Ereignis vom 7. Februar 1249

Friede von Christburg zwischen dem Deutschen Orden und den Preussen

Franz von Assisi predigt vor Honorius III. (Fresko von Giotto di Bondone, 1295–1300)

Als der vierte Hochmeister des Deutschen Ordens, Hermann von Salza (1209-1239), auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern außerhalb des Heiligen Landes durch den Hilferuf des polnischen Herzogs Konrad von Masowien auf das von dem heidnischen Volk der Prußen bewohnte Land zwischen Weichsel und Pregel gelenkt wurde, ließ er sich von Kaiser Friedrich II. durch die Goldene Bulle von Rimini 1226 verbriefen, dass der Orden das Preußenland sowohl für den christlichen Glauben gewinnen als auch seiner weltlichen Herrschaft unterwerfen dürfe. Nachdem vor Ort durch den Vertrag von Kruschwitz 1230 mit Konrad von Masowien die politischen Voraussetzungen geschaffen waren, überschritt der Ordensritter Hermann Balk 1231 bei Nessau die Weichsel und errichtete auf dem rechten Flussufer die erste Befestigung. In den folgen-den Jahren gelang es den Ordensbrüdern, von Kreuzfahrern aus dem Deutschen Reich unterstützt, in nördlicher und nord-östlicher Richtung vorzudringen, so dass bald Pomesanien in ihrer Hand war, 1237 in Zusammenarbeit mit den über See kommenden Lübeckern Elbing angelegt und anschließend weiter längs des Frischen Haffs vorgestoßen wurde. Während dieser Zeit kam der Orden bereits mehrfach in Konflikt mit Herzog Swantopolk von Pommerellen, denn dieser sah sich in seinen territorialen Ausdehnungsmöglichkeiten östlich der Weichselmündung entscheidend eingeschränkt, und zudem riefen seine Brüder in den innerfamiliären Erbauseinandersetzungen den unerwünschten Neuankömmling um Hilfe an. Es war daher nicht verwunderlich, dass sich Swantopolk offen gegen den Orden wandte, als die von diesem unterworfenen Prußen sich im Jahre 1242 mit aller Macht gegen ihren Zwing-herrn, der ihnen mit Burgenbau und Kirchenzehnten nur zusätzliche Lasten gebracht zu haben schien, erhoben.

Die Ordensritter wurden zwar zunächst auf wenige Burgen zurückgeworfen, konnten aber auch durch das Zusammen-wirken Swantopolks und der Prußen nicht entscheidend besiegt werden, sondern vermochten sich durch die politische Hilfe seitens polnischer Teilherzöge, durch den militärischen Bei-stand von Kreuzfahrern und durch die diplomatische Vermittlung der päpstlichen Kurie zu behaupten. Papst Innozenz IV. beauftragte im November 1247 den Archidiakon Jakob von Lüttich, den späteren Papst Urban IV., damit, den Frieden zwischen den kämpfenden Parteien herbeizuführen. Jakob setzte zuerst an der Stelle an, wo voraufgegangene Verhandlungsbemühungen bereits Vertragstexte vorgelegt hatten, und es gelang ihm schließlich im November 1248, einen Vergleich zwischen Swantopolk und dem Orden zustande zu bringen. Das Herzogtum Pommerellen wurde in seinem territorialen Bestand bestätigt, aber ihm ein Angriff auf das Ordensland und ein Bündnis mit den neugetauften oder den heidnischen Prußen gegen die Ordensherrschaft untersagt, so dass diese fortan gegen die pommerellischen Seite gesichert war.

