Ereignis vom 19. September 1721

Frieden von Nystad

Die Vorderseite einer Fe-Medaille von 1721

Als am 19.9.1721 im finnischen Nystad die Ratifikationsur­kunden des im Original in deutscher Sprache abgefaßten Friedensschlusses zwischen Rußland und Schweden ausgetauscht wurden, war ein 21jähriges Ringen um die Vorherrschaft im Nordosten Europas, der Nordische Krieg, beendet. Die Ergeb­nisse können nur als epochal bezeichnet werden und wir erin­nern uns zu Recht an dieses Ereignis.

Der Nordische Krieg hatte eine vielfältige Vorgeschichte, in der zahlreiche Staaten der Region Interessen und auch offene Rechnungen hatten, die nach langer diplomatischer Vorberei­tung und sobald die Lage günstig war, beglichen werden soll­ten. Schweden, das nach dem 30jährigen Krieg auf dem Höhe­punkt seiner Macht gestanden hatte, spürte in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Gefährdung und Erosion seiner Position, die vor allem aus den Revisionsbestrebungen seiner Nachbarn Dänemark, Brandenburg – Preußen, Polen und Ruß­land resultierten. Als der Machtwechsel in Stockholm 1697 den minderjährigen Karl XII. (1682-1718) auf den Thron brachte und als sich 1699 durch das schwedische Bestreben, zu­nächst den transbaltischen Besitz zu sichern, die Baltische Krise entwickelte, war Schwedens Schwäche offensichtlich geworden. Jetzt erwachte im sächsisch-polnischen König Au­gust Interesse an Livland; in Rußland suchte Peter I. (1672-1725) die Öffnung zur Ostsee. Nachdem im Februar 1700 sächsische Truppen die livländische Grenze überschritten und im März däni­sche Truppen schwedisches Militär in Holstein-Gottorp attackiert hatten, erklärte Rußland am 19.8.1700 Schweden den Krieg. Karl konnte zunächst alle drei Gegner zurück­schlagen und das polnische Lehen Kurland besetzen. Während er aber weiter nach Polen und Sachsen zog, eroberte Peter die schwedischen Neva-Festungen, wo er seinerseits 1704 mit dem Bau der Pe­ter-Pauls-Festung begann, die Aus­gangspunkt seiner neuen Hauptstadt werden sollte. Karl stieß nun nach Rußland vor, wo er über den Umweg über die Ukrai­ne nach Nord­osten zielte, um die Entscheidung mit Peter zu suchen. Obwohl er durch die russischen Trup­pen immer wieder abgedrängt und schließlich vollständig von seinem Nachschub abgeschnitten worden war, wagte er die Belagerung der Fe­stung von Poltava nahe Char’kov, wo er von Pe­ter am 8.7.1709 vernichtend geschlagen wurde.

Daß dieser russische Sieg die eigentliche Wende war, die den Niedergang Schwedens und den Aufstieg Rußlands bedeutete – das wurde an allen Höfen Europas begriffen. Peter I. eroberte 1710 Livland und Estland und machte Karl XII. ein Friedens­angebot. Dieser jedoch lehnte aus seinem türkischen Exil, wo­hin er geflohen war, ab, da er nicht den Verlust seines balti­schen Besitzes bestätigen wollte.

In der zweiten Hälfte des Nordischen Krieges lag der Schwer­punkt der diplomatischen und militärischen Aktivitäten vor­wiegend im norddeutschen Raum. Als es darum ging, Schwe­den aus Pommern herauszudrängen, gestattete Preußen aus eigenem Interesse russischen Truppen den Durchmarsch durch brandenburgisches Gebiet. Mit der Belagerung von Stralsund, Wismar und Stettin stand erstmals russisches Militär auf deut­schem Reichsboden. 1713 besetzten russi­sche Truppen auch Gebiete Finnlands, 1714 betraten sie erstmals schwedischen Boden. Ende 1714 kehrte Karl XII. nach 5jährigem „Haus­ar­rest“ beim türkischen Sultan zurück, konnte den Fall der nord­deutschen Städte aber nicht mehr verhindern – Schwe­den war auf sein Mutterland zurückgeworfen.

