Ereignis vom 13. August 1773

DIE AUFHEBUNG DES JESUITENORDENS IN DER BÖHMISCHEN PROVINZ

Breve von Papst Clemens XIV. zur Aufhebung des Jesuitenordens

Im Sommer 1773 kam es in der Kirchengeschichte zu einem einmaligen Vorgang: Papst Clemens XIV. hob die Gesellschaft Jesu auf, die sich seit der Gründung durch Ignatius von Loyola in der Mitte des 16. Jh. zu einem Flaggschiff gegenreformatorischer Kräfte entwickelt hatte. Der Jesuitenorden war dem Papst direkt unterstellt und hatte es nie an Loyalität fehlen lassen. Der Ordensaufhebung war eine lange und europaweit scharf geführte antijesuitische Debatte vorausgegangen, deren Höhepunkt nach dem missglückten Attentat auf den portugiesischen König Joseph I. in der Nacht vom 3. auf den 4. September 1758 erfolgte. Als Folge wurden die Jesuiten in den portugiesischen, spanischen und französischen Gebieten vertrieben. Diese Polemik hatte ihre Wurzeln in der antijesuitischen Tradition, da der Widerstand gegen den mächtig werdenden Orden nicht nur an den europäischen Höfen und im protestantischen Lager, sondern auch innerkirchlich wuchs. Der Papst selbst war kein Handlungssubjekt, sondern war von der Dynastie der Bourbonen und von Maria Theresia von Österreich politisch abhängig. Die Herrscherin der österreichischen Erblande und de facto des Heiligen Römischen Reiches (da sie ihren Sohn, Kaiser Joseph II., lediglich zum eigens erfundenen Titel „Mitregent“ degradiert hatte) setzte ihre machtpolitischen Ziele trotz Sympathien dem Orden gegenüber durch und willigte in die Pläne der Bourbonen ein, den Jesuitenorden aufzuheben.

Das Aufhebungsbreve ‚Dominus ac Redemptor‘ wurde veröffentlicht und auf den 21. Juli 1773 datiert. Es trat am 13. August 1773 in Kraft. Es verstrich ein ganzer Monat, bis in der Wiener Hofkanzlei die ersten Vorbereitungen zur Durchführung der Maßnahme in den Erbländern eingeleitet wurden. Im Folgenden wird der Fokus des Artikels auf die Böhmische Provinz der Gesellschaft Jesu gelegt.

Die Anfänge des Jesuitenordens in den Ländern der böhmischen Krone gehen auf den 6. Juli 1555 zurück, als der Jesuit Petrus Canisius im Prager Veitsdom vor König Ferdinand I., dem böhmischen Adel und dem katholischen Bürgertum eine Predigt hielt. Die lateinische Form des Namens der aus dem Herzogtum Geldern stammenden Canisius war eine Übersetzung des niederdeutschen „de Hondt“ (Hund). Anhänger der böhmischen Hussiten griffen zu einem Wortspiel, als sie auf den Straßen der Prager Altstadt gegen den Auftritt des Jesuitenpredigers protestierten: „Hinc procul esto Canis, pro nobis excubat Anser!“ (Hund, bleib ferne von hier, für uns steht der Gänserich Wache), womit auf Jan Hus (Gans) angespielt wurde.

Ferdinand I., seit 1526/27 König von Böhmen und Ungarn, seit 1531 römisch-deutscher König (1558 zum Kaiser gekrönt), zeigte in seinen Ländern der böhmischen Krone gegenreformatorische Ambitionen, wo der katholische Glaube durch die Hussitenkriege praktisch ausstarb, nachdem der Prager Erzbischof Konrad von Vechta zum Utraquismus übergetreten und 1425 vom Papst exkommuniziert worden war. König Ferdinand wandte sich an Ordensgründer Ignatius von Loyola und mehrmals an den jeweils amtierenden Papst mit der Bitte, in Prag eine Jesuitenmission zu errichten. Papst Paul IV. zeigte schließlich Interesse und beschloss, dass Anfang 1556 mehrere Jesuitenpriester nach Prag entsendet wurden. Am 25. Januar 1556 empfing er zwölf Jesuiten zu einer Audienz. Die Priester stammten aus unterschiedlichen Teilen des Reiches: Flandern, Bayern, Kärnten, der Krain, aber auch aus Italien und der Schweiz. Dass sich unter den Missionaren kein Böhme befand, lag daran, dass die ersten böhmischen Ordensmitglieder ihr Noviziat noch nicht beendet hatten. Am 21. April 1556 kamen die Missionare in der böhmischen Hauptstadt an. Dort gründeten sie ein Kolleg, aus dem alle späteren schlesischen Häuser hervorgingen.

