Ereignis vom 1. Januar 1815

Das Besitznahmepatent für das Grossherzogtum Posen

Wappen der Provinz Posen

Preußen hat sein Staatsgebiet im ausgehenden 18. Jahrhundert weit nach Osten zu Lasten der Doppelmonarchie Polen-Litauen ausdehnen können. Durch die drei Teilungen des Königreichs Polen und Großfürstentums Litauen (1772, 1793, 1795) weitete Preußen sein Staatsgebiet bis hinter Warschau aus und erreichte damit mehr als eine Verdoppelung seines Staatsgebiets, das auch seine Zusammensetzung erheblich veränderte. Das größtenteils protestantische und deutsche Preußen bekam einen gewaltigen Anteil an katholischer polnischer Bevölkerung hinzu. Zudem waren die neuen Ostgebiete sozial, wirtschaftlich und kulturell ganz anders strukturiert als das alte Preußen.

Mit Eifer begannen die preußischen Beamten das neue Land zu erschließen und zu verwalten. Die Zeit wirkliche Veränderungen zu bewirken war jedoch zu kurz. Die zeitgleich mit den letzten Teilungen weit im Westen Europas, in Frankreich, stattfindende Große Revolution von 1789 mit ihren Folgen sollte Europa und damit Preußen stärker verändern als die Teilungen Polens.

Unter den militärischen Schlägen der Revolutions- und später kaiserlich-französischen Armeen brachen die Nachbarstaaten zusammen und wurden unterworfen. Bei Jena und Auerstedt erlitt Preußen eine vernichtende Niederlage, die zum Zusammenbruch des Staates führte und belegte, dass das alte Preußen friderizianischer Struktur erstarrt und veraltet war.

Friedrich Wilhelm III. hatte Glück, dass Napoleon nicht vorhatte, Preußen von der politischen Landkarte zu tilgen, wie die drei Teilungsmächte Russland, Österreich und Preußen es vor wenigen Jahren mit Polen-Litauen gemacht hatten.

Polen erstand damals neu, aber nur als französischer Vasallenstaat von Napoleons Gnaden. Nur eine Teilungsmacht hat den Krieg verloren, so verlor Preußen im Frieden von Tilsit (9. Juni 1807) die meisten seiner polnischen Territorien, doch die Gebiete der 1. Teilung, die westpreußischen, blieben weitgehend bei Preußen. Mit dem Tilsiter Vertrag gründete Napoleon das „Herzogtum Warschau“. Es war kein Königreich, nicht einmal ein Großfürsten- oder Großherzogtum, und ihr Herrscher wurde ein weiterer Vasall Napoleons, der Wettiner Friedrich August I. (1750-1827), den er kurz zuvor am 20. Dezember 1806 zum König von Sachsen gemacht hatte.

Polen blieb ein Vasall. Auch die Verfassung für das Herzogtum Warschau wurde nicht von Polen geschrieben und verabschiedet oder gar von ihrem neuen Herzog, sondern von Napoleon, der die „Konstitution vom 22. Juli“ (1807) bei seinem Aufenthalt in Dresden zu Papier brachte. Ihr Leitbild waren die Ideale der Französischen Revolution.

Als Soldaten kämpften die Polen fortan für Napoleon und wurden im Krieg gegen Österreich, dem sog. 5. Koalitionskrieg, für ihre Teilnahme mit der Rückgabe des sog. Westgalizien (Kleinpolen) im Frieden von Schönbrunn (14. Oktober 1809) belohnt. Das eigentliche Galizien, das ukrainische damals Königreich Galizien und Lodomerien genannte, blieb bei Österreich.

Mit dem militärischen Niedergang Napoleons nach dem Russlandfeldzug, fiel auch der Stern des Herzogtums Warschau. Im Februar nahmen russische Truppen auch das Posener Land ein, und Preußen und Russland schlossen am 28. Februar 1813 den Vertrag von Kalisch (Kalisz), in dem sie eine Neuordnung Polens beschlossen. Dieser Vertrag war im Prinzip die Vorstufe zur 4. Teilung Polens.

Bereits am 30. April 1815 ernannte der preußische König den ersten Oberpräsidenten für das Posener Land, das als „Großherzogtum Posen“ auf dem Wiener Kongress eingerichtet wurde, und Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) wurde sein erster Großherzog.