Wenige Monate später, am 7. Februar 1249, gelang dem Nuntius der zweite, wesentlich schwierigere, zentrale Teil der Friedensaufgabe, indem er einen Ausgleich zwischen dem Deutschen Orden und den aufständischen Prußen, den preußischen “Neophyten”, also den neugetauften Heiden, durch ein zu Christburg abgeschlossenes Vertragswerk schuf, das zu Recht “eine der ungewöhnlichsten Verfassungsurkunden der deutschen mittelalterlichen Geschichte” (Patze) genannt worden ist. Die Prußen hatten sich in den Vorverhandlungen auf die Freiheitsversprechungen berufen, die die Päpste seit Jahrzehnten immer wieder den heidnischen Völkern im Preußenland und im Baltikum hatten verkünden lassen. So hatte Honorius III. 1225 die Neubekehrten in Livland und Preußen auf der Grundlage der Freiheit in den Schutz des Heiligen Petrus auf-genommen, wobei er Freiheit doppelsinnig deutete: als Freiheit der Kinder Gottes von der Sünde und zugleich als Freiheit im Sinne einer Entbindung von herrschaftlicher Bedrückung. Die Päpste legten zur Erleichterung des Missionswerkes auch großen Wert auf den letzteren Gesichtspunkt, denn der Getaufte sollte verständlicherweise rechtlich und wirtschaftlich nicht schlechter, sondern eher besser als der Heide dastehen. Gefährdet wurde dieses Ziel dadurch, dass die von Bischöfen und geistlichen Ritterorden getragene Schwertmission, auf die die Kurie letztlich zur dauerhaften Durchsetzung der Mission gegen kriegerische Reaktionen der Heiden angewiesen war, mit weltlicher Herrschaftsbildung verbunden war, denn der schwert-führende Adel ließ sich für den Heidenkampf durch die Aus-sicht gewinnen, eine eigene unabhängige Herrschaft in dem eroberten Heidenland zu errichten. Die Goldbulle von Rimini 1226 hatte dem Deutschen Orden die Herrschaftsbildung im Preußenland mit allen Rechten, wie sie ein Reichsfürst nicht besser haben konnte, zugestanden, sie ist daher die eigentliche Gründungsurkunde des preußischen Ordensstaates, auf deren Grundlage der Orden nach 1230 aufbaute. Die Kulmer Handfeste von 1233 regelte die Rechtsverhältnisse der einwandern-den Deutschen, der Rechtsstatus der getauften Prußen blieb hingegen weiterhin ungeklärt. Dagegen protestierten die Prußen 1249 vor dem päpstlichen Legaten: Der Orden habe das von den Päpsten gegebene Freiheitsversprechen nicht beachtet, sie stattdessen mit harten Diensten belastet, so dass sich die benachbarten Heiden fürchteten, das sanfte Joch des Herrn auf sich zu nehmen.

Gegen die herrschaftlichen Einschränkungen gewährte der Christburger Vertrag den Prußen die volle persönliche Freiheit. Sie wurde in einer Vielzahl von Einzelbestimmungen rechtlich konkretisiert, zudem wurde als subsidiäres Recht den Prußen das von ihnen gewählte polnische Recht gewährt. Insgesamt wurden ihnen Freiheitsrechte in einem Ausmaße zugesprochen, wie sie für die damals in Deutschland üblichen grundherrschaftlichen oder stadtrechtlichen Normen ganz außergewöhnlich waren, wie sich besonders deutlich in der Behandlung ihrer Mobilien und Immobilien zeigt. Sie erhalten das völlig freie Güterrecht garantiert, so dass die im Reich vorherrschenden, aus lehnsrechtlichen und grundherrschaftlichen Grundsätzen herrührenden Beschränkungen des Güterverkehrs entfallen, die Prußen besitzen also frei vererbbare Allode (Eigengüter). Das neue Erbrecht erweitert den Kreis der Erbberechtigten über die bisherige Sohnesfolge hinaus auf die weiblichen Erben im ersten Grade der Deszendenz und der Aszendenz. Die Prußen dürfen über ihre Fahrhabe wie über ihre Immobilien frei verfügen, sie “an ihnen Gleiche, sei es an Deutsche, Prußen oder Pommern”, verkaufen, ferner wird ihnen die freie Testierfähigkeit über alle Mobilien und Immobilien zugestanden. Im eherechtlichen Bereich wird ihnen verbrieft, dass sie mit jeder legitimen Person eine legitime Ehe abschließen dürfen, also unter Ausschaltung grundherrlicher Eingriffe. Sie können gegen jedermann gerichtlich vorgehen und ihr Recht fordern, sie können Geistliche werden oder in einen Orden eintreten, und Prußen vornehmer Abkunft können mit dem Rittergürtel aus-gezeichnet werden. Mit diesen Bestimmungen wird gewährleistet, dass die Prußen im juristischen, geistlichen und militärischen Bereich dieselben Betätigungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen wie die Deutschen erhalten.

