Es war ein denkwürdiger Tag, als zu Weihnachten 1947 in schicksalsschwerer Zeit unseres Volkes der damalige Erzbischof von Paderborn, Dr. Lorenz Jaeger, seine Unterschrift unter ein Dokument setzte, mit dem die Gründung des St.-Hedwigs-Werkes bestätigt wurde. Es wurde ins Leben gerufen, um all jenen, die unter großen Entbehrungen infolge der Kriegswirren aus dem deutschen Osten fliehen mussten, wenigstens eine geistige Heimat wiederzugeben bzw. zu erhalten. Es wurde auch von dem Bischof von Osnabrück bestätigt. Pfarrer Wilhelm Trennert in Lippstadt war der Initiator. Der Anstoß kam von der Deutschen Hedwigsstiftung des Lehrers Maximilian Schulz. „Im Rahmen der Werler Wallfahrt am 29. Juni 1947 wurde am Nachmittag eine Festakademie der von dem Lehrer Maximilian Schulz begründeten Deutschen Hedwigsstiftung abgehalten, in deren Verlauf dem anwesenden 1. Vertriebenenbischof, Maximilian Kaller, Sinn und Ziel dieser Vereinigung erklärt wurde. Mit seiner Zustimmung wurde der Beschluss gefasst, ein kirchliches Kulturwerk der Heimatvertriebenen unter dem Patronat der hl. Hedwig zu schaffen. Das Werk erhielt den Auftrag, Arbeitsgemeinschaften (St. Hedwigs-Kreise) in den Pfarreien zu gründen, um heimatliche Gottesdienste, Andachten und Veranstaltungen durchzuführen.“
Der Gedanke, der die Gründer dieser Heimatwerke beseelte, war, die Heimatvertriebenen auf dem Boden von Diözese und Seelsorgebezirken zu sammeln und alle Flüchtlinge und Spätaussiedler der verschiedenen Landsmannschaften in dem Kulturwerk Heimat und Glaube zusammenzufassen. Die beiden Gründer, Pfarrer Wilhelm Trennert für die Erzdiözese Paderborn und Pfarrer Johannes Smaczny für die Diözese Osnabrück, besaßen jeder eine ausgeprägte, selbstbewusste und selbständige Persönlichkeit. Sie waren überaus tätig, beharrlich und energisch zugleich. Wie einmal der hl. Paulus, so reisten auch diese beiden Apostel in ihren Diözesen unermüdlich umher, um örtliche Hedwigskreise zu gründen. Überall wurden Hedwigs-Andachten gehalten, man führte alljährlich große, nach Landsmannschaften getrennte Wallfahrten durch, und in vielen Städten der beiden Diözesen wurden in regelmäßigen Abständen Heimatgedenk- und Feierstunden mit auserlesenem Programm gehalten.
Nach dem Tode von Prälat Trennert, dem Gründer und ersten Diözesanpräses des St.-Hedwigs-Werkes sowie Direktor der Heimvolkshochschule Oerlinghausen am 20. Oktober 1972, war bis 1993 zweiter Diözesanpräses Prälat Gerhard Kluge. Es folgten zehn Jahre Vakanz. Dritter Präses wurde ab 2003 Pastor Manfred Wittwer bis zu seinem Tode 2009. Vierter Präses mit dem Titel „Geistlicher Begleiter“ ist nun Kons. Rat Pfarrer Walter Junk.
