Ereignis vom 1. Januar 1888

Die evangelische Krankenpflegeanstalt in Hermannstadt

Großherzogin Sophie von Sachsen Weimar

In Hermannstadt entstand bereits im Jubiläumsjahr 1883 – 400 Jahre nach der Geburt Martin Luthers – der Wunsch, nach deutschem Vorbild eine Diakonissenanstalt zu begründen. Am 1. Mai 1886 unterzeichneten führende Honoratioren der Stadt, unter ihnen der Kanzleichef der Landeskirche Karl Fritsch oder auch der spätere Landeskirchenkurator Carl Wolff, eine von Stadtphysikus Dr. Fr. Jikeli initiierte Eingabe an das Presbyterium der Hermannstädter Stadtpfarrgemeinde, in der die Errichtung einer Diakonissenanstalt angeregt wurde. Unter Leitung von Dr. Friedrich Müller, dem damaligen Stadtpfarrer und späteren Bischof, beschloss das Presbyterium umgehend, diesen Vorschlag zu realisieren. Drei junge Frauen – Johanna Schmidt, Marie Paulini, Susanna Roth – wurden aus den meist jungen und unverheirateten Bewerberinnen ausgewählt. Ihre Reisekosten übernahm die Kirchengemeinde. Sie wurden ins Deutsche Kaiserreich nach Weimar zur Ausbildung als Krankenschwestern geschickt. Die Gelegenheit zur kostenlosen Ausbildung hatte die Großherzogin Sophie von Sachsen-Weimar-Eisenach, deren außergewöhnliches soziales Engagement in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt war, ermöglicht.

Die aus den Niederlanden stammende, streng protestantisch erzogene Prinzessin Sophie, deren breit angelegte musische, ökonomische, politische-philosophische und soziale Bildung durch ihren Vater zielstrebig betrieben worden war, ist seit 1842 mit ihrem Cousin Karl Alexander, dem seit 1853 amtierenden Großherzog von Sachsen-Weimar verheiratet gewesen. Ihr ist die umfangreiche „Sophienausgabe“ von Goethes Werken zu verdanken sowie eine intensive Kunst- und Kulturförderung. Dennoch lag der Schwerpunkt Ihres Engagements im sozialen Bereich. Initiiert hat sie ein Blinden- und Taubstummeninstitut in Weimar, Kleinkindbewahranstalten, Industrie-, Hauswirtschafts- oder auch Gewerbeschulen. Diesen Einsatz verband sie mit der Leitung des von ihrer Schwiegermutter 1817 begründeten und von ihr 1859 übernommenen Patriotischen Instituts der Frauenvereine. Das von ihr 1875 in Weimar ins Leben gerufene und zeitlebens geförderte Diakonissenhaus, dessen 1886 von ihr großzügig neu errichtetes Mutterhaus als „Sophienhaus“ bekannt wurde, hat eine umfassende Wirksamkeit entfaltet. Ebenfalls mit ihrer Unterstützung wurde ein Kinderheilbad 1890 in Stadtsulza begründet.

