Das Kriegsjahr 1622 brachte für die kleine Hauptstadt Glatz der gleichnamigen Grafschaft im östlichen Böhmen mit ihrem befestigten Schloss eine verheerende Zeitenwende: Ende einer knapp ein Jahrhundert dauernden evangelischen Kirche und Beginn einer Rekatholisierung durch das habsburgische Kaiserhaus bzw. böhmische Königshaus.
Der evangelische Prediger Georg Aelurius (eigentlich Katschker, 1596-1627) schildert in seiner deutsch verfassten Chronik ‚CLACIOGRAPHIA, Oder Glätzische Chronica‘ diesen politisch-religiösen Umbruch im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges (Spata 2022a). Nach dem Tod des Kaisers Matthias 1619 ermahnte der neue König von Böhmen, Ferdinand II. (reg. 1619-1637), seine Erbuntertanen zur Anerkennung und Huldigung seiner Person. Die böhmischen Stände setzten jedoch unter Anführung des deutsch-böhmischen Adligen Heinrich Matthias Graf Thurn (1567-1640) den katholischen König als „Feind der wahren Religion“ ab und wählten am 26. August 1619 den evangelischen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz (1596-1632) zum neuen König von Böhmen (reg. 1619-1620). Die Glatzer Stände begrüßten die Wahl des Kurfürsten in der Hoffnung auf stabile Religionsverhältnisse.
In allen böhmischen Landen begannen nun die Kriegsvorbereitungen, auch in der Grafschaft Glatz. Aelurius schildert diese Vorbereitungen (S. 120): „Als anno 1618 und 1619 der Böhmische Krieg angieng, haben die Böhmischen Stände gar bald an die Festung Glatz gedacht, und haben darauff unter dem Kriegshauptmann, Hans George Semling, einen Fahn Soldaten zur Besatzung nach Glatz gesand, haben ihm auch befohlen, die Festung in guter verwahrung und acht zu haben.“
Nach der folgenschweren Schlacht am Weißen Berge bei Prag am 8. November 1620 erlag Friedrichs Heer den kaiserlichen Truppen. Damit endete seine nur einen Winter dauernde Herrschaft und der Aufstand der böhmischen Stände gegen die katholische Liga. Friedrich erhielt von seinen Zeitgenossen den treffenden Beinamen „Winterkönig“; auf der Flucht nach Breslau fand er mit seinem Gefolge vom 14. bis 16. November 1620 Quartier im Glatzer Schloss. Aelurius berichtet dazu (S. 117): „Item Anno 1620, den 14. November, newen Calenders, ist Pfalzgraf Friedrich, als er vorhin den 8. November von Prage, wegen der erlittenen Niederlage war außgezogen, gen Glatz ankommen, dahin ihm viel zerstrewetes Kriegsvolk, in der Flucht nachgezogen kam. Er zog aber bald aufs Schloß ein, und ist etliche Nacht darauf verblieben.“ Friedrich kehrte nie mehr nach Prag zurück und die Habsburger übernahmen wieder die böhmische Krone (Wiese 1896; Herzig 2019).
Die böhmischen und schlesischen Stände unterwarfen sich sogleich Kaiser Ferdinand II. und zogen ihre in Glatz stationierten Truppen unter dem Hauptmann Georg von Semling zurück. Die böhmische Besatzung hatte in der Stadt schlimm gehaust und u.a. das Thumstift (Dom, Propstei), das vom Erzbischof Arnestus von Pardubitz (1297-1364) 1349 gegründete Augustiner-Chorherrenstift, verwüstet. Die Glatzer Stände lehnten aber Friedensverhandlungen ab und hielten fest zu ihrem in Breslau weilenden „Winterkönig“. Heldenhaft verteidigten sich Bürger und Soldaten, die seit dem 1. Februar 1622 vom erst 27-jährigen Grafen Franz Bernhard von Thurn (1595-1628), einem Sohn des Aufständischen Heinrich Matthias Graf Thurn, kommandiert wurden. Mit eisernem Willen und großer Umsicht lenkte der junge Graf Thurn die Verteidigung von Stadt und Festung Glatz mit insgesamt 1.800 Soldaten und Bürgerwehr. Die Befestigungsanlagen auf dem nördlichen Schlossberg wurden weiter ausgebaut, und zwar die kleinere Schanze Florian direkt am Schloss und die größere Schanze mit den Bastionen Wenzel, Ludmilla und Jablunka. Ihnen zum Opfer fiel die Wenzelskirche nördlich des Schlosses, die vollständig abgerissen wurde. Die Thumkirche erhielt eine starke Ummauerung (Aelurius, S. 349-356).
Die Grafschafter Bauern und Bürger hielten treu zu Thurn, weil sie ihn als Retter vor dem kaiserlichen Strafgericht und als Schützer ihres evangelischen Glaubens betrachteten. Thurn glaubte, mit Erfolg Widerstand so lange leisten zu können, bis die erwartete Hilfe der evangelischen Heerführer Ernst Graf von Mansfeld und Christian von Braunschweig käme. Diese Unterstützung blieb aber aus. Während des Sommers 1622 versammelten sich die kaiserlichen Truppen, rund 20 Tausend Mann, unter dem kommandierenden Karl Graf von Liechtenstein (1569-1627). Als Glatz Mitte September eingeschlossen war, verfügten die Verteidiger auf der Festung über 28 Kanonen, 10 Feldschlangen und 3 kleinere Geschütze (Köhl 1994; Klose 1997).