Die Hedwigskreise pflegen religiöses und heimatliches Kulturgut, orientiert am Kirchenjahr, religiöses und weltliches Brauchtum. Jeder Kreis hat eine unverwechselbare Form der Zusammenkünfte entwickelt: Gottesdienste (Messen und Andachten), Verehrung der Seligen und Heiligen der Heimat, Heimatnachmittage. Die Mitglieder engagieren sich bis heute in den kirchlichen und politischen Gemeinden. Von Anfang an wurde festgelegt, dass auf der Ebene der Pfarreien alle Vertriebenen gemeinsam angesprochen werden sollten, ohne jeden landsmannschaftlichen Unterschied. Nicht nur in der Paderborner Erzdiözese, sondern auch im Bistum Osnabrück, im Erzbistum Freiburg, später im Bistum Essen entstanden St.-Hedwigs-Werke. Im Erzbistum Hamburg gab es 2007 noch einen Hedwigskreis. Mit der 70. Ruller Wallfahrt als Jubiläumswallfahrt am 25. Mai 2017 ist das Osnabrücker Werk Geschichte.
In den St.-Hedwigs-Kreisen entwickelte sich eine eigene Jugendarbeit, die sich Katholische Ostdeutsche Jugend im St.-Hedwigs-Werk nannte. Die KOJ war die einzige katholische Jugendorganisation der Heimatvertriebenen, die nicht landsmannschaftlich ausgerichtet war. Vielmehr war sie offen für alle Jugendlichen der ostdeutschen Landsmannschaften. Kurse für Jugendliche wurden seit 1956 im St.-Hedwigs-Haus in Oerlinghausen angeboten mit politischer, kultureller und religiöser Thematik. Auch im Bistum Osnabrück wurde eine KOJ gegründet, für die im Februar 1957 eine Satzung beschlossen wurde. Im Bistum Essen und in Süddeutschland im Erzbistum Freiburg hatte die KOJ Fuß gefasst. Mit ihrer Programmatik lag sie auf der Linie der Verbände der anderen heimatvertriebenen, aber landsmannschaftlich organisierten Jugendverbände. Sie wurde auch Mitglied in der Aktion heimatvertriebener katholischer Jugend im BDKJ. Da die einst jugendlichen Mitglieder immer älter wurden und keine Jüngeren eintraten, wurden Nachfolgekurse unter dem Leitwort „Junge Familien im St.-Hedwigs-Werk“ veranstaltet. Nach 1980 ging es mit der KOJ langsam zu Ende.
Ein Meilenstein in der Arbeit der Hedwigswerke war, dass Pfarrer Smaczny, in enger Abstimmung mit Pfarrer Trennert, im Jahr 1949 die Mitgliederzeitschrift Heimat + Glaube gründete. Der Titel ist Programm! Erster Schriftleiter war bis zu seinem Tod im Jahre 1968 Prälat Smaczny. Ihm folgte in diesem Amt Rektor Ewald Mühlberg. Er war nicht nur ein großer Musiker, der so manche Veranstaltung des Hedwigswerkes mit genialem Musizieren begleitet hat, sondern auch ein gottbegnadeter Erzähler. Wie kein anderer hat er es verstanden, uns die ostdeutsche Heimat als das Land zu erschließen, das im kulturellen Schaffen im mittleren Europa Hervorragendes geleistet hat. Danach war vier Jahrzehnte Schulamtsdirektor Wendelin Sandner aus Hagen im Teutoburger Wald segensreich als Redakteur tätig in Zusammenarbeit mit Prälat Gerhard Kluge, bis er aus Altersgründen das Amt in die Hände von Klaus Kynast übergab. In dieser Verbandszeitschrift findet man: Berichte aus den Hedwigskreisen, kirchliches und weltliches Kulturgut, Aktuelles aus der alten Heimat mit Schwerpunkt auf kirchlichen Ereignissen, Nachrichten über die religiöse Situation im ehemaligen Ostblock, Berichte der zentralen Veranstaltungen der Hedwigswerke, über die Wallfahrten und Generalversammlungen, Rückblicke auf Ereignisse der Vor- und Nachkriegszeit, Termine.
