-Buch eingesandte Material und die vom Pathologen Prof. Hamperl an ihn übergebene große Sammlung der Charité.

Durch die Einberufung zur Wehrmacht 1939 wurde diese Forschungstätigkeit unterbrochen, der Kriegsausbruch sah ihn als Truppenarzt in einer Panzerdivision. Nach Ende des Polenfeldzuges beurlaubte man ihn vom Dezember 1939 bis 24. April 1940, damit er seine Forschungen weiter fortsetzen konnte, so dass er zu diesem Termin an der Medizinischen Fakultät der Universität Berlin im Fach Neurologie habilitiert und zum Dozenten ernannt wurde. Die nun folgende Zeit sah ihn bis 1943 wieder als Arzt bei der Truppe an der Front der Heeresgruppe Süd im Osten. Bei seinen Einsätzen selbst mehrfach verwundet, konnte er in der Zeit seiner Wiederherstellung eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten abschließen. Im Januar 1943 erreichte ihn die Versetzung vom Kaukasus an das Hirnverletzten-Lazarett Breslau als Abteilungsarzt mit Prof. Viktor von Weizsäcker als Chef, ein Dreivierteljahr später kam der Auftrag zum Aufbau einer 300 Betten großen Durchgangs- und Sichtungsabteilung für Hirnverletzte in Branitz/ Oberschlesien, die ihm reiche Erfahrung auf dem Gebiet röntgenologischer Darstellung des Hirns mit Kontrastmethoden brachte. Wegen der sich mehr und mehr verschlechternden militärischen Lage musste die Lazarettabteilung im Februar 1945 nach Schkeuditz in Sachsen verlegt werden, wo sie schließlich von amerikanischen Truppen überrollt wurde.

Zülch war dann seit April 1945 am Luftwaffenlazarett Blankenese tätig, einem Fachlazarett für Hirn-, Rückenmarks- und Nervenverletzungen. Er konnte bei seiner jüngsten Schwester Gertrud wohnen, zu der er lebenslang ein besonders enges Verhältnis hatte. Noch vor ihrer Heirat 1939 mit Philipp F. Reemtsma hatte Zülch sie als Sekretärin an das Kaiser-Wilhelm-Institut (nach 1946 umbenannt in Max-Planck-Gesellschaft) nach Berlin-Buch geholt. Dem Institut sollte sie auch nach ihrer Eheschließung und der Aufgabe ihrer Stellung verbunden bleiben. Im Jahre 1964 wurde sie offiziell förderndes Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft und finanzierte jährlich einen Assistenten der Abteilung ihres Bruders. Ein Teil ihres Vermögens ging nach ihrem Tod (20. Januar 1996) in die Gertrud-Reemtsma-Stiftung und den Zülch-Preis ein.

Das Blankeneser Lazarett lösten die Engländer im Februar 1946 auf. Zülch wurde aus dem Militärdienst entlassen und arbeitete wissenschaftlich weiter als Gastprofessor an der Neurologischen Klinik in Hamburg-Eppendorf.

In dieser Zeit lernte Zülch seine spätere Ehefrau Marie-Luise Neven kennen, die das im Kriege begonnene Medizinstudium nach dem Zusammenbruch nun in Hamburg abzuschließen gedachte. Sie war in Schleswig als einzige Tochter des Veterinäroffiziers Neven geboren und durch die Versetzungen des Vaters in Hamburg ansässig geworden.

Am 7. Januar 1947 heirateten beide standesamtlich in Hamburg-Flottbek, zwei Tage später kirchlich in der Lüneburger Heide. Aus der Ehe gingen zwei Töchter (Anne-Katharina,
* 24. Dezember 1947, Hamburg; Christiane Maria, * 24. Februar 1949, Hamburg) und ein Sohn (Johann-Christoph, * 8. Oktober 1954, Köln) hervor.

