Ereignis vom 1. Januar 1851

Die Bundesversammlung in Frankfurt/ Main erklärt Ost- und Westpreussen als nicht zum Deutschen Bund gehörend

Der Politiker Otto Theodor von Manteuffel.

1851 wurden die preußischen Provinzen Westpreußen und Ostpreußen aus dem Deutschen Bund ausgegliedert. Nur knapp drei Jahre zuvor hatte die Bundesversammlung in Frankfurt am Main am 11. April 1848 überhaupt erst die Aufnahme dieser Provinzen in den Bund beschlossen, über dreißig Jahre nach dessen Gründung. Der durch die Unterzeichnung der Deutschen Bundesakte am 8. Juni 1815 geschaffene Deutsche Bund war keine Wiederherstellung des alten Deutschen Reiches. Dazu fehlte diesem losen Staatenbund nicht nur ein gemeinsames Oberhaupt, sondern auch eine Bundesexekutive, eine gesetzgebende Versammlung, Gerichtshöfe und eine gemeinsame innere Verfassung. Das die 39 Mitglieder – darunter auch die Könige von Großbritannien (Hannover), Dänemark (Holstein) und der Niederlande (Luxemburg) – einende Ziel war im Artikel 2 der Bundesakte genannt: „Erhaltung der äußeren und inneren Sicherheit Deutschlands und der Unabhängigkeit und Unverletzbarkeit der einzelnen deutschen Staaten.“ In Artikel 11 garantierten sich die Mitglieder gegenseitigen Schutz im Falle eines Angriffs. Als einziges Organ schufen sich die Mitglieder die Bundesversammlung in Frankfurt am Main, in der Österreich den Vorsitz führte.

Die Nichtaufnahme der Provinzen West- und Ostpreußen in den Bund war 1815 noch damit begründet worden, daß die „Preußischen Lande Königlich Polnischen Anteils“ und das Herzogtum Preußen – beide hervorgegangen aus dem 1466 im Zweiten Thorner Frieden aufgelösten Staat des Deutschen Ordens – schon vorher nicht zum 1806 aufgeteilten Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gezählt hatten und damit auch keine zum Deutschen Reich gehörende Besitzungen im Sinne der Bundesakte gewesen waren.

Die Diskussion um die Reichszugehörigkeit der späteren preußischen Ostprovinzen war so alt wie der Ordensstaat Preußen, der von 1231 bis 1466 Bestand hatte. Die staatsrechtliche Stellung dieses Staates war seit den Anfängen umstritten und wurde über die Jahrhunderte immer wieder – wenn auch aus unterschiedlichen Motivationen heraus – diskutiert. Im Mittelalter und der frühen Neuzeit stand dabei die Frage im Mittelpunkt, ob der Ordensstaat als ein selbständiges Glied nun direkt zum imperium romanum gehöre oder nur zum deutschen regnum. Die kaiserliche Politik trug nicht viel dazu bei, die schon früh entstandene Begriffsverwirrung zu bereinigen. So versuchten die Kaiser Friedrich III. (reg. 1440–1493) und Maximilian I. (reg. 1493–1519) nach 1466 immer wieder, den Hochmeister von seinem Huldigungseid dem König von Polen gegenüber abzubringen. Nachdem Albrecht von Brandenburg 1525 die Hochmeisterwürde abgelegt hatte und das Herzogtum Preußen von der Krone Polen zu Lehen nahm, verhängte Maximilian 1532 und 1536 sogar die Reichsacht über Herzog und Land – durchgesetzt wurde diese Strafe jedoch nie, was im Grunde bedeutete, daß das Reich das Herzogtum Preußen nicht zum Reichsverband zählte. Auch die durch den Frieden von Oliva 1660 erlangte Souveränität des Hauses Brandenburg über Ostpreußen klärte die Stellung dieses Landes zum Reich nicht. Als der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. (reg. 1688–1701) sich 1701 zum ersten König in Preußen krönen ließ, gründete er sein neu erworbenes Königtum ausdrücklich auf sein souveränes, „von Niemand als Gott und ihm dependierendes Herzogtum Preußen“, während er mit seinem übrigen Land „getreuer Reichsstand“ blieb. Im gleichen Zug bemühte man sich in Berlin, die Ansprüche des Deutschen Ordens auf seinen ehe­maligen Staat zu entkräften. Der aus Halle an der Saale stammende Jurist Johann Peter Ludwig leugnete in einer Auftragsarbeit für den Berliner Hof kategorisch, daß jemals eine Reichszugehörigkeit Preußens bestanden habe. In die gleiche Richtung ging die Dissertation von Jakob Heinrich Ohlius aus Königsberg/Pr. von 1740: ein Zusammenhang Preußens mit dem Reich wurde hier abgelehnt. Und Friedrich II. (reg. 1740–1786) spielte sogar mit dem Gedanken, das reichsfreie Ostpreußen aufzugeben, da es auf Dauer nicht gegen Rußland zu verteidigen sei. Dies änderte sich 1772, als er im Zuge der Ersten Polnischen Teilung die Provinz Westpreußen erwarb, die nunmehr als Landbrücke nach Ostpreußen diente. Mit der 1793 und 1795 erfolgten Inbesitznahme Südpreußens und Neuostpreußens lag am Ende des 18. Jahrhunderts ein erheblicher Teil Brandenburg-Preußens außerhalb des Reichsgebiets. Übrigens vermied auch Friedrich bei der Inbesitznahme Westpreußens 1772 jeden Hinweis auf mögliche Rechte des Deutschen Ordens.

