Ereignis vom 12. Oktober 1398

Friede von Sallinwerder zwischen dem Deutschen Orden und Litauen

Der Deutschordensstaat und seine Grenzen zum Großfürstentum Litauen (braun) 1260–1410; Das im Vertrag von Salinwerder übereignete Samogitien wird blassrot schraffiert dargestellt

Die Union, die das Königreich Polen und das Großfürstentum Litauen 1385/86 miteinander vereinbarten, veränderte mit einem Schlag die politische Großwetterlage in ganz Ostmittel-europa und lenkte die Geschicke dieser Region mit ihren beabsichtigten kurzfristigen und unbeabsichtigten langfristigen Folgen in eine neue Richtung. Der heidnische litauische Groß-fürst Jagiello trat durch seine Taufe zum Christentum über, ehelichte die Erbin des polnischen Königsthrones Hedwig und wurde von den polnischen Ständen als neuer König anerkannt, nachdem er Litauen staatsrechtlich an Polen angeschlossen hatte. Niemand wurde von diesen Entscheidungen mehr betroffen als der Deutsche Orden in Preußen, sah er doch nicht zu Unrecht seine Staatsbildung in politischer wie in ideeller Hinsicht bedroht. Litauen wurde durch die Verbindung mit Polen in dem Kampf, den es seit Jahrzehnten gegen den Orden führte, gestärkt, zugleich waren für den Orden in seinem Verhältnis zu Polen, das trotz des Friedens von Kalisch 1343 (vgl. OGT 1993, S. 219-222) problematisch geblieben war, neue Spannungen zu befürchten. Der Ordensstaat sah sich jetzt einer Koalition der beiden größten Mächte an seinen südlichen und östlichen Grenzen gegenübergestellt, die seine politischen Gestaltungsmöglichkeiten zu beeinträchtigen drohten. Indem der litauische Großfürst durch seine Taufe sein Land und sein Volk der römisch-katholischen Kirche zuführte, wurde zugleich die ideelle Grundlage des Ordensstaates, seine Stiftungsaufgabe, in Frage gestellt. Die Päpste und Kaiser des 13. Jahrhunderts, voran Kaiser Friedrich II. in seiner berühmten Goldbulle von Rimini 1226, hatten sich im Kreuzzugszeitalter von der Vorstellung leiten lassen, daß der Deutsche Orden als geistlicher Ritterorden dazu bestimmt war, durch den militärischen Kampf an den Rändern der Christenheit heidnische Länder und Völker für die christliche Kirche zu gewinnen, und daher zur dauerhaften Aufrechterhaltung der Eroberungen befugt war, eine eigene Herrschaft zu errichten. Mit der Christianisierung Litauens, das der Orden seit dem Anfang des 14. Jahrhunderts, regelmäßig unterstützt von Kreuzfahrern aus ganz West- und Südeuropa, vor allem aus Frankreich und England, auf zahlreichen Feldzügen bekriegt hatte, verlor er den letzten heidnischen Nachbarn, so daß die Existenzberechtigung seiner Herrschaft in Preußen bezweifelt oder die Verlegung seiner Korporation in eine andere ost- oder südosteuropäische Region zum Heidenkrieg vorgeschlagen werden konnte – beide Varianten wurden in den Jahrzehnten nach 1386 immer wieder vorgetragen.