Allerdings ist die Gewährung der persönlichen Freiheit in dem geschilderten Umfange daran gebunden, dass die Bekehrten den katholischen Glauben bewahren, im Gehorsam der römischen Kirche verharren und sich gegen den Orden treu verhalten. Rechtliche Freiheit soll die herrschaftliche Bindung also nicht gänzlich auflösen, sie soll nur im Sinne der kirchlichen Mission der Überspannung des herrschaftlichen Prinzips entgegentreten. Vor allem aber ist der tiefste, der eigentlich geistliche Grund für die Freiheit allein der christliche Glaube. Wer vom Glauben zur Ketzerei abfällt, ist schlimmer als ein Heide, denn dieser hat die christliche Botschaft noch nicht empfangen, jener aber hat sie verworfen, und infolgedessen muss der “Apostat”, der Abtrünnige, seine Freiheit nach kanonischem Recht und theologischer Überzeugung verlieren, er stellt sich außerhalb der Glaubens- und der Friedens- und Rechtsordnung. Im letzten Teil des Vertrages werden daher die kirchlichen, religiösen Grundlagen, auf denen die im vorhergehenden geschilderte persönliche Freiheit beruht, im einzelnen dargelegt, nachdem der Legat das Prinzip herausgestellt hat: Allein die Sünde macht die Menschen ungleich und bewirkt einen Verlust der Freiheit. So werden einzelne heidnische Bräuche oder Einrichtungen, also die Ursache der Unfreiheit, beschrieben, ihnen wird anschließend abgeschworen, und es werden die christlichen Glaubenspflichten aufgezählt. Heidnische Begräbnisbräuche, heidnische Kulte, heidnische Ehesitten werden untersagt, stattdessen sind die Toten auf christlichen Friedhöfen zu beerdigen, ist allein Christus und der katholischen Kirche Gehorsam zu leisten, wird eine kirchlich angetraute Ehefrau befohlen. Der Weg von der heidnischen Sünde zur christlichen Freiheit beginnt mit der Taufe, die für die Kinder angemahnt wird. Um dem Mangel an Gotteshäusern und damit auch an Taufstätten abzuhelfen, verpflichten sich die Prußen, in Pomesanien, Ermland und Natangen in nächster Zeit etliche Kirchen zu errichten. Ausdrücklich wurde damit vorgesehen, dass die Prußen, nicht die Landesherrschaft, als Träger des Kirchenbaues auftraten, was angesichts der damaligen Sozial-ordnung bedeutete, dass in dieser Kirchenorganisation der prußische Adel den Ton angab. So sind in den folgenden Jahren die Kirchen denn auch in der Mehrzahl auf dem Grund prußischer Adliger geplant worden, auf freiem Feld oder im Suburbium einer Adelsburg, und der Orden suchte seine Verwaltungsmittelpunkte dann in deren unmittelbarer Nähe anzulegen. “Mit der Aufhebung der heidnischen Sünden, der Durch-führung der Taufe und ihren äußeren organisatorischen Voraussetzungen war nach mittelalterlicher Auffassung der entscheidende Wandel des Heiden zum Christen vollzogen” (Patze).

Das Werk Jakobs von Lüttich ist ein echter zweiseitiger Vertrag, ein zwischen zwei Parteien abgeschlossenes Übereinkommen mit zweiseitigen Verpflichtungen, kein einseitig vom Orden seinen Untertanen gewährtes Privileg. Gestützt auf die vom Legaten für sie ausgestellte Vertragsausfertigung, werden die Prußen in die Verfassungsordnung der Ordensherrschaft ein-gefügt, in der Weise, dass ihnen eine präzise beschriebene Rechtsstellung auf dem Grundsatz “Freiheit durch Taufe” garantiert wird. Die päpstliche Missionstheorie sichert mit den detaillierten Festlegungen die Lage des neubekehrten Volkes, indem sie erreicht, dass ihr Rechtsverhältnis durch eine mit päpstlicher Autorität versehene rechtsbegründende Urkunde verankert wird. Der Christburger Vertrag sollte so neben der Goldenen Bulle von Rimini Kaiser Friedrichs II. von 1226 und der Bulle von Rieti Papst Gregors IX. von 1234, auf welche Bekundungen der beiden Oberhäupter der Christenheit der Orden seine Herrschaft begründet hatte, und neben der Kulmer Handfeste von 1233, die den deutschen Einwanderer nach dem Grundsatz “Freiheit durch Siedlung” behandelte, eine weitere zentrale Verfassungsurkunde des entstehenden Ordensstaates werden.

