Ereignis vom 14. Juni 1410

Die Schlacht von Tannenberg

Darstellung in der Berner Chronik von Diebold Schilling dem Älteren um 1483

Auf den Feldern von Grünfelde, Tannenberg und Ludwigsdorf in der Komturei Osterode im Deutschordensland Preußen fand am 15. Juli des Jahres 1410 ein Entscheidungskampf zwischen dem Deutschen Orden und Polen-Litauen statt. Nach blutigem Ringen unterlag das Ordensheer in einer der größten Schlachten des Mittelalters. Die Vormachtstellung des Ordens im östlichen Mitteleuropa war gebrochen, die deutsche Ostsiedlung zum Stehen gebracht, nichts stand mehr dem Aufstieg der polnisch-litauischen Union zum vorherrschenden Machtgebilde in diesem Teil Europas im Wege.

In den 1920 erschienenen Erinnerungen des Generalfeldmarschalls von Hindenburg wird nicht nur auf die siegreiche Schlacht der deutschen 8. Armee gegen die russische Narew­armee unter General Samsonov „bei Tannenberg“ 1914, sondern auch auf die Niederlage des Deutschen Ordens im Jahr 1410 Bezug genommen: „Tannenberg! Ein Wort schmerzlicher Erinnerungen für deutsche Ordensmacht, ein Jubelruf slawischen Triumphes, gedächtnisfrisch geblieben in der Geschichte trotz mehr als 500jähriger Vergangenheit.“ Diese Worte mögen hier als ein frühes Beispiel für die außergewöhnlich große symbolische Bedeutung und politische Sprengkraft der Ereignisse an jenem heißen Julitag 1410 zitiert werden. Alle am Kampf beteiligten Völker haben sich bis in unsere Zeit hinein bei der Beurteilung der Schlacht gefühlsmäßig engagiert, sei es nun mit Freude oder mit Melancholie und Trauer. Während die deutsche Bezeichnung der Schlacht „Tannenberg“ lautet, sprechen die Polen von „Grunwald“ (Polonisierung von Grünfelde), die Litauer von „Žalgiris“ (Übersetzung von „Grünwald“), die Weißrussen zumeist von „Hrunval’d“ und die Russen von „Grjunval’d“ (Grünwald).

Wie kam es nun zu dieser Schlacht, die solche Auswirkungen hatte, was wissen wir heute über die Vorgeschichte und den Verlauf des Kampfes? Die folgenden Ausführungen sollen eine geraffte Darstellung unter Einbeziehung einiger der neuesten Forschungsergebnisse bieten.

Der „Große Krieg“ 1409-1411, dessen Höhe- und Wendepunkt die schwere Niederlage der Ordensritter bei Tannenberg bildete, wurde durch die samaitische Frage ausgelöst. Als im Mai 1409 ein Aufstand in Samaiten ausbrach, der vom litauischen Großfürsten Vytautas (poln.: Witold; 1392-1430) unterstützt wurde, versuchte Hochmeister Ulrich von Jungingen (1407-1410) Rückendeckung des polnischen Königs Jagiello (lit.: Jogaila; 1386-1434) für einen Krieg zur Niederschlagung des Aufstandes zu erhalten. Da ihm dieses misslang und die polnischen Unterhändler mit einem Eingreifen ihres Königs drohten, fasste er den Beschluss, zunächst Polen zu bezwingen und begann wenige Tage danach den Krieg. Die Kriegshandlungen verliefen erfolgreich für den Orden, der große Gebiete im nördlichen Polen verwüsten konnte. Sie endeten am 8. Oktober mit einem Waffenstillstand, der zunächst bis zum Johannistag, dem 24. Juni 1410, gelten sollte, später aber bis zum 4. Juli verlängert wurde. In der Zwischenzeit bemühten sich beide Parteien, ihre politischen und militärischen Positionen zu stärken. Ulrich von Jungingen schloss am 20. Dezember einen Vertrag mit dem ungarischen König Sigmund, dem vicarius generalis des Heilige Römischen Reichs, der ihm militärische Hilfe zusicherte, falls Jagiello in einem Krieg „ungläubige“ Hilfstruppen verwenden würde. Darunter verstanden sich im Sprachgebrauch des Ordens u.a. auch die Litauer, obwohl sie nunmehr zur christlichen Gemeinschaft gehörten. Die beiden Vettern Jagiello und Vytautas vereinbarten ihrerseits bei einem Treffen in Brest-Li­towsk Anfang Dezember ein militärisches Vorgehen gegen den Ordensstaat im kommenden Jahr. In Begleitung von Vytaustas befand sich Dżelal-ed-Din, der bei Tannenberg die Tataren im litauischen Heer anführte.

