Biographie

Zweig, Arnold

Herkunft: Schlesien (Ober- u. Niederschlesien)
Beruf: Schriftsteller
* 10. November 1887 in Groß-Glogau/Schlesien
† 26. November 1968 in Berlin

Der „preußische Jude Arnold Zweig“ (Marcel Reich-Ranicki) wurde am 10. November 1887 in Glogau/Niederschlesien als Sohn des Sattlermeisters und Getreidehändlers Adolf Zweig und seiner Ehefrau Bianca von Spandow geboren. Im Jahr 1896 zog die Familie Zweig, nach dem Niedergang des Getreidehandels, nach Kattowitz/Oberschlesien, wo Arnold Zweig 1907, nachdem er ein Jahr ausgesetzt hatte, um eine Buchhändlerlehre zu beenden, das Abitur bestand und zum Studium nach Breslau, München, Göttingen, Rostock und Berlin ging. Hier belegte er nicht nur die Fächer Germanistik, neuere Sprachen, Philosophie, Psychologie, Kunstgeschichte, sondern auch Nationalökonomie. Während des Studiums, das sich über sieben Jahre zog, ohne dass die geplante Dissertation beendet worden wäre, las er die Schriften dreier Autoren, die ihn stark beeinflussten: Friedrich Nietzsches (1844-1900), Max Schelers (1874-1928) und vor allem des aus dem orthodoxen Ostjudentum stammenden Religionsphilosophen Martin Buber (1878-1965).

Außerdem begann er zu schreiben; sein drittes Prosabuch Novellen um Claudia erschien 1912, für sein zweites TheaterstückRitualmord in Ungarn (1914) bekam er 1915 den angesehenenKleist-Preis verliehen. Am 24. April 1915 wurde er zu einer Armierungskompanie nach Küstrin/Oder eingezogen und im August zum „Landsturmmann“ befördert. Erste Einsätze waren in Ungarn und Serbien, dann an der Westfront in Lille und bis 1917 vor Verdun. Mitten im Krieg heiratete er in Berlin, während vierer Tage Fronturlaub, am 5. Juli 1916 seine Base Beatrice, eine Malerin, die ihm 1920 und 1924 die Söhne Michael und Adam schenkte.

Zunehmend entsetzt war er über die Behandlung der Juden in den kaiserlichen Armeen Deutschlands und Österreichs, was sich noch steigern sollte, als das Kriegsministerium in Berlin am 16. Oktober 1916 eine Judenzählung (Arnold Zweig) in der Armee ankündigte. Bitter beschwerte er sich über solche Aktionen, die seine Neigungen zum Pazifismus und Zionismus verstärkten, in Briefen an Martin Buber. Seit 1916 setzte er sich auch mit den anarchistischen und pazifistischen Schriften des jüdischen Sozialisten Gustav Landauer (1870-1919) auseinander, der am 2. Mai 1919 wegen der Beteiligung an der Münchner Räterepublik im Zuchthaus Stadelheim ermordet werden sollte. Die Spuren, die dieses Studium in seinem literarischen und essayistischen Werk legte, sind unübersehbar, noch 1949 veröffentlichte er einen Aufsatz über Gustav Landauer.

Im Frühjahr 1917 schließlich, als ihn der Stellungskrieg an der Westfront zermürbt hatte, wurde er in die Presse-Abteilung des Oberbefehlshabers Ober-Ost berufen, wo er im polnischen Białystok und im litauischen Kaunas stationiert war. Wegen des Februaraufstands in St. Petersburg, dem dann die Oktoberrevolution folgte, herrschte Waffenruhe an der Ostfront. Hier begegnete er auf seinen Dienstreisen dem Ostjudentum, wie nach dem Krieg auch der deutsch-jüdische Schriftsteller Alfred Döblin (1878-1957) aus Stettin, was seine Hinwendung zu zionistischen Positionen verstärkte – seine Nachkriegsaufsätze wie Das ostjüdische Antlitz (1920) bezeugen es.

Am 9. November 1918, als in Berlin die Monarchie gestürzt wurde, war er noch Soldat in Kaunas und gewillt, im revolutionärenSoldatenrat von Wilna mitzuarbeiten, musste aber dort erfahren, dass Juden unerwünscht seien. So fuhr er im Dezember 1918 zurück nach Berlin, verfiel in heftige Depressionen wegen des erlittenen Kriegstraumas, ein Zustand, der erst nach sieben Jahren überwunden war, als er 1925 am Grischa-Roman arbeitete.

