Der Abschluß des noch heute gültigen Konkordats mit Preußen als einem völkerrechtlich verbindlichen Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und dem deutschen Gliedstaat Preußen war eingebettet in die Ära von Verträgen zwischen der Katholischen Kirche und europäischen wie außereuropäischen Staaten in den zwanziger und dreißiger Jahren, dessen spektakulärster Vertragsabschluß das Reichskonkordat mit Hitler-Deutschland von 1933, der folgenreichste die Lateranverträge mit der Gründung der Vatikanstadt (Stato della Città del Vaticano) 1929. Die meisten dieser Verträge zeigen die persönliche Handschrift des Eugenio Pacelli (1876–1958), den späteren Papstes Pius XII., dessen virtuos beherrschte Instrumentarien das Kirchenrecht und die Diplomatie waren. Als Kurienexperte und Deutschlandkenner kam er als Nuntius 1917 zunächst nach Bayern, dann – nach der Errichtung der ersten Nuntiatur in der Hauptstadt – 1920 nach Berlin, wo er 1925 auch für den preußischen Staat akkreditiert wurde. Die Ursache für diese Konkordatsära lag zum einen im neuen Selbstverständnis der Katholischen Kirche, das sich im neukompilierten Rechtsbuch der Kirche, dem Codex Iuris Canonici von 1917, manifestierte, zum anderen in der politischen Umwälzung nach dem Ersten Weltkrieg, als etliche Länder in Mittel- und Ostmitteleuropa neuentstanden oder ihre Staatsform geändert hatten. Es war vor allem die Kirche, die auf den Abschluß neuer Abkommen drang und die alten Verträge des 19. Jahrhunderts ablösen wollte. In einer päpstlichen Ansprache vom 21. November 1921 wies der Hl. Stuhl alle Anrechte der Nachfolgestaaten auf die Bestimmungen der alten Konkordatsbullen unmißverständlich ab, zeigte jedoch in der diplomatischen Praxis Konzilianz und Verständnis für die innen- und außenpolitischen Probleme Deutschlands. Obgleich sich die preußischen Ministerien anfangs gegen die Aufgabe der alten Zirkumskriptionsbulle „De salute animarum“ vom 1821 sperrten und SPD, DDP sowie protestantische Kreise Konkordatsverhandlungen kategorisch ablehnten, mußten diese doch allmählich erkennen, daß ein prinzipielles Vorgehen politisch inopportun war. Ihnen ging es vor allem um den Schutz der deutschen Minderheit und wirtschaftliche Interessen an den an Polen und die Tschechoslowakei angetretenen Gebieten, die nun unter ausländischen Oberhirten standen. Die Weimarer Reichsverfassung sah keine positive Mitwirkung des Staates bei der Besetzung der kirchlichen Ämter sowie bei der Errichtung oder Aufhebung kirchlicher Gebietskörperschaften wie Bistümer etc. vor. Daher bestimmten auch Fragen der kirchlichen Jurisdiktion (Errichtung von Bistümern, Änderung der Kirchengrenzen) die Vorbesprechungen und Erörterungen in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre. Pacelli merkte rasch, daß solch heikle Fragen wie die Sicherung der Bekenntnisschulen und die Ernennung von Bischöfen durch den Papst auf unüberwindliche Schwierigkeiten in Preußen stießen. Der Nuntius schlug nun eine doppelte Taktik ein – wußte er doch, daß der Schlüssel zu einem Konkordatsabschluß mit Preußen in den polnischen Abtretungsgebieten lag. Bis zur Mitte der zwanziger Jahre kam er deutschen Wünschen bei der Neuumschreibung der kirchlichen Zirkumskription weitgehend entgegen (Danzig, Tütz, Eupen-Malmedy, Kattowitz) und erbat sich dafür Entgegenkommen bei Konkordatsverhandlungen. Außerdem handelte er bis 1924 relativ rasch ein Musterkonkordat mit Bayern aus, das den Verhandlungen mit dem Reich und Preußen als Orientierungsmarke dienen sollte. Der Abschluß des bayerischen Konkordats zeigte jedoch in Berlin eine völlig entgegengesetzte Wirkung. Die Berliner Kritik rieb sich nicht nur am bayerischen Partikularismus, sondern ebenso materialiter an etlichen Punkten, die nach preußischem Verständnis die Staatshoheit und der Geistesfreiheit einschränken würden. Die in der ersten Hälfte des Jahres 1925 in Rom geführten Geheimverhandlungen mit Polen veranlaßte Berlin jedoch zu einer völligen Aufgabe der Blockadehaltung und ließen Pacellis Taktik aufgehen: Das Polenkonkordat vom 10. Februar 1925 berührte eminent deutsche Interessen: Der Warschauer Nuntius sollte nun auch für Danzig zuständig sein, und das neue, aus der Diözese Breslau ausgegliederte Bistum Kattowitz sollte den Namen „Bistum Schlesien“ erhalten. Nachdem