Nach den Bestimmungen des Waffenstillstands sollte Wenzel IV., König von Böhmen, zur Fastenzeit des nächsten Jahres einen Schiedsspruch im Konflikt fällen. Nach der Aussage des Thorner Annalisten erfolgte sein Ausspruch am 8. Februar in Prag. Dieser für 60.000 Gulden vom Hochmeister erkaufte Schiedsspruch fiel zugunsten des Deutschen Ordens aus und wurde von den polnischen Gesandten nicht angenommen. Deshalb fühlte sich Ulrich von Jungingen legitimiert, einen Überraschungsangriff auf Polen vor dem Ende des vereinbarten Waffenstillstands zu unternehmen und ließ unter großer Geheimhaltung 600 Spieße Söldner (1.800 Mann) für dieses Unternehmen anwerben und nach Preußen führen. Die verbündeten Herzöge von Pommern-Stettin und Pommern-Wolgast soll­ten ebenfalls an diesem Kriegszug teilnehmen. Der Plan schien perfekt. Der Bündnisvertrag mit Sigmund schien zu garantieren, dass Polen auch vom Süden her angegriffen werden würde. Ein Krieg passte jedoch nicht in die Pläne des ungarischen Königs, weshalb er sich im April in der ungarischen Grenzstadt Käsmark mit dem litauischen Großfürsten traf und ihm in einem Versuch, die polnisch-litauische Union zu sprengen, die Königskrone anbot. Das Angebot wurde jedoch von Vytautas ausgeschlagen. Jagiello befand sind jenseits der Grenze in Neu Sandez und war ebenfalls an den Verhandlungen beteiligt. Als wichtigstes Ergebnis wurde beschlossen, vor dem Ende des Waffenstillstands neue Friedensgespräche in Thorn mit Sigmund als Vermittler zu führen. Er hatte nun anstelle seines Bruders König Wenzel eine aktive Rolle als Schlichter im politischen Machtspiel übernommen.

Am 11. Mai erhielt Hochmeister Ulrich von Jungingen vom ungarischen Gesandten Christoph von Gersdorff Nachricht von den Vereinbarungen in Käsmark. Ihm blieb nun nichts anderes übrig, als sich wohl oder übel dem Willen seines mächtigen Bündnispartners zu fügen und angesichts der geplanten neuen Verhandlungen in Thorn die weit gediehenen Kriegsvorbereitungen für den Überraschungsangriff auf Polen am 1. Juni abzubrechen. Schon begonnene Söldnerwerbungen in Böhmen durch den Komtur von Thorn, der sich in Prag befand, wurden eingestellt und die Söldner abgewiesen. Entsprechend groß war unter ihnen die Enttäuschung. In Thorn bereitete man sich nun intensiv darauf vor, die zu erwartenden hohen Gäste würdig zu empfangen, aber die Mühe war vergebens, denn weder Sigismund noch Vytautas und Jagiello sind zu diesem vorgesehenen „Thorner Tag“ am 17. Juni erschienen. Aus Ungarn erschien nur eine Verhandlungsdelegation mit 200 Pferden. Das Ganze war eine Niederlage der Ordensdiplomatie und eine große Demütigung des Hochmeisters und des Ordens.

