Ereignis vom 11. November 1215

Das Vierte Laterankonzil

Papst Innozenz III.

Das von Papst Innozenz III. im Jahre 1213 einberufene Lateranense IV hatte alle Bischöfe des Okzidents und Orients eingeladen. 800 Bischöfe und Äbte waren seit 1215 anwesend, die vom 11. bis 30. November 1215 tagten. Themen waren vor allem der Kreuzzug und die Kirchenreform.

Während sich die Historiker in der Literatur über dieses Konzil meist mit den Konflikten zwischen Kaiser und Papst befassten, ist eine Bestimmung des Konzils wenig behandelt worden, die besonders für Ostmittel- und Osteuropa von Bedeutung war, nämlich die Betonung der Volkssprache in der praktischen Seelsorge bei der Sakramentenspendung.

Bis heute geht man davon aus, dass im zweiten Jahrtausend der Kirchengeschichte Latein die alleinige Liturgiesprache in der Römischen Kirche war und übersieht dabei, dass es Ausnahmen gab wie die Tatsache, dass durch viele Jahrhunderte das Altslawische in der glagolitischen Schrift im lateinischen Ritus an der kroatischen Adria erlaubt war, unter Kaiser Karl IV. auch im Kloster Emmaus in Prag.

1215 war in England das Jahr der Magna Charta. Im gleichen Jahr brachte das Konzil im Lateran und die Verordnung von Papst Innozenz III. die Magna Charta für die Volkssprache im Gottesdienst, denn das Vierte Laterankonzil bestimmte: „Weil in vielen Gegenden innerhalb einer Stadt oder Diözese Völkerschaften verschiedener Sprachen wohnen, die im Glauben eins sind, aber im Ritus und in den Gewohnheiten geteilt sind, so befehlen wir strenge, dass die Bischöfe solcher Städte und Diözesen geeignete Männer anstellen, die in den verschiedenen Riten und Sprachen den Gottesdienst feiern, die Sakramente der Kirche spenden und durch Wort und Beispiel die Leute belehren.“

Dass diese Verordnung auch befolgt wurde, beweisen die Akten vieler Provinzkonzilien, in denen die Vorschriften des Lateranums umgesetzt und näher erläutert werden. Schon zwei Jahre nach dieser Anordnung des Vierten Lateranums lesen wir in den Akten der Synode von Trier 1217 über die Taufe in der Volkssprache die mittelhochdeutsche Taufformel: „Ich duffen dich in deme Name des Vaders, tride des Sonnes, tride des Heiligen Geistes.“ Da damals weite Teile des heutigen Frankreichs zum Erzbistum Trier gehörten, ist auch die altfranzösische Taufformel angeführt: „Je te baptoi en nomine do Patre et do Fis et do Sainte Esprit“. Ebenso erlaubte z.B. die Diözese Canterbury die englische und französische Sprache.

Dass diese Bestimmung des Konzils im ganzen Abendland ernst genommen wurde, zeigen verschiedene Synoden gerade in Ostmitteleuropa, wie die Synode von Culm 1583, die sowohl das Polnische wie das Deutsche in gemischten Pfarreien forderte: „Jeder Pfarrer, in dessen Pfarrei eine Sprache geredet wird, die er nicht versteht, sorge mit Eifer für einen Priester dieser Sprache, sonst verliert er sein Amt.“ Gleiches verlangten das Bistum Ermland und andere Diözesen.

Bis ins 19. Jahrhundert gab es Beispiele, dass man diese Be­stimmungen ernst nahm. Katholische Rituale wie das für die Diözese Wilna im Großfürstentum Litauen waren mehrsprachig z.B. eine Ausgabe aus dem Jahr 1621 lateinisch, polnisch, deutsch, litauisch und lettisch bzw. latgalisch. Durch die katholische Kirche wurde das Latgalische neben dem Lettischen der Protestanten zu einer eigenen Literatursprache.