Die drei Lehrschwestern aus Hermannstadt erhielten somit 1887/88 die Möglichkeit, auf medizinisch und pflegerisch neuestem Stand ihren Beruf zu erlernen, um damit in der ambulanten Gemeinde-, aber auch in der stationären Krankenhauspflege eingesetzt werden zu können. Auf Grund der durch die beginnende Industrialisierung und der allmählich einsetzenden Landflucht wuchs die Stadtgemeinde Hermannstadt ständig und überproportional. Während sich parallel zur Errichtung der institutionalisierten Diakonie die meisten städtischen Nachbarschaften auflösten, reagierte die sächsische Gemeinschaft verantwortungsvoll auf die Herausforderungen durch Armut, Epidemien prekäre Wohnsituationen wie auch im Hinblick auf moderne medizinische Erkenntnisse und gewachsenes Hygienebewusstsein. Hatte unter den Honoratioren zunächst die Absicht bestanden, in einem gemieteten Haus für die zurück kehrenden Krankenschwestern eine kleine Schwesternstation einzurichten, wies die weitblickende Weimarer Oberin Berta Döbling – gestützt auf das von der Großherzogin angestrebte Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe – die Verantwortlichen in Hermannstadt darauf hin, dass nur ein angemessener Neubau optimale Arbeitsbedingungen und vor allem auch die Chance zu einem Wachstum der jungen Einrichtung böte. Beherzt griffen Presbyterium und Gemeindevertretung diese Anregung auf und errichteten binnen eines dreiviertel Jahres einen Neubau der „Evangelischen Krankenpflegeanstalt“ der Hermann­städ­ter Kirchengemeinde. Finanziert wurde die enthusiastisch begonnene Arbeit durch vierteljährliche Hauskollekten, umfangreiche „Widmungen“, also Spenden, und mithilfe eines internen Kredits. Am 4. November 1888 – also vor genau 125 Jahren – feierte die Hermannstädter Kirchengemeinde in Anwesenheit von Bischof D. Georg Daniel Teutsch die Einweihung des Neubaus auf einem der Kommune Hermannstadt abgekauften Rand-Grundstück des Bürgerspitals an der Drei-Eichen-Straße. Entstanden war ein Krankenhaus mit sechs Betten in der Krankenstation. Im selben Gebäude wohnten zugleich die Schwestern. Ein Zubau kam 1890 hinzu, doch reichte diese Erweiterung immer noch nicht aus. Dieses erste Gebäude wurde schließlich ins Schwesternwohnheim umgewandelt, nachdem bereits zum 10jährigen Bestehen im unmittelbaren Anschluss daran ein neues zweistöckiges Krankenhaus erbaut worden war. Nur dieses steht heute noch auf dem Klinikgelände – direkt am Verkehrskreisel hinter dem Gedenkobelisken. Monatlich wurde in den Sitzungen des Presbyteriums über die Arbeit und die Herausforderungen des neuen Arbeitszweiges berichtet. Mit erkennbarer Sympathie begleitete der Krankenpflegeausschussvorsitzende, Stadtpfarrer Müller, die positive Entwicklung. Die Gemeindeglieder unterstützten vielfältig und großzügig die Krankenpflegeanstalt, die rasch aufblühte. Sehr rasch wuchs die Zahl der Probe-, Lehr- und Pflegeschwestern (1898: 28; 1913: 54), die teilweise in Hermann­stadt, aber auch in Weimar in mindestens einjährigen Lehrgängen ausgebildet wurden. Zwar lebten die Schwestern ehelos, waren aber nicht verpflichtet, lebenslang der Schwesternschaft anzugehören. Ein Großteil trat nach einiger Zeit – meist wegen Heiratsabsichten – wieder aus. Dennoch fanden sich auch einige Schwestern bereit, lebenslang in dieser Dienst- und Lebensgemeinschaft zu wirken. Die erste Oberin, Johanna Schmidt, trat nach mehr als 42 Jahren zum Jahresende 1929 in den Ruhestand über.

In der Hermannstädter Krankenpflegeanstalt entstand der Mittelpunkt einer sich auf die Landeskirche ausbreitenden schwesternschaftlichen Diakonie. Mit der ständig und deutlich wachsenden Zahl ausgebildeter Krankenschwestern wuchs andernorts der Wunsch, weitere lokale Schwesternstationen zu eröffnen. Die Nachfrage war größer als die Zahl der ausgebildeten Schwestern, die auf Grund von Verträgen und an das Mutterhaus zu leistenden Gebühren entsandt wurden. In der Folge entstanden Schwesternstationen 1891 in Schäßburg und Agnetheln (bis 1893), 1897 in Kronstadt, 1901 in Sächsisch Reen, 1903 in Mediasch und 1912 in Mühlbach. Sie arbeiteten in der Privatpflege (bei den Erkrankten zuhause) oder in Spitälern, zuweilen auch in Sanatorien. 1892 wurde den Schwestern (mit gewissen Einschränkungen) der gesamte Pflegedienst im Hermannstädter Franz-Josef-Bürgerspital übergeben. In Schäß­burg arbeiteten 1913 neun Schwestern, davon sieben im Komitatsspital, in Mediasch fünf und in Mühlbach drei Schwestern im städtischen Spital-Pflegedienst. Zu den sechs Schwestern im Hermannstädter Bürgerspital und zwei weiteren im Isolierhaus (1913), kamen weitere Schwestern: seit 1889 eine Schwester für die Kinderheilerholung in Salzburg, die 1892 durch einen Neubau zur alljährlichen sommerlichen „Kin­der­kolonie“ ausgebaut wurde, dazu traten 1892 gleichartige Einrichtungen in Karlshütte (bei Schäßburg) und Bad Zaizon (bei Kronstadt).

