Internationale wissenschaftliche Fachtagung
5. bis 8. Oktober 2022
Danzig-Oliva/Gdańsk-Oliwa, Brigittenkloster
Die Veranstaltung wird live auf dem Youtube-Kanal
der Kulturstiftung übertragen: www.bit.ly/kulturstiftungvideo
Aus der Danziger Hauptkirche St. Marien sind uns textile liturgische Utensilien aus dem Spätmittelalter überliefert, die weltweit qualitativ und quantitativ zu den bedeutendsten Paramentenbeständen gehören. Sie spiegeln den Glanz der hanseatischen Blütezeit der Ostseemetropole an der Schwelle zur Neuzeit wider. Die Qualität der Stücke aus dem 14./15. Jahrhundert, die kostbare Stoffe beispielsweise persischer, koptischer und chinesischer Provenienz verarbeiten, ist außerordentlich und übertrifft andere vergleichbare Kirchenschätze. Die Textilien zeugen von den Handelsverbindungen der Hansestadt mit aller Welt und von der wirtschaftlichen Prosperität jener Jahrhunderte.
Durch den Einzug der Reformation wurden diese Stoffe allmählich aus dem Gebrauch genommen und dann im Kirchengebäude selbst verborgen bzw. aufbewahrt. Im 19. und 20. Jahrhundert in Danzig wiederaufgefunden, stießen sie rasch innovativ die wissenschaftliche Erforschung an und wurden zu einem Fixpunkt der kulturellen Identität der westpreußischen Stadt. Dies wurde anhand von Ausstellungen und Publikationen greifbar. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wanderten zahlreiche Stücke in Privatsammlungen und bedeutende europäische Museen ab (London, Nürnberg, Berlin). Nach dem Krieg gelangte ein bedeutender Teil der Sammlung nach Lübeck, während heute ein Großteil der Paramente in Danzig/Gdańsk liegt (Muzeum Narodowe w Gdańsku).
Vor allem in Lübeck bildeten diese Textilien einen deutlich wahrgenommenen Exponenten des kollektiven Gedächtnisses der Danziger in der Bundesrepublik. Auch hier waren es wieder Ausstellungen und Kataloge, die die herausragende Kulturleistung des Spätmittelalters an der Weichselmündung thematisierten. In Gdańsk selbst wurde diese Retrospektive erst sehr viel später, vor allem nach der Wendezeit bedient. Es taten sich damit mindestens zwei unterschiedliche Traditionen auf: Eine bundesdeutsche seit den fünfziger Jahren mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten und eine spätere in Polen.
Standen diese einzigartigen textilen Objekte somit schon vor über 100 Jahren im Fokus kunsthistorischer Erforschung und Katalogisierung (vgl. etwa die Katalogisierung durch W. Mannowsky in insges. 5 Bänden bis 1938), so ist der historiographische Aspekt der Überlieferung und die kulturpolitische Instrumentalisierung bislang so gut wie gar nicht in den Blick genommen und erforscht worden. Daher ergibt sich eine Diskrepanz zwischen dem aktuell regen Forschungsinteresse der Kunstgeschichte (v.a. Borkopp-Restle 2019) und der vernachlässigten Erforschung des kollektiven Erinnerungsortes ‚Paramente‘.
Ziel der zweitägigen wissenschaftlichen Tagung in Danzig ist es, polnische und deutsche Fachwissenschaftler interdisziplinär (kultur- und kunsthistorisch, museumspädagogisch und restauratorisch) zusammen zu führen und dabei nicht allein die jeweiligen aktuellen Forschungsthemen und -ergebnisse zu den Danziger Paramenten vorzustellen bzw. darüber zu diskutieren, sondern auch eine komparative Perspektive zu pflegen, die vergleichbare Textilbestände (Pelplin, Stralsund, Brandenburg etc.) in den Blick nimmt. Es geht damit über die rein kunsthistorische Betrachtung hinaus auch um eine Einordnung der Danziger Paramente in die reiche, die Städte des südlichen Ostseeraums verbindende Kultur im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit sowie um die Verortung der Paramente in der bürgerlichen Gesellschaft der bedeutenden Handelsstadt mit deren eigener Mentalität und Frömmigkeitsformen.
Die Paramente von St. Marien verdienen nicht nur aufgrund ihrer hohen Qualität und ihres sehr guten Erhaltungszustandes eine nähere und breite Erforschung, es liegen auch umfängliche Dokumentationen über ihre Verortung in der Danziger Erinnerungskultur nach 1945 vor, die es in den Blick zu nehmen gilt. Näher beleuchtet werden soll daher das jüngere Schicksal der Danziger Paramentenbestände an den verschiedenen Orten Europas, in denen sie heute zu finden sind, ihre aktuelle Wahrnehmung, Erforschung und Präsentation (Museen etc.). Insofern ist die Tagung methodisch innovativ, komparativ und wissenschaftlich zukunftsorientiert.