1847 wies Rom in Artikel 8 des mit Russland abgeschlossenen Konkordates bei der Errichtung der mehrheitlich russlanddeutschen Diözese Tiraspol auf seine Lateranbestimmung von 1215 hin, als es um die Seelsorge der unierten Armenier in diesem Teil Russlands in armenischer Sprache ging. Die 1848 errichtete Diözese, deren Bischofssitz in Saratow an der Wolga war, umfasste weite Teile Russlands bis zur Krim und zum Kaukasus. Theodor Grentrup hat 1927 in Breslau in seinem Standardwerk Katholische Kirche und nationale Minderheuten weitere Beispiele für diese Praxis angeführt, auch L. Leutner 1964 in Volkssprache und Sakralsprache. Gertrud Putz betont in ihrer Arbeit Die Kärntner Slowenen und die Kirche die „nachhaltige Wirkung des Vierten Laterankonzils … bis hinauf in unser Jahrhundert.“

Über einzelne andere Fälle der Volkssprache in der römischen Messe, so im ujgurischen Türkisch, und über päpstlichen Konzessionen für das Griechische und Armenische in der dominikanischen Liturgie sowie über Zelebration nach dem römischen Ritus in georgischer, persischer, armenischer und arabischer Sprache durch verschiedene Missionsorden berichtet Cyrill Korolevskij in seinem Werk Liturgie in lebender Sprache. Großzügiger als für die Sprache in der Messe war Rom stets in Fragen der Volkssprache bei der Sakramentenspendung und der Pastorisation. Dass auch im Hochmittelalter von lateinischen Missionaren liturgische Texte für die noch zu bekehrenden Heiden Europas übersetzt wurden, dafür ist der Codex Cumanicus Zeuge, den in der Markusbibliothek in Venedig schon Francesco Petrarca kannte und der ein lateinisch-persisch-kumanisches Wörterbuch bietet sowie von deutschen Franziskanern geschriebene liturgische Texte in einem altertümlichen Deutsch. Eine Generation nach dem Vierten Laterankonzil hatte Papst Innozens IV. das Altslawische an der Adria offiziell bestätigt. Die Bereitschaft Roms war im 13. Jahrhundert teilweise getragen von der Tatsache, dass damals an der kroatischen Küste, auch im venezianischen Gebieten der Adria, die Messe nach römischem Ritus in altslawischer bzw. altkroatischer Sprache gefeiert wurde, die von den Slawenlehrern Cyrill und Method in glagolitischer Schrift übersetzt worden war.

Auf dem Reichstag 1347 in Nürnberg erließ am 21. November Karl IV. das Gründungsdekret des Klosters Emmaus, um „in unserer Stadt Prag ein Kloster des Benediktinerordens zu errichten … mit dem heiligen Offizium in slawischer Sprache“. 1390 gründete die polnische Königin Hedwig in Kleparz bei Krakau ein weiteres „Prager slawisches Kloster in Polen“. Schon zu Herzog Wenzels Zeiten hatte man die Liturgie slawisch und lateinisch zelebriert. Sie wurde auch im böhmischen Kloster Sazava zum Andenken an die Slawenapostel Cyrill und Method slawisch gefeiert, dies wurde aber in den Kreuzzügen aufgegeben.

Das Gebiet der glagolitischen Liturgie umfasste Istrien und die Adria-Inseln, dazu am Küstenland die Bistümer Senj, Zadar, Split, aber auch Teile anderer Dözesen bis hinunter nach Montenegro. Dass der Gebrauch der glagolitischen Liturgie früher noch verbreiteter war, bezeugt schon der slowenische Historiker Valvasor in seinem 1689 in Laibach und Nürnberg erschienenen 6. Band seiner Ehre des Herzogtums Krain, Von der Crainisch-Sclavonischen Sprache. Dort heißt es: „Mit eben diesen glagolitischen Littern ist gleichfalls das Missale (oder Messbuch) gedruckt, daraus die Geistlichen Messen lesen, welche Missalia Glagolitischer Schrift anjetzo zu Rom gedruckt werden; und solche braucht man noch auf diese Stunde in Crain an vielen Orten, da man die Crainersche oder Slavonsiche Messe (will sagen die Messe in Crainisch-Slavonischer Sprache) liest.“

Die glagolitische Liturgie hielt sich weit ins 20. Jahrhundert, bis die altkroatische Liturgiesprache vom II. Vatikanum durch das moderne Kroatisch abgelöst wurde. In Rom wurde das slawische Missale noch 1927 gedruckt.