Im Sommer 1919 aber studierte er noch ein Semester in Tübingen, bewohnte dann allein ein Zimmer am Starnberger See und lebte von den kärglichen Honoraren, die er als Mitarbeiter jüdischer Zeitungen und Zeitschriften verdiente. Bereits vier Jahre später aber, noch vor dem Hitler-Putsch am 9. November 1923, verließ er, durch anonyme Drohungen und Schmähschriften beunruhigt, Bayern wieder, ging zurück in die Reichshauptstadt zu Frau und Kind und wurde Redakteur der zionistischen ZeitschriftJüdische Rundschau. Im Mai 1925 schon schied er aus der Redaktion aus, als er den Plan gefasst hatte, das noch unaufgeführteGrischa-Stück zu einem Roman umzuarbeiten. Es wurde schließlich eine sechsbändige Romanfolge über den Ersten Weltkrieg, die als Grischa-Zyklus bekannt wurde und deren letzter BandDie Zeit ist reif, erst 1957 erscheinen sollte.

Am 14. März 1933 floh Zweig, nachdem er noch 1929 Vorsitzender des Schutzverbands Deutscher Schriftsteller geworden war, aus dem nationalsozialistischen Deutschland über Prag, Wien, die Schweiz nach Sanary-sur-mer, einem Fischerdorf in Südfrankreich, einem Zentrum deutscher Exilschriftsteller auf der Flucht nach Übersee, und am 15. Dezember 1933 von Marseille nach Haifa/Palästina; drei Jahre später wurde ihm von den Nationalsozialisten die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen (1936). In Palästina, wo er 1942/43 Mitherausgeber der Exilzeitschrift Orient war, fühlte er sich fremd, ausgegrenzt wie alle deutschen Juden, dieJeckes, zumal er sich weigerte, fast erblindet, wie er war, die hebräische Sprache zu erlernen. Immerhin erschien sein außerhalb des Grischa-Zyklus geschriebener Roman Das Beil von Wandsbek über die Anpassung der Durchschnittsdeutschen an den NS-Alltag zunächst in hebräischer Sprache (1943), in der deutschen Erstausgabe erst drei Jahre später (Stockholm 1946).

Über Prag kehrte Arnold Zweig 1948 nach Berlin zurück, nahm als bekennender Sozialist Wohnung im Ostsektor, wurde nach DDR-Gründung am 7. Oktober 1949 Abgeordneter der Volkskammer (1949-1967), bekam 1950 den DDR-Nationalpreis verliehen und 1952 die Ehrendoktorwürde der Karl-Marx-Universität in Leipzig. In der Nachfolge Heinrich Manns (1871-1950) wirkte er drei Jahre als Präsident der Akademie der Künste und wurde 1957, in der Nachfolge Bertolt Brechts (1898-1956), Präsident des Deutschen PEN-Zentrum Ost und West. In Moskau bekam er 1958 den „Internationalen Lenin-Friedenspreis“ zugesprochen, den Professorentitel erhielt er 1962; der Grischa-Roman wurde 1968 von der DEFA verfilmt. Arnold Zweig verstarb, alt und müde geworden, am 26. November 1968 in Ostberlin.

Mit den vier ersten Romanen seines schließlich sechsbändigen, nie abgeschlossenenGrischa-Zyklus hat Arnold Zweig einen deutschen Beitrag zur Weltliteratur geleistet, ohne dass er freilich jemals einen internationalen oder auch nur einen westdeutschen Literaturpreis dafür bekommen hätte. Weil er sich 1948 politisch für die Sowjetzone entschieden hatte, wurde er als überragender Schriftsteller der Weimarer Zeit und der deutschen Emigration nach 1933, ähnlich wie Anna Seghers (1900-1983), die 1950 nach Ostberlin übergesiedelt war, nicht mehr wahrgenommen! Seine Erzählungen und Romane blieben in westdeutschen Verlagen ungedruckt oder wurden nicht gelesen, und unbeachtet von der Literaturwissenschaft bis zu Marcel Reich-Ranickis Essay Der preußische Jude Arnold Zweig (1963), der aber folgenlos blieb. Erst in den Jahren nach 1981 begannen die Romane und Erzählungen in Taschenbuch-Ausgaben zu erscheinen.

