Die Endphase des Siebenjährigen Krieges, insbesondere die wohl als letztlich kriegsentscheidend zu wertenden politischen Ereignisse des Jahres 1762, führten deutlich das große militärisch-politische Gewicht Russlands auf dem Kontinent vor Augen. Eingeleitet mit der innen- wie außenpolitischen Kehrtwendung Zar Peters des Großen nach Westen wuchs der Drang Russlands in die Mitte des Kontinents und damit in engem Zusammenhang das Tempo und die Facetten der Westexpansion stetig. Der zweimalige Frontwechsel Russland im Jahre 1762, zunächst der Anschluss an das antipreußische österreichisch-französische Bündnis 1755/56, dann die Abkehr davon, die schließlich in der Neutralität endete und jedesmal mit einem Herrscherwechsel in Verbindung stand, war für das Schicksal Preußens und letztlich das politische Überleben des Staates überhaupt von überragender Bedeutung.
So verwundert es nicht, dass Friedrich der Große in seinem außenpolitischen Kurs nach dem Frieden zu Hubertusburg vom 15. Februar 1763, der auf Bewahrung des Friedens in der Mitte Europas und der Herstellung adäquater Rahmenbedingungen für eine gründliche Konsolidierung des Staates ausgerichtet war, dem russischen Faktor im Mächtesystem Europas eine zentrale Rolle einräumte. Das Zarenreich galt als ein „gefährlicher Nachbar“ (Theodor Schieder), den es einzubinden galt. Eine Annäherung an die nach dem Staatsstreich von 1762 regierende Zarin Katharina II. war auch insofern geboten, als ansonsten eine Isolierung Preußens drohte, da Frankreich und Österreich an ihrem potentiell immer noch gegen Preußen gerichteten Bündnis festhielten und Großbritannien sich als ein unzuverlässiger, lediglich an der eigenen maritimen und kolonialen Hegemonie interessierter Bündnispartner gezeigt hatte. Doch auch die Zarin, die ihre anzweifelbare Herrschaft stabilisieren musste, brauchte eine außenpolitische Ruhephase und insbesondere eine Absicherung der eigenen Westgrenze.
Hier, in der „polnischen Frage“, ergaben sich auch, sieht man von allerdings noch sehr vage in diese Richtung ausgestreckten Fühlern im Zuge der Verhandlungen in Hubertusburg einmal ab, erste konkrete Ansatzpunkte einer Zusammenarbeit. Der Tod König Augusts III. aus dem sächsischen Herrscherhaus der Wettiner am 5. Oktober 1763 stellte, wenige Monate nach Beendigung des siebenjährigen Ringens, die europäischen Mächte erneut in einen politischen Interessenkonflikt hinein, der sich rasch zu einer erneuten militärischen Auseinandersetzung auswachsen konnte. War seit 1697 ein österreichisch-russisches Einvernehmen zugunsten der Wettiner die entscheidende Konstante der Beherrschung der Wahlmonarchie Polen, die wohl besser als Adelsrepublik mit monarchischer Spitze zu beschreiben wäre, so zerbrach diese Allianz in der engen Anbindung Österreichs an Frankreich ab 1756, da Frankreich russischen Einfluss in Polen wie im übrigen auch in Schweden weitgehend auszuschalten trachtete.
Klug eine von einigen Kreisen des polnischen Adels ins Gespräch gebrachte Kandidatur seines Bruders, des Prinzen Heinrich, der sich im Siebenjährigen Krieg nicht nur militärischen Ruhm, sondern auch allgemeines Ansehen als Staatsmann erworben hatte, zurückweisend, erbot sich Friedrich der Große, Russland in seinem Bestreben nach größerer Einflussnahme in Polen zu unterstützen, um auf diese Weise die gefährdete Ostflanke seine Territoriums zumindest vorübergehend zu schützen und eine erneute Annäherung Russlands an Österreich, also eine Neuauflage der Bündniskonstellation von 1756, zu verhindern.