Karl XII. war erst im Frühjahr 1718 bereit, Friedensverhand­lungen zu führen. Aber auch bei diesen Gesprächen, die über einige Monate auf den Åland-Inseln stattfanden, weigerte sich Karl, die russischen Eroberungen anzuerkennen. Als er im Dezember desselben Jahres bei einer militärischen Aktion in Norwegen den Tod fand, war der Friedenskongreß gescheitert.

In den nun bis zum Frieden von Nystad folgenden Jahren wurde Schweden durch wirtschaftli­che Probleme und die er­neute Thronfolgefrage zusätzlich geschwächt. Karls Schwester Ulrike Eleonore, die mit dem Erbprinzen von Hessen-Kassel kinderlos verheiratet war, folgte ihrem Bruder auf den Thron, den sie aber schon 1720 für ihren Ehemann freimachte, der nun seiner hessischen Verwandtschaft die Thronfolge sichern wollte. Dem stand der Anspruch des Her­zogs von Holstein-Gottorp gegenüber, der ein Sohn von Karls anderer Schwester Hedwig-So­phie war. Während sich die „hessische Partei“ auf England-Hannover abzustützen versuchte, rechnete die „got­torfi­sche Interessenpolitik“ mit der Unterstützung des Za­ren. Tatsächlich stand der verunsicherten schwedischen Seite ein zielstrebiger russischer Wille gegenüber. Als im Juli 1719 ein erneutes russisches Friedensangebot in ultimativer Form in Stockholm überge­ben wurde, begleitete Peter diese Offerte mit dem gleichzeitigen Einsatz einer Galeerenflotte. Russische Trup­pen richteten wenig später in der Umgebung von Stock­holm und an der Küste schwere Zerstörungen an – allerdings wie­derum ohne ein schwedisches Nachgeben erreichen zu können. Da inzwischen die englische Flotte zur Unterstützung vor Stockholm aufgekreuzt war, fühlte sich Schweden wieder etwas stärker und stand eine ähnliche russische Attacke auch im folgenden Jahr nochmals durch. Als Rußland 1720 diese Drohkulisse aufbaute, hatte Schweden bereits mit Preußen einen Friedensvertrag und mit England einen förmlichen Bündnisvertrag abgeschlossen. Jetzt erschienen schwedische und englische Schiffe sogar vor Reval. Es blieb allerdings bei einem Patt; die englische Hilfe hatte Schweden nicht aus seiner Zwangslage be­freit. Auch auf diplomatischem Parkett, wo Eng­land versuchte, eine Einkreisung Rußlands ein­zufädeln, zeigte sich kein Erfolg. „Der Mechanismus des Staatensystems schien zum ersten Mal gegen England auszuschlagen“ (Zer­nack), denn jetzt befürchteten die Kontinentalmächte den Auf­stieg Englands zur Ostsee-Vormacht. Georg I. seinerseits erkann­te, daß auch keine Hoff­nung mehr auf ein Zurückdrän­gen Rußlands bestand: in der östlichen Hälfte Europas began­nen die „drei schwarzen Adler“ zusammenzurücken. Folglich riet er den Schweden, mit Peter eine Einigung zu suchen. Im Mai 1721 wurde der Friedenskongreß von Nystad eröffnet.

