Ereignis vom 1. Januar 1886

Die Königlich Preussische Ansiedlungskommission für Westpreussen und Posen

Akquisitionen der Preußischen Siedlungskommission

In den ausgehenden 1870er Jahren kam es zu einem starken wirtschaftlichen Aufschwung im Deutschen Reich, der zur Folge hatte, dass viele nachgeborene Bauernsöhne und Landarbeiter aus den zu Preußen gehörenden polnischen Gebieten in den Westen abwanderten. Die Regierung wurde zudem durch die Arbeit von Max Bär aufgeschreckt, der nachwies, dass die in den Posener Kämmereidörfern lebenden Bamberger vor den Augen der Königlichen Regierung in Posen in den letzten beiden Jahrzehnten polonisiert worden waren.

Die mit der Einheit des Jahres 1871 erreichte neue Staatlichkeit wirkte sich immer mehr auch auf die preußische Polenpolitik aus. An die Stelle der kulturellen Assimilation trat immer mehr die Überlegung zu bevölkerungspolitischen und demographischen Maßnahmen, der sogenannten „Germanisierungspolitik“.

Der preußische Ministerpräsident (und Reichskanzler) Otto v. Bismarck sah in dem polnischen Adel den wichtigsten Träger des polnischen Widerstandswillens gegen die preußische Herrschaft. Mit der Mehrheit der Konservativen und Nationalliberalen beschloss die 2. Kammer, das Preußische Abgeordnetenhaus, am 26.4.1886 das „ Gesetz betreffend die Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußen und Posen“ Zu diesem Zweck wurde die „Königliche Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen“ gegründet. Ihr Zweck war es, verschuldete Güter in polnischem Besitz aufzukaufen. Die Nationalliberalen setzten es gegen den Widerstand Bismarcks und zahlreicher Konservative durch, dass die Güter parzelliert und hier deutsche Kolonisten aus dem Reich angesiedelt werden, um so das Deutschtum in diesen Provinzen zu stärken. Bismarck befürchtete negative Folgen für den adeligen Grundbesitz im Allgemeinen.

Der Sitz der Ansiedlungskommission wurde mit einem repräsentativen Bau in Posen errichtet. Ausgestattet war sie mit einem Kapital von 100 Millionen Mark, das bald erhöht wurde. Im Jahre 1902 wurde ein Nachschuss von 150 Millionen Mark bewilligt. Insgesamt standen der Ansiedlungskommission bis zum Ende ihres Bestehens 450 Millionen Mark zur Verfügung (nach Wehlers Berechnungen sogar fast 1 Milliarde Mark). Man hoffte, mit diesem Kapital 40.000 Neubauern ansiedeln zu können; die tatsächliche Zahl war jedoch deutlich weniger, denn wenige reizte es, in einen unterentwickelten, ihnen feindlichen Osten zu ziehen, wenn Wohlstand in den Industriegebieten lockte. Zudem führten der Ankauf und die polnischen Gegenmaßnahmen dazu, dass die Immobilienpreise enorm in die Höhe schnellten.

Der pathetisch gewünschte „lebendige Wall gegen die slawische Flut“ war nur eine Wunschvorstellung. Aus heutiger Sicht gesehen war die Ansiedlungskommission ein Fehlschlag, der das Gegenteil seines Zieles bewirkte, denn sie stärkte ungewollt die polnische Nationalbewegung. Sie gründete zur Sicherung des Grundbesitzes eine Landesbank (Bank Ziemski), eine Genossenschaftsbank (Bank Spolek Zarobkowych) und elf Landesgenossenschaften, die nun ihrerseits Güter kaufte, damit die Preise in die Höhe trieb und gegen diejenigen polnischen Landsleute agitierte, die an die Ansiedlungskommission verkauften, so dass es dieser immer schwerer fiel, Güter zu erwerben und vielfach staatliche Domänen und Besitz aus bereits deutscher Hand erwarb. So wurde zwischen bis 1906 für 220 Millionen Mark Land von deutschen Eigentümer erworben, aber nur 30 Millionen von polnischen Grundbesitzern. Das Resümee des Wirtschaftshistorikers Hans-Ulrich Wehler ist, dass die Ansiedlungskommission letztlich ein Sanierungsunternehmen für die zahlreichen hochverschuldeten preußischen Junker war. Sie zwangen die Ansiedlungskornmission, ihr Land auch zu überhöhten Preisen zu kaufen, da sie sonst drohten, ihr Land an die polnischen Genossenschaften zu verkaufen.

Das Scheitern der Politik der Ansiedlungskornmission führte zu einer weiteren Verschärfung des Nationalitätenkonfliktes mit der Folge, dass nach der Jahrhundertwende weitere antipolnische Gesetze, die sog. Enteignungsgesetze erlassen wurden.

Letztlich waren die polnischen Parzellierungsbanken erfolgreicher, denn sie siedelten mehr Polen an, als es der Ansiedlungskommission gelang, Deutsche ins Land zu holen, zumal die Abwanderung deutscher Bevölkerung immer stärker wurde. Die preußische Politik war bereits 1886 verfehlt, weil bereits damals der Schwerpunkt der polnischen Nationalbewegung nicht mehr beim Adel lag, sondern bei dem seit 1848 in verstärktem Maße entstandenen Bürgertum (Anwälte, Ärzte, Lehrer, Unternehmer) und natürlich immer bei der katholischen Kirche.