Am 11. April 1764 wurde eine preußisch-russische Defensivallianz für die Dauer von acht Jahren geschlossen, die dann bereits am 27. Oktober 1769 vorzeitig verlängert wurde und im Kern die Zusicherung einer Unterstützung von jeweils 12.000 Mann oder die Zahlung von jährlich 48.0000 Talern Subsidien für den Fall eines Angriffs auf den jeweiligen Bündnispartner vorsah. Daneben wurde der jeweilige territoriale Bestand, für Preußen also konkret der Besitz Schlesiens, garantiert.
Geheime Zusatzartikel sahen ein gemeinsames Vorgehen gegen französische Einflussnahme in Schweden, besonders aber in Polen, vor. Hier sollte notfalls militärisch gegen Versuche zur Änderung der polnischen Verfassung, insbesondere die Umwandlung der Wahl- in eine Erbmonarchie und eine Abschaffung des „liberum veto“, also der Einspruchsmöglichkeit jedes einzelnen Mitgliedes gegen Majoritätsbeschlüsse des polnischen Reichstages, vorgegangen werden. Daneben sicherte Preußen Russland die Unterstützung der Kandidatur Stanislaus Poniatowskis, des russischen Favoriten bei der anstehenden Königswahl, und der Bestrebungen zur Rückgewinnung des Rechtes auf freie Religionsausübung, ein Recht, das insbesondere der Russland nahestehenden orthodoxen Minderheit nützen würde, zu.
So sehr insbesondere die Polen betreffenden Vereinbarungen einseitig Russland begünstigten, ist das Bündnis dennoch als ein entscheidender Schritt zur Konsolidierung bzw. Ausweitung der Machtstellung Preußens zu werten. Der Staat Friedrichs des Großen war aus der bündnispolitischen Isolation befreit und konnte, bei gleichzeitiger direkter Einbindung in die Geschehnisse an seiner Ostgrenze, in Russland die stärkste Landmacht Europas nicht nur neutralisieren, sondern sogar auf seine Seite ziehen. Dadurch wurde der außenpolitische Handlungsspielraum erheblich erweitert und letztlich sogar bereits die Erweiterung des eigenen Territoriums mit der Gewinnung der wichtigen Landbrücke zwischen Hinterpommern und Ostpreußen im Zuge der Ersten Polnischen Teilung 1772 vorbereitet.
Lit.: Erik Amburger, Rußland und Schweden 1762-1772. Katharina II., die schwedische Verfassung und die Ruhe des Nordens, Berlin 1934. – Alexander Brückner, Katharina die Zweite (= Wilhelm Oncken, Hrsg.), Allgemeine Geschichte in Einzeldarstellungen, III. Hauptabteilung, 10. Teil), Berlin 1883. – Tadeusz Cegielski, Preußische „Deutschland- und Polenpolitik“ in dem Zeitraum 1740-1792, in: Klaus Zernack (Hrsg.), Polen und die polnische Frage in der Geschichte der Hohenzollernmonarchie 1701-1871. Referate einer deutsch-polnischen Historiker-Tagung vom 7. bis 10. November 1979 in Berlin-Nikolassee (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 33), Berlin 1982, S. 21-27. – Heinz Duchhardt, Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700-1785 (= Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen, Band 4), Paderborn/München/Wien/Zürich 1997. – Karl Elias, Die preussisch-russischen Beziehungen von der Thronbesteigung Peters III. bis zum Abschluß des preussisch-russischen Bündnisses vom 11. April 1764, Diss. Göttingen 1900. – Georg Küntzel, Friedrich der Große am Ausgang des siebenjährigen Krieges und sein Bündnis mit Rußland, in: Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte 13 (1900), S. 75-122 (= 13,1 S. 75-122). – Walther Mediger, Moskaus Weg nach Europa. Der Aufstieg Rußlands zum europäischen Machtstaat im Zeitalter Friedrichs des Großen, Braunschweig 1952. – Theodor Schieder, Friedrich der Große. Ein Königtum der Widersprüche, Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1983. – Kurd von Schlözer, Friedrich der Große und Katharina die Zweite, Berlin 1859.
Bild: Die Wahl von Stanisław August Poniatowski im Jahr 1764 auf einem Gemälde von Bernardo Bellotto / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.
Bernhard Mundt