Ereignis vom 12. September 1297

Gründung der Stadt Mewe a.D. Weichsel

Mewe an der Weichsel um die Mitte des 19. Jahrhunderts (Lithographie).

Mehr als die anderen Regionen des historischen Ostdeutschland war (und ist) Westpreußen ein Burgenland – Ausdruck der kämpferischen und vom Behauptungswillen gekennzeichneten Ge¬schichte seit der Zeit des Deutschen Ordens im Mittelalter. Entsprechend der Eroberungs- und Besiedlungsentwicklung des Preußenlandes, die von Thorn weichselabwärts nach Norden ihren Lauf nahm, reihte sich an dieser Leitlinie bis zur Ostsee Burg an Burg, von denen inzwischen fast alle entweder ganz oder zu großen Teilen untergegangen sind. Sieht man von der Sonderstellung der Marienburg ab, so hatten nur drei von ihnen ihre äußere Baumasse noch gut sichtbar bis in die neueste Zeit bewahrt: Golau/Gollub, Rehden und Mewe, diese direkt am Weichselufer, an der Mündung des Flüßchens Ferse, gelegen. Trotz einiger Umbauten im 17. und 19. Jahrhundert war die Burg Mewe nahezu vollständig erhalten, bis ein Großfeuer im Jahre 1921 sie zur Ruine machte. In der Folgezeit notdürftig gesichert, wurden erst in den 1970er Jahren die Außenwände und die Dächer wiederhergestellt, so dass sich jetzt wiederum die alte Silhouette von Stadt und Burg weithin sichtbar über dem hohen Weichselufer darbietet.

Das „Land Mewe“, das westlich der Weichsel das Flußgebiet der Ferse einschließlich der Orte Pelplin und Pr. Stargard um-faßte, war bereits alter Siedlungsboden, als die an der unteren Weichsel herrschenden Herzöge von Pommerellen es in Besitz hatten und es im Jahre 1229 dem Kloster Oliva übereigneten. Da von anderer Seite auch der Deutsche Orden zu den Begünstigten gehörte, kam es nach 1276 zu einem langwierigen Prozeß zwischen den drei Parteien, der erst im Jahre 1282 im sog. Militscher Vertrag sein Ende fand: Der letzte pommerellische Herzog Mestwin II. (1266-1294) trat das Land Mewe an den Deutschen Orden ab, der damit erstmals auf dem linken Weichselufer Fuß fassen konnte.

Sogleich nach der Besitznahme ging der Orden daran, die  Landerwerbung militärisch zu si¬chern. Zunächst wurde eine provisorische Burganlage auf dem Steilufer an der Ferse¬mün-dung errichtet, zu der man das Baumaterial von der aufgelassenen kleinen Feste Potterberg bei Kulm heranschaffte. Auch organisatorisch schuf der Orden rasch klare Verhältnisse, denn schon 1283 wird mit Dietrich von Spira (Speier) der erste Komtur von Mewe genannt. Mit den Ordensrittern kamen dann die ersten deutschen Siedler ins Land, zumal nach dem Ende der großen Prußenkämpfe 1283 und dem Wiederaufbau des Kulmerlandes der Siedlerstrom verstärkt einsetzte und bei seinem Zug weichselabwärts sich bevorzugt auch im Mewer Gebiet niederließ.

Die bisherige Burganlage genügte dem neuen Konvent jedoch nicht mehr, so daß wahrscheinlich schon um 1290 mit dem Bau eines festen, steinernen Schlosses begonnen wurde. In stren¬ger, quadratischer Form und mit fast völliger Vermeidung äußerer Schmuckelemente entstand hier der vollentwickelte Typ des regelmäßigen, vierflügeligen Konventshauses mit Binnenhof und offenen Lauben in Form des klösterlichen Kreuzgangs. Starkes Mauerwerk, Ecktürme mit verbindenden Wehrgängen und ein mächtiger Bergfried betonten die Wehrhaftigkeit. Als Rittersitz, Klosteranlage, Verwaltungs- und Gerichtsgebäude hat die Burg Mewe durch die Jahrhunderte diese Funktionen in unterschiedlichem Maße wahrgenommen und das Panorama der an sie angelehnten Bürgersiedlung beherrscht.