Trotz des Titels Novellen um Claudia (1912) ist der vierte Prosaband Arnold Zweigs, nach der Erzählung Vorfrühling (1909), denAufzeichnungen einer Familie Klopfer (1911) und der Erzählung Kleiner Held (1912), eindeutig ein Roman, der noch ganz dem um die Jahrhundertwende verbreiteten Ästhetizismus verpflichtet ist. In sieben, um eine „unerhörte Begebenheit“ (Goethe) konzentrierten Kapiteln werden die Stationen eines Liebesverhältnisses zwischen der schönen, klugen und reichen Claudia Eggeling und dem hochbegabten, aber unvermögenden Privatdozenten Walter Rohme zwei Jahre vor Kriegsbeginn und sechs Jahre vor dem Untergang des Kaiserreiches ausgebreitet. Der Autor ist nicht nur belesen in zeitgenössischer Literatur, sondern weiß auch mit der Psychoanalyse Siegmund Freuds (1856-1939), mit dem er später befreundet sein und am 21. März 1927 einen Briefwechsel zu führen beginnen wird, umzugehen. In allen sieben, aus wechselnden Perspektiven erzählten Novellen wird der Liebesprozess zum Erkenntnisprozess, zu einer Folge von Bekenntnissen der Liebenden voreinander, wodurch die gesellschaftlichen Mauern, die zwischen ihnen aufgerichtet sind, niedergerissen werden.

Der Streit um den Sergeanten Grischa, Arnold Zweigs berühmtester Roman, wurde 1927 in derFrankfurter Zeitung vorabgedruckt und erschien 1928 in der Buchfassung. Schon 1917 konzipiert und 1921 als Drama Das Spiel um den Sergeanten Grischa (Berliner Uraufführung 1930) niedergeschrieben, war eigentlich als Mittelstück einer Trilogie des Übergangs gedacht, wurde dann aber der erste Band eines sechsbändigen Romanzyklus, dem der Autor selbst den Titel gab: Der große Krieg der weißen Männer. Zwei Bände davon erschienen noch in der Weimarer Republik, zwei weitere während der Emigration und die beiden letzten in Ostberlin. Der Zyklus blieb unvollendet, am siebten Band Das Eis bricht (1969, Fragment) hat Arnold Zweig bis zuletzt gearbeitet.

Die Handlung des ersten Bandes entsteht aus einem novellistischen Kern, einer lebensbedrohenden Konfliktsituation zwischen Individuum und Staat, dargestellt an einem russischen Kriegsgefangenen an der Ostfront: Der Sergeant Jurij Iljitsch Prapotkin flieht, von unbändigem Heimweh getrieben, aus einem deutschen Gefangenenlager weit hinter der Front und stößt in den dichten Wäldern Polens auf eine Partisanengruppe, die unter dem Befehl einer Frau steht. Babka und Grischa verlieben sich ineinander, sie bringt ihm die Uniform eines gefallenen Kameraden und rät ihm, sollte er noch einmal in deutsche Gefangenschaft geraten, sich unter falschem Namen als Überläufer auszugeben. Was er nicht weiß, ist, dass sich übergelaufene Feindsoldaten nach deutschem Kriegsrecht binnen dreier Tage zu stellen haben, nicht aber, wie in diesem Fall, erst nach mehreren Wochen. Als Grischa als vermeintlicher Spion von einem deutschen Kriegsgericht zum Tod durch Erschießen verurteilt wird, enthüllt er seine wahre Identität, die von der Justizabteilung der Division Lychow überprüft wird. Durch einen Zufall aber erfährt Generalmajor Schlieffenzahn, in dem unschwer General Erich Ludendorff (1865-1937) zu erkennen ist, von diesem Vorfall, zieht den Fall an sich, wobei er sich in die preußisch-deutsche Militärgerichtsbarkeit einmischt, und befiehlt, auch wegen der wachsenden Kriegsmüdigkeit bei den eigenen Soldaten, den russischen Gefangenen zu überstellen und zu erschießen. Hieraus entwickelt sich ein über Monate andauernder Streit um den Sergeanten, weil General von Lychow, in seinem preußischen Rechtsbewusstsein verletzt, die Auslieferung verweigert. Bei einer Aussprache der beiden Kontrahenten aber erfährt Lychow, dass Schlieffenzahn bereits gehandelt und die Erschießung angeordnet hat, die einen Tag später vollstreckt wird.

