Ereignis vom 1. September 1255

Die Gründung Königbergs

Die ältesten Siegel der drei Teilstädte Königsbergs Altstadt (1360), Löbenicht (1413), Kneiphof (1383)

Die erste urkundliche Erwähnung der Stadt Königsberg datiert auf den 29. Juni 1256. Genannt wird darin das „castrum de Coningsberg in Zambia“. Das Gebiet um die werdende Stadt war seit unvordenklicher Zeit besiedelt; das Pregeltal, gesäumt vom hochansteigenden samländischen Hügelland, ist ein eher schwer zu durchschreitender Landstrich. Diese topographische Lage wird aber durch einen aufgrund zweier Umstände gebildeten Einschnitt gelockert: die Teilung des Flusses und die Einengung des Tales durch den samländischen Höhenrad. Zwei Straßen führen von Süden her auf diesen Einschnitt zu: die eine aus der Weichselgegend, die andere von Litauen.

Von Anfang an, ab urbe condita gleichsam, gibt es Besonderheiten. So hat Fritz Gause, der bis heute gründlichste Historiker Königsbergs, auf das Spezifikum hingewiesen, das bereits im Gründungsakt lag: „Die Geschichte vieler Städte beginnt mit einer Gründungssage […]. Nicht so bei der Geschichte der Stadt Königsberg. Wir sind über ihre Gründung und sogar – ein einzigartiger Fall – über die Verhandlungen vor ihrer Gründung so gut unterrichtet, daß der Phantasie kein Spielraum bleibt“.

Untrennbar ist die Stadt seit ihrer Gründung und deren Vorgeschichte mit dem Deutschen Orden verbunden. Hierher gehören engste Kontakte zwischen dem Orden und Lübeck, der Stadt an der Trave. In einem Schreiben aus dem Dezember 1242 bekundet der Landmeister Heinrich von Wida die Absicht, Lübischen Wünschen zur Gründung einer Freistadt mit Hafenzugang im Samland zu entsprechen, nach dem Vorbild Rigas. Ein Drittel des Samlandes soll an die zu gründende Stadt fallen und sie soll über uneingeschränkte Gerichtsbarkeit verfügen. Der judex und die consules allerdings sollten der Bestätigung durch den Orden bedürfen. Obgleich nur die Mündung des Pregelflusses als Siedlungsort in Frage kam, räumte der Deutsche Orden dem Lübischen Rat das Recht ein, den Siedlungsort zu bestimmen. Die Geschichte Königsbergs beginnt also mit zwei Mächten: der Hanse und dem Deutschen Orden. Doch darüber hinaus erweist sie sich von größter europäischer Tragweite: Ist der Orden doch einerseits gleichermaßen dem Kaiser und dem Papst verbunden, obwohl er andrerseits Unabhängigkeit von jedem von ihnen anstreben muß. Die hohen Interessen koinzidierten im Vorfeld der Stadtgründung, allerdings spei­sten sie sich aus unterschiedlichen Motiven; während es dem Kaiser um die Erweiterung des Reiches nach Osten ging, beabsichtigte der Papst einen Kirchenstaat an der Ostsee, unter geistlicher Autorität des Erzbischofs von Riga, einzurichten. Dazwischen definierte der Hochmeister des Ordens Hermann von Salza seine Rolle in der großen Politik. Daß die Kooperation mit Lübeck darin eine seit langem geplante zentrale Rolle spielte, ist offensichtlich: Die Erhebung zur Freien Reichsstadt durch Kaiser Friedrich II. verdankt Lübeck einer Intervention Hermann von Salzas, und die Seetransporte des Ordens nach Preußen lagen in lübischer Hand.