Militärisch gesehen waren die Beschlüsse in Käsmark und die ausgebliebenen Verhandlungen in Thorn sehr folgenschwer, denn obwohl Ulrich von Jungingen nach zwei Wochen Werbungsstopp die Wiederaufnahme der Söldnerwerbungen befahl, waren in der Zwischenzeit große böhmische Söldnerrotten in den Dienst des polnischen Königs, anstatt, wie zunächst vorgesehen, in den des Hochmeisters getreten. Wie außerdem aus dem Soldbuch des Ordens von 1410/1411 hervorgeht, kamen rund 2.000 Söldner zu spät nach Preußen, um in der Schlacht bei Tannenberg verwendet werden zu können. Auch Heinrich von Plauen d.Ä., ein Verwandter des späteren Hochmeisters, erschien zu spät, „als das got habin wolde“ (so der Chronist Posilgers Fortsetzer), konnte sich aber mit seiner Truppe an der Verteidigung der Marienburg beteiligen.

Nach einem logistisch hervorragend organisierten Flussübergang des polnischen Heeres über die Weichsel auf einer Pontonbrücke und der Vereinigung mit den Litauern überschritt die polnisch-litauische Heeressäule Anfang Juli die Grenze nach Preußen im südlichen Teil der Komturei Osterode und versuchte zunächst, bei Kauernik über den Fluss Drewenz in das Kulmerland vorzudringen. Dieses konnte jedoch vom Ordensheer, das von Thorn hierher marschiert war, erfolgreich abgewehrt werden. Die Polen und Litauer mit ihren Hilfstruppen kehrten nun um und zogen stattdessen über Hohendorf und Soldau, wo sie in nördlicher Richtung abbogen, zur kleinen Stadt Gilgenburg, die am Abend des 13. Juli eingenommen und abgebrannt wurde. Die bisherige Auffassung, dass sich die Heerlager von Jagiello und Vytautas am Südende des Großen Damerausees befanden, geht auf die unbewiesene Darstellung von Johannes Voigt in dessen Geschichte Preußens zurück und findet in den Quellen keinen Beleg. Wie dem Thorner Annalisten zu entnehmen ist, befand sich das Lager des polnischen Königs stattdessen in der Nähe des Feldes Vierzighufen, d.h. wohl etwa bei Altstadt an der Nordspitze des Kleinen Damerausees: „Fixit tentoria sua non longe a civitate Gilgenborg prope campum, qui dicitur Virczighuben, domino Ulrico de Jungingen magistro cum ejus exercitu existente prope Lauterberg.“ (Scriptores rerum Prussicarum, Bd. 3, Leipzig 1866, S. 314).

Die Nachricht vom Schicksal Gilgenburgs und dessen Bevölkerung bewirkte im Ordensheer, das sich im Land Löbau befand, eine hektische Phase der Aktivität und den berühmten, drei bis vier deutsche Meilen (24 bis 32 km) langen Nachtmarsch zum späteren Schlachtfeld bei Tannenberg. Während die Polen und Litauer am Morgen des 15. Juli über Seemen in Richtung Mühlen zogen und vor dem Erreichen des Dorfes Grünfelde eine Pause einlegten, zog das Ordensheer von einem unbekannten Heerlager im Land Löbau über Frögenau zum Dorf Tannenberg und bog dort mit der Sonne im Rücken in südlicher Richtung, also in Richtung Grünfelde, ab. Die beiden Heere standen sich nun gegenüber, das des Ordens auf dem offenen Feld, das der Polen und Litauer mit ihren Hilfstruppen in dem teilweise bewaldeten und mit Büschen bewachsenen hügeligen Gelände südlich des Weges, der von Grünfelde nach Ludwigsdorf führte. Das Zelt mit der Feldkapelle des Ordens befand sich dort, wo im Jahr 1411 Hochmeister Heinrich von Plauen die Marienkapelle des Deutschen Ordens als „Kontinuitätsbau“ errichten ließ. Hier stand auch die Fahnenburg des Ordens. Dieser Platz ist also nicht der Sterbeort seines Vorgängers Ulrich von Jungingen gewesen, wie so oft behauptet worden ist.