Mit diesem Justizmord an einem russischen Soldaten führte der„preußische Jude“ Arnold Zweig den im Ersten Weltkrieg aufbrechenden Konflikt zwischen den Trägern altpreußischer Tugenden, ihrer „politischen Theologie“ (Arnold Zweig), und den kaltblütigen und rücksichtslosen Vertretern des preußischen Imperialismus, denen der Einzelmensch nichts gilt, vor. Die Allianz zwischen altpreußischen Militärs und jüdischen Intellektuellen im Heer steht für einen Humanismus, der antiquiert erscheint.

Während der erste Roman im dritten Kriegsjahr, wenige Monate vor dem Ausbruch der Russischen Oktoberrevolution 1917 spielt, ging Arnold Zweig mit dem zweitenJunge Frau von 1914 (1931) zurück in die Jahre 1914/16. Hier erkennt man deutlich die gewaltige Aufgabe, die sich der jüdische, von Preußen Abschied nehmende Schriftsteller mit seinem Kriegsepos gestellt hat: Kernroman ist Der Streit um den Sergeanten Grischa mit dem Kriegsgeschehen von 1917, um den herum der Erste Weltkrieg in Beginn, Verlauf und Ende aus gesellschaftskritischer Perspektive mit literarisch überzeugenden Mitteln eingefangen wird. Noch im sechsten, dem letzten Roman des Zyklus Die Zeit ist reif (1957) wird das Vorkriegsjahr 1913/14 beschworen.

Im zweiten Band geht es um den jüdischen Schriftsteller Werner Bertin, der, wie Arnold Zweig auch, im Oktober 1915 als Armierungssoldat nach Küstrin/Neumark einberufen wird, und um seine Verlobte Lenore Wahl, Tochter eines jüdischen Bankiers und Studentin an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin. Während der künftige Schwiegervater durch seine geschäftlichen Verbindungen den Munitionsbedarf der kaiserlichen Armee deckt, fährt Lenore, so oft es ihr möglich ist, von Berlin nach Küstrin, was nicht ohne Folgen bleibt: Sie wird schwanger! Da eine uneheliche Geburt als unauslöschbare Schande gilt, wird das Kind abgetrieben. Als Lenores Vater vom Plan preußischer Generäle erfährt, die jüdischen Einwohner großer Etappenstädte an der Ostfront festzunehmen und sie gegen ihren Willen auf neutralen Schiffen in die Vereinigten Staaten abzuschieben, gerät sein Weltbild ins Wanken, weshalb er auch gegen die Ehe seiner Tochter mit dem nicht standesgemäßen Schriftsteller Werner Bertin keine Einwände mehr vorzubringen hat. Die Hochzeit findet, wie bei Arnold Zweig, im Juli 1916 statt.

Mit dem dritten Roman Erziehung vor Verdun (1935) widerlegte der Autor die Kriegslügen, wie sie in der kriegsverherrlichenden Literatur der Weimarer Republik gepflegt wurden. Gemeint waren der Roman In Stahlgewittern (1920) Ernst Jüngers (1895-1998), Werner Beumelburgs (1899-1963) Roman Gruppe Bosemüller (1930), die Kriegslyrik Karl Brögers (1896-1944) und die Romane Karl Schauweckers (1890-1964). Es gab aber auch eine gegen den Krieg gerichtete Literatur, deren wichtigste Vertreter Erich Maria Remarque (1898-1970) mit dem Roman Im Westen nichts Neues (1928) und Ludwig Renn (1889-1979) mit dem Roman Krieg (1928) waren. In diese Gruppe gehörte auch Arnold Zweig, der diesem Kriegsmythos den Kriegsalltag an der Westfront gegenüber stellte und dadurch die Legenden vom Heldentod zerstörte. In einem breit angelegten Gesellschaftspanorama schilderte er die bitteren Erfahrungen des Intellektuellen Werner Bertin, der„vor Verdun erzogen“ wird und nach einem Ausweg sucht.

Im vierten Band Einsetzung eines Königs (1937) werden die letzten Kriegsmonate von Februar bis Oktober 1918 beschrieben. Es geht um die Installierung eines Königshauses in Litauen, das 1917 aus dem Zarenreich ausgeschieden war, nachdem es mit der dritten Polnischen Teilung 1795 Russland angegliedert worden war. Jetzt sollte ein litauischer König als Midaugas II. mit seinem Land ein monarchistisches Bollwerk bilden, um die revolutionären Auswirkungen der Oktoberrevolution einzudämmen. In Wirklichkeit aber sollte Litauen durch wirtschaftliche Verflechtungen Satellit des Deutschen Reiches werden.