Wenn dem Vertragswerk diese Wirkung dann doch nicht beschieden gewesen ist, lag das daran, dass Deutscher Orden und Prußen in den folgenden Jahren erneut in Streitigkeiten miteinander verfielen. Der Konflikt entsprang neben der Heeresfolge, die der Christburger Vertrag ausdrücklich vorgesehen hatte, vornehmlich dem Burgenbau, auf den der Orden um der Aufrechterhaltung seiner Herrschaft gegen die von außen drohen-den Angriffe nicht glaubte verzichten zu können, zudem durfte er sich in seiner Haltung durch päpstliche Bullen bestätigt sehen. Seine schwere militärische Niederlage 1260 in Kurland gab dann das Signal zum zweiten großen Aufstand der Prußen. Er drohte zeitweilig die Ordensherrschaft zum Einsturz zu bringen, aber nach langen Kämpfen, die endgültig erst 1283 abgeschlossen waren, brach er zusammen. Der Deutsche Orden ging daran, seine Herrschaft über die Prußen auf anderen Rechtsgrundlagen aufzubauen, als es der Christburger Vertrag beabsichtigt hatte, denn für die preußischen Landschaften, die sich dem Abfall angeschlossen hatten, war er hinfällig geworden. Seine Politik umschrieb er in einer Urkunde von 1263 folgen-dermaßen: “Da die neuen Christen von Preußen den christlichen Glauben abgeworfen hatten, wider uns und andere Christgläubige grausam wüteten, die Kirche Gottes mit viel Pein quälten und damit billigerweise ihre Freiheit verloren, wollen wir wiederum, dass diejenigen, die uns getreulich beistanden, sich eines besonderen Vorteiles der Freiheit erfreuen”. Peter von Dusburg, der Geschichtsschreiber des Deutschen Ordens aus den 1320er Jahren, berichtet, dass der Orden ehemaligen prußischen Adligen, die den Aufstand unterstützten, den Adel genommen, andererseits Nichtadlige für ihre Treue mit außer-ordentlicher Freiheit ausgestattet habe. Anstelle der vollen persönlichen Freiheit, die allen Prußen und allen preußischen Landschaften durch den Christburger Vertrag gewährt worden war, trat die Freiheit, die der Orden in unterschiedlich abgestuftem Maße, mit größeren oder kleineren Privilegien, einzelnen Personen oder Familien gewährte, je nachdem, wie sie sich während des Aufstandes ihm gegenüber verhalten hatten, ob sie ihm durchgängig die Treue gehalten oder nach ihrem Abfall früh wieder auf seine Seite getreten waren.

Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Aufstand in manchen Landschaften, vornehmlich in Pomesanien und im Kulmerland, kein Fuß hat fassen können, so dass, wie entgegen früheren Lehrmeinungen nachgewiesen worden ist, in diesen Regionen die Bestimmungen des Christburger Vertrages in Kraft geblieben sind und deren rechtliche und ständische Eigenart bis ins 15. Jahrhundert hinein geprägt haben. Die Geltung polnischen Rechts und die Wahrnehmung von Gerichtsrechten zeugen da-von, dass er hier nachwirkte; in der pomesanischen “Wayde”, der Versammlung der Ritter und Knechte Pomesaniens, mit einem eigenen Recht, das 1340 schriftlich fixiert wurde, machte er sich vornehmlich bemerkbar. So hat er zwar nicht, wie die päpstliche Diplomatie es 1249 plante, das Rechtsverhältnis der gesamten prußischen Bevölkerung im Ordensstaat dauerhaft geregelt, aber im begrenzten regionalen Rahmen und mit sachlichen Einschränkungen haben die 1249 dargelegten prußischen Freiheiten ihre Geltung behalten.

Druck des Vertrages: Preußisches Urkundenbuch, Bd. I/1, hrsg. v. Rudolf Philippi und Carl August Woelky, Königsberg 1882, Nr. 218, S. 158ff.; mit deutscher Übersetzung in: Quellen zur Geschichte des Deutschen Ordens, hrsg. v. Walther Hubatsch, Göttingen 1954, Nr. 10, S. 80ff.

Lit.: Hans Patze: Der Frieden von Christburg vom Jahre 1249, in: Heidenmission und Kreuzzugsgedanke in der deutschen Ostpolitik des Mittelalters, hrsg. v. Helmut Beumann (Wege der Forschung, Bd. 7), Darmstadt 1963, S. 417-485 (zuerst 1958). – Reinhard Wenskus, Zur Lokalisierung der Prußenkirchen des Vertrages von Christburg 1249; ders., Über die Bedeutung des Christburger Vertrages für die Rechts- und Verfassungsgeschichte des Preußenlandes, beides in: ders., Aus-gewählte Aufsätze zum frühen und preußischen Mittelalter, Sigmaringen 1986, S. 375-390 bzw. S. 391-412 (zuerst 1967 bzw. 1963).

Foto: Franz von Assisi predigt vor Honorius III. (Fresko von Giotto di Bondone, 1295–1300) / Quelle: Von Giotto di Bondone – Giotto di Bondone, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=93868

Klaus Neitmann