Nicht zu vergessen ist auch der Schriftendienst der Hedwigswerke. Gleich nach der Gründung hat das St.-Hedwigs-Werk der Erzdiözese Paderborn eigene Schriften herausgegeben. Diözesanpräses Prälat Gerhard Kluge veröffentlichte 1975 seine Schlesischen Fragmente sowie 1982 Neues und Altes. Nicht zu unterschätzen für die Bewahrung des Kulturerbes und die Heimatpflege sind die von Prälat Smaczny konzipierten und dann im Schriftendienst herausgegebenen Ostdeutschen Kirchenlieder (1952) sowie die Liederbücher Singende Heimat, Teil 1 (1952) und Teil 2 (1962). Es folgte das Orgelbuch zu Ostdeutsche Kirchenlieder mit einer späteren Neuauflage. Auch gab es viele weitere Kleinschriften.
Einen wichtigen Bestandteil in der Arbeit und im Leben des Hedwigswerkes nehmen natürlich die Wallfahrten ein. Mittelpunkt der Wallfahrten in der Erzdiözese Paderborn wurde Werl: Schon 1947 fand die 1. Wallfahrt mit Bischof Kaller hier statt. Mit 15.000 Wallfahrern erlebte Werl am 29.06.1947 den bis dahin größten Pilgerstrom seit der feierlichen Krönung des Gnadenbildes im Jahre 1911. Weitere Wallfahrtshöhepunkte waren die Schlesierwallfahrt am 29.06.1951 mit dem Apostolischen Nuntius Dr. Münch und Weihbischof Joseph Ferche (früher Breslau, dann Köln) mit 50.000 Pilgern. Dem folgte als nächster Höhepunkt die Wallfahrt am 28.06.1953 mit Kardinal Frings unter Teilnahme des Bundeskanzlers Dr. Konrad Adenauer. An diesem Wallfahrtstag waren 70-80.000 Pilger in Werl versammelt, die größte Schar Wallfahrer, die der Ort in seiner langen Geschichte erlebt hat. Ein einmaliger Höhepunkt in der Wallfahrtsgeschichte war, als zum Gedenken der Heiligsprechung der hl. Hedwig vor 700 Jahren eine Gedenkplatte im Vorhof der Werler Basilika eingeweiht wurde. Nicht vergessen wollen wir die Wallfahrten zum Kohlhagen bei Siegen und zur Schmerzhaften Mutter in Bochum-Stiepel.
Um den Heimatvertriebenen eine „Heimstatt“ zu geben, und anknüpfend an die katholische Verbandsbewegung Heimgarten Neisse, erwarb das St. Hedwigs-Werk unter der weitsichtigen Führung von Pfarrer Trennert im Jahre 1954 eine Gaststätte in Oerlinghausen und baute sie Stück für Stück zur Heimvolkshochschule St.-Hedwigs-Haus aus. Das war damals ein großes Wagnis und ein hartes Stück Arbeit. Hier wurde das ostdeutsche bzw. osteuropäische Erbe, wobei es um staatspolitische, kulturelle und nicht zuletzt religiöse Themen ging, gepflegt und weitergegeben. Es wurde ein Ort der deutsch-polnischen Begegnung. Ein Meditationsweg auf den Tönsberg wurde gestaltet. Die Errichtung der stilvollen St.-Hedwigs-Kapelle in unmittelbarer Nähe des St.-Hedwigs-Hauses ist ein absolutes Ruhmesblatt im Bestreben des Prälaten Trennert, den Heimatvertriebenen mit diesem Kirchlein eine Stätte des Gebetes und der religiösen Besinnung zu schaffen. Die Weihe erfolgte 1959. Im Jahre 1997 wurde eine neue Orgel in eingebaut. 2017 belegen die Hedwigskreise allerdings nur noch wenige Kurse im St.-Hedwigs-Haus.