Der fünfte Roman Die Feuerpause(1954) schließt zeitlich an den ersten von 1927 an und umfasst die Zeit von November 1917 bis Januar 1918. Er wurde schon 1930, vor der Emigration, begonnen und 1952/53 beendet. In der Rahmenhandlung werden die Reaktionen der kriegsmüden Soldaten an der Ostfront auf das Friedensangebot des revolutionären Russland geschildert. Werner Bertin ist inzwischen Stabsschreiber des Generals von Lychow geworden und hat sich immer stärker sozialdemokratischen Positionen angenähert. Die Feuerpause im Winter 1917/18 gibt ihm Gelegenheit, seine Kriegserlebnisse zu reflektieren. Er gewinnt den Unteroffizier Woldemar Greulich zum Freund, im Zivilberuf Lehrer, politisch überzeugter Sozialist. Beide kennen den Soldaten Hein Jürgens, der 1916 vor ein Kriegsgericht gestellt wurde, weil er sich geweigert hatte, zwölf Stunden am Tag Munition zu entladen. Werner Bertin hat ihn damals verteidigt und erreicht, dass er in einer Gefangenenkompanie zum Ernteeinsatz geschickt wurde. Auch der sozialdemokratische Soldat Ignaz Naumann, der der russischen Verhandlungsdelegation gedankt hatte, deshalb von einem Unteroffizier niedergeschlagen worden war und als Landesverräter vor ein Kriegsgericht gestellt werden soll, wird von Werner Bertin verteidigt. Im Lazarett erfährt er von den meuternden Matrosen in Wilhelmshaven und vom Aufstand der Kieler Matrosen, die das nahe Kriegsende ankündigen.

Während der Arbeit am Grischa-Zyklus hat Arnold Zweig noch drei weitere Romane geschrieben wie Versunkene Tage (1938) undTraum ist teuer (1962), der dritte Das Beil von Wandsbek (1943) ist zweifellos der bedeutendste. Die Romanhandlung von 1937/38 beruhte auf einem authentischen Vorfall, den der Autor in der PragerDeutschen Volkszeitung vom 18. April 1937 gelesen hat. Berichtet wurde dort von einem Hamburger Schlachtermeister und SS-Mann, der vom Gericht den Auftrag bekommt, vier Kommunisten zu köpfen, mit dem Blutgeld möchte er sein Geschäft sanieren. Aber die insgeheim vollzogene Exekution wird öffentlich bekannt, die Kunden bleiben weg im Laden, der Schlachter begeht Selbstmord. Aber den breiten Widerstand, den diese Zeitungsmeldung suggerierte, gab es nicht in Deutschland. Das war Wunschdenken deutscher Emigranten, wie Hans-Albert Walter 1985 in einem Aufsatz nachgewiesen hat. Die Kunden blieben nicht aus politischer Opposition und Solidarität mit den Opfern fern, sondern weil sie argwöhnten, das Mordbeil könnte auch weiterhin in der Schlachterei Verwendung finden.

Bei Arnold Zweig heißt der Schlachtermeister aus Hamburg-Wandsbek Albert Teetjen, dessen Geschäft wegen der wachsenden Konkurrenz der Warenhäuser kaum noch Umsätze macht. Also nimmt er das Angebot der Hamburger Justizbehörden und der Gauleitung an, das ihm ein befreundeter Reeder, ein Kamerad aus dem Krieg 1914/18, vermittelt. Die Köpfe der vier Verurteilten des Reeperbahnprozesses sollten abgeschlagen sein, so der Auftrag, bevor der Führer in Hamburg die Grundsteinlegung für die neue Elbehochbrücke vornimmt. Als die Ärztin Käte Neumeier, die einen der Todeskandidaten kennt und die aus dienstlichen Gründen der Hinrichtung beiwohnen musste, bei einem Ausflug nach Hamburg-Stellingen den Mann wieder erkennt, der hinter der Henkersmaske verborgen war, geht die Nachricht von Mund zu Mund. In ihrer Verzweiflung begeht Stine Teetjen, die Ehefrau, Selbstmord, ihr Mann folgt ihr in den Tod.

