Ereignis vom 19. März 1700

Gründung der Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin

Staatsbibliothek Unter den Linden, Sitz der Preußischen Akademie der Wissenschaften bis 1945nach 1933

Am 19. März 1700 beschloss Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg, neben einer Sternwarte auch eine „Academie des sciences“ in Berlin „zu établiren“ (Harnack, Bd. II, S. 68). Der Stiftungsbrief und die Generalinstruktion für die „Kurfürstlich Brandenburgische Societät der Wissenschaften“ wurden dann am 11. Juli 1700 vom Kurfürsten unterzeichnet. Damit war die Akademie der Wissenschaften zu Berlin zwar begründet, doch sollte es noch mehr als zehn Jahre dauern, bis sie am 19. Januar 1711 als „Preußische Sozietät“ auch feierlich eröffnet wurde. Die Akademiegründung in der Residenz der Kurfürsten von Brandenburg ist einerseits durch regionale Entwicklungen bedingt, andererseits ist sie aber auch eng in die Akademiebewegung des 17. und 18. Jahrhunderts verflochten. Sieht man vom Sonderfall der Akademie der Naturforscher, der 1652 gegründeten und 1677 durch kaiserliches Privileg geadelten „Leopoldina“ ab, ist die Berliner Gründung, nachdem ein ähnlicher Plan in Dresden 1693/94 noch gescheitert war, die älteste deutsche Wissenschaftsakademie und zugleich deren Prototyp. Im Gegensatz zu den als Vorbild gerühmten Akademien in Paris und London, die jeweils nur Teilbereiche der Wissenschaften umfassten, verstand sich die Berliner spätestens nach ihrer Reform durch Friedrich den Großen als Akademie für die Gesamtheit der Wissenschaften, also der Geistes- und Naturwissenschaften, freilich unter Ausschluss der angewandten Wissenschaften.

Die Gründung einer Akademie oder Sozietät der Wissenschaften zu Berlin ist eingebettet in die wissenschaftspolitischen Rahmenbedingungen in Brandenburg-Preußen. Sie steht in einer Linie mit der gleichzeitigen Gründung der Sternwarte, der Gründung der Reformuniversität in Halle 1694 und der Stiftung einer Akademie der Künste in Berlin 1696. Alle Institutionen hatten neben genuinen auch staatspolitischen Interessen zu dienen, sei es der Heranbildung einer Führungsschicht von Theologen, Juristen, Medizinern, Ökonomen und Staatsbeamten, sei es durch die Ausbildung von Künstlern und Architekten. Erstere waren eine Stütze des Staates und als solche Garanten für die „öffentliche Wohlfahrt“ und eine zentralistische Staatsverwaltung; letztere wurden benötigt, um den repräsentativen Ansprüchen in der Konkurrenz der fürstlichen Häuser genügen zu können. Ganz unmittelbar hat auch die für 1700 anstehende Kalenderreform die Gründung der Akademie forciert. Zur „souveränen“ Festlegung eines eigenen Kalenders bedurfte man der Sternwarte; das Monopol zum Vertrieb der Kalender wurde der Akademie übertragen, die primär damit ihren Haus-halt bestritt.

Akademiepläne hatte es in Brandenburg bereits 1667 gegeben, doch es bedurfte der besonderen Konstellation personeller (hier ist vor allem der Einsatz von Gotthold Wilhelm Leibniz zu würdigen, der mit seinen Plänen die Akademie wesentlich formte und der dann auch der erste Präsident der Akademie wurde) und sachlicher Bedingungen (Bedarf an wissenschaftlichem Sachverstand für die Lösung praktischer Aufgaben), um die Akademiepläne zu verwirklichen. Bereits im 18. Jahrhundert gehörten der Akademie berühmte Gelehrte an, neben Leibniz vor allem Johann Leonhard Frisch, Leonhard Euler, Voltaire und Maupertuis, der dann von 1746 bis zu seinem Tode 1759 zum Präsidenten der durch Friedrich den Großen in „Académie Royale des Sciences et Belles Lettres“ umbenannten und reorganisierten Sozietät berufen worden war. Doch erst die Reorganisationen der Akademie nach Gründung der Universität in Berlin (1810) ermöglichten die Glanzzeit der Berliner, der „Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften“ als einer der bedeutendsten Wissenschaftsorganisationen der Welt, die erst in der NS-Zeit endete.