Der Hochmeister strebte eine baldige Feldschlacht an, solange sein Heer die Sonne im Rücken hatte, konnte aber den Gegner nicht dazu bewegen, die geschützte Position aufzugeben. Jagiello wartete ab, bis die Sonne sich gedreht hatte und nicht ihm, sondern den Gegner ins Gesicht schien. Die bekannte Übersendung von zwei Schwertern an Jagiello und Vytautas mit der Aufforderung zur Schlacht ist nicht zuletzt unter diesem Aspekt zu sehen. Sie war eine gelegentlich in Europa praktizierte ritterliche Sitte, die angesichts der Umstände mit einem beleidigenden Akzent versehen wurde. Die Schwertübergabe wurde später in der pol­nischen Propaganda reichlich ausgenutzt und als ein Akt des sündhaften Hochmuts, der superbia, des Ordens hingestellt. Zwei Schwerter symbolisieren in Polen den Sieg von 1410 und nach dem Zweiten Weltkrieg auch den von 1945.

Über die Heeresgrößen gibt es in den Quellen so gut wie keine zuverlässigen Angaben, weshalb das Feld für Mutmaßungen und Spekulationen offen ist. Entsprechend groß ist die Spannweite der Behauptungen in der Literatur. Es handelt sich auch um eine Definitionsfrage, denn sollen nur die Kämpfer oder auch die Trossknechte etc. berücksichtigt werden? Die niedrigsten Zahlenangaben finden sich bei Christian Krollmann („Man darf die Zahl der Kämpfer auf Seiten des Ordens auf etwa 12.000 bis 15.000 veranschlagen, die der Polen und ihrer Verbündeten auf rund 20.000“), während polnische und litauische Historiker die Zahlen erheblich höher veranschlagen. Auch Emil Schnippel rechnet mit höheren Zahlen als Kroll­mann, 18.000 bis 20.000 bzw. 30.000 bis 36.000. Hier soll kein Versuch unternommen werden, eine weitere Vermutung hinzuzufügen, es soll nur darauf hingewiesen werden, dass sich im Ordensheer bei Tannenberg rund 6.400 Söldner befunden haben dürften.

Nach anfänglichen Erfolgen des Ordensheeres endete die Schlacht mit seiner vernichtenden Niederlage. Eine wichtige Ursache hierfür war ein schwerer taktischer Fehler, den einige Ordenskrieger des linken Flügels, wohl Söldner oder „Gäste“, beim Verfolgen von fliehenden Litauern begingen: Sie entfernten sich im wilden Hinterherjagen von ihren Kampfverbänden, wurden dann aber von den Verfolgten selbst in die Flucht geschlagen, von den eigenen Verbänden abgeschnitten und entweder gefangengenommen oder getötet. In die so entstandene Lücke im Ordensheer drangen starke polnische Abteilungen seitwärts ein und es kam zu einem erbitterten Kampf. Nach einer zeitgenössischen Quelle, einem Brief an den Hochmeister von einer hochstehenden Persönlichkeit, vermutlich ein Fürst oder Söldnerführer, habe es sich um ein taktisches Manöver der Litauer zu diesem Zweck, um eine vorgetäuschte Flucht, gehandelt. Dadurch war die Grundlage für die Niederlage gelegt, der weitere Schlachtverlauf konnte an dem Ausgang nichts ändern. Zwar versuchte Ulrich von Jungingen, das Kriegsglück zu wenden, indem er mit seinem dritten Heer, einer schwer gerüsteten Heeresabteilung von 15 oder mehr Bannern (das waren taktische Einheiten) einen wuchtigen Angriff gegen die polnischen Kerntruppen unternahm und dreimal „die Kehre“ ritt, aber das misslang wegen der zahlenmäßigen Überlegenheit der Gegner, zumal Teile der Landesritterschaft und auch andere Abteilungen, wie die Ungarn, ihre Fahnen zur Flucht senkten. Das Heer des Hochmeisters wurde von Polen, Söldnern und „Heiden“ (gemeint sind die Litauer mit ihren Hilfstruppen) umzingelt und vernichtet, wobei außer Ulrich von Jungingen und anderen hohen Gebietigern über 200 Ordensbrüder den Tod fanden, etwa ein Drittel sämtlicher Ordensritter in Preußen. Als der Tag zu Ende ging, wurde der letzte Widerstand durch die Erstürmung der im Ordenslager errichteten Wagenburgen gebrochen. Fast die gesamte Führungsschicht des Ordens war gefallen und mit ihr Tausende von Kriegern und Trossknechten aus dem Ordensheer. Auf der Gegenseite hatte vor allem Vytautas schwere Verluste zu beklagen. Eine Quelle spricht von 8.000 Gefallenen „auf beiden Teilen“, d.h. auf beiden Seiten. Nach einer päpstlichen Bulle von 1412 anlässlich des Kapellenbaus waren 18.000 „Christgläubige“ auf dem Schlachtfeld beerdigt und begraben worden.