Die Einwanderer auf dem Burgplatz Mewe waren bald so zahl-reich geworden, daß der Landmeister Meinhard von Querfurt ihm am 25. September 1297 die Stadtrechte verlieh. Die Ver-gabe der Rechte und Pflichten für die Bewohner geschah, wie gewohnt, nach Kulmischem Recht und umfaßte zunächst die Einsetzung des Schulzen (Bürgermeisters), der sein Amt auf seine Nachkommen vererben konnte; als erster Schulze wird Conrad von Rehden genannt. Er nahm die Gerichtsbarkeit wahr, jedoch nicht über die eingeborenen Prußen und die „slavisch“ Sprechenden, die der Justiz des Landesherrn unterstehen sollten. Die weiteren Bestimmungen der Handfeste regelten die Aufteilung der Ländereien, von denen der Schulze den 10. Teil der Stadthufen und die Kirche 4 Hufen abgabenfrei erhielten; Lage und Größe der zur Stadt gehörenden Gründe wurden dabei – im Gegensatz zu den meisten Stadtprivilegien im Kulmerland – nicht genau angegeben. Nach drei Freijahren mußten von jeder Hufe eine Viertelmark Silberpfennige und als Naturalzins ein Malter viererlei Getreides gezahlt werden; für Außenländereien galten noch längere Freijahre. Die Mühlen behielt sich der Orden vor, doch garantierte er den Bürgern die freie Weichselfischerei mit kleinem „Gezeuge“ und versprach, die Stadt zu befestigen, „wenn es unsere Brüder beschlossen und befunden haben, daß es ihnen und dem Lande dienlich sei“. Von den Gewerbetreibenden werden nur die Tuchmacher und die Fleischer erwähnt, die von ihren „Bänken“, d.h. den öffentlichen Hallen oder „Kaufbuden“, gleichfalls zinsen mußten. Nach den Ausführungen der Handfeste stellten die Bewohner von Mewe jene Mischung aus Ackerbürgern und Handwerkern dar, die für die meisten Stadtgründungen im Ordensland typisch war und die auf Jahrhunderte hinaus das Bild dieser Gemeinwesen in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht geprägt hat.

Auch der Stadtplan folgte den zweckmäßigen Erwägungen der frühen Gründungsphase. Ein rechteckiges Straßennetz mit zentralem Marktplatz und darauf befindlichem Rathaus sowie versetzter Pfarrkirche entsprach dem Typus der kleinen, kolonialen Landstadt. Eine massive Mauer umgab das städtische Terrain, das von der östlich in Richtung Weichsel gelegenen Burganlage durch einen tiefen Graben getrennt war. Die dem hl. Nikolaus geweihte Kirche, eine dreischiffige Halle mit schmalem Chor, stammt aus der Mitte des 14. Jahrhunderts und besitzt einen reichgegliederten Zwischengiebel, dessen Staffelung sich in den Dachblenden des – im 19. Jahrhundert neugebauten – Turms wiederholt.

In der Blütezeit des Ordensstaats im 14. Jahrhundert konnte sich Mewe wie alle anderen Gemeinwesen ruhig und erfolgreich weiterentwickeln. Die Aufbauphase förderte Handwerk und Gewerbe, die Zünfte schlossen sich zusammen und der Handel blühte auf, begünstigt durch die Lage an der Weichsel als der großen und einzigen Verkehrsstraße. Das 15. Jahrhundert brachte indessen für die Stadt wie auch für das gesamte Preußenland einen Umschwung. Durch die Niederlage gegen Polen-Litauen in der Schlacht bei Tannenberg 1410, in der auch der Komtur von Mewe sein Leben verlor, blieb der Ordensstaat zwar in seinem bisherigen Umfang bestehen, doch die bekannten inneren Zwistigkeiten und der Gegensatz zum Nachbarn Polen führten zur Absage des Landes an den Orden und die Unterstellung des westlichen Preußen unter die Krone Polen. Im anschließenden 13jährigen Krieg mußte sich die Stadt kurzzeitig den Aufständischen ergeben (die u.a. die Burg in Brand zu stecken versuchten), doch nach der Schlacht bei Konitz trat Mewe wieder unter den Schutz des Ordens, bis sie im Jahre 1464 der Übermacht der Bundessöldner und der Polen erlag. Durch den Zweiten Thorner Frieden 1466 kam das spätere Westpreußen und mit ihm Burg und Stadt Mewe unter die Oberhoheit des polnischen Königs.

Hatte der Wohlstand der Stadt schon unter den Kämpfen und Belagerungen zuvor zu leiden gehabt, so begann jetzt unter der polnischen Herrschaft eine Epoche, die von der mühsamen Behauptung der städtischen Gerechtsame, der politischen und religiösen Freiheit und der wirt¬schaftlichen Existenz bestimmt war. Auf die vielen Einzelheiten dieser Auseinandersetzungen soll hier nicht näher eingegangen werden, da sie sich an den Orten vergleichbarer Größe wiederholten und höchstens graduell unterschieden waren. Die auf den Bestimmungen des Kulmer Rechts beruhenden Grundlagen der städtischen Verfassung blieben zwar bestehen, doch die Übergriffe der Starosten und der sonstigen polnischen Würdenträger vor allem bei der Rechtsprechung schufen Unsicherheit und Verbitterung in der Bevölkerung des „Königlichen Preußen“. Konnten sich die großen, wohlhabenden Städte noch erfolgreich gegen Über-griffe und Rechtswillkür wehren, so blieb den kleineren Orten bei eklatanten Verstößen nur der unbequeme Weg der Beschwerde bei den höheren Instanzen oder die Bitte um Fürsprache bei einer der großen Städte. Besonders den letzten Weg ist der Mewer Rat oft gegangen; es gibt eine große Zahl solcher Eingaben speziell an die Stadt Danzig mit dem Ersuchen um Vermittlung beim polnischen König wegen ständiger Querelen mit den Starosten, Heerführern oder katholischen Geistlichen. Noch im Jahr 1761 bedankt sich die Stadt beim Danziger Rat für seine Be¬mühungen zur Erhaltung ihrer Gerechtsame gegenüber dem Propst Dombrowski, die zur Folge gehabt hätten, daß der mit der Untersuchung betraute polnische Offizial „die Handlung des Herrn Canonici und Probsten [Dombrowski] vor ungerecht und höchststräflich ansiehet“ und der Stadt eine „Satisfaction“ verschaffen will.