Die Ansiedlungskommission betrieb eine durchaus vorbildliche Arbeit. Es wurden ganze Dörfer oder Dorfkerne mit allen notwendigen infrastrukturellen Einrichtungen wie Schulen, Kirchen, Feuerwehrhäusern, Räumlichkeiten für landwirtschaftliche Genossenschaften, Wegen, Gräben und Bauernhöfen geschaffen. Bauern, Handwerker, Arbeiter, Kaufleute und Gastwirte wurden hier angesiedelt. Man wollte ursprünglich nur evangelische Siedler, da man die Gefahr der Polonisierung wie bei den Bambergern befürchtete. Die starke Zentrumspartei hat jedoch durchgesetzt, dass auch deutsche Katholiken im Posener Land siedeln konnten.

Die 25-Jahr-Festschrift des Jahres 1911 nennt folgende Zahlen: Aus deutschem Besitz wurden 313.657 Hektar und aus polnischem Besitz 124.903 Hektar angekauft. Als Siedler kamen 21.372 deutsche Familien mit 128.232 Personen, davon 20.589 evangelische Familien und 668 katholische. Es wurden 35 Kirchen, 23 Bethäuser, 37 Pfarrgehöfte, 270 ein- und zweiklassige Schulen, 300 Gemeindehäuser (Armenhäuser), 210 Dorfkrüge, 11.360 Bauerngehöfte und 295 Arbeiterstellen errichtet. Ein Bauerngehöft kostete je nach Ausstattung zwischen 6.000-8.000 Mark. Die Ansiedlungsstellen wurden verkauft, verpachtet oder als Rentengut (Abzahlung in Raten) vergeben. Die Zahlung ging an die Ansiedlungskommission. Nach 1919 an den Rechtsnachfolger, den polnischen Staat, der diese zumeist kündigte und die Kolonisten versuchte loszuwerden.

Die Ansiedlungskommission war direkt dem preußischen Staatsministerium untergeordnet. Ihr Präsident war anfangs der Oberpräsident der Provinz Posen, Robert Graf v. Zedlitz-Trützschler (1837-1914). 1891 folgte ihm Rudolf v. Wittenburg (1842-1911), 1903 Paul Blomeyer (1859-1918), 1908 Friedrich Karl Gramsch (1860-1923) und 1913 Hugo Ganse (1861-1944). Mit dem Großpolnischen Aufstand des Jahres 1918/19 endete de facto die Arbeit der Ansiedlungskommission, auch wenn sie noch bis in die 20er Jahre hinein bestehen blieb.

Auch der Beamtenapparat hatte sie seit 1886 deutlich erhöht. Waren es ursprünglich nur vier obere Beamte, so stieg die Zahl bis 1911 auf 31 obere Beamte, 4 landwirtschaftliche Sachverständige und ca. 500 weitere Bedienstete.

Die Büros der Ansiedlungskommission waren bei der Stadt Posen untergebracht. Erst 1904 wurde für 2 Millionen Mark ein zentrales, viergeschossiges Gebäude hinter dem königlichen Schloss auf ehemaligem Festungsgelände erbaut. und 1907 fertiggestellt (heute umgebaut und medizinische Abteilung der Universität Posen). Die Verwaltungsunterlagen der Ansiedlungskommission befinden sich heute im Posener Staatsarchiv, in seiner Außenstelle in Gnesen.

Lit.: Neues Bauernland: amtlicher Anzeiger der Königl. Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen. Manfred Alexander, Kleine Geschichte Polens, Bonn 2005, S. 249 (Bundeszentrale für Politische Bildung. Schriftenreihe 537). Martin Belgard, Parzellierung und innere Kolonisation in den 6 östlichen Provinzen Preußens, 1875 1906; private Parzellanten, polnische Parzellierungs- und Landkaufgenossenschaften, Landbank zu Berlin und andere Bodenbanken, pommersche Ansiedlungsgesellschaft, königliche Generalkommissionen, königliche Ansiedlungskommission, Leipzig 1907, 541 S. Hannelore Bruchhold-Wahl, Die Krise des Großgrundbesitzes und die Güterankäufe der Ansiedlungskommission in der Provinz Posen in den Jahren 1886-1898, Diss. Münster 1980. Friedrich Just, Neues Bauernland: ein Vortrag zu Lichtbildern aus dem Tätigkeitsbereich der Königl. Ansiedlungskommission für Westpreußen und Posen, Berlin 1916, 35 S. Georg Minde-Pouet (Hrsg.), 25 Jahre Ansiedlung. Zum 25. Jahrestag der Königlichen Ansiedlungs-Kommission für Westpreußen und Posen in Posen 1886-1911, Lissa i. P. 1911, 56 S. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Band 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution“ bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. 1849-1914. München 1995, S. 964.

Abb.: Akquisitionen der Preußischen Siedlungskommission / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Martin Sprungala (OGT 2011,282)