Die eroberten Fahnen des Ordensheeres wurden nach Krakau und Wilna gebracht und in den dortigen Kathedralen als Siegestrophäen aufgehängt. Ihr Aussehen ist uns – jedenfalls was die damals in Krakau aufbewahrten Fahnen betrifft – durch kommentierte farbige Abbildungen in der berühmten Pergamenthandschrift Banderia Prutenorum („Die Banner der Preußen“) aus der Mitte des 15. Jahrhunderts erhalten geblieben. Der gefallene Hochmeister wurde unter Ehrenbezeugungen nach Osterode gebracht und am vierten Tag nach der Schlacht von dort auf die Marienburg überführt. Er ist mit anderen Hochmeistern des Deutschen Ordens in der St. Annenkapelle begraben.

In seiner Schilderung der Schlacht tadelt der sonst mit Kritik gegen den Orden zurückhaltende Chronist Posilgers Fortsetzer, dass die Gegner zu gering eingeschätzt worden sind und dass die Angelegenheiten des Ordens nicht gut bestellt waren. Eine seiner Äußerungen darf so gedeutet werden, dass der Hochmeister unklugerweise nur einen Heerhaufen gebildet hatte (das dritte Heer), mit dem er in den Kampf eingriff, während Jagiello mehrere Haufen zur Verfügung standen, „und das brachte dem Orden großen Schaden und dem König und den Seinen großen Vorteil zu ihrem Glück und Segen“. An einer anderen Stelle übt der Chronist harsche Kritik gegen Ulrich von Jungingen, weil er sehr viele alte Ordensbrüder auf den Feldzug mitgenommen hat, die dann bei Tannenberg erschlagen wurden. Sie wären zu Hause viel nützlicher gewesen. Dieses sei vom Hochmeister „gar übel“ bestellt worden. Eine abschließende Beurteilung von Ulrich von Jungingen als Heerführer steht allerdings noch aus.

Im Ersten Thorner Frieden am 1. Februar 1411 musste der Orden Samaiten an Jagiello und Vytautas auf deren Lebenszeit abtreten und die Gebiete Zakrze (an der Wkra) und Dobrin an Herzog Siemowit von Masowien und König Jagiello zurückgeben. Beide Seiten sollten ihre Gefangenen ohne Lösegeld freilassen und die eroberten Burgen, Städte und Landstriche dem Vertragspartner ohne Behinderung übergeben. Dadurch war die Forderung des Fehderechts an einen gültigen Friedensschluss, der die Freilassung der Gefangenen ohne Lösegeld voraussetzte, erfüllt. Als Gegenleistung für die Freilassung der Gefangenen und die Rückgabe der Burgen hat Jagiello in einem „geheimen Zusatzprotokoll“ 100.000 Schock böhmische Groschen vom Orden gefordert und von ihm die Zusicherung zur Zahlung dieser Summe in vier Raten erhalten. Der hierüber in Thorn ausgestellte Verpflichtungsbrief des Hochmeisters Heinrich von Plauen vom 31. Januar 1411 – als Voraussetzung für den Friedensschluss am folgenden Tag – wurde erst 1979 als Abschrift in einem Ordensfolianten gefunden und veröffentlicht. Die Friedensurkunde vom 1. Februar spiegelt also nur einen Teil der tatsächlichen Verhältnisse wider.