Arnold Zweig hat in diesem, 1951 von der DEFA in Potsdam-Babelsberg verfilmten Roman, ein breites Panorama der sozialen Schichten in Hamburg, zwei Jahre vor Kriegsbeginn 1939, ausgefaltet. Diese schriftstellerische Leistung ist der von Anna Seghers mit ihrem RomanDas siebte Kreuz (1942) vergleichbar. Beide Romane zeigen, wie Durchschnittsbürger auf Diktaturen reagieren, ohne dass ihre Verfasser über entsprechende Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Alltag verfügten.

Arnold Zweig gehörte wie Ludwig Renn und Friedrich Wolf (1888-1953), wie Bertolt Brecht (1898-1956) und Anna Seghers (1900-1983) sowie ein Dutzend weiterer Autoren zu den linken Intellektuellen der Weimarer Republik und des Exils, die nach dem Kriegende 1945 heimatlos geworden waren, sofern sie auf eine deutsche Einheitsrepublik mit wachem Geistesleben und ehrlicher Aufarbeitung der Jahre 1933/45 gehofft hatten. Die Entscheidung, in die Sowjetzone oder, nach dem 7. Oktober 1949, in die DDR überzusiedeln, war eine Notlösung, von außerliterarischen Faktoren bestimmt, auch wenn offiziell andere Positionen bezogen wurden. Der neue Staat bot diesen von den demütigenden Exiljahren erschöpften Schriftstellern, die schon vor 1933 berühmt gewesen waren, nicht nur materielle Sicherheit und damit Ruhe zu schöpferischer Arbeit, sondern jetzt wurden auch ihre in der Emigration geschriebenen Werke, die nur ein spärliches Lesepublikum erreicht hatten, in hohen Auflagen gedruckt und durch Gesamtausgaben gewürdigt. Der neue Staat lockte auch mit Literatur- und Staatspreisen, die mit hohen Geldzuwendungen verbunden waren, mit Ehrentiteln und Vorstandsposten. Als Preis dafür wurde Unterwerfung eingefordert, das Bekenntnis zum realen Sozialismus, später zum Mauerbau und zur Niederkämpfung von Freiheitsbewegungen wie dem Prager Frühling, wodurch der Status des geistig unabhängigen Autors zusehends verloren ging.

Ein tschechoslowakisches Flugzeug brachte Arnold Zweig am 15. Juni 1948 über Zypern, Athen und Rom ins inzwischen kommunistisch gewordene Prag. Die Hoffnung, in England Aufnahme zu finden, zerschlug sich, da kein Einreisevisum gewährt wurde. Der deutschsprachige Schriftsteller Louis Fürnberg (1909-1957) aus Iglau/Mähren, der 1954 nach Weimar übersiedeln sollte, nahm sich des nun halbwegs Heimgekehrten an, nach diesen bitteren Jahren der„palästinensischen Dürre“ (Arnold Zweig), der aber noch immer zögerte, wo er sich niederlassen sollte, darin Anna Seghers ähnlich, die 1947 über Stockholm nach Westberlin gekommen war und erst 1950 nach Ostberlin gehen sollte.

Im September 1948 erreichte den Verfasser des Grischa-Zykluseine Einladung des am 13. Juni 1945 in Ostberlin gegründetenKulturbunds zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, unterschrieben vom Autorenkollegen Johannes R. Becher (1891-1958), dem späteren DDR-Kulturminister 1954/58, der schon 1945/46 versucht hatte, den schlesischen Dichter Gerhart Hauptmann (1862-1946) für den neuen Staat zu gewinnen. Am 15. Oktober 1948 reiste Arnold Zweig, während seine Frau Beatrice, die heftige Bedenken hatte und unter Depressionen litt, erst im Dezember nachkam.