Von Prag aus weiteten die Jesuiten ihre Mission in der böhmischen Herrschaft aus. Bereits nach zehn Jahren (1566) nahmen sie ihre Tätigkeit in der mährischen Hauptstadt Olmütz auf. Dorthin wurden sie von Bischof Wilhelm Prusinovský von Víckov (1565-1572) geholt, der die starke protestantische Opposition des Olmützer Bürgertums bekämpfen wollte. In Olmütz wurde ein Kolleg gegründet. Sechs Jahre später (1572) wurde im südmährischen Brünn ein Noviziat errichtet. In Böhmen wirkten die Jesuiten zudem in Krumau, Komotau und Neuhaus. In nördlicher Richtung gelangten sie 1597 in die Grafschaft Glatz.

Einen historischen Wendepunkt für die Gegenreformatorion in den böhmischen Ländern bildete die Schlacht am Weißen Berg 1620, was sich an der Änderung der Ordensstruktur niederschlug. Die von Ignatius von Loyola 1551 persönlich gegründete Provincia Germaniae‘ wurde bereits fünf Jahre später in eine Oberdeutsche und eine Niederdeutsche Ordensprovinz (‚Provincia Germaniae Superioris bzw. Inferioris‘) aufgeteilt. Eine weitere Aufspaltung wurde 1563 vollzogen, als aus der Oberdeutschen Provinz eine eigenständige Österreichische Ordensprovinz (Provincia Austriae‘) errichtet wurde, zu der bis in die ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges alle Jesuiteneinrichtungen in den böhmischen Ländern gehörten. Als Folge der Schlacht am Weißen Berg entstand 1623 die Böhmische Ordensprovinz (Provincia Bohemiae‘).

In den darauffolgenden Jahren vergrößerte sich die neue Ordensprovinz um zahlreiche Häuser, die auch in Schlesien errichtet wurden. Dazu gehörten Neisse (1622), Troppau und Glogau (1625), Sagan (1628), Schweidnitz (1630) und schließlich Breslau (1638). Bevor eine Residenz oder ein Kolleg entstehen konnte, vergingen oft mehrere Jahre, nachdem einzelne Jesuiten in einer Ortschaft angekommen waren und zunächst provisorische Strukturen geschaffen hatten. So nahmen die ersten Jesuiten in Neisse bspw. bereits 1610 ihre Arbeit auf.

Im Februar 1668 wurden zwei Jesuiten im Oppelner Rathaus durch kirchliche und weltliche Würdenträger begrüßt, wonach sie eine Residenz errichteten, die bereits im Januar 1673 zu einem Kolleg erhoben wurde. Im oberschlesischen Tarnowitz schufen die Jesuiten 1657 eine Mission, die 1673 zu einer Residenz erhoben wurde. Im benachbarten Deutsch Piekar entstand 1677 eine Mission (1682 zur Residenz erhoben). In Brieg wurde 1681 eine Mission errichtet und 1685 zu einer Residenz ausgebaut.

In Österreichisch-Schlesien wirkten bis 1773 zwei Jesuitenhäuser: Das Kolleg in Troppau und die Mission in Teschen. In Troppau kamen die Jesuiten bereits 1608 an, eine Mission konnte jedoch erst 1625 errichtet werden. Unterstützt wurde die Missionstätigkeit durch Herzog von (Troppau-) Jägerndorf, Karl von Liechtenstein, der die Rekatholisierung seiner Herrschaft anstrebte. Nach dem Tod des Herzogs mussten die Jesuiten Troppau 1629 kurzzeitig verlassen, da der Vormund des minderjährigen Herzogs Karl Eusebius, Fürst Maximilian (Bruder des verstorbenen Herzogs) dem Orden feindselig gesonnen war. Die Rückkehr im selben Jahr wurde durch Karl von Wallenstein durchgesetzt. Die Mission wurde zur Residenz erhoben. 1642 erfolgte die Rangerhöhung zum Kolleg.