Freilich war die politische Gesamtlage nach 1386 nicht so eindeutig durch klare politische Frontstellungen gekennzeichnet, daß dem Orden keinerlei Bewegungsfreiheit zur Behauptung seiner Position verblieben wäre, im Gegenteil, er nutzte mehrere Ansatzpunkte, die sich ihm boten, entschlossen aus. Die Christianisierung Litauens zog er in Zweifel, erklärte sie zu einer scheinbaren und betrügerischen und führte den Kampf, dabei weiterhin von westeuropäischen Kreuzfahrern unterstützt, die offensichtlich seine Argumentation anerkannten, unbeeindruckt weiter. Auf der Memel stieß er bis tief ins litauische Gebiet vor, ohne allerdings seine militärischen Erfolge dauerhaft ausnutzen und die Landschaft Samaiten nördlich des Flusses, die seinen Besitz in Preußen und in Livland voneinander trennte, behaupten zu kön¬nen. Die polnisch-litauische Union erwies sich gleichzeitig als zerbrechlich, da die Erbauseinandersetzungen innerhalb der litauischen Gediminidendynastie andauerten, Jagiellos Vetter Witold dessen Herrschaft in Litauen widersprach und in seiner Not Hilfe beim Deutschen Orden suchte, was diesem den Anlaß zum Eingreifen und zur Ausnutzung der innerlitauichen Differenzen gab. Die Konstellationen in dem Dreiecksverhältnis zwischen dem Orden, Jagiello und Witold wechselten mehrfach. Als Jagiello schließlich 1392 Witolds Herrschaft in Litauen unter seiner Oberhoheit anerkannte, brach zwischen diesem und dem Orden wieder der Krieg um Samaiten aus. Witold schloß sich dessen Gegnern, insbesondere in den damali¬gen Auseinandersetzungen um das Erzstift Riga, an und beteiligte sich an einer großen Ko¬alition verschiedener Ordensfeinde. Allerdings besaß er zu diesem Vorgehen Alternativen in¬sofern, als er zur territorialen Vergrößerung Litauens in der Tradition der Großfürsten Ge-dimin (1316-1341) und Olgierd (1345-1377) seine Kräfte nach Osten und Südosten, gegen Moskau und die Tataren, wenden konnte. Die günstige Gelegenheit zu einem Vorstoß in Richtung der Schwarzmeerküste boten Auseinandersetzungen innerhalb der Goldenen Horde, als ein vertriebener Khan zu Witold flüchtete und ihn um Hilfe ersuchte. Dazu benötigte dieser freilich Rückenfreiheit, Frieden im Westen, den er nur erlangen konnte, wenn er dem Orden entgegenkam und sich unter Zugeständnissen mit ihm einigte. Ein mindestens ebenso bedeutendes Ziel, die Lösung der Abhängigkeit Litauens von Polen bis hin zur Beseitigung der Union, war ebenfalls nur mit dessen Beistand anzustreben.

Das Ergebnis dieser politischen Konstellation war 1398 der Friedensvertrag von Sallinwerder. Am 23. April dieses Jahres verständigten sich die Unterhändler des Hochmeisters Konrad von Jungingen (1393-1407) (vgl. OGT 1993, S. 223-229) mit Witold in Grodno auf die wesentlichen Bedingungen. Am 12. Oktober 1398 trafen die beiden Herrscher in Sallinwerder, einer Insel in der Memel unterhalb von Kowno zwischen den Einmündungen von Dubissa und Nawese, persönlich zusammen, also nach mittelalterlichem Brauch auf einer Flußinsel im Grenzbereich, und machten durch den Austausch der von zahlreichen Amtsträgern beider Seiten bekräftigten Vertragsurkunden das Abkommen rechtskräftig. Witold trat Samaiten, dessen Grenzen genauer beschrieben wurden, an den Deutschen Orden ab. Im Nordosten wurden politische Einflußzonen abgesteckt: Pleskau wurde dem Orden zugeschlagen, Nowgorod dem Großfürsten, wobei der Hochmeister sich hierbei über die ablehnende Haltung des Ordensmeisters von Livland hinwegsetzte, der das mächtige Litauen lieber fern von seinen Grenzen gesehen hätte. Witold gelobte die Ausbreitung des Christentums und anerkannte seine Pflichten gegenüber der Römischen Kirche und dem Römischen Reiche gleich anderen freien christlichen Königen und Fürsten, betonte damit seine Unabhängigkeit und Gleichstellung mit anderen europäischen Herrschern und nannte sich zum ersten Male offiziell „Dei gratia supremus dux Li-thuaniae et Russiae“ (von Gottes Gnaden Großfürst von Litauen und Rußland), was sich alles indirekt gegen den König von Polen und die polnisch-litauische Union richtete. Eine wesentliche Absicht des Friedensschlusses wurde in einem Passus über Kriegsbeute und Gerichtsbarkeit auf gemeinsamen Feldzügen nur angedeutet, nicht offen ausgesprochen: die Kriegshilfe des Ordens für Witolds Feldzug gegen die Tataren. Der Orden schien mit seiner Politik einen vollen Erfolg errungen zu haben: Er hatte Samaiten und damit die Landbrücke zwischen Preußen und Livland endlich erworben, Witold hatte sich politisch mit ihm wegen seiner Ostpolitik verbunden, und die polnisch-litauische Union war faktisch gesprengt, sie stand nur noch auf dem Papier.