Sie soll nicht nur Polen und Deutsche zusammenführen, sondern auch Museumswissenschaftler, Konservatoren, historisch arbeitende Disziplinen und Kulturpolitiker austauschend miteinander ins Gespräch bringen. Es gilt, durch die Begegnung und den Austausch der Experten sowohl die wissenschaftliche Erforschung zu inspirieren und zu stimulieren als auch der Völkerverständigung zu dienen und gegebenenfalls gemeinsame weitere Projekte und Forschungsvorhaben anzustoßen.
PROGRAMM
(kurzfristige Änderungen vorbehalten)
Mittwoch, 5. Oktober 2022
20.00 Uhr
Grußwort
Staatsministerin a.D. Generalkonsulin Cornelia Pieper
Begrüßung
Dr. Ernst Gierlich, Vorstandsvors. der Kulturstiftung
Thomas Konhäuser, Geschäftsführer
Prof. Dr. Stefan Samerski, Universität München
Abendvortrag
Prof. Dr. Gerhard Weilandt (Universität Greifswald)
„Danzig als Zentrum transregionalen künstlerischen Austauschs an der Schwelle zur Neuzeit“
Donnerstag, 6. Oktober 2022
9.30 Uhr
Prof. Dr. Stefan Samerski (Universität München)
Einführung in die Tagung
10.45 Uhr
Themenblock 1:
Der Danziger Kontext
Prof. Dr. Tomasz Torbus (Universität Danzig)
„Danzig um 1500 – Politik, Kunst und Architektur am Ausgang des Mittelalters“
Prof. Dr. Sławomir Kościelak (Universität Danzig)
„Die Reformation in Danzig und ihre Folgen für die Gesellschaft und Kirche
(in englischer Sprache)
Dr. Monika Stachurska (Warschau) und Kollegin
„Forschungsprojekt Danziger Paramente in Warschau“
(in polnischer Sprache)
14.00 Uhr
Themenblock 2:
Hanse und Ostsee. Paramentenbestände mit
komparativer Perspektive
Prof. Dr. Juliane von Fircks (Universität Jena)
„Die mittelalterlichen Paramente in Stralsund“
(gegebenenfalls online)
Geertje Gerold (Domschatz Brandenburg)
„Die mittelalterlichen Paramente in Brandenbur a.d. Havel“ (gegebenenfalls online)
Kaffeepause
15.45 Uhr
Themenblock 3:
Danziger Paramente und Museumskultur
Heike-Kathrin Remus (Stadtmuseum Berlin)
„Historische brandenburgische Paramente im Stadtmuseum Berlin“
Dr. Katrin Lindemann (Kunstgewerbemuseum Berlin)
„Die Paramente der Danziger Marienkirche im Berliner Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin (SMB). Eine Bestandsaufnahme”.
Dr. Dagmar Täube (St. Annen-Museum Lübeck)
„Die Danziger Paramente im St. Annen-Museum in Lübeck. Ihr Weg in die Sammlung und ihre Präsentation.“
Anna Lena Frank (St. Annen-Museum Lübeck)
„Gemalte Paramente auf den Lübecker Altären“
Mechthild von Veltheim (Veltheim-Stiftung Helmstedt)
„Eine Parallele zu Danzig? Der Paramentenschatz des Klosters St. Marienberg und die Paramentenwerkstatt der von Veltheim-Stiftung mit Textilrestaurierung, Helmstedt
Freitag, 7. Oktober 2022
9.30 Uhr
Themenblock 4:
Plurale Erinnerungs- und Geschichtskultur
Stefan Chwin (Danzig)
„Gdansk – genius loci und Polnische Geschichtskultur nach 1945“ (in polnischer Sprache)
Prof. Dr. Stefan Samerski
„Danzig und seine Paramente nach 1870 und nach 1945 in der Bundesrepublik“
Prof. Dr. Andrzej Januszajtis (Danzig)
„Danzig im historischen Gedächtnis von Gdańsk“
14.00 Uhr
Exkursion ins Nationalmuseum in Danzig
Samstag, 8. Oktober 2022
9.30 Uhr
Prof. Dr. Stefan Samerski: Die Paramentensituation in St. Marien in Stendal.
Fahrt nach Danzig
Funktion und Fundort: Besichtigung der Danziger Marienkirche (Schiffe, Kapellen, Spruchkammer, Turm)
14.00 Uhr
Abschlussdiskussion
Zusammenfassung und Ausblick