Leiter der russischen Verhandlungsdelegation war ein 34jähri­ger Deutscher, der seit 1704 in Peters Diensten stand: der Geheime Kanzleirat Heinrich Ostermann (1687-1747), ein Pastoren­sohn aus Bochum, der als Student nach einem Duell mit tödlichem Ausgang aus Jena nach Holland zu den Russen geflohen war. Ostermann hatte sich bereits bei den Verhand­lungen auf den Åland-Inseln verdient gemacht und er hatte das Ultimatum von 1719 in Stockholm über­reicht. Wie in den vor­hergehenden Verhandlungen hieß auch jetzt seine Weisung: Verhandeln heißt Annahme der längst bekannten russischen Bedingungen. Obwohl andererseits der schwedische Verhand­lungsführer Lilienstedt die Instruktion hatte, „äußerstenfalls alle russi­schen Bedingungen anzunehmen“, flankierte Peter sicherheitshalber die Friedensgespräche wiederum mit militäri­schen Aktionen. Eine Galeerenflotte landete mit 5000 Mann Infanterie, 370 Reitern und Pferden an der schwedischen Küste und verwüstete über drei Wochen lang 6 kleine Städte, 541 Dörfer, 84 Landhöfe und 30 Betriebe. Unter der Bevölkerung brach Panik aus – die Kampfkraft Schwedens war erlahmt. Auch das englische Geschwader hielt es jetzt „für untunlich“, einen Zusammenstoß mit den russischen Streitkräften zu erwä­gen. Eine schwedische Bitte an den Zaren, die Landungsope­rationen einzustellen, gab dieser an seine Verhandlungsdelega­tion weiter, die in eigenem Ermessen entsprechend dem Fort­gang der Ge­spräche diese Schraube lockern oder anziehen sollte. Der Zar selbst bediente sich eines weite­ren Druckmit­tels: er zeigte sich während der Verhandlungen immer wieder mit dem Herzog von Holstein-Gottorp, dem Prätendenten auf den schwedischen Thron, dem er 1724 seiner Tochter Anna Petrovna vermählte, der Mutter des späteren Zaren Peter III., des Gemahls Ka­tharinas II.

Dabei ist bemerkenswert, daß Peter die Kapitulationen, die er 1710 der baltischen Ritterschaft gewährte, nicht auf In­german­land und Karelien ausdehnen wollte, da diese Pro­vinzen seine Erbländer und alter russischer Boden seien – ein bedeutender Unter­schied, den er hier gesehen hat.

Interessant ist darüber hinaus, daß die russische Seite während der Verhandlungen auch erhebliche Geldgeschenke gemacht hatte. Ostermann war allerdings sparsam und hat von den 30.000 Dukaten, die der Zar hierfür zugestellt hatte, nur 21.000 verwendet und den Rest dem Zaren zurückgegeben.

Nachdem der Abschluß des Friedensvertrages in St. Petersburg über eine Woche gefeiert wor­den war, baten Senat und Hl. Synod am 31.10.1721 den Zaren, den Titel „Vater des Vater­lan­des, allrussischer Imperator, Peter der Große“, anzunehmen. Offiziell nannte er sich nun „Kaiser und Selbstherrscher von ganz Rußland, Moskau, Kiev, Vladimir und Novgorod“. Die Kaiserproklamation stieß in anderen europäischen Hauptstäd­ten allerdings auf Ablehnung. Zu Lebzeiten Peters wurde der Kaisertitel nur von Preußen, Holland, Dänemark und Schwe­den anerkannt. Erst 1742 akzeptierte der Kaiser in Wien, da­nach auch der englische Hof die Erhö­hung, 1745 Frankreich und Spanien. In dem Ergebnis des Spanischen Erbfolgekrieges war 1714 die preußische Königswürde anerkannt worden. Mit dem Ende des Nordischen Krieges hatte sich die künftige Pen­tarchie in Europa herausgebildet: keine der führenden Mächte – Frankreich, England, Österreich, Preußen und Rußland – konnte Außenpolitik betreiben, ohne die Interessen der anderen zu berühren.

Lit.: Klaus Zernack: „Der große Nordische Krieg“, in: Handbuch der Geschichte Rußlands, Band 2/I, Stuttgart 1986. – Reinhard Wittram: „Peter I., Czar und Kaiser“, Göttingen 1964. – Göran Wensheim: „Studier Kring Freden i Nystad“, Diss. Lund 1973 (S. 207-216).

Bild: Die Vorderseite einer Fe-Medaille von 1721. Peter der Große im Frieden von Nystad. Medailleur Anton Schultz, Kopenhagen. / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Gerda Vollmer