Durch die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 und den Bau der ersten deutschen Eisenbahn 1835 wurde eine grundlegende Änderung der wirtschafts- und verkehrspolitischen Lage in Deutschland eingeleitet. Es bestand jetzt nicht nur ein bedeutend größerer und ungehindert zu erreichender Markt, sondern auch die verkehrstechnische Voraussetzung zu seiner Erschließung. Angesichts der ungünstigen geographischen Lage Schlesiens einerseits und seines Wirtschaftspotentials andererseits erwies sich der Übergang zu dem neuen Verkehrsmittel als eine Notwendigkeit von existentieller Bedeutung für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Provinz. Es wurde für sämtliche Zweige seiner Wirtschaft zum „bedeutendsten Ereignis ihrer Geschichte.“
Daher wurden bereits seit dem Ende der zwanziger Jahre die ersten Projekte einer Erschließung bzw. einer Verbindung Oberschlesiens mit der schlesischen Metropole Breslau erörtert. Zu ihren bedeutendsten Förderern gehörten die Grafen Henckel von Donnersmarck und Renard, Gustav Heinrich Ruffer, der Regierungs- und Baurat Krause aus Oppeln, der Breslauer Karl August Milde, der Fürst von Anhalt-Koethen-Pleß und der Breslauer Ingenieur Lewald, Männer, denen die Förderung Oberschlesiens wie auch Breslaus am Herzen lag und die sich aus dem Zusammenwirken des bedeutendsten schlesischen Dienstleistungszentrums und des wichtigsten Produktionszentrums Vorteile erhofften, wozu ihnen die Eisenbahn als unerläßliche Voraussetzung erschien.
Die Hauptrichtungen der schlesischen Schienenwege waren durch die bestehenden Handelsstraßen vorgezeichnet. Aufgrund dieser Voraussetzung entwickelte sich das folgende Streckennetz: Nachdem für die 192,2 Kilometer lange Strecke von Breslau nach Schwientochlowitz am 24. März 1841 durch die preußische Regierung die Baukonzession erteilt worden war, konnte diese bis 1846 fertiggestellt werden: Breslau-Ohlau-Brieg (1842); Brieg-Oppeln (1843); Oppeln-Kandrzin
(Heydebreck)-Gleiwitz (1845); Gleiwitz-Kattowitz-Myslowitz (1846) mit Anschluß in Slupna an die Eisenbahn nach Krakau; Kandrzin-Ratibor (1846).
Zur gleichen Zeit, als die Strecke Breslau-Myslowitz gebaut wurde, hatte die von Berlin nach Frankfurt/Oder führende Linie über Guben-Sommerfeld-Hansdorf-Kohlfurt-Bunzlau (1846); Bunzlau-Liegnitz (1845) und Liegnitz-Breslau (1844) weitergeführt werden können, während der Abschnitt Berlin-Stettin seine Vollendung 1843 erfahren hatte. Damit war nicht nur Schlesien selbst durch die Eisenbahn erschlossen worden, sondern es hatte darüber hinaus eine Verbindung mit Berlin und der Ostsee erhalten. Und die reichere Ausgestaltung des deutschen und des benachbarten ausländischen Bahnnetzes brachte Schlesien 1846 Schienenverbindungen mit Hamburg, Wien und Krakau. Demgegenüber erfolgte die Erschließung der preußischen Rheinlande durch Schienenwege rd. 10 Jahre später.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war durch eine Verdichtung des schlesischen Eisenbahnnetzes gekennzeichnet.
Lit.: „Die historische Entwicklung des Deutsch-Oesterreichischen Eisenbahnnetzes vom Jahre 1838-1881“, XII. Ergänzungsheft zur Zeitschrift des Kgl. Preußischen Statistischen Bureaus, hrsg. vom Kgl. Preußischen Statistischen Bureau (Berlin) 1883. – Geschichte und Geographie der deutschen Eisenbahnen von ihrer Entstehung bis 1890, I (1891). – Georg Schyma: Die Begründung und Ausgestaltung des oberschlesischen Eisenbahnnetzes bis zum Jahre 1870, in: Mitteilungen des Beuthener Geschichts- u. Museumsvereins, 11./12. Heft (1928/29), S. 1-74. – Erwin Siegmund: Die Entwicklung der Eisenbahnen in Oberschlesien unter besonderer Berücksichtigung ihrer künftigen Gestaltung, in: Deutsche Grenzlande, 12. Jg. (1933), S. 109-113; „Die deutschen Eisenbahnen in ihrer Entwicklung 1835-1935“ (Hrsg. von der Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahn). – Eduard Werner: Die ersten schlesischen Eisenbahnprojekte, in: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens, 72. Bd. (Breslau) 1938, S. 294-329. – Gerhard Webersinn: Gustav Heinrich Ruffer. Breslauer Bankherr – Pionier des Eisenbahngedankens – Förderer schlesischer Wirtschaft, in: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau, XI. Bd. (Würzburg) 1966, S. 154-196. – Konrad Fuchs: Vom Dirigismus zum Liberalismus. Die Entwicklung Oberschlesiens als preußisches Berg- und Hüttenrevier. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 18. und 19. Jahrhundert, Wiesbaden 1970, S. 154-181. – Hugo Weczerka (Hrsg.): Schlesien (Handbuch der historischen Stätten), Stuttgart 1977.
Bild: Gemälde der Bonn-Cölner-Eisenbahn um 1844 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.
Konrad Fuchs