am 24. Juni Pacelli für den Staat Preußen akkreditiert worden und Ende des Jahres die Nachfolgefrage für die im Grenzgebiet liegende Apostolische Administratur Tütz virulent geworden war, bestand auf deutscher Seite nur noch ein Hindernis: die Obstruktionshaltung der Reichsregierung, die sich bereits gegen die Doppelakkreditierung Pacellis gestemmt hatte und eigene Verhandlungen um ein Reichskonkordat voranbringen wollte. Erst Ende 1926 erhielten die preußischen Ministerien volle Handlungsfreiheit, obgleich erste Verhandlungen bereits Ende März des Jahres begannen. Im Mai und Juni wurden die Verhandlungspositionen festgesteckt, die sich auf Form und Inhalt des Vertrages bezogen. Aufgrund der andersgearteten sozialen, konfessionellen und politischen Struktur in Preußen mußte Pacelli sehr rasch von der Vorstellung Abschied nehmen, das Bayernkonkordat nur anzupassen oder modifizieren zu brauchen. Vor allem beim traditionellen Bischofswahlrecht des Domkapitels mußte der Nuntius Zugeständnisse machen, da er bei seiner auf den Codex Iuris Canonici pochenden Position auf den geschlossenen Widerstand der Regierung, der Bischöfe und der katholischen Öffentlichkeit stieß. Auch bei der sogenannten politischen Klausel, dem Vetorecht der Regierung gegen politisch mißliebige Kandidaten, deutete Pacelli Entgegenkommen an. Dafür erwartete er Konzessionen bei der heiß umkämpften Schulfrage, der Gleichstellung des päpstlichen Hochschulstudiums mit dem an theologischen Ausbildungsstätten in Deutschland sowie bei der Sicherung der theologischen Fakultäten in Preußen. Auf die Dotationen der kirchlichen Institutionen und ihrer Vertreter einigte man sich im Frühjahr 1926 auf der Basis praxisorientierter Grundsätze. Da die Kirchengrenzen inzwischen der deutschen Ostgrenze angeglichen worden waren, gab es hinsichtlich der Zirkumskription neuer Diözesen kaum Reibungspunkte. Der Kölner Wunsch, das große Erzbistum zu teilen, wurde von Pacelli lebhaft unterstützt – im Gegensatz zur Errichtung eines neuen Bistums Berlin, das der Nuntius anfangs desinteressiert behandelte. Dagegen förderte er den staatlichen Wunsch, Breslau aufzuwerten und das Oderbistum sogar zur Kirchenprovinz auszubauen, was aber auf wenig Resonanz in Preußen stieß.
Die zwischen Juni 1926 und Frühjahr 1928 durchgeführten 25 Einzelgespräche wurden von Preußen sehr offensiv geführt, um die Intitiative nicht aus der Hand zu geben und der Kurie nicht mehr Terrain zu bieten als erforderlich. Die Schulfrage drohte im Mai 1927 alle bis dahin erzielte Einigkeit zu zerstören: Die preußische Regierung sträubte sich vehement gegen jeden Artikel, die auch nur einer Absichtserklärung gleichkommen würde. Nach zähem Ringen einigte man sich erst im Sommer 1928 auf die Errichtung eines Bistums in der protestantischen Reichshauptstadt und die Errichtung einer Breslauer Kirchenprovinz. Die staatliche Seite schwenkte im letztgenannten Punkt ohne großen Widerstand auf die Linie des Nuntius ein, da das Fürstbistum Breslau durch den Verlust Ost-Oberschlesiens entschädigt werden mußte. Die unvermeidliche Angleichung der Kirchengrenzen an die staatliche Grenzziehung, die im Falle Breslaus fatale wirtschaftliche Folgen für Domkapitel und Bischof hatten, da etliche Bistumsgüter auf tschechoslowakischem Staatsboden lagen, wurde durch Pacellis umsichtiges Angebot von Ausführungsverhandlungen politisch gemildert, faktisch jedoch zum wirtschaftlichen Nachteil Breslaus durchgesetzt.
Bis zum 14. Mai 1929 war der endgültige Text ausgehandelt und am 14. Juni im Preußischen Staatsministerium unterzeichnet. Der preußische Landtag nahm den „Vertrag des Freistaates Preußen mit dem Heiligen Stuhl“ – das Wort Konkordat wurde auf preußischen Wunsch vermieden – Dank des geschickten und weitsichtigen Ministerpräsidenten der SPD, Carl Otto Braun (1672–1955), am 9. Juli mit 243 gegen 171 Stimmen überraschend deutlich und rasch an. Neben Braun bewies sein Kultusminister Carl Heinrich Becker (1876–1933) ressentimentsfreie Nüchternheit und realpolitische Größe beim Aushandeln des Vertrags auf staatlicher Seite, während Pacelli und seine bewährten kirchenrechtlichen Helfer das an sich magere Ergebnis – es fehlten substantielle Paragraphen zu Ehe, Orden und Schule – einer erfolgsverwöhnten Kurie schmackhaft machen mußten.