Nur zehn Tage wollte Arnold Zweig bleiben, daraus wurden dann zwei Jahrzehnte. Aber noch bis in den Spätsommer 1949 hinein schwankte er, ob er die Wohnung in Haifa nicht beibehalten und die kalten Wintermonate dort verbringen sollte. Im Sommer 1949 bot ihm die russische Besatzungsmacht ein Haus mit acht Zimmern neben dem Schloss Niederschönhausen an, im Frühjahr 1950 bezog er die eigentlich für Heinrich Mann (1871-1950), der zum Präsidenten der Akademie der Künste berufen worden, aber am 12. März in Kalifornien gestorben war, gedacht gewesene Dienstwohnung in Berlin-Niederschönhausen. Nun wurde, am 25. März, Arnold Zweig Präsident und blieb es bis 1953. Die Auszeichnungen und Ehrungen häuften sich jetzt, wie Anna Seghers wurde er zum „Staatsdichter“, dem öffentliche Erklärungen und Lobreden abverlangt wurden. In der DDR-Literaturgeschichtsschreibung und in Autorenlexika wurde sein Bild geschönt, sein Zögern, von Haifa nach Ostberlin überzusiedeln, unerwähnt gelassen und seine Romane zu Vorläufern einer entstehenden DDR-Literatur erklärt. Im zweiten Band des Lexikons deutschsprachiger Schriftsteller (Leipzig 1974) konnte man über ihn lesen: „ Z. durchlief als ein die gesellschaftliche Wirklichkeit und Wahrheit unseres Jahrhunderts aufspürender bürgerlicher Intellektueller mehrere Entwicklungsstufen, ehe er sich zur Arbeiterklasse und ihrer welthistorischen Mission bekannte.“ Und später hieß es über ihn, „der selbst diesen schweren, von der revolutionären Arbeiterklasse gewiesenen Weg ging“.

Weitere Werke:

Prosa: De Vriendt kehrt heim. Roman, Berlin 1932. – Versunkene Tage. Roman, Amsterdam 1938. – Die Feuerpause. Roman, Ost-Berlin 1954. – Die Zeit ist reif. Roman, Ost-Berlin 1957. – Traum ist teuer. Roman, Ost-Berlin 1962. – Das Eis bricht. Romanfragment, Ost-Berlin 1969. – Aufzeichnungen über eine Familie Klopfer. Erzählungen, München 1911. – Gerufene Schatten. Erzählungen, Berlin 1923. – Frühe Fährten. Ausgewählte Novellen, Berlin 1925. – Regenbogen. Erzählungen, Berlin 1925. – Der Spiegel des großen Kaisers. Novelle, Potsdam 1926. – Pont und Anna. Erzählung, Potsdam 1928. – Knaben und Männer. Erzählungen, Berlin 1931. – Mädchen und Frauen. Erzählungen, Berlin 1931. – Spielzeug der Zeit. Erzählungen, Amsterdam 1933. – Der Elfenbeinfächer. Ausgewählte Novellen, Band 1, Ost-Berlin 1952. – Der Regenbogen. Ausgewählte Novellen, Band 2, Ost-Berlin 1955. – Novellen, zwei Bände, Ost-Berlin 1961. – Furchen der Zeit. Ausgewählte Geschichten, Ost-Berlin und Weimar 1972. – Was der Mensch braucht. Erzählungen, Leipzig 1987. – Ein bisschen Blut. Erzählungen, Ost-Berlin und Weimar 1987.

Dramen: Abigail und Nabal, Leipzig 1913. – Die Umkehr des Abtrünnigen, Darmstadt 1925. – Die Aufrichtung der Menorah, Berlin 1927. – Bonaparte in Jaffa, Ost-Berlin 1949. – Soldatenspiele, Ost-Berlin 1956.

Lyrik: Der englische Garten. Sonette, Kattowitz 1909. – Fünf Romanzen, Ost-Berlin 1958.

Essays: Das ostjüdische Antlitz, Berlin 1920. – Das neue Kanaan, Berlin 1925. – Lessing, Kleist, Büchner: drei Versuche, Berlin 1925. – Juden auf der deutschen Bühne, Berlin 1927. – Caliban oder Politik und Leidenschaft, Potsdam 1927. – Die Aufgabe des Judentums (mit Lion Feuchtwanger), Paris 1933. – Bilanz der deutschen Judenheit: ein Versuch, Amsterdam 1934. – Baruch Spinoza (englisch), New York 1939 (deutsch 1962). – Früchtekorb. Jüngste Ernte. Aufsätze, Rudolstadt 1956. – Über Schriftsteller, Ost-Berlin und Weimar 1967.

Briefe: Briefwechsel mit Eberhard Hilscher, Ost-Berlin 1967. – Briefwechsel mit Sigmund Freud, Frankfurt/M. 1968. – Briefwechsel mit Louis Fürnberg, Ost-Berlin und Weimar 1978. – Briefwechsel mit Lion Feuchtwanger, Ost-Berlin 1984.