In Teschen wirkten die Jesuiten kurzzeitig in den Jahren 1611-1614. Sie mussten ihre Mission jedoch verlassen, da das Herzogtum von protestantischen Piasten regiert wurde. Die letzte Angehörige des Piastengeschlechtes, Herzogin Elisabeth Lu­kretia, willigte 1629 trotz ihrer protestantischen Haltung ein, dass zwei Olmützer Jesuiten nach Teschen kamen, was jedoch nur eine kurze Episode blieb. Erst als die Habsburger das Teschener Herzogtum übernahmen, konnte ein dauerhaftes Wirken der Jesuiten gewährleistet werden. Kaiser Leopold I. holte in seiner Funktion als Herzog von Teschen die Jesuiten im Jahre 1670. Von der dortigen Residenz wurden kleinere Missionshäuser im benachbarten Jablonkau betreut. Der Orden wirkte auch auf dem Gebiet des Herzogtums Jägerndorf (in der Stadt und in Olbersdorf), aber auch in Ratibor und in Ziemientzitz bei Gleiwitz.

Nachdem der preußische König Friedrich II. Schlesien eingenommen hatte, verlangte er nach dem Ende des Ersten Schlesischen Krieges im Jahre 1742 die Gründung einer eigenständigen Ordensprovinz für Preußisch-Schlesien, in die alle dort befindlichen Ordenshäuser eingegliedert werden sollten. Die neue Provincia Silesiae‘ wurde 1755 errichtet. In einer problematischen Lage befand sich das Neisser Kolleg, dessen Ländereien grenzübergreifend gelegen waren. Auf österreichischer Seite gehörten sechs Dörfer zum Kolleg. Da die 1773 erfolgte Ordensaufhebung in Preußen nicht durchgeführt wurde, wurde das Kolleg lediglich auf österreichischer Seite um seinen Landbesitz enteignet, was zu mühseligen und jahrelangen Rechtsstreitigkeiten führte.

Um die Ordensaufhebung in Böhmen durchzuführen, entsandte die in Wien ansässige Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei Kommissare nach Prag. Am 5. Oktober 1773 suchten diese die drei Prager Jesuitenhäuser auf und verkündeten den Inhalt des Aufhebungsbreves, womit auch der Einzug der beweglichen und unbeweglichen Ordensgüter verbunden war. Das Vermögen sollte durch den Studienfonds eingezogen werden, die Verwaltung der Kirchengebäude samt daraus entfallender Einnahmen übernahm der Religionsfonds. Zur Böhmischen Ordensprovinz gehörten zum Zeitpunkt der Aufhebung 1.068 Mitglieder an. Darunter waren 594 Priester, 199 Scholastiker, 209 Laienbrüder, 51 Scholastikernovizen und 15 Brüdernovizen. Die Aufhebung betraf 20 Kollegien sowie 16 Residenzen und Missionen.

Die österreichische Zentralverwaltung konnte bei der Durchführung der Ordensaufhebung bereits auf frühere Erfahrungen zurückgreifen, die sie fünf Jahre früher in der Lombardei gesammelt hatte. 1767 gründete Maria Theresia in Mailand eine örtliche Hofkommission, die ‚Regia Giunta Economale‘, zu deren Aufgabe die organisatorische Verwaltung der katholischen Kirche gehörte. Die Mailänder Behörde koordinierte die ersten in der Monarchie durchgeführten Klosteraufhebungen (1768). Auf diese Erfahrungen wurde 1773 und im Rahmen der sog. Josephinischen Klosteraufhebungen (ab 1782) zurückgegriffen.