Das Konkordat, das ähnlich wie in anderen deutschen Gliedstaaten einen evangelischen Kirchenvertrag nach sich zog, sicherte den öffentlichen Status der Katholischen Kirche, hob sie damit aus dem Kreis der übrigen Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts heraus und legte damit den Grund zu einem Verhältnis der Koordination von Kirche und Staat, wie es die Verfassung nicht sichern konnte. Inhaltlich gewährte das Preußenkonkordat die auf ältere Rechtstitel zurückgehende Ansprüche der Kirche, etwa bei der Dotation der Bistümer oder der Neueinrichtung von Diözesen und Pfarreien. Außerdem sichert der Vertrag die Interessen des Staates bei bestimmten Voraussetzungen für die kirchlichen Amtsträger (Staatsbürgerschaft, Priesterausbildung) sowie bei der Besetzung der Bischofsstühle und Domkapitel. Das traditionelle Bischofswahlrecht blieb in Preußen – anders als im Codex Iuris Canonici oder in Bayern – erhalten, allerdings eingeschränkt durch einen Dreiervorschlag des Heiligen Stuhls. Außerdem wurde das Mitwirkungsrecht der Kirche bei der Besetzung der Professuren an den katholisch-theologischen Fakultäten der staatlichen Universitäten (Bonn, Breslau und Münster) und der Religionslehrerstellen eingehend festgeschrieben. Preußen sicherte in der Schulausbildung (Religionsunterricht) immerhin die Beobachtung der Weimarer Reichsverfassung zu. Neben der Errichtung des Bistums Berlin und der Umwandlung von Tütz in die Freie Prälatur Schneidemühl, die zusammen mit dem bisherigen exemten Bistum Ermland in die Kirchenprovinz des neuen Erzbistums Breslau integriert wurde, schuf der Vertrag die Kirchenprovinz Paderborn ex novo und verkleinerte die Erzdiözese Köln durch das neue Bistum Aachen. Die Zirkumskription der preußischen Bistümer wurde im Sommer 1930 durchgeführt.
Mit dem Konkordat ist Preußen dem Reich zuvorgekommen, hat gemeinsam mit Bayern Föderalisierungstendenzen unterstrichen und für eine Gleichstellung der Konfessionen gesorgt. Trotz des dürftigen Ergebnisses für die Kurie ist doch die römische, am Kirchenrecht orientierte Linie eindeutig im Vertragstext erkennbar, obgleich es dem preußischen Episkopat an verschiedenen Stellen gelang (Kapitelbesetzung, Bischofswahl), alte kirchliche Traditionen zu bewahren und praktische Gesichtspunkte zum Durchbruch zu verhelfen (Berlin, Breslau). Noch heute gilt das Preußenkonkordat grundsätzlich auf dem Territorium des früheren Freistaates Preußen, vorbehaltlich anderer vertraglicher Vereinbarung zwischen Kirche und Staat. Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen hat sich expressis verbis zur Fortgeltung des Konkordats bekannt (Art. 23 Abs. 1).
Quellen: Acta Apostolicae Sedis 21 (1929), Rom 1929, 521–543. – Joseph Listl (Hg.): Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Berlin 1987, 707–758.
Lit.: Dieter Golombek: Die politische Vorgeschichte des Preußenkonkordats (1929) (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, B, 4), Mainz 1970. – Heinz Mussinghoff: Theologische Fakultäten im Spannungsfeld von Staat und Kirche. Entstehung und Auslegung der Hochschulbestimmungen des Konkordats mit Preußen von 1929, dargelegt unter Berücksichtigung des Preußischen Statutenrechts und der Bestimmungen des Reichskonkordats (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, B, 27), Mainz 1979. – Ernst Rudolf Huber: Das Preußische Konkordat (1929), in: ders.: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 6, Stuttgart u.a. 1981, 918–924. – Stewart A. Stehlin: Weimar and the Vatican 1919–1933. German-Vatican Diplomatic Relations in the Interwar Years, Princeton N.J. 1983, S. 412–429. – Heinz Mussinghoff: Die Neuordnung der Bistümer in Preußen 1929/30, in: Ecclesia Monasteriensis. Festschrift für Alois Schröer, hg. von Reimund Haas, Münster 1992, S. 275–306. – Michael Höhle: Die Gründung des Bistums Berlin 1930 (Veröffentlichungen der Kommission für Zeitgeschichte, B, 73), Paderborn u.a. 1996, S. 163–197. – Stefan Samerski: Ostdeutscher Katholizismus im Brennpunkt. Der deutsche Osten im Spannungsfeld von Kirche und Staat nach dem Ersten Weltkrieg, Bonn 1999, S. 32–110.
Bild: Eigenhändige Unterschrift und Siegel des Papstes Pius XI., 1929 / Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-09367 / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv Bild 102-09367, Staatsvertag zwischen Preussen und dem Vatikan, CC BY-SA 3.0 DE
Stefan Samerski (OGT 2004, 372)