Ereignis vom 22. April 1847

Der vereinigte Landtag von 1847 in Preussen

König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen

Die Beteiligung der besitzenden Schichten am Staatsregiment war in Preußen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das wesentliche Thema. Mehrmals versprach König Friedrich Wil-helm III. öffentlich, eine Vertretungskörperschaft der Bevölkerung zuzulassen, verfügte aber im Jahre 1823 nur die Bildung von Provinziallandtagen. Auch die Hoffnungen, die man auf den Thronwechsel zu Friedrich Wilhelm IV. 1840 gesetzt hatte, erfüllten sich nicht.

Erst mit einem Patent vom 3. Februar 1847 legte der König die rechtlichen Grundlagen eines Vereinigten Landtags. Danach sollte dieser aus allen Mitgliedern der acht Provinziallandtage, die es in Preußen gab, bestehen, so dass er insgesamt 613 Mitglieder zählte. Die stärkste Provinzvertretung war die Schlesiens mit 106 Abgeordneten, die kleinste die pommersche mit 49 Repräsentanten. Die Mitglieder des Vereinigten Land-tags sollten nicht Abgeordnete der preußischen Bevölkerung, sondern, entsprechend ihrem Status in den Provinziallandtagen, Vertreter ihres Standes sein. Neben dem Herrenstand, dem Fürsten, Grafen und andere Adlige angehörten und der 70 Personen zählte, gab es den Ritterstand, bestehend aus 237 adligen und bürgerlichen Rittergutsbesitzern, den Stand der Städte mit 182 Bürgern und den Stand der Landgemeinden mit 124 Bauern.

Trotz dieser Aufsplitterung nach Provinzen und Ständen – teils Geburtsstände, teils Berufsstände –, die auch noch durch die Sitzordnung bekräftigt wurde, hatten die Mitglieder des Vereinigten Landtages in dessen Plenarsitzungen die gleichen Rechte. Um jedoch das Zustandekommen antiroyalistischer Beschlüsse des Landtags zu erschweren, konstituierte der König neben dem Plenum des Landtags den Herrenstand als Herrenkurie und die Kurie der Ritterschaft, Städte und Landgemeinden. Als Aufgabe und Recht wurde dem Landtag der Beschluss neuer Anleihen – ausgenommen Kriegsanleihen – und Steuern sowie von Steuererhöhungen zugewiesen. Der König sah in dieser Kompetenzzuordnung ausdrücklich die Einlösung der Zusage ”allgemeiner Landstände” durch seinen Vater von 1823 und von ”Reichsständen” im Staats¬schul¬den-ge¬setz von 1820. Während für diesen Komplex das Plenum des Vereinigten Landtages zuständig war, war in allen anderen Bereichen ein Zusammenwirken der Herrenkurie und der Kurie der Ritterschaft, Städte und Landgemeinden erforderlich. Wichtiger als diese Bevorzugung der Mitglieder des Herrenstandes war die Bestimmung, dass der Vereinigte Landtag über Gesetzentwürfe der Regierung nur beraten, aber nicht entscheiden konnte. Die Zuordnung dieser nur geringen Kompetenz erwuchs aus dem königlichen Willen, keine Repräsentativkörperschaft, wie man sie in den süd- und mitteldeutschen Ländern kannte, entstehen zu lassen. Deswegen vermied der König auch die Erwähnung der Verordnung vom 22. Mai 1815, in der sein Vater und Vorgänger eine schriftliche Verfassung und eine ”Repräsentation des Volkes” in verbindlicher Form zugesagt hatte. Als weiteren Zuständigkeitsbereich gab der König dem Vereinigten Landtag das Recht, Petitionen an ihn zu richten.

Bereits wenige Tage nach dieser rechtlichen Grundlegung des Vereinigten Landtags berief ihn der König zum 11. April 1847 nach Berlin ein. Nach Gottesdiensten im Dom und in der St. Hedwigskirche eröffnete Friedrich Wilhelm IV. den Vereinigten Landtag an diesem Tag mit einer Thronrede. Diese Ansprache, die Leopold von Ranke als eine der besten Reden des Königs ansieht, rief unter den Abgeordneten eine tiefe Enttäuschung hervor, stellte sie doch ein Bekenntnis zum historischen deutschen Ständewesen und eine klare Absage Friedrich Wil-helms an das moderne Repräsentativsystem und jede Verfassung dar. Am nächsten Tage beantragte Maximilian Graf von Schwerin, seit 1840 Mitglied des pommerschen Provinzialland-tags, eine Adresse des Vereinigten Landtags an den König. In ihr sollten die Abgeordneten ihre Rechtsbedenken gegen den verfügten Status ihrer Versammlung äußern, da sie in ihm keine Einlösung der früheren königlichen Versprechen sahen. Nach längerer Beratung einigte sich der Landtag auf einen in der Form gemäßigten, in der Sache aber deutlichen Text seiner von Anfang an mehrheitlich unbestrittenen Adresse. In seiner Antwort vom 22. April 1847 lehnte der König alle wesentlichen Forderungen des Parlaments ab. Daran änderten auch die nachfolgenden Bemühungen der Liberalen nichts.

Unter den Finanzvorlagen, die dem Vereinigten Landtag zugeleitet wurden, war eine Anleihe für den Bau einer Eisen-bahnlinie von Berlin über Küstrin, Bromberg und Dirschau nach Königsberg, der sogenannten Ostbahn, das wichtigste Projekt. Nach dem Staatsschuldengesetz von 1820 war der König bei der Verwirklichung dieses Vorhabens auf die Zustimmung der Stände angewiesen. Da der Vereinigte Landtag sich aber wegen der fehlenden Kompetenzen nicht als die in dem Staatsschuldengesetz angesprochene ”reichsständische Versammlung” Preußens ansah, lehnte er das Ostbahn-Gesetz trotz Anerkennung der sachlichen Notwendigkeit ab, was eine jahrelange Verzögerung des Eisenbahnlinienbaus auslöste. Am 26. Juni 1847 wurde der Vereinigte Landtag geschlossen.

Die Tagung des Vereinigten Landtags im Frühjahr 1847 bedeutete einen Fortschritt in der Entwicklung Preußens von einer absolutistischen zu einer konstitutionellen Monarchie. Er war jedoch sehr geringfügig – so minimal, daß die liberale Mehrheit schon bei der Eröffnung des Landtags tief enttäuscht war. Die Liberalen hatten erkennen müssen, daß Friedrich Wilhelm IV. die Ideen der Französischen Revolution für sein Land nicht gelten lassen wollte. Trotz der unablässigen Konfrontation mit ihnen während der elfwöchigen Landtagsberatungen und der Verfassungsversprechen seines Vaters verstand sich Friedrich Wilhelm IV. nicht zu einer grundlegenden Änderung seiner Staatsauffassung. Damit versäumte er wahrscheinlich die letzte Chance, Preußen ohne gewaltsamen Umbruch in einen Staat umzuformen, der den Ansprüchen der Zeit genügte.

Lit.: Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. II, 2. Aufl. Stuttgart u. a. 1968, S. 491-498. – Herbert Obenaus: Anfänge des Parlamentarismus in Preußen bis 1848. Düsseldorf 1984, S. 649-716.

Bild: König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, Porträtaufnahme von Hermann BiowDaguerreotypie von 1847 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Dietmar Lucht