Ereignis vom 18. September 1773

DER WARSCHAUER VERTRAG

Kabinettsminister Ewald Friedrich von Hertzberg, preußischer Ver-handlungsführer 1773, Stich von C. Scherf

Das Jahr 1762 brachte für das damals im Siebenjährigen Krieg am Rande der Erschöpfung stehende Preußen Friedrichs des Großen die entscheidende Wende, das „Mirakel des Hauses Brandenburg“. Die Thronbesteigung der Zarin Katharina II. am 9. Juli 1762, die zwar nicht das von ihrem Vorgänger Peter III. am 5. Mai 1762 abgeschlossene Bündnis bestätigte, sondern sich entschloss, einer Haltung der Neutralität einzunehmen, indem Russland aus dem anti-preußischen Bündnis und damit dem Krieg insgesamt ausschied, bedeute eine deutliche Entlastung an der östlichen Flanke und trug maßgeblich zur Rettung des Staates bei. Nach dem Frieden zu Hubertusburg vom 15. Februar 1763 wurden die guten Beziehungen zwischen Potsdam und St. Petersburg weiter gepflegt und am 11. April 1764 ein Freundschafts- und Bündnisvertrag abgeschlossen, der, zunächst auf acht Jahre befristet, zweimal bis dann 1781 verlängert wurde.

Preußen wollte damit die Gefahr eines neuerlichen Zwei-Fronten-Krieges bannen, indem man den potentiell gefährlichsten Gegner vertraglich einband, während Russland die Vereinbarung eher in Richtung einer Begünstigung weitergehender außenpolitischer Zielsetzungen verstand. Insbesondere der stärker expansionistische Kurs des neuen Kaisers Josephs II. in Richtung Balkan erhöhte die Gefahr kriegerischer Auseinandersetzungen in Gesamteuropa, in die Preußen dann, etwa durch die Verpflichtung, wenn nicht zur Truppenstellung, so doch zur Zahlung von Subsidien, verwickelt worden wäre. So suchte die preußische Politik, nachdem eine Verständigung mit dem Kaiser, der u.a. die beiden Treffen Friedrichs des Großen mit Kaiser Joseph II. in Neisse 1769 und 1770 in Mährisch-Neustadt dienen sollten, gescheitert war, den Druck der beiden Ostmächte auf ungefährlicheres Terrain abzulenken.

Hier fiel v.a. Polen in den Blick, ein Staat, der, bei territorial noch durchaus beachtlicher Größe, aufgrund der v.a. innen- und verfassungspolitischen Situation faktisch handlungsunfähig geworden war. Prinz Heinrich von Preußen, ein jüngerer Bruder Friedrichs des Großen, lancierte im Winter 1770/71 anlässlich eines Aufenthaltes in St. Petersburg das Projekt einer Dismembration des polnischen Staates. Jeder der drei Mächte Preußen, Österreich und Russland sollte an das eigene Staatsgebiet grenzende polnische Territorien annektieren, was dann im Petersburger Vertrag vom 5. August 1772 auch im Einzelnen festgelegt wurde. Friedrich der Große erhielt mit dem ‚Preußen königlichen Anteils‘ außer Danzig und Thorn sowie dem Netzedistrikt zwar den flächenmäßig kleinsten Anteil, jedoch die wichtige Landbrücke zum alten Herzogtum Preußen und durfte sich fortan „König von Preußen“ nennen.

Freilich beruhte die Inbesitznahme der betreffenden Gebiete durch die betreffenden Staaten zunächst nur auf einer Vereinbarung der Annexionsmächte. Um völkerrechtlich verbindlich zu werden, mussten Verträge zwischen Polen und den einzelnen Staaten die Abtretungsfrage klären. Preußen erledigte dies am 18. September 1773 mit dem Warschauer Vertrag, maßgeblich preußischerseits ausgehandelt durch den Kabinettsminister Ewald Friedrich von Hertzberg.

Der Vertrag besteht aus einer Präambel und sechzehn Artikeln und ist, wie in Artikel XIV ausdrücklich erwähnt, in franzö-sischer Sprache abgefasst. Er dient dem Zweck, die durch die „Aktionen“ der drei Mächte ausgelösten Irritationen zu beseitigen und die Stellung der von diesen nun in Besitz genommenen Gebiete näher zu bestimmen (Präambel).

Nachdem in Artikel I das gute beiderseitige Einvernehmen betont wurde, enthält Artikel II, das Kernstück des Vertrages, die territoriale Definition der an Preußen fallenden Territorien.