Bereits am 3. Mai 1815 (ein Feiertag in Polen, der Verfassungstag von 1791) wird ein russisch-preußischer Vertrag unterzeichnet, der die Grenzziehung zwischen Russland (später Kongresspolen oder „Königreich Polen“ genannt) und Preußen etwa entlang der Prosna regelte. Auch wenn in jener Zeit immer von der „Wiederbesitznahme“ die Rede war, bekam Preußen von den ehemaligen Teilungsprovinzen Süd- und Neuostpreußen nur sehr wenige Gebiete zurück. Selbst die Großpolnischen Wojewodschaften werden nun durch die neue Grenze geteilt. Die östlichen Kreise um Konin, Kalisch und Kolo bleiben unter russischer Herrschaft. Das neue Territorium hatte eine Größe von 28.962 qkm (entspricht 8 % des Landes des alten Polens). Der nördliche Teil des Netzedistrikts wurde mit der Provinz Westpreußen vereinigt.

Zwei Wochen später, am 15. Mai 1815, unterzeichnete Friedrich Wilhelm III. das sog. Besitznahmepatent für das Großherzogtum Posen. In ihm versprach der neue, evangelische Großherzog die Religionsfreiheit. Deutsch und Polnisch wurden gleichrangige Amtssprachen. Außerdem wurden das preußische Allgemeine Landrecht und die Allgemeine Gerichtsordnung auch im Großherzogtum Posen eingeführt.

In diesem in Wien erlassenen Patent wurde ausdrücklich von dem „an Preußen zurückfallenden Theil […] des Herzogthums Warschau“ gesprochen und damit das aus „revolutionärem“ Grunde entstandene Herzogtum Warschau annulliert.

In dem „Zuruf an die Einwohner des Großherzogtums Posen“ betont Friedrich Wilhelm III., dass die kulturelle Eigenart der Polen gewahrt werden soll und beide Sprachen im öffentlichen Leben garantiert wurden. Der König hatte bereits vorab seine Absicht dadurch bekundet, dass er Joseph Zerboni di Sposetti (1760-1831) zum ersten Oberpräsidenten dieses Gebietes ernannt hatte, denn er war Katholik – der einzige in über einhundert Jahren Zugehörigkeit zu Preußen.

Dass diese Ankündigungen nicht wirklich vollkommen ernstgemeint waren, zeigt aber auch bereits die Ernennung des Oberpräsidenten, denn die Oberpräsidenten waren die Verwalter der Provinzen in Preußen. Damit war klar, dass das Großherzogtum auch nur eine weitere Provinz war. In der Sprache der Verwaltung war stets von der „Provinz Posen“ die Rede.

Die Stellung des Großherzogtums Posen war ähnlich angelegt wie die des neuen russischen Teilungsgebietes als „Königreich Polen“. Den Amtstitel trug der jeweilige Landesherr, während die Regentschaft ein Vertreter wahrnahm. Im Königreich Polen war dies der Vizekönig, im Großherzogtum Posen ein königlicher Statthalter, ein polnischer Verwandter der Hohenzollern. Bereits am 18. Mai 1815 wurde der mit einer Hohenzollerin verheiratete Fürst Antoni Henryk Radziwiłł v. Nieświecz-Olyta (1775-1833) zum Statthalter in Posen ernannt. Er wirkte damit als Garant für die Versprechen des Großherzogs im Besitznahmepatent.

In der polnischen Elite spielte die hierin reklamierte Sonderstellung des „Księstwo Poznańskie“ stets eine große Rolle, auch wenn sie mehr auf politischem Wunschdenken beruhte. Bis heute wird in der polnischen Historiographie vor allem vom Großherzogtum gesprochen, während die Deutschen das Wort Provinz verwenden.

Der Übergang des Posener Landes von polnischer in russische und dann preußische Herrschaft verlief friedlich, sowohl 1793 als auch 1815.

Bild: Wappen der preußischen Provinz Posen / Quelle: Polski: Korona: Tadeusz Gajl, zmieniona i dopasowana przez: Avalokitesvara autorstwa R-41, oraz Sztandary autorstwa Sodacan, autorstwa F l a n k e r. Tarcza, postument, hełm, labry, rycerz-trzymacz, modyfikacje elementów i ich aranżacja: Avalokitesvara English: Crown by Tadeusz Gajl, altered by Avalokitesvara by R-41, and Standarts by Sodacan, by F l a n k e r. Shield, postument, helmet, mantling, knight supporter, modifications, arrangement Avalokitesvara This W3C-unspecified vector image was created with Inkscape by Avalokitesvara ., Grand Coat of Arms of Grand Duchy of PoznańCC BY-SA 3.0

Martin Sprungala