Der Kairos für die Stadtgründung näherte sich, als die Eroberung Preußens, „ein Unternehmen aus dem Kreuzzugsgeist“, abgesichert durch die Errichtung von Ordensburgen am Haff (u. a. Elbing 1237, Braunsberg 1241) soweit gediehen war, daß man hoffen konnte, über die Pregelmündung ins Innere des Samlandes vorzudringen. Dabei sah sich der Orden aber einer doppelten Bedrohung ausgesetzt, einerseits durch den Prußen­aufstand, andrerseits durch den christlichen Herzog von Pom­merellen. An der Hilfe Lübecks war mehr denn je gelegen, Lübeck konnte hoffen, günstigere Konditionen zu erzielen. Der Travestadt mußte aber auch daran gelegen sein, neben Danzig (es war durch den Pommerellenherzog besetzt!), einen weiteren Seestützpunkt zu gewinnen. Man weiß, daß im Mai 1243 durch ein Schreiben des Landmeisters Heinrich von Wida konkrete Verhandlungen angeboten wurden. Sie fanden auch statt, und man kann aus dem Schiedsspruch des Bischofs Heidenreich von Kulm vom 10. März 1246 erschließen, daß als Ergebnis jener Gespräche durch den Landmeister Heinrich bis spätestens 1244 (in diesem Jahr endete seine Amtszeit) tatsächlich ein Privileg erteilt worden sein muß. Der Hochmeister Heinrich von Hohenlohe erkannte das Privileg des Landmeisters indessen nicht an. Dies ist die veränderte Situation, der sich zwei Abgesandte Lübecks ausgesetzt sahen, die im März 1246 zu dem neuen Landmeister Poppo von Osterna kamen. Der Bischof wurde daraufhin als Schieds­instanz angerufen, und der bischöfliche Schiedsspruch besagte, daß die Stadt nicht von den Lübeckern gebaut werden sollte, sondern vom Orden. Lübeck sollte indessen bei der Stadtgründung mitwirken. Dies war ein weises, fast salomonisches Urteil: Lübische Ambitionen waren eingedämmt, zugleich war Lübeck dem Orden nach wie vor zu Diensten. Dazu kam die Bestimmung, daß der Landbesitz der zu gründenden Stadt nurmehr ein Sechstel statt ursprünglich ein Drittel des Samlandes umfassen sollte. Doch eine wesentliche Bestimmung aus dem Privileg blieb unveränderlich: die Lübecker sollten keine dem Orden feindlichen Menschen in die Stadt aufnehmen dürfen. Vertragspartner des Ordens aber waren nun neun vornehme lübische Bürger, nicht mehr der Rat der Stadt.

Zugleich war damit der Grund für das Balancement zwischen landesherrlicher Superiorität und städtischer Eigenständigkeit gelegt, das ein gleichbleibendes prägendes Moment in der Geschichte Königsberg werden sollte. Im Blick auf die einzigartige geistige und historische Entwicklung jener Stadt hat ihr bislang letzter Historiograph, Jürgen Manthey, zu Recht gefragt: „Wäre es wohl dazu auch gekommen, wenn Königsberg einfach ein zweites Danzig geworden wäre, das schon ein zweites Lübeck war?“.

Die Errichtung der Burg ging dann im Jahr 1255 einher mit der Eroberung des Samlandes, für deren Unterstüzung der Böhmenkönig Ottokar, ein Abkömmling der Przemysliden, gewonnen werden konnte. Die Unterwerfung muß in kürzester Zeit vonstatten gegangen sein; besiegelt und gekrönt wurde sie durch den Bau einer Holz-Erde-Burg im selben Jahr, für die nur ein Platz in Frage kam: der Berg Tuwangste auf den Pregelhöhen. Eine alte Burg getaufter Prußen (Neophyten), ein ‚castrum Pregore‘, hatte es zuvor schon an der Pregelmündung gegeben, ob an gleichem Ort, bleibt unentscheidbar. Doch Fritz Gause urteilt zu Recht: „Der Zusammenhang zwischen der Prußen- und der Ordensburg ist rein topographischer Natur […]. Die Geschichte Königsbergs beginnt in dem Augenblick, da deutsche Ritter im Auftrage von Kaiser und Papst, Reich und Kirche hier einen Vorposten des Abendlandes errichteten“.

Umstritten bleibt die Wahl des Namens. Es gibt vorwiegend böhmische Berichte, wonach Ottokar der Burg seinen Namen gegeben und überdies eine Kathedralkirche erbaut habe, die dem Märtyrer und Schutzpatron Böhmens, dem hl. Adalbert, zugeeignet gewesen sei. Wahrscheinlich ist es, daß die Ritter den Namen Königsberg zum ehrenden Andenken an Ottokar gewählt haben: Er wird als Namenspatron verehrt, und sowohl die Darstellung auf dem Komturssiegel von 1262 als auch der Ritter mit dem Lilienszepter auf dem – späteren – altstädtischen Siegel kann mit ihm identifiziert werden.

Nach 1255 entsteht eine erste Stadtanlage, die schon 1262 zerstört wird, eine schlecht befestigte Civitas. Das Provisorium der Vorburg wurde in den folgenden Jahren ergänzt durch den Bau einer Hauptburg, die 1260 immerhin in einem so guten Zustand gewesen sein muß, daß sie die prußische Belagerung überdauern konnte. Die Befestigung wurde mit der Zähmung des Katzbaches verbunden; er wird durch einen Damm aufgestaut, auf dem später die Französische Straße errichtet werden sollte. Dadurch wird die Burg auf der Nordseite gesichert, und zugleich ist auf diese Weise hinreichend für Wasservorräte gesorgt.

Nach Jahren der samischen Belagerung konnte daran gedacht werden, die Stadt am Pregelflusse wieder aufzurichten: nicht als Steindamm-civitas, sondern als Neugründung. Die baulichen Unterschiede gegenüber der ersten Stadtanlage sind unverkennbar: Längsachse war nun die Langgasse.

