Ereignis vom 13. Dezember 1298

Gründung der Stadt Strasburg/ Westpreussen

Strasburg 1738–1745

Das Kulmerland – jenes Gebiet östlich des Weichselknies zwischen den Nebenflüssen Ossa und Drewenz – gehört zu den Kernlandschaften des späteren Preußenlandes. Es war schon in vor- und frühgeschichtlicher Zeit und erst recht in der Epoche der Völkerwanderung eine Durchgangsregion, gekennzeichnet durch eine Reihe von Siedlungen und festen Plätzen an seinen Rändern, die die Straßen und Flußübergänge sicherten. Als seit der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts die Aufsiedlung durch den Deutschen Orden einsetzte, entstanden daraus u. a. die Städte Kulm und Graudenz, im Norden Rehden (wo der Orden eine seiner stärksten Burgen baute), im Süden Thorn und Gollub/Golau, und schließlich an der Südostflanke Strasburg. Hier an der Grenze zu Masovien trafen Wege aus verschiedenen Richtungen zusammen, und der Übergang über die Drewenz war schon lange vorher benutzt worden, wovon auch die am Südufer gelegene Burg Michelau des masovischen Herzogs zeugt.

Das Gründungsdatum der Stadt Strasburg ist urkundlich nicht überliefert, doch gibt es wenigstens zwei Anlässe, es auf das Jahr 1298 einzugrenzen. Mehrere Ordenschroniken berichten übereinstimmend, daß in jenem Jahr die Sudauer das „oppidum Straisbergk“ (Peter von Dusburg) überfallen hätten, welches erst „nuwelich besatzt was … zu einre stat“ (Nikolaus von Jeroschin). Zum selben Zeitpunkt hat wohl auch schon ein Ordenskonvent bestanden, denn die Verschreibungsurkunde für das Dorf Zmiewo vom 13.12.1298 setzt die Zinseinkünfte für das „Haus“ (domui nostre) in Strasburg fest. Den Namen erhielt der Ort von seiner Lage: Es ist die Burg an der Straße, die hier über die Drewenz führt. Auch die polnische Bezeichnung „Brodnica“, die erstmals in einer Urkunde von 1414 auftaucht, lehnt sich an die örtlichen Gegebenheiten des Flußübergangs an („bród“ = Furt).

Während die Stadt also in den letzten Jahren vor 1300 entstanden war, baute der Deutsche Orden seine Burg erst in der Zeit von etwa 1305-1340; 1339 wurde die Schloßkapelle geweiht. Die militärische Sicherung des Grenzlandes um Stras-burg erforderte eine größere Anlage, die zugleich Burg und Konventshaus für die Komturei sein sollte, von der jedoch bis auf die Fundamente und den ungewöhnlich hohen Bergfried nichts erhalten geblieben ist. Dieser „Amtsturm“, der mit seiner Höhe von 55 Metern heute noch das Wahrzeichen der Stadt darstellt, schirmte die Nordostecke der Burg. Der mächtige, achteckige Baukörper mit seiner Rautenmusterung, den weiß verputzten Bogenfeldern und der doppelt gestuften Bekrönung über dem hohen Wehrgang ist ein beeindruckendes Beispiel für die ausgewogene Stilentfaltung der Ordensarchitektur in ihrer Blütezeit.

Aufgrund der fehlenden Quellen aus der Ordenszeit lassen sich über die Anfänge der städtischen Entwicklung Strasburgs keine Angaben machen. Wir wissen nichts über ihre ersten Bürger, ihre Verwaltung, ihre territoriale Ausstattung. 1343 werden dann Bürgermeister, Ratmannen und Richter genannt, und mit großer Sicherheit dürfte das Kulmer Recht gegolten haben. Nach den Grenzkämpfen der frühen Zeit trat im 14. Jahrhundert eine Konsolidierung ein, in der auch Strasburg sich rasch entwickelte und zu einigem Wohlstand kam. Sichtbares Zeichen dafür war der um 1370 vollendete Bau der Pfarrkirche St. Katharinen, einer Hallenkirche mit vier Jochen und (geplanten) zwei Westtürmen, von denen aber nur einer aufgeführt wurde. Hinzu kam ein prachtvoll gestalteter Ziergiebel über der Chorwand, der seine Entsprechung in der – allerdings vereinfachten – Giebelfront mit Glockenturm des Rathauses am Großen Markt fand. 1416 erhielt die Stadt vom Orden die beiden Dörfer Bürgersdorf und Michelau, wobei aus dem ersteren das sog. Stadtfeld, die Ackerflur der Bürger, hervorging.

Strasburg gehörte zu den größeren der Kleinstädte Westpreußens mit einer Mittelpunktfunktion für das südliche Kulmerland, ohne jedoch im Lauf der Jahrhunderte politisch oder wirtschaftlich eine herausragende Rolle zu spielen. 1454 fiel sie zusammen mit den meisten übrigen Städten und Ständen des westlichen Preußenlandes vom Deutschen Orden ab, blieb bis 1478 im Pfandbesitz von Ordenssöldnern und kam erst danach unter die Oberhoheit des polnischen Königs. Obwohl sie durch die Verheerung des 13jährigen Krieges, durch Brände und Pest sehr gelitten hatte, konnte sie sich im 15. Und 16. Jahrhundert  durch Bürgerfleiß und eine – wenn auch bescheidene – Handelstätigkeit einigermaßen unbehelligt entfalten. Zwar Sitz eines polnischen Starosten, behielt Strasburg im Ständestaat des „Königlichen Preußen“ ein nicht unerhebliches Maß an Unabhängigkeit und Selbständigkeit; das Stadtregiment blieb deutsch und öffnete sich auch dem evangelischen Bekenntnis. Es gab zwar einen stetig wachsenden polnischen Bevölkerungsanteil (die zahlenmäßigen Verhältnisse lassen sich wegen fehlenden Aufzeichnungen nicht belegen), doch fiel der nationale Unterschied praktisch nicht ins Gewicht und hat auch in den folgenden Epochen das Zusammenleben der Bewohner nicht beeinträchtigt. Gravierender wurde der konfessionelle Gegensatz. Die politische Führung der Stadt sowie annähernd alle Zünfte waren protestantisch, so daß hier schon bald jene unheilvolle Entwicklung eintrat, die fast alle evangelischen Gemeinden in ihrem Verhältnis zur katholischen Umgebung bis hinauf zur Staatsmacht und zum Königshof kennzeichnete. Die Rückgabe der Pfarrkirche an die Katholiken (1598) mochte eine gängige und zu verschmerzende Entscheidung gewesen sein; weitaus unangenehmer waren die ständigen Anfeindungen, Verdächtigungen und