Schon 1904 nahm die Hermannstädter Kirchengemeinde eine, bereits 1907 eine zweite Gemeinde-Armenschwester in Dienst, die insbesondere während der Typhus-Epidemie 1908 und in den Folgejahren unschätzbare Hilfe leisteten. Die Gemeinde wurde 1904 in Seelsorge- und Armenbezirke eingeteilt. Die Berichte der Gemeindeschwestern, die immer auch in den Presbyterialsitzungen verlesen wurden, ließen erkennen, welche Not, u.a. bei dauernd, aber auch bei „verschämten“ Armen herrschte. 1910 wurde eine Schwester bei der Bezirks-Arbeiterversicherungskasse ambulant eingesetzt, 1913 traten zwei Schwestern in der staatlichen Hebammenanstalt ihren Dienst an, und das Erholungsheim im Brukenthalschloss mit Ferienkolonie in der Orangerie in Freck wurde durch Schwestern geführt. Bis zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde die intensive Verbindung mit dem Sophienhaus in Weimar und der großherzoglichen Familie gepflegt, die gewissermaßen das anfänglich durch Großherzogin Sophie geübte Protektorat über die Krankenpflegeanstalt in Hermannstadt fortführte.

Im Ersten Weltkrieg wurden die Schwestern teilweise zum Lazarettdienst eingeteilt. Nach dem Ersten Weltkrieg und der Angliederung von Bessarabien und „Transilvanien“ an Rumänien änderte sich die Gesamtlage deutlich. In Bessarabien hatte der Kreisarzt Dr. Georg Friedrich Lütze in Sarata Mitte des 19. Jahrhunderts auf die Gründung eines Krankenhauses hingearbeitet. Von 1865 bis 1871 hatten Neuendettelsauer Diakonissen in Sarata zu wirken begonnen. Das 1867 neu gegründete Alexander-Asyl wurde die Keimzelle einheimischer schwestern­schaftlicher Diakonie in Bessarabien, mit Pflegeheimen in Arzis (1886) und Krankenhausbau (1912/13), aber auch Einsatzorten wie Odessa, Kiew, Saratow sowie in der Zwischenkriegszeit Tarutino, Temeswar oder Schäßburg. Die meist streng pietistischen bessarabischen Diakonissen haben – nach einer Konsolidierung in den 1920er Jahren – bis 1940 (mit 55 Diakonissen bei der Umsiedlung) eine vielseitige Tätigkeit entwickelt. Aus dieser Region haben nach dem ersten Weltkrieg außerdem nicht wenige junge Frauen den Weg in das bereits 1897 von Kaiserswerth abgespaltene, eigenständige Dia­ko­nissenmutterhaus „Gottesfrieden“ in Bukarest gefunden. Bis 1950 haben diese Schwestern in der Krankenpflege im Altreich, vornehmlich in Bukarest gewirkt, aber auch in der aus einem Kriegsinvalidensanatorium hervorgegangenen Filiale, der renommierten orthopädischen Fachklinik (Belegkrankenhaus) mit Waisenhaus und Schwesternwohnheim auf dem Schneckenberg in Kronstadt. Dort wurden zumeist siebenbürgisch-sächsische Frauen, die aus dem Milieu der Gemeinschaftsbewegung stammten, eingesetzt.

Zwar blieben nach dem Ersten Weltkrieg die Arbeitsfelder der Hermannstädter Evangelischen Krankenpflegeanstalt in Siebenbürgen erhalten, es wurden sogar Schwestern an die burzenländischen Privatsanatorien, z.B. von Dr. Wilhelm Dep­ner oder Dr. Leonhard Flechtenmacher, entsandt; die Schwesternzahl stieg gegen Ende der 1920er Jahre auch weiter an. Schließlich wurden beispielsweise für Heltau Landkrankenpflegerinnen ausgebildet. Doch unmittelbar nach Kriegsende wurden wegen eines Personalengpasses alle Schwestern aus Kronstadt abberufen und die dortige Station geschlossen. Dies führte dazu, dass Stadtpfarrer Dr. Franz Herfurth sich erfolgreich im einzigen Diakonissenmutterhaus Österreichs, im Mutterhaus „Bethanien“ in Gallneukirchen um Diakonissen bzw. um Schwesternausbildung bemühte. Der Kronstädter Ortsausschuss für Krankenpflege warb junge Frauen, die in Österreich kostenlos zu Ausbildung aufgenommen wurden. Auf Grund der räumlichen Distanz bestand aber in Gallneukirchen die Absicht, die Filiale in Kronstadt baldmöglichst in die Selbstständigkeit als eigenes Diakonissenmutterhaus zu entlassen. Dies ist dann auch geschehen. Unter der Leitung der von Gallneukirchen entsandten „reichsdeutschen“ Diakonissen-Oberin Freda von Schaky wurde das Diakonissenmutterhaus „Betha­nien“ gegründet. Das Kronstädter Mutterhaus, das immer mit widrigen räumlichen, z.T. gesundheitsschädlichen Wohnbedingungen zu kämpfen hatte, vereinte nicht nur die bereits erprobten pflegerischen Dimensionen, sondern legte vor allem Wert auf die „Innere Mission“, besonders die volksmissionarische Stärkung des Glaubenslebens sowohl der städtischen Jugend als auch der dörflichen sächsischen Bevölkerung. Darin trafen die Diakonissen sich mit dem Anliegen des Kronstädter Stadtpredigers Georg Scherg, aber auch mit der Intention des seit 1922 amtierenden Stadtpfarrers und nachmaligen Bischofs Dr. Viktor Glondys. Dieser missionarische Akzent hing unter anderem mit der Herkunft und dem Ausbildungsgang der leitenden Schwestern zusammen. Das Bukarester und sogar beide Kronstädter Diakonissenhäuser wurden geleitet von Malche-Schwestern, d.h. von Frauen, die im 1898 begründeten Frauen-Bibel-Missionshaus Malche (bei Bad Freienwalde im Oderbruch) geprägt und für diese volksmissionarische Arbeit breit ausgebildet und international vernetzt waren. Immerhin arbeiteten in den 1930er Jahren gleichzeitig 14 Malche-Schwestern (von Sarata bis Kronstadt) in Rumänien.