Mit den Agenden der Aufhebung der Böhmischen Ordensprovinz der Jesuiten war die ‚Böhmisch-Österreichische Hofkanzlei‘ betraut, da sie für die innenpolitischen Belange der Erbländer zuständig war. Geleitet wurde sie vom Obersten Kanzler. Zwischen 1771-1782 übte diese Funktion Graf Heinrich Kajetan von Blümegen aus. Die Kompetenzen über finanzielle Angelegenheiten oblagen der Hofkammer (die 1848 zum k.k. Finanzministerium umgebaut wurde). Zwischen 1771-1796 war Graf Leopold Wilhelm von Kollowrat-Krakowsky der Hofkammerpräsident. Beide Kanzleien koordinierten und beaufsichtigten die vor Ort durchgeführten Maßnahmen. Über die erzielten Etappen wurde Maria Theresia in Kenntnis gesetzt.

Nachdem die Ordenshäuser und der Besitz übernommen worden waren, schritten die entsandten Kommissare zur Tat. In einem von Maria Theresia signierten Rundschreiben wurden ihnen genaue Anweisungen gegeben: Das Archivgut und die Bibliotheksbestände sollten sichergestellt und mit Signaturen zwecks Einordnung und Erkennung versehen werden. In jedem Haus sollten detaillierte Aufstellungen über Aktiva, Passiva den Vermögensstand der Einrichtungen sowie deren zugehörige Kirchen, Kapellen und Sakristeien, aber auch der einzelnen Ordensmitglieder erstellt werden. Die Wiener Zen­tralver­waltung interessierte sich über die Einnahmen und Ausgaben der Bruderschaften, Akademien, Konvikte, Seminare und über allerlei Stiftungen, die von Gläubigen getätigt wurden. Zudem sollten Inventare der beweglichen und unbeweglichen Güter minutiös über den Besitzstand des Ordens Auskunft geben. Diese Dokumente wurden in mehreren Exemplaren angefertigt und von königlichen Kommissaren sowie weiteren kirchlichen Vertretern signiert. Schließlich wurden Verwalter installiert, da sich die Wiener Behörden die Hoffnung machten, dass die eingezogenen Güter Einnahmen in die Staatskassen generieren und die Ausgaben decken würden.

Die Aufhebung des Jesuitenordens war ein einschneidendes Ereignis im Wirken der katholischen Kirche. Die Gesellschaft Jesu war zu einem elitären Vorkämpfer der Katholischen Reform geworden, unter dessen entscheidenden Einflussbereich die (höhere) Schulbildung gehörte, der jedoch auch an zahlreichen herrschaftlichen Höfen präsent war und politischen Einfluss ausübte. In den böhmischen Ländern war der Jesuitenorden für die Rekatholisierung entscheidend verantwortlich. Nach der Wiederbegründung des Ordens im frühen 19. Jh. nahmen die Jesuiten zwar ihre frühere Tätigkeit wieder auf, doch bekamen sie ihren früheren Besitz nicht mehr zurückerstattet, da die großen, die Innenstadt füllenden Kollegiatstifte und Schulen von der öffentlichen Hand übernommen worden waren. An den früheren Glanz und die Bedeutung für das katholische Leben konnte der Orden nicht mehr anknüpfen.

Lit.: Clemens des XIV. Aufhebungsbreve der bisherigen Gesellschaft Jesu. Aus dem Lateinischen. Straßburg 1773. – Alois Kroess: Geschichte der Böhmischen Provinz der Gesellschaft Jesu. III. Die Zeit von 1657 bis zur Aufhebung der Gesellschaft Jesu im Jahre 1773. (1814). Neu bearbeitet und ergänzt von P. Karl Forster SJ. Praha/ Olomouc 2012. – Friedrich Markus: Die Jesuiten. Aufstieg – Niedergang – Neubeginn. München-Berlin 2016.  Cemus Petronilla (Hrsg.): Bohemia Jesuitica 1556-2006. Praha 2010. – Christine Vogel: Der Untergang der Gesellschaft Jesu als europäisches Medienereignis (1758-1773). Publizistische Debatten im Spannungsfeld von Aufklärung und Gegenaufklärung. Mainz 2006.

Bild: Breve von Papst Clemens XIV. zur Aufhebung des Jesuitenordens vom 13. August 1773.