Die Weiterverwendung des Altslawischen auch im römischen Ritus bis zum Zweiten Vatikanum war ein Vorbild bei anderen katholischen Slawen wie bei den Tschechen im 19. und 20. Jahrhundert. Nicht zufällig waren die beiden deutschen Vorkämpfer für die Volkssprache in der Heiligen Messe vom böhmischen Raum beeinflusst: Anselm Schott und Pius Parsch.

Das Kloster Emmaus erlebte im 19. Jahrhundert eine späte Blüte, als im Bismarckschen Kulturkampf die Benediktiner von Beuron ihr Kloster verlassen mussten. Sie fanden Zuflucht in Prag, eben in diesem Emmaus-Kloster, und blieben eine eigene lebendige Abtei, auch als Beuron wieder an den Orden zurückgegeben wurde. Nach 1918 mussten aber die deutschen Patres das Prager Emmaus verlassen und gründeten die Klöster Neresheim bei Württemberg und Grüssau in Schlesien. Das Kloster Grüssau erlebte 1945 eine erneute Vertreibung; die vertriebenen Benediktiner fanden 1947 in Bad Wimpfen am Neckar eine neue Heimat.

In Emmaus war unter den vertriebenen reichsdeutschen Mönchen auch P. Anselm Schott. In Prag lernte er die Tradition der Volkssprache im Gottesdienst kennen. Er war es, der seit 1883 das Messbuch übersetzte und erstmals in deutscher Sprache herausgab, das seitdem als Schott seinen Namen trägt.

Neben P. Anselm Schott hat sich vor allem der Mährer P. Pius Parsch um die Volkssprache im Gottesdienst verdient gemacht, ein Augustinerchorherr im österreichischen Stift Klosterneuburg. Er stammte aus Neustift bei Olmütz und kannte als Mährer die cyrillomethodianische Tradition. Als Feldkurat der k.u.k. Armee im Ersten Weltkrieg erlebte er in Galizien, wie die unierten Ukrainer in Altkirchenslawisch den Gottesdienst feierten. P. Parsch begann in Klosterneuburg nach dem Ersten Weltkrieg mit Bibelstunden und Liturgiestunden und feierte 1922 die erste Gemeinschaftsmesse. Um billige Texte zur weiteren Verbreitung herausgeben zu können, gründete er einen eigenen Verlag und eine Druckerei. So popularisierte er die biblisch-liturgische Erneuerung im deutschen Sprachraum. Er betonte die Einheit von Bibel und Liturgie und vertrat eine „Gnadenfrömmigkeit statt Gebetsfrömmigkeit“. Bis zu seinem Tode 1954 trat er nach seinem Wahlspruch „Mit sanfter Zähigkeit“ für seine Lebensaufgabe ein. Leider hat er den Erfolg seiner Bemühungen und die Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanum nicht mehr erlebt.

Lit.: Theodor Grentrup, Nationale Minderheiten und Katholische Kirche, Breslau 1927. – Cyrille Korolevskij, Liturgie in lebender Sprache, Klosterneuburg 1955. – Paul-Wilhelm Gennrich, Gott und die Völker. Beiträge zur Auffassung von Volk und Volkstum in der Geschichte der Theologie, Stuttgart 1972 – Gertrud Putz, Die Kärntner Slowenen und die Kirche (= Veröffentlichungen der Internationalen Forschungsstelle Salzburg NF 12), Salzburg 1982. – Rudolf Grulich, Konfession und Nationalität. Der Beitrag der Kirchen zum Schutz nationaler Minderheiten und zum Volksgruppenrecht, in: Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien XIV (1997), S. 121-150.

Bild: Papst Innozenz III. (Fresko im Kloster San Benedetto in SubiacoLatium, um 1219) / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Rudolf Grulich