Über die Jahre ihrer Erbauung, immerhin zwei Dezennien zwischen 1263 bis 1286, schweigen die Quellen weitgehend. Mit dem 28. Februar 1286, der Verleihung der Großen Handfeste durch den Königsberger Komtur Albert von Meißen, konstituiert sich die Bürgerschaft. Wenig später sind die Ratsherren und Magistrate mit dem Schultheißen an der Spitze im Amt. Die Handfeste verleiht der Bürgerschaft das uneingeschränkte Recht zur Selbstverwaltung; die Stadtverfassung konnte auf die Neugründung übertragen werden, und der Orden erkennt die Altstadt durch Zahlung eines niedrigen Rekognitionszinses an. Seinerzeit erhielt die Stadt dann ihr Wappen: den waagrechten rot-weißen Schild mit der böhmischen Königskrone und, als Negativ des Kreuzes des Deutschen Ordens, einem weißen Kreuz.

Im ausgehenden 13. und dann im 14. Jahrhundert waren die Ausmaße allerdings noch eher bescheiden; weit davon entfernt, die ambitionierten Pläne einzulösen, die die Lübecker gehegt hatten. Von einem Stadtstaat konnte nicht die Rede sein: das Terrain reichte pregelabwärts bis Lawsken und eine halbe Meile ins Landesinnere. Die Altstadt verfügt lediglich über drei Tore, der Platz ist beklagenswert eng, zumal der Orden sich Stücke vorbehalten hatte, wo er unter anderem ein Hospital zum Heiligen Geist errichtete.

Gleichzeitig indessen mit der Neuerrichtung der Stadt wurde auch die Konventsburg vollendet. Darin zeigt sich noch einmal die enge Verbindung von Stadt und Orden. Doch an dem Punkt, an dem die genuine politische Macht des Deutschen Ordens ansetzen konnte, an der Bindung kaiserlicher und päpstlicher Interessen aneinander durch das Mittel der Heidenmission, endete auch die Reichweite jener Macht, nachdem die Heidenmission erfolgreich beendet war.

Doch darüberhinaus steht Königsberg von seiner Gründung her, wie kaum eine zweite Stadt nördlich der Alpen, exemplarisch für das christliche, abendländische Europa. Sie wird zu ei­ner Polis wie es kaum eine zweite in der Neuzeit gab: in ihren Mau­­ern Kant, Hamann, Herder beherbergend, zumindest zeitweise bedeutender Wirkungsort von Kleist, E.T.A. Hoffmann, im 20. Jahrhundert die Stadt Rudolf Borchardts, Geburtstadt Hannah Arendts, eine strahlende Alma mater begründend – und seit gut sechzig Jahren ausgelöscht. Im höchsten Sinne denkwürdig durch Vergangenheit, beklagenswert in der Gegenwart, läßt sich schwerlich eine europäische Zukunft denken, die den Namen verdient, in der Königsberg nicht einen ihm angemessenen Ort haben wird. Ihr größter Sohn, der ihr immer dankbar war, schrieb der Stadt am Pregelfluß vielleicht ihre schönste Charakteristik: „Eine große Stadt, der Mittelpunkt eines Reichs, in welchem sich die Landescollegia der Regierung desselben befinden, die eine Universität (zur Kultur der Wissenschaften) und dabei noch die Lage zum Seehandel hat, welche durch Flüsse aus dem Inneren des Landes sowohl, als auch mit angrenzenden entlegenen Ländern von verschiedenen Sprachen und Sitten einen Verkehr begün­stigt, eine solche Stadt, wie etwa Königsberg am Pregelflusse, kann schon für einen schicklichen Platz zur Erweiterung sowohl der Menschenkenntnis als auch der Weltkenntnis genommen werde, wo diese, auch ohne zu reisen, gewonnen werden kann“.

Lit.:I. Quellen: Nikolaus von Jeroschin, Kronike in Pruzinlant (Chronik des Preußenlandes). Auswahl und Übersetzung ins Neuhochdeutsche von Achim Masser, Berlin 1993. – Peter von Dusburg, Chronik des Preußenlandes. Übers. und erl. von Klaus Scholz und Dieter Wojtecki, Darmstadt 1984.

  1. Darstellungen: Fritz Gause, Die Geschichte der Stadt Königsberg in Preußen, 3 Bde. Köln/Graz 1965-1971. – Neuausgabe: Köln/Weimar/ Wien 1996, insbesondere Band 1. – Ders., Königsberg in Preußen. Die Geschichte einer europäischen Stadt, Leer 1987. – Christian Krollmann, Die Entstehung der Stadt Königsberg, Königsberg 1939 (Alt- Königsberg, Bd. I). – Hartmut Boockmann, Der Deutsche Orden. Zwölf Kapitel aus seiner Geschichte, München 1981, 1999.

Bild: Die ältesten Siegel der drei Teilstädte Königsbergs: Altstadt (1360), Löbenicht (1413), Kneiphof (1383) / Quelle: Von public – Gerhard von Glinski, Peter Wörster: Königsberg. Die ostpreußische Hauptstadt in Geschichte und Gegenwart. Berlin Bonn 1992., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=10293452

Harald Seubert (OGT 2005, 180)