Von Anfang an erfüllte die Berliner Akademie der Wissenschaften eine wichtige Funktion als Bindeglied der Wissenschaftler in ganz Brandenburg-Preußen (so waren auch Gelehrte der Universitäten aus Königsberg und Frankfurt/Oder unter den „Abwesenden Mitgliedern“ – eines der ersten großen Akademieunternehmen, die Herausgabe vollständiger Himmelskarten, wurde 1824 von dem Königsberger Mitglied Friedrich Wilhelm Bessel angeregt) wie als Brücke zu den östlichen Staa-ten. Friedrich II. holte 1741 den berühmtesten Mathematiker der Zeit, Leonhard Euler, von Petersburg nach Berlin (nach Petersburg kehrte er 1766 auch zurück). Neben den personellen und organisatorischen Verbindungen liegt ein besonderes Ver-dienst der „Preußischen Akademie der Wissenschaften“ darin, in der „Ostforschung“ Herausragendes geleistet zu haben. So darf das Akademiemitglied Johann Leonhard Frisch, der in der Ökonomie, den Naturwissenschaften und den Sprachwissenschaften gleichermaßen bewandert war, als einer der Begrün-der der Slavistik in Deutschland gelten. Seine „Historia linguae slavonicae“ erschien zwischen 1727 und 1736 in fünf Bänden. Durch seine Übersetzungen eines pädagogischen Werkes von Jan Amos Comenius ins Russische trug er entscheidend zu dessen Rezeption in Russland bei. Ein Jahrhundert später, 1829, führte Alexander von Humboldt mit Unterstützung der Akademie seine große Rußlandexpedition durch. Immer wie-der wurden insbesondere auch Gelehrte aus St. Petersburg zu auswärtigen Mitgliedern gewählt. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Wissenschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und der Sowjetunion intensiviert, eine Folge der politischen Isolation beider Staaten; die Berliner Kontakte zur inzwischen sogenannten „Akademie der Wissenschaften der UdSSR“ nahmen dabei eine exponierte Stellung ein. Berliner Akademiemitglieder beteiligten sich aktiv an einer Reihe gemeinsamer Unternehmungen, so der Altai-Pamir-Expedition 1928. Noch in den 30er Jahren wurde das Russisch-Geographische Wörterbuch durch die Preußische Akademie initiiert. An die Ausrichtung der in der sowjetischen Zone 1946 wiedereröffneten „Deutschen Akademie der Wissenschaften“, seit1972 „Akademie der Wissenschaften der DDR“, auf das sowjetische Akademiemodell ist hier nur zu erinnern.

Auch für die deutsche Kulturgeschichte des Ostens leistete die Akademie durch ihre Quelleneditionen zur preußischen Ge-schichte (den Werken und der politischen Korrespondenz Friedrichs II, der preußischen Staatsschriften der Regierungszeit Friedrichs des Großen und allgemein der Acta Borussica) oder der Herausgabe der Werke Immanuel Kants, Auswärtiges Mit-glied der Akademie 1786, Bedeutendes. Einen zeitbedingten Hintergrund hatte die während des Ersten Weltkrieges eingeleitete „Erforschung der Geschichte unserer Nationalitätsgrenze (Germanisation des Ostens)“, die ab 1925 als „Forschungen zum Deutschtum der Ostmarken“ fortgesetzt wurden. 1930 angeregt und seit 1933 begonnen wurden die Arbeiten an einem „Atlas des deutschen Lebensraumes“ (seit 1937 „Atlas des deutschen Lebensraumes in Mitteleuropa“), dessen Aus-richtung und Aufgabenstellung eng mit den politischen Zielen der Zeit verknüpft war. In eine ähnliche Kategorie ist auch die „Kommission für die Geschichte des Deutschtums im Ost-raum“ einzuordnen, die 1938 gegründet wurde, aber ergebnislos blieb. So sehr diese Unternehmungen als Zeugnisse der politischen Verstrickung der Akademie im Dritten Reich zu werten sind, so sind sie doch auch Ausdruck der Verantwortung, die die Akademie für die Erforschung von Kultur und Geschichte in den östlichen preußischen Provinzen und an-grenzenden Gebieten übernahm. In diesem Zusammenhang ist auch die unter Max Vasmer 1932 gegründete Slawische Kommission mit ihren Beiträgen zu einem sorbischen Sprach-atlas und den Bemühungen um das Wörterbuch der obersorbischen Sprache und der älteren sorbischen Drucke sowie des Kaschubischen Wörterbuchs zu sehen.

Quellen: Adolf Harnack: Geschichte der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. 3 Bde. Berlin 1900 (in Bd. 2: Urkunden und Aktenstücke).

Lit.: Conrad Grau: Berühmte Wissenschaftsakademien. Von ihrem Entstehen und ihrem weltweiten Erfolg. Leipzig 1988/Thun und Frank-furt/M. 1988. – Ders.: Die Preußische Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Eine deutsche Gelehrtengesellschaft in drei Jahrhunderten. Heidelberg/Berlin/Oxford 1993 (mit ausführlichem Literaturverzeichnis). – Udo Wennemuth: Akademien der Wissenschaften und der Künste, in: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4., völlig neubearb. Aufl. Bd. 1. Tübingen 1998, Sp. 239-246.

Bild: Staatsbibliothek Unter den Linden, Sitz der Preußischen Akademie der Wissenschaften bis 1945 / Quelle: Von Bundesarchiv, B 145 Bild-P016012 / Frankl, A. / CC BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5474481

Udo Wennemuth