Ungeachtet dieser Widrigkeiten, die aus dem Konfessions- wie auch aus dem nationalen Gegensatz herrührten, herrschten innerhalb der Stadtmauern Recht und Ordnung, die auch vom obersten Landesherrn garantiert waren. Noch vor dem Erlaß des Generalprivilegs für die klei¬nen Städte des Königlichen Preußen (1593) hatte sich König Sigismund III. im Jahr 1588 mit der Stadt Mewe über eine Willkür geeinigt, die die wichtigsten Bereiche des öffentlichen Lebens – wie das Bürger-, Kauf- und Marktrecht, Bau- und Feuerordnung, Bierbrauen – regelte, ohne daß dem König irgendwelche Vorbehalte eingeräumt wurden. Inzwischen hatte die Reformation in Mewe Fuß gefaßt, wobei im Jahre 1538 der gesamte Rat und der größte Teil der Bürgerschaft zum neuen Glauben übergingen und wenig später die katholische Pfarrkirche zugesprochen erhielten. 1570 erteilte König Sigismund II. August den dortigen Evangelischen sogar ein besonderes Religionspatent. Die schwedisch-polnischen Kriege des 17. und 18. Jahrhunderts brachten der Stadt schwere Einbußen, während sie dreimal von den Schweden belagert und eingenommen wurde; 1703 verlor sie sämtliche Befestigungsanlagen und stand 1706 infolge unmäßiger polnischer Kontributionsforderungen vor dem völligen Ruin. Auch jetzt hatte sich der Danziger Rat wiederum für Mewe verwendet, um weiteres Unheil abzuwenden.

Beim Übergang an den preußischen Staat 1772 zählte die Stadt 850 Einwohner, davon 9 (Voll-)Bürger, 20 Krämer und Kaufleute sowie 83 Handwerker. Durch großzügige Aufbaugelder konnten die baulichen Schäden beseitigt werden, und 16 weitere Handwerksfamilien wurden unter Friedrich dem Großen angesiedelt. Um 1790 war Mewe „ein kleiner, aber ziemlich volkreicher und nahrhafter Ort in einer angenehmen und fruchtbaren Gegend. Diesseits und zum Teil auch jenseits der Weichsel ist die … Niederung, welche fruchtbare Äcker, gras¬rei-che Wiesen, große Obstgärten und wohlgebaute Bauernhöfe hat. Die Einwohner der Stadt sind fast alle Deutsche und luthe¬ri-scher Confession, und außer dem Gesinde gibt es nur wenig Polen und Katholiken. … Die Einwohner ernähren sich vom Brauen, Branntweinbrennen und andern bürgerlichen Gewerben.“ (J. F. Goldbeck, 1789.) Sieht man von den politischen und wirtschaftlichen Wechselfällen und auch von den notwendigen baulichen Veränderungen ab, ist Mewe in der Folgezeit jene kleine Ackerbürgerstadt geblieben, abseits der großen Ver-kehrsströme, landschaftlich wie geschichtlich bestimmt von den beiden „Eckpfeilern“ ihres Daseins: der Ordensburg und der Weichsel.

Quellen und Lit.: Pommerellisches Urkundenbuch, hrsg. v. Max Perl-bach, Danzig 1882. – Paul Correns: Chronik der Stadt Mewe. Fest-schrift zur Erinnerung an die Jubelfeier des 600jährigen Beste¬hens der Stadt, Grau¬denz 1897. Nachdr. und Fortsetzung bis zur Gegenwart von Werner Schultz, Düsseldorf 1959. – Otto Korthals: Chro¬nik des Kreises Dirschau, Witten 1969. – Werner Schultz: 675 Jahre Stadt Mewe an der Weichsel 1297-1972, Düsseldorf 1972. – Ody¬niec, Wa- c³aw u. Józef Wêsierski: Gniew dawny i współczesny [Mewe früher und heute], Danzig 1966. – Friedrich Borchert: Burgenland Preußen. Die Wehrbauten des Deutschen Ordens und ihre Geschichte, München/Wien 1987.

Bild: Mewe an der Weichsel um die Mitte des 19. Jahrhunderts (Lithographie). / Quelle: Von Autor unbekannt – Franz Brandstäter: Die Weichsel. Historisch, topographisch, malerisch. Marienwerder 1855, S. 215., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27475363

Peter Letkemann