Polen tritt, die diesbezüglichen Bestimmungen des Teilungsvertrages vom Vorjahr bestätigend, an Preußen das sogenannte ‚Preußen königlichen Anteils‘, also die Teile von Pommerellen, die 1466 im Zweiten Frieden zu Thorn das Königreich Polen vom Deutschen Ordnen erhalten hat, mit Ausnahme von Danzig (vgl. hierzu Artikel XII), ab, dazu den Netzedistrikt und die Grafschaft Marienburg, die Stadt Elbing und das Bistum Ermland, desweiteren die Grafschaft Culm ohne Thorn. Zur genaueren Festlegung der Grenzlinie und zur Abgrenzung einzelner Rechte ist eine Kommission einzusetzen.

Die folgenden Artikel beziehen sich auf Unklarheiten bzw. nicht eingehaltene Verpflichtungen, die sich aus dem am 6. November 1657 abgeschlossenen Vertrag zu Bromberg zwischen dem Kurfürstentum Brandenburg/ Herzogtum Preußen und der polnischen Krone ergeben. So bestätigt Polen die Übertragung sämtlicher Rechte an den Distrikten Lauenburg und Bütow (Artikel IV) und der Starostei Draheim (Artikel V) an das Haus Hohenzollern.

Nach einer gegenseitigen Bestätigung des sich nach der Umsetzung der Bestimmungen des Vertrages ergeben Besitzstandes (Artikel VI) und der Zusicherung Preußens, zusammen mit Russland und Österreich beim Osmanischen Reich auf die Einhaltung der Regelungen des Friedens zu Karlowitz vom 26. Januar 1699 zu dringen (Artikel VII), wird der katholischen Konfession in den nun zu Preußen gekommenen Gebieten die Sicherung des status quo zugesichert (Artikel VIII).

Es folgen allgemeinere Bestimmungen zum gutnachbarschaftlichen Verhältnis in politischer (Artikel IX) und wirtschaftlicher Hinsicht (Artikel X) sowie die Bestimmung, dass Streitigkeiten der Mediation Russlands und Österreichs unterliegen sollten (Artikel XIII), die auch zu Garantiemächten des Vertrages erklärt werden (Artikel XVI). Spätestens fünfzehn Tage nach der Ratifikation, die dann am 30. September 1773 auch erfolgte, soll Preußen sämtliche Truppen von polnischem Territorium zurückziehen (Artikel XV).

Signiert wurde der Vertrag auf preußischer Seite von Gédéon de Benoit, seit 1752 diplomatischer Vertreter Potsdams in Warschau, zunächst im Range eines Legationssekretärs, dann, ab 1764, als preußischer Resident und Legationsrat, von polnischer Seite durch Anton Casimir Ostrowski, Bischof von Leslau in Kujawien und den Erzbischof von Posen, Andrzej Stanislaw Mlodziejowski.

Mit dem Warschauer Vertrag werden also alle Bestimmungen des Teilungsvertrages des Jahres 1772 bestätigt, völkerrechtlich verbindlich gemacht und in Inhalt und Umsetzung genauer definiert. Er markiert einen wichtigen Schritt nicht nur zur Arrondierung des preußischen Territoriums, sondern war, wie auch Friedrich der Große betonte, „ein herausregender Erfolg neuartiger Krisenbewältigung“, freilich zu Lasten des polnischen Staates, der sich dann bis zum Ende des Jahrhunderts gänzlich seiner Existenz beraubt sehen musste.

Lit.: Vertragstext in: Ghillany, Friedrich Wilhelm: Diplomatisches Handbuch. Sammlung der wichtigsten europäischen Friedensschlüsse, Congressacten und sonstigen Staatsurkunden vom Westfälischen Frieden bis auf die neueste Zeit, Nördlingen 1855, Theil I, S. 224-229. – Cegielski, Tadeusz: Das alte Reich und die erste Teilung Polens 1768-1774, Stuttgart 1988. – Jablonski, Horst: Die erste Teilung Polens, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 2 (1969), S. 47-80. – Mediger, Walther: Moskaus Weg nach Europa. Der Aufstieg Russlands zum europäischen Machtstaat im Zeitalter Friedrichs des Großen, Braunschweig 1952. – Michalski, Jerzy: Polen und Preußen in der Epoche der Teilungen, in: Zernack, Klaus (Hrsg.): Polen und die polnische Frage in der Geschichte der Hohenzollernmonarchie 1701-1871. Referate einer deutsch-polnischen Historiker-Tagung vom 7. bis 10. November 1979 in Berlin-Nikolassee (= Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Band 33), Berlin 1982, S. 35-52. – Müller, Michael G.: Die Teilungen Polens 1772, 1793, 1795. München 1984. – Schlözer, Kurd von: Friedrich der Große und Katharina die Zweite, Berlin 1859.

Bernhard Mundt