Sieben Jahrzehnte St.-Hedwigs-Werk, Jahrzehnte voller Umbrüche und Veränderungen in Kirche und Gesellschaft – und eben auch für uns, die wir die Heimat verlassen mussten und hier eine neue Heimat gesucht und gefunden haben. 1947 gegründet in Zeiten großer Not: Aus der Heimat vertrieben; hier als Fremde, als „Flüchtlinge“ wie man sagte, nicht immer gerade freundlich aufgenommen und noch voller Abschiedsschmerz und in großer Sorge um die Zukunft. Da war es geradezu notwendig im wahrsten Sinne des Wortes, miteinander verbunden zu sein, gemeinsame Traditionen zu wahren, sich gegenseitig zu helfen, zu stützen, überhaupt sich hier wieder zusammenzufinden, um die Schritte in die fremde Umgebung, die ja selbst unter den schrecklichen Folgen des Krieges zu leiden hatte, tun zu können. In all diesen Vorgängen, Ereignissen und Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte hat das Hedwigswerk Menschen geholfen, äußerlich und innerlich Heimat zu finden, Grenzen zu überwinden, Versöhnung zu stiften und den Glauben und die Treue zu bewahren.
Und heute? Das St.-Hedwigs-Werk im Erzbistum Paderborn besteht weiterhin. Wir haben in Kons. Rat Pfarrer Walter Junk einen geistlichen Begleiter, der nicht mehr als Diözesanpräses bezeichnet wird. Bei der Generalversammlung im Oktober 2017 wurde ein vollständiger Vorstand gewählt. Unser zwischenzeitlich viel zu groß gewordenes Büro in Lippstadt wurde 2013 aufgelöst, die Bürokraft freigesetzt. Ein vorläufiges Archiv wurde in Anröchte eingerichtet. Die St.-Hedwigs-Kapelle besteht weiter, wird aber kaum noch genutzt. Die Heimvolkshochschule ist aus dem Gebäude an der Hermannstr. 86 ausgezogen und wird in der Villa Welschen in Oerlinghausen weitergeführt. Man hat den Namen geändert: Institut für Migrations- und Aussiedlerfragen – Heimvolkshochschule St.-Hedwigs-Haus e.V. Mitglieder des Hedwigswerkes aus Hagen, Bönen und Mönchengladbach halten dem Haus die Treue und kommen gern zu den angebotenen Kursen. Die Trennung des Werkes vom Haus war für die Mitglieder sehr, sehr schmerzlich, vor allem für die, welche von den Anfängen an geholfen oder die Kurse gern besucht haben. Aber der Schritt war überfällig, wie der augenblickliche Zustand des dringend sanierungsbedürftigen Gebäudes zeigt. Werler und Stiepeler Wallfahrten werden auch 2018 durchgeführt. Die Grafschafter, bis 2016 mit eigener Wallfahrt in Werl, haben sich den Schlesiern angeschlossen. Der große Vorrat an Wallfahrtsheftchen, 2003 gedruckt, wird weiterhin verwendet. Heimat + Glaube erscheint auch 2018 – alle zwei Monate, ein Ende ist aber abzusehen wegen der Überalterung der Mitglieder und des Schriftleiters. Die letzten noch bestehenden Hedwigskreise treffen sich zu Gottesdiensten und Zusammenkünften. Die Hoffnung, das Werk an unsre Kinder und Enkel weiterzugeben, ist zwar verständlich, aber von Ausnahmen abgesehen vergeblich, weil die nachfolgenden Generationen fest in der neuen Heimat verwurzelt sind. Mitglieder und Vorstände der Hedwigskreise und des Hedwigswerkes, sofern sie noch leben, können und dürfen stolz und dankbar sein für sieben Jahrzehnte St.-Hedwigs-Werk.
Quellen: Archiv des St.-Hedwigs-Werkes Rückblick mit Beiträgen aus Anlass 50 Jahre und 60 Jahre St.-Hedwigs-Werk.
Bild: Erzbischof Lorenz Jaeger (2. von links) beim 7. deutschen Katholikentag 1954 in Fulda. / Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F002134-0002 / Brodde / CC-BY-SA 3.0, Bundesarchiv B 145 Bild-F002134-0002, Fulda, 7. Deutscher Katholikentag, CC BY-SA 3.0 DE
Klaus Kynast (OGT 2017, 283)