Nach den Befreiungskriegen und dem Wiener Kongress waren Westpreußen und Danzig unmittelbar und selbstverständlich 1815 wieder zum Königreich Preußen gekommen. Die Frage dagegen, ob West- und Ostpreußen in den zeitgleich gegründeten Deutschen Bund aufgenommen werden sollten, ist weder vor noch während des Wiener Kongresses thematisiert worden – die Ausnahmestellung dieser Provinzen wurde als gegeben anerkannt und nicht weiter diskutiert. In der Folge wurde die Frage nach der Aufnahme dann aber doch noch zu einem Thema zahlreicher Denkschriften. Auslösend hierfür war vor allem das Bestreben des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797–1840), seinen gesamten Staat in den Deutschen Bund aufzunehmen. Ausschlaggebend waren hier vor allem militärische Gründe. Im Falle eines russischen Angriffs auf Ostpreußen wollte der König sich der Unterstützung der übrigen Bundesgenossen sicher sein. Mit diesen Überlegungen brachte er seinen Staatskanzler Karl August von Hardenberg je­doch in arge Bedrängnis, hatte dieser sich doch im europäischen Sinne für eine Nichtaufnahme ausgesprochen. In einer Denkschrift vom 23. Februar 1817 beschwor Hardenberg daher den Monarchen, von einem Gesamteintritt des brandenburgisch-preußischen Staates Abstand zu nehmen. Zuerst führte er aus, daß sich in Schlesien, Glatz und der Lausitz jeder längst als zu Deutschland gehörig betrachte, was bei den Preußen jedoch nicht der Fall sei, „und es wird für sie keine Beschwerde daraus entstehen, daß sie keine Bundes Verwandte sind“. Sollten diese östlichen preußischen Gebiete tatsächlich angegriffen werden, würde ein solcher Krieg schnell auf das Bundesgebiet übergreifen und damit die allgemeine Teilnahme nach sich ziehen. Doch nicht nur die möglichen gesamteuropäischen Verwicklungen oder Einsprüche anderer Staaten im Fal­le eines preußischen Gesamtbeitritts, auch die Stellung Preu­ßens zu den übrigen Mitgliedern des Bundes ließen den Staats­kanzler von einem solchen Vorgehen entschieden abraten. Die fragile Balance innerhalb des Bundes könne durch eine solche Entscheidung empfindlich gestört werden. Auch der öster­reichische Außenminister Klemens Fürst von Metternich sprach sich 1818 entschieden gegen das Ansinnen des preußischen Königs aus, sah Metternich durch einen Gesamteintritt Preußens eines der Hauptprinzipien der preußisch-öster­rei­chischen Politik gefährdet, nämlich die Gleichheit der Lage beider Monarchien.

Die Nichtzugehörigkeit zum Deutschen Bund wurde von den West­- und Ostpreußen tatsächlich zunächst nicht als etwas Besonderes wahrgenommen, fühlte man sich doch zuerst einmal als Teil des preußischen Staates. Der nächst größere Bezugspunkt war Deutschland, ein Gefühl, das auch nicht durch die Grenzen der Bundesakte beeinflußt wurde. Ein öffentliches Echo auf die oben genannten Verhandlungen gab es übrigens in West- und Ostpreußen so gut wie nicht, was auch damit zusammen hing, daß die Beratungen durchweg geheim geführt wurden. Erst Jahrzehnte später drängten die seit 1824/29 zu einer Provinz Preußen vereinigten West- und Ostpreußen in den Deutschen Bund. Anfang der vierziger Jahre tauchte erstmals das Gerücht auf, daß die Schutzpflichten und Befugnisse des Bundes auch auf die östlichen Provinzen der preußischen Monarchie ausgedehnt werden sollten. Vollends zum Ausbruch kamen die Überlegungen dann in den Ereignissen des Jahres 1848. Am 15. März versammelten sich in der Wohnung des Königsberger Kaufmanns Malmros Gutsbesitzer und Städter aus Elbing, Graudenz, Strasburg, Kulm und allen anderen Kreisen West- und Ostpreußens. Eine ihrer zentralen Forderungen an den König war die „Aufnahme unserer Provinzen in den deutschen Bundesstaat und Vertretung derselben in einem deutschen Volksparlament“. Bereits vier Tage zuvor hatten die Elbinger Stadtverordneten eine Petition an den König gerichtet, in der das Aufnahmebegehren an erster Stelle stand. Noch bevor die beiden Eingaben Berlin erreichten, sprach Friedrich Wilhelm IV. (reg. 1840–1861) sich am 18. März für einen Eintritt der beiden Provinzen in den Bund aus, falls deren Vertreter dies wünschten. Die Vertreter des in Berlin zusammen­getretenen Provinziallandtages baten den König daraufhin am 3. April, die Aufnahme der Provinz Preußen in den Deutschen Bund zu veranlassen.