Aber bereits die nächstfolgende Zukunft sollte erweisen, daß die Abmachungen von Sallin¬werder auf brüchigen Grundlagen standen. Im Sommer 1399 brach Witold mit einem be-achtlichen Heer, dem der Orden ein Kontingent angefügt hatte, gegen die Goldene Horde auf, jedoch erlitt er am 12. August 1399 in der entscheidenden Schlacht an der Worskla (die in den unteren Dnjepr mündet) eine Niederlage gegen die Tataren. Damit war aus seiner Sicht die Politik von Sallinwerder gescheitert, sie hatte nicht zu dem erhofften Ziel der gro¬ßen Ostexpansion geführt, und er zog ohne Zögern die Konsequenzen. Die polnisch-litaui¬sche Union wurde 1401 in Radom erneuert, Witold behielt seine Position in Litauen unter ausdrücklicher Anerkennung der Oberherrschaft Jagiellos. Ein erfolgreicher Aufstand der Schamaiten beseitigte noch im selben Jahr die dortige Ordensherrschaft. Zwar gelang es dem Orden, 1404 im Frieden von Razianz noch einmal einen Ausgleich mit Polen und Litauen gemeinsam zu erreichen und dabei Samaiten erneut für sich zu erlangen, aber die langfristigen politischen Differenzen beider Parteien wurden auf Dauer nicht ausgeräumt. Witold hielt an seinen Absichten auf Samaiten fest, und Jagiello erneuerte die alten polnischen Ansprüche auf Pommerellen und das Kulmer Land, so daß die wenigen Jahre freundschaftlicher Verbindungen zwischen dem Orden und Litauen schließlich doch in den „großen Krieg“ von 1409-1411 einmündeten, in dem der Orden die schwere Niederlage bei Tannenberg erlitt und dessen Folgen seinen Niedergang sichtbar einleiteten. Preußen wurde zu einer zweitrangigen Macht, die polnisch-litauische Union ging ihren zwei „goldenen“ Jahrhunderten entgegen.

Quelle: Edition des Friedensvertrages von Sallinwerder bei Erich Weise (Hrsg.): Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen im 15. Jahrhundert, Bd. 1, 2. Aufl. Marburg 1970, Nr. 1-3.

Lit.: Josef Pfitzner: Gro߬fürst Witold von Litauen als Staatsmann, Brünn usw. 1930, S. 118ff. – Hartmut Boockmann, Johannes Fal-kenberg: Der Deutsche Orden und die polnische Politik, Göttingen 1975, S. 50ff. – Klaus Neitmann: Die Staatsverträge des Deutschen Ordens in Preußen 1230-1449, Köln, Wien 1986, S. 150ff. u.ö.

Bild: Der Deutschordensstaat und seine Grenzen zum Großfürstentum Litauen (braun) 1260–1410; Das im Vertrag von Salinwerder übereignete Samogitien wird blassrot schraffiert dargestellt / Quelle: Von S. Bollmann – Dieter Zimmerling: Der Deutsche Ritterorden. 2. Auflage 1991. Econ Verlag, Düsseldorf, Wien, New York 1989, ISBN 3-430-19959-XHermann Kindler, Werner Hilgemann: dtv-Atlas zur Weltgeschichte. Lizenzausgabe für Bertelsmann Club HmbH und diverse Buchclubs. Deutscher Taschenbuch Verlag, München ohne Jahr. Band 1Geoffrey Barraclough [Hrsg.]: Atlas der Weltgeschichte. Bechtermünz Verlag, Augsburg 1997, ISBN 3-86047-178-3Franklin H. Littell: Atlas zur Geschichte des Christentums. 2. Sonderauflage. Brockhaus Verlag 1989. ISBN 3-417-24606-7Gerhard Ziegler, Walter Heidenreuter: Karten für den Geschichtsunterricht. Volk und Wissen, Berlin 1954.F. W. Putzgers Historischer Schul-Atlas. Ausgabe 1923. www.maproom.orgErnst Bruckmüller, Peter Claus Hartmann: Putzger Historischer Weltatlas. 102. Auflage. Cornelsen 1992.Dr. Richard Andree: Droysens Allgemeiner Historischer Handatlas. www.maproom.orgKarl Spruner, Theodor Menke: Hand-Atlas für die Geschichte des Mittelalters und die neueren Zeit. 3. Auflage. Justus Perthes, Gotha 1880. www.maproom.orgOhne Autor: Abbildung und Beschreibung aller Ritterorden in Europa. Reprint der Originalausgabe von 1792. Reprint-Verlag Leipzig. ISBN 3-8262-1807-8, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5704048

Klaus Neitmann