Ereignis vom 1. Januar 1846

Erschließung Schlesiens durch die Eisenbahn

Gemälde der Bonn-Cölner-Eisenbahn um 1844

Durch die Gründung des Deutschen Zollvereins 1834 und den Bau der ersten deutschen Eisenbahn 1835 wurde eine grundle­gende Änderung der wirt­schafts- und verkehrspolitischen Lage in Deutschland eingeleitet. Es bestand jetzt nicht nur ein be­deu­­tend größerer und ungehindert zu erreichender Markt, sondern auch die verkehrstechnische Voraussetzung zu seiner Er­schließung. Angesichts der ungünstigen geographischen Lage Schlesiens ei­nerseits und seines Wirtschaftspotentials andererseits erwies sich der Über­gang zu dem neuen Ver­kehrsmittel als eine Notwendigkeit von existentieller Bedeu­tung für die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Provinz. Es wurde für sämtliche Zweige seiner Wirtschaft zum „bedeutendsten Ereignis ihrer Geschichte.“

Daher wurden bereits seit dem Ende der zwanziger Jahre die ersten Projekte einer Erschließung bzw. einer Verbindung Oberschlesiens mit der schlesi­schen Metropole Breslau erör­tert. Zu ihren bedeutendsten Förderern gehör­ten die Grafen Henckel von Donnersmarck und Renard, Gustav Heinrich Ruffer, der Regierungs- und Baurat Krause aus Oppeln, der Breslauer Karl August Milde, der Fürst von Anhalt-Koethen-Pleß und der Breslauer Inge­nieur Lewald, Männer, denen die Förderung Oberschlesiens wie auch Bres­laus am Herzen lag und die sich aus dem Zusammenwirken des bedeutend­sten schlesischen Dienstleistungszentrums und des wichtigsten Pro­duktions­zentrums Vorteile erhofften, wozu ihnen die Eisen­bahn als unerläßliche Vor­aussetzung erschien.

Die Hauptrichtungen der schlesischen Schienenwege waren durch die beste­henden Handelsstraßen vorgezeichnet. Auf­grund dieser Voraussetzung ent­wickelte sich das folgende Streckennetz: Nachdem für die 192,2 Kilometer lange Strecke von Breslau nach Schwientochlowitz am 24. März 1841 durch die preußische Regierung die Baukonzession erteilt worden war, konnte diese bis 1846 fertiggestellt werden: Breslau-Ohlau-Brieg (1842); Brieg-Op­peln (1843); Oppeln-Kandrzin

(Heydebreck)-Gleiwitz (1845); Gleiwitz-Kattowitz-Myslowitz (1846) mit Anschluß in Slupna an die Eisenbahn nach Krakau; Kandrzin-Ratibor (1846).

Zur gleichen Zeit, als die Strecke Breslau-Myslowitz gebaut wurde, hatte die von Berlin nach Frankfurt/Oder führende Linie über Guben-Sommerfeld-Hansdorf-Kohlfurt-Bunzlau (1846); Bunzlau-Liegnitz (1845) und Liegnitz-Breslau (1844) weitergeführt werden können, während der Abschnitt Berlin-Stettin seine Vollendung 1843 erfahren hatte. Damit war nicht nur Schlesien selbst durch die Eisenbahn erschlossen worden, sondern es hatte darüber hinaus eine Verbindung mit Berlin und der Ostsee erhalten. Und die reichere Ausgestaltung des deutschen und des benachbarten ausländischen Bahnnet­zes brachte Schlesien 1846 Schienenverbindungen mit Hamburg, Wien und Krakau. Demgegenüber erfolgte die Erschließung der preußischen Rhein­lande durch Schienenwege rd. 10 Jahre später.

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war durch eine Ver­dich­tung des schlesischen Eisenbahnnetzes gekennzeich­net.

Lit.: „Die historische Entwicklung des Deutsch-Oesterreichischen Eisen­­bahnnetzes vom Jahre 1838-1881“, XII. Ergänzungsheft zur Zeit­schrift des Kgl. Preußischen Statistischen Bureaus, hrsg. vom Kgl. Preußischen Statisti­schen Bureau (Berlin) 1883. – Geschichte und Geographie der deutschen Ei­senbahnen von ihrer Entstehung bis 1890, I (1891). – Georg Schyma: Die Be­gründung und Aus­ge­stal­tung des oberschlesischen Eisenbahnnetzes bis zum Jahre 1870, in: Mittei­lungen des Beuthener Geschichts- u. Museums­vereins, 11./12. Heft (1928/29), S. 1-74. – Erwin Siegmund: Die Entwick­lung der Ei­sen­bahnen in Oberschlesien unter besonderer Berück­sich­ti­gung ihrer künfti­gen Gestaltung, in: Deutsche Grenzlande, 12. Jg. (1933), S. 109-113; „Die deutschen Eisenbahnen in ihrer Ent­wick­lung 1835-1935“ (Hrsg. von der Hauptverwaltung der Deutschen Reichs­bahn). – Eduard Werner: Die ersten schlesischen Eisen­bahn­pro­jekte, in: Zeit­schrift des Vereins für Ge­schichte Schlesiens, 72. Bd. (Breslau) 1938, S. 294-329. – Gerhard Weber­sinn: Gustav Hein­rich Ruffer. Breslauer Bankherr – Pionier des Eisenbahn­gedankens – Förderer schlesischer Wirtschaft, in: Jahrbuch der Schlesischen Frie­drich-Wilhelms-Uni­versität zu Breslau, XI. Bd. (Würzburg) 1966, S. 154-196. – Konrad Fuchs: Vom Dirigismus zum Libe­ra­lis­mus. Die Entwick­lung Ober­schlesiens als preußisches Berg- und Hüt­ten­revier. Ein Beitrag zur Wirt­schaftsgeschichte Deutschlands im 18. und 19. Jahrhundert, Wies­baden 1970, S. 154-181. – Hugo Weczer­ka (Hrsg.): Schlesien (Handbuch der hi­stori­schen Stätten), Stuttgart 1977.

Bild: Gemälde der Bonn-Cölner-Eisenbahn um 1844 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Konrad Fuchs