Die Bundesversammlung in Frankfurt entsprach dem preußischen Antrag, und die Provinz Preußen wurde am 11. April einstimmig in den Bund aufgenommen. Der westliche – überwiegend deutsche – Teil Posens kam am 22. April hinzu. Hierdurch wurde auch die Entsendung von Abgeordneten der Provinz Preußen für die geplante Deutsche Nationalversammlung ermöglicht. Für die Wahl der Abgeordneten wurde die Provinz Preußen in 32 Wahlbezirke eingeteilt, von denen 13 auf den westpreußischen Teil entfielen. Die Aufnahme in den Deutschen Bund wie auch die Wahlen zur Nationalversammlung fanden unter dem Protest bzw. dem Boykott des im März 1848 gegründeten „Provisorischen Nationalkomitees für Westpreußen“ statt. Die in diesem Komitee organisierten westpreußischen Polen sprachen sich entschieden gegen den Beitritt Westpreußens zum Deutschen Bund aus und protestierten auch in Frankfurt offen dagegen. Das Gremium beschloß darüber hinaus, keinen Deputierten für die Deutsche Nationalversammlung zu wählen.

Für West- und Ostpreußen wurde es jedoch nur eine kurze Mitgliedschaft. Dem Ende der Nationalversammlung 1849 folg­ten die preußisch-österreichischen Auseinandersetzungen mit dem Scheitern der preußischen Unionspläne. Vor allem der Plan des österreichischen Ministerpräsidenten Schwarzenberg eines Gesamteintritts Österreichs in den Bund mußte Auswirkungen auf die Zugehörigkeit der preußischen Ostprovinzen haben. Als Alternative zu einem Gesamteintritt Österreichs wurde auch in der preußischen Regierung die Gefahr eines Auseinanderbrechens der österreichischen Gesamtmonarchie gesehen. In den Auseinandersetzungen der beiden deutschen Mächte fand sich Preußen schließlich bereit, der Wiederherstellung des Bundes in seiner ursprünglichen Form zuzustimmen. Das bedeutete für die Ostprovinzen die Wiederausgliederung. Der preußische Ministerpräsident Otto von Manteuffel teilte 1851 dem Bundestagsgesandten von Rochow mit: „Wir können nicht den Wunsch hegen, dieselben [also die Ostprovinzen, Anm. d. Verf.] im Bund zu belassen.“ Und in einem Rundschreiben an die königlichen Gesandtschaften machte Manteuffel deutlich: „Als eine naturgemäße Folge des Umstandes, daß das Projekt des Eintritts der österreichischen Gesamtmonarchie in den Deutschen Bund zur Zeit in den Hintergrund getreten ist, erscheint es, daß auch die Provinzen Ost- und Westpreußen und ein Teil der Provinz Posen, welche erst seit dem Jahre 1848 dem Deutschen Bund beigerechnet worden sind, in ihr früheres Verhältnis zurücktreten.“ Als offizielle rechtliche Begründung für den geplanten Austritt – dem auch die Abgeordneten der Provinz Preußen nicht widersprachen – wurden die 1848 geführten Aufnahmebeschlüsse angeführt: es habe damals keinen Plenarbeschluß über den Beitritt gegeben, der aber eigentlich Voraussetzung für die Aufnahme gewesen sei. Die Vorbereitung und Einbringung des Antrags auf Wiederaustritt lag übrigens in den Händen des jungen preußischen Bundestagsgesandten Otto von Bismarck, der dieses Vorgehen auch selbst politisch unterstützte. Die Abstimmung hierüber endete einstimmig. Am 3. Oktober 1851 erklärte die Bundesversammlung in Frankfurt am Main, „daß die Provinzen Ost- und Westpreußen sowie die im Bundestagsprotokoll vom 22.4. und 1.5.48 bezeichneten Teile des Großherzogtums Posen nicht als zum Deutschen Bund gehörig zu betrachten seien.“

Erst 1866 sorgte Bismarck dafür, daß die Ostprovinzen in den Norddeutschen Bund aufgenommen wurden. Und mit der Reichs­gründung 1871 wurden West- und Ostpreußen natürlich auch Teile des Deutschen Reiches.

Lit.: Manfred Görtemaker: Deutschland im 19. Jahrhundert, Bonn 1987. – Heinz Neumeyer: Westpreußen 1815–1870, in: Westpreußen-Jahrbuch 37 (1987), S. 37–56. – Bernhard Maria-Rosenberg: Petitio­nen aus Westpreußen an die Deutsche Nationalversammlung in Frankfurt 1848/49, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens, Nr. 4 (1973), S. 110–150. – Brigitte Winkler-Seraphim: Das Verhältnis der preußischen Ostprovinzen, insbesondere Ostpreußens zum Deutschen Bund im 19. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Ostforschung, Jg. 4 (1955), S. 321–350, Jg. 5 (1956), S. 1–33.

Bild: Otto Theodor von Manteuffel. / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Martin Steinkühler (OGT 2001, 343)