In der Weltwirtschaftskrise waren auch die Schwesternhäuser vom negativen Sog der ökonomischen Depression erfasst. In Hermannstadt geriet auch das der Hermannstädter Allgemeinen Sparkassa (HAS) gehörende, bislang als „Goldesel“ sprudelnde Stadtpark-Sanatorium finanziell ins Schlingern. Ärztlicher Direktor war zu diesem Zeitpunkt Dr. Adolf Eitel. Bislang hatte sich die HAS stets einer Fusion des Stadtpark-Sana­toriums mit der Evang. Krankenpflegeanstalt, als deren ärztlicher Direktor Dr. Viktor Weindel amtierte, widersetzt. Auf dem Höhepunkt der Bankenkrise 1931 suchte die HAS dann die Entlastung. Zum Jahresende 1932 schlossen sich beide Kliniken unter der Obhut der Landeskirche zusammen. Offiziell wurde das neue, landeskirchliche „Martin-Luther-Kranken­haus“ mit Schwesternverband der Evangelischen Krankenpflegeanstalt am 20. Mai 1934 feierlich eröffnet. Vornehmliches Ziel war es, hier den minderbemittelten Schichten eine zusätzliche, billigere Patientenklasse anzubieten sowie die durch die Inflation in ihrer Ausstattung stark geschwächten Freibett-Stiftungen durch ein ganzjährig garantiertes Freibett für Bedürftige (kostenlos inklusive der Operationen und ärztlichen Behandlung) zur Verfügung zu stellen. Mit der Klinik-Fusion reduzierte sich zwar einerseits die Bettenzahl, weil nur die 66 Betten in dem 1905/06 errichteten Gebäude des ehemaligen Stadtpark-Sanatoriums vom Martin-Luther-Krankenhaus genutzt wurden. Andererseits sollte das frühere Krankenhaus der Krankenpflegeanstalt nun aber mit 22 Betten zum Lungenspital umgewidmet werden. In der neuen organisatorischen Struktur des Martin-Luther-Krankenhauses (und in den auswärtigen Stationen) existierte die evangelische schwesternschaft­liche Diakonie bis zur Verstaatlichung 1948 weiter. Aber selbst danach blieb der Name Martin-Luther-Krankenhaus über Jahrzehnte noch im Volksmund erhalten. Leider ist das Feierabendhaus mit Christlichem Hospiz, das 1929 für die Ruhestandsschwestern in dem von Charlotte von Dietrich vermachten, herrschaftlichen Gebäude am Schillerpark durch die Stadtpfarrgemeinde Hermannstadt adaptiert worden war, erst jüngst durch juristische Unbilden einer berechtigten Restitution entzogen worden. Dort hatten die aufopferungsvoll dienenden Schwestern nach dem zum Teil über vier Jahrzehnte dauernden Arbeitsleben eine würdige Bleibe für ihren Ruhestand in geistlicher Gemeinschaft gefunden. Sie konnten sich, solange ihre Kräfte reichten, in dem zugleich als Gästehaus dienenden Haus weiterhin nützlich machen und vielen – auch weit gereisten, prominenten Gästen – den Aufenthalt in Hermannstadt mit liebevollen Gesten angenehm gestalten.

Die Schwestern fanden in einem heute noch bestehenden eigenen Gräberfeld auf dem Zentralfriedhof ihre letzte Ruhe.

Bild: Großherzogin Sophie von Sachsen Weimar. / Quelle: Charles Verlat artist QS:P170,Q175257, Großherzogin Sophie von Sachsen WeimarCC BY-SA 4.0

Ulrich Andreas Wien