Über die Umsetzung dieser Vereinbarung gab es später viel Streit, und viele Gefangene verblieben deshalb noch lange in polnischer Gefangenschaft. So sollen Gefangene aus dem Ordensheer beim Bau der Klosterkirche für die schwedische heilige Birgitta (1303-1373) in Lublin verwendet worden sein. Birgitta war und wird in Polen verehrt, weil sie in einer Weissagung Mitte des 14. Jahrhunderts eine schwere Niederlage der Ordensritter prophezeit hat.

Die Verwendung der Schlacht bei Tannenberg als Symbol und Propaganda in späteren Zeiten, bis in unsere Tage hinein, ist ein umfangreiches und sehr ergiebiges Forschungsthema, auf das hier nicht näher eingegangen werden kann. Genannt werden sollen nur die großen polnischen Feiern in Krakau 1910 als Reaktion auf die Politik des Bismarck-Reiches und die Reden Wilhelms. II., die deutschen Bemühungen nach dem Ersten Weltkrieg, die Erinnerung an die Niederlage von 1410 durch den Sieg von 1914 verblassen zu lassen, die nationalsozialistische Propaganda, die mit der „Rückholung der Fahnen“ im Mai 1940 einen Höhepunkt erreichte, und nicht zuletzt der Bau der gewaltigen Denkmalsanlage der Polen auf dem Schlachtfeld 1960. Als der Deutsche Orden in der Bundesrepublik wieder zugelassen wurde und deshalb als Dank Bundeskanzler Konrad Adenauer 1958 die Investitur als Ehrenritter des Ordens erhielt, erregte dieser Vorgang großes Aufsehen in Polen, weil nun ein Kreuzritter, ein „Krzyżak“, das wichtigste politische Amt der Bundesrepublik bekleidete. Die Polen sahen darin eine tiefe Symbolik, die nur vor dem Hintergrund der sog. „Grunwald-Tradition“ verstanden werden konnte, während die Deutschen eine solche Symbolik nicht wahrnahmen. Die in der Volksrepublik Polen herrschende kommunistische Regierung beschloss nun, die Empörung unter der Bevölkerung für ihre eigenen innen- und außenpolitischen Zwecke auszunutzen, die nationalen Kräfte zu bündeln und ein großes Grunwald-Denkmal auf dem Schlachtfeld zu errichten. Es sollte ein dort bereits 1953 erbautes Denkmal ersetzen und die Endgültigkeit der Oder-Neiße-Grenze unterstreichen. Die Einweihung der großen Anlage im Juli 1960 wurde zu einer gewaltigen Demonstration der „Einigkeit, Stärke und Wachsamkeit des polnischen Volkes“, nicht zuletzt dadurch, dass 64 MIG-Jäger und 16 Iljuschin­bomber in Formation das Schlachtfeld überflogen.

Zur Zeit wird auf dem Schlachtfeld ein neues großes Museum erbaut. Jedoch nicht nur in Polen, sondern auch in Litauen, Belarus, Russland, der Ukraine und in anderen Ländern, die auf der „Siegerseite“ standen, wird in diesem Jahr der Triumph von 1410 mit Denkmalsbauten, Ausstellungen, wissenschaftlichen Tagungen und mehr oder weniger gehaltvollen Buchveröffentlichungen groß gefeiert. Verständlicherweise ist man in Deutschland zurück­haltender, obwohl auch hier die Erinnerung wachgehalten und der Niederlage des Deutschen Ordens vor 600 Jahren gedacht wird.