Werkausgaben: Ausgewählte Werke in Einzelausgaben, Ost-Berlin 1957/1967 (16 Bände). – Berliner Ausgabe, herausgegeben von Frank Hörnigk, Berlin 1997ff. (28 Bände)

Lit.: Maritta Rost, Bibliographie Arnold Zweig, zwei Bände, Ost-Berlin und Weimar 1987. – Arnold Zweig zum 65. Geburtstag am 10. November 1952. Festschrift, Ost-Berlin 1952. – Arnold-Zweig-Sonderheft der Zeitschrift „Sinn und Form“, Ost-Berlin 1952. – Arnold Zweig zum siebzigsten Geburtstag. Festschrift, Ost-Berlin 1957. – Arnold Zweig. Ein Almanach. Briefe, Glückwünsche, Aufsätze. Festschrift zum 75. Geburtstag, Ost-Berlin 1962. – Georg Wenzel (Herausgeber), Arnold Zweig 1887-1968. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern, Ost-Berlin und Weimar 1978. – Arnold Zweig. Ein Lesebuch für unsere Zeit, Ost-Berlin und Weimar 1987. – Arnold Zweig – Poetik, Judentum und Politik. Akten des internationalen Arnold-Zwei-Symposiums aus Anlass des 100. Geburtstages, Cambridge 1987 und Bern 1989. – Heinz Ludwig Arnold (Herausgeber), Arnold Zweig, Text + Kritik, Band 104, München 1989. – Hans-Werner Baum, Arnold Zweig. Leben und Werk, Ost-Berlin 1967. – Geoffrey W. Davis, Arnold Zweig in der DDR, Bonn 1977. – Eberhard Hilscher, Arnold Zweig. Brückenbauer vom Gestern ins Morgen, Halle/Saale 1962. – Eberhard Hilscher, Arnold Zweig. Leben und Werk, Ost-Berlin 1968 (8. Auflage 1987). – Jost Hermand, Arnold Zweig, Rowohlt-Monographie, Reinbek 1989. – Heinz Kamnitzer, Der Tod des Dichters, Ost-Berlin 1987. – Eva Kaufmann, Arnold Zweigs Weg zum Roman. Vorgeschichte und Analyse des Grischa-Romans. – Georg Lukács, Arnold Zweigs Romanzyklus über den imperialistischen Krieg 1914-1918, in: Internationale Literatur, Moskau 1939. – Hans Mayer, Der Grischa-Zyklus, in: Sonderheft von Sinn und Form, Ost-Berlin 1952. – David R. Midgley, Arnold Zweig. Zu Werk und Wandlung, Königstein/Taunus 1980. – Johanna Rudolph, Der Humanist Arnold Zweig. Ein Versuch, Ost-Berlin 1955. – Georg Salamon, Arnold Zweig, Boston 1975. – Dieter Schiller, Arnold Zweigs Exilschaffen, in: Weimarer Beiträge, Weimar 1987. – Wilhelm von Sternburg (Hrsg.), Arnold Zweig. Materialien zu Leben und Werk, Frankfurt/M. 1987. – Wilhelm von Sternberg, „Um Deutschland geht es“. Arnold Zweig. Die Biographie, Berlin 1998. – Kurt Tucholsky, Der Streit um den Sergeanten Grischa, in: Die Weltbühne, Berlin 1927. – Annie Voigtländer, Welt und Wirkung eines Romans. Zu Arnold Zweigs „Der Streit um den Sergeanten Grischa“, Ost-Berlin und Weimar 1967. – Heinrich Vormweg, Gerechtigkeit über sich fühlend: Arnold Zweigs Roman „Das Beil von Wandsbek“, in: Manfred Durzak (Hrsg.), Die deutsche Exilliteratur 1933-1945, Stuttgart 1973. – Hans-Albert Walter, Auf dem Weg zum Staatsroman. Arnold Zweigs Grischa-Zyklus, in: Frankfurter Hefte, Frankfurt 1968. – Hans-Albert Walter, „Im Anfang war die Tat“. Arnold Zweigs „Beil von Wandsbek“. Roman einer Welt – Welt eines Romans, Frankfurt/M. 1985. – Manuel Wiznitzer, Arnold Zweig. Das Leben eines deutsch-jüdischen Schriftstellers, Königstein/Taunus 1983. – Rudolf Wolf, Arnold Zweig. Der Streit um den Sergeanten Grischa, Bonn 1986.

Bild: Cover „Georg Wenzel, Arnold Zweig, Ein Lesebuch für unsere Zeit, Aufbau-Verlag Berlin/ Weimar 1987.