Beim militärisch vorsorglichen Abbrennen der Vorstädte sprangen die Flammen auf die Thumkirche vor der Festungsmauer und von dort auf das Schloss innerhalb der Festung über, wo große Getreidevorräte und Schießpulver lagerten. Drei Tage wütete das Feuer und erschwerte die Verteidigung. Nach diesem Brand und wegen der schrumpfenden Anzahl der kampffähigen Verteidiger kapitulierten diese am 25. Oktober 1622 unter ehrenvollen Bedingungen. Graf Thurn und seine Soldaten erhielten freien Abzug nach Schlesien. Die kaiserlichen Belagerer übernahmen am 26. Oktober Stadt und Festung Glatz.
Mit der Eroberung von Glatz war der Evangelische Widerstand, die sogenannte böhmische Rebellion, und auch der Krieg in Schlesien vorerst beendet. Der Preis für die mutige Verteidigung ihrer Stadt und ihres freien evangelischen Glaubens war für die Glatzer Bürger hoch: Wenzelskirche und Thumstift zerstört, Schloss und Vorstädte ausgebrannt, Stadt durch die Kanonade stark verwüstet und in Trümmern, die Blüte der Grafschaft dahin. Der Stich in der Aelurius-Cronik zeigt drastisch diese Zerstörungen (siehe Abb.) (Spata 2022b).
In der Folgezeit verlor die Grafschafter Bevölkerung ihre Kirchen, ihre evangelischen Geistlichen und Lehrer. Im November 1622 wurde Aelurius (letzter Prediger der Wenzelskirche) gemeinsam mit seinen evangelischen Amtsbrüdern aus Glatz ausgewiesen; ihnen mussten 1623/24 über 120 Geistliche und Lehrer aus der gesamten Grafschaft Glatz folgen (Aelurius, S. 311/12; Heinzelmann 1914; Herzig 2019).
Mit Hilfe der 1623 nach Glatz zurückgekehrten Jesuiten wurden die evangelischen Christen nicht ohne Gewalt rekatholisiert oder mussten auswandern. Besonders der Breslauer Bischof Karl von Habsburg (1590-1624), der bereits am 1. Oktober 1621 vom Kaiser die Grafschaft Glatz als Lehen mit allen Rechten verliehen bekommen hatte, setzte polnische und mährische Truppen (Liechtensteiner „Engelmacher“) zur zwangsweisen Rekatholisierung ein (Herzig 2023). Die jesuitische Missionsarbeit war nach ein paar Jahren so erfolgreich, dass danach die Grafschafter Bevölkerung bis zur Vertreibung 1945/46, aber auch später in Westdeutschland, ihren katholischen Glauben und insbesondere ihre gefühlsstarke Marienverehrung beibehielten.
Lit.: Aelurius, Georg: GLACIOGRAPHIA Oder Glätzische Chronica. Breslau 1625. – Wiese, Hugo von: Der Kampf um Glatz. Aus der Geschichte der Gegenreformation in der Grafschaft Glatz. Hrsg.: Verein für Reformationsgeschichte, Halle 1896. – Heinzelmann, Paul: Beiträge zur Predigergeschichte der Grafschaft Glatz von 1524-1624, in: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens XIV/1 (1914), S. 1-62. – Köhl, Eduard: Geschichte der Festung Glatz und Glatzer Festungsgeschichten. Würzburg 1972, Nachdruck Lüdenscheid-Leimen 1994. – Klose, Arwed: Schlachten und Gefechte, in: Arthur Jüttner und Eckehart Münnich (Hrsg.), Soldatische Tradition in Schlesien 1241-1945. Berg-Potsdam 1997, S. 9-124, hier: S. 22-23. – Herzig, Arno: Die Grafschaft Glatz 1530-1630. Das vergessene Kapitel protestantischer Geschichte. In: AGG-Mitteilungen 18 (2019), S. 3-13. – Manfred Spata: Die GLACIOGRAPHIA des Georg Aelurius 1625. Kurze Einführung und erweitertes Inhaltsverzeichnis mit Registern, in: AGG-Mitteilungen 21 (2022a), S. 43-72. – Manfred Spata: Aelurius-Stich „Abriss der Stadt und Schlosses Glatz“, 1622, in: Ders., Historische Ansichten von Glatz. Bilder einer böhmisch-schlesischen Stadt. Görlitz 2022b, S. 49-56. – Herzig, Arno: Bischof Karl von Habsburg und die Gegenreformation in der Grafschaft Glatz, in: AGG-Mitteilungen 22 (2023), S. 3-12.
Bild: Anonymer Stich in der Aelurius-Chronik Glaciographia von 1625.
Manfred Spata