Lit.: Sven Ekdahl, Die Flucht der Litauer in der Schlacht bei Tannenberg, in: Zeitschrift für Ostforschung 12, 1963, S. 11-19 (auch im Internet: www.warfareeast.co.uk/main/Schlacht.htm). – Ders., Die „Banderia Prutenorum“ des Jan Długosz – eine Quelle zur Schlacht bei Tannenberg 1410. Untersuchungen zu Aufbau, Entstehung und Quellenwert der Handschrift. Mit einem Anhang: Farbige Abbildungen der 56 Banner, Transkription und Erläuterungen des Textes, Göttingen 1976. – Ders., Die Schlacht bei Tannenberg 1410. Quellenkritische Untersuchungen, Bd. I: Einführung und Quellenlage, Berlin 1982. – Ders. (Bearb.), Das Soldbuch des Deutschen Ordens 1410/1411. Die Abrechnungen für die Soldtruppen. Teil I: Text mit Anhang und Erläuterungen, Köln, Wien 1988; Teil II: Indices mit personengeschichtlichen Kommentaren, Köln, Weimar, Wien 2010. – Ders. Die Schlacht von Tannenberg und ihre Bedeutung in der Geschichte des Ordensstaates, in: Deutsche Ostkunde 35, 1989, S. 63-80. – Ders., Tannenberg/ Grunwald – ein politisches Symbol in Deutschland und Polen, in: Journal of Baltic Studies 22, 1991, S. 271-324. – Ders., Die Grunwald-Denkmäler in Polen. Politischer Kontext und nationale Funktion, in: Nordostarchiv. N.F. 6, 1997, 1, S. 75-107. – Ders., Ulrich von Jungingen (26.IV.1407 – 15.VII.1410), in: Die Hochmeister des Deutschen Ordens 1190-1994, hrsg. v. Udo Arnold, Marburg 1998, S. (105) 106-114. – Ders., Tannenberg – Grunwald – Žalgiris: Eine mittelalterliche Schlacht im Spiegel deutscher, polnischer und litauischer Denkmäler, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 50, 2002, S. 103-118. – Ders., Tannenberg, Battle of (1410), in: The Crusades. An Encyclopedia, ed. Alan V. Murray, IV (Q-Z), Santa Barbara (etc.) 2006, S. 1145-1146. – Ders., St. Birgitta of Sweden, the Battle of Tannenberg (Grunwald) and the Foundation of the Monastery Triumphus Mariae in Lublin, in: Festschrift für Krzysztof A. Kuczyński, hrsg. v. Aleksander Kozłow­ski, Małgorzata Znyk, Płock 2008, S. 287-301. – Ders., Aufmarsch und Aufstellung der Heere bei Tannenberg/ Grun­wald (1410). Eine kritische Analyse, in: Krajobraz grunwaldzki […], hrsg. v. Jan Gan­cewski, Olsztyn 2009, S. 31-103. – Ders., Die Söldnerwerbungen des Deutschen Ordens für einen geplanten Angriff auf Polen am 1. Juni 1410. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Schlacht bei Tannenberg, in: Beiträge zur Militärgeschichte des Preußenlandes von der Ordenszeit bis zum Zeitalter der Weltkriege, hrsg. v. Bernhart Jähnig, Marburg 2010, S. 89-102. – Diplomatie und Söldnerwerbung vor der Schlacht bei Žalgiris, in: Lietuvos istorijos studijos 25, Vilnius 2010. – Ders., The Turning-point in the Battle of Tannenberg (Grunwald, Žakgiris) in 1410, in: Lituanus 56:2 (Washington 2010), S. 53-72.

Bild: Darstellung in der Berner Chronik von Diebold Schilling dem Älteren um 1483 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Sven Ekdahl (OGT 2010, 288)