Nach Zülchs Umhabilitierung (1948) von Berlin an die Medizinische Fakultät der Universität Hamburg erfolgte dort 1949 die Ernennung zum außerordentlichen Professor für Neurologie. Parallel zu seiner Tätigkeit in Hamburg konnte er seine Mitarbeit am wieder eröffneten Institut für Hirnforschung in Bochum-Langendreer (ab 1951 Köln-Lindenthal) einbringen. Nach seiner Wahl zum wissenschaftlichen Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft (1951), ernannte man ihn zum Leiter der neuen Abteilung für allgemeine Neurologie in Köln-Lindenthal. Mit der Umhabilitierung von Hamburg zur Universität Köln erhielt er am 23. Juli 1952 auch die Ernennung zum außerordentlichen Professor an der dortigen Universität

Die Stadt Köln hatte im Neubau ihres Krankenhauses Köln-Merheim am 30. Januar 1959 eine neurologische Abteilung mit 17 Betten eröffnet, deren Direktor Zülch wurde. Er vergrößerte sie bald auf 60 Betten. Die auf gleichem Gelände seit 1951 bestehende Abteilung für Allgemeine Neurologie des Max-Planck-Institutes für Hirnforschung konnte zur selben Zeit ihr eigenes Gebäude einweihen, so dass ab 1. Februar 1959 klinische und wissenschaftliche Tätigkeiten beider Institutionen unter Zülchs Doppelfunktion geradezu ideal korrelierten. Hier konnte er seine Vorstellungen zu einer „neuen, multidisziplinären, grundlagenwissenschaftlich ausgerichteten, experimentell orientierten klinischen Forschung auf dem Gebiet der Neurologie“ (A. Henning) verwirklichen. Das wissenschaftliche Ansehen des Institutes wuchs weit über die Grenzen des eigenen Landes hinaus.

Auch nach seiner Emeritierung am 1. Mai 1978 setzte Zülch seine wissenschaftliche Arbeit fort und hielt, wie schon in den Jahrzehnten zuvor, Vorlesungen, Referate, Vorträge im In- und Ausland, nunmehr aber befreit von Routinepflichten.

Wie anfangs bemerkt, sprach Zülch fließend englisch, französisch und portugiesisch, seine Begabung ließ ihn vor und während längerer Auslandsaufenthalte die jeweilige Landessprache verstehen und lesen können – eine Gabe, die ihm die Kommunikation in internationalen Symposien und Fachtagungen ungemein erleichterte und zu vielfachen wissenschaftlichen und persönlichen Verbindungen führten.

Der Ertrag seines Forscherlebens schlug sich in einer langen Liste von an die 600 Veröffentlichungen nieder (die unter anderem auch Grundlage der Klassifikation der Hirntumoren der WHO waren); er war Autor und Herausgeber von 30 Büchern und Verfasser von 20 Beiträgen in Sammelbänden. Von der nationalen wie internationalen Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen zeugen unter anderen die 15 Ehrenmitgliedschaften in nationalen und internationalen Gesellschaften, die Verleihung der Erb-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, der Otfried-Foerster-Medaille der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie, die Ehrendoktorwürde der Universität Mainz und des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse.

Für Forschung und Wissenschaft zu leben, ist nicht allein eine Frage der Begabung und des Könnens, sondern in vieler Hinsicht auch die Hingabe an die selbstgestellte Aufgabe und ihr Ziel. Sie fordert den ganzen Menschen. Dieser Maxime hat Klaus Joachim Zülch im besten Sinne gelebt.

Quellen: Kürschners Dt. Gel. Kal. 15, 1987, S. 5291-5292. – Wer ist wer? 25, 1985, S. 1392. – Wikipedia, Die freie Enzyklopädie: Klaus-Joachim Zülch. – Annegret Lucie Henning, Klaus Joachim Zülch. Sein Leben. Sein Werk, Werkverzeichnis, Med. Diss. Lübeck 2004. – Kl. J. Zülch (Neffe), mdl. Mitt. v. 12.10.2009.

Bild: Archiv der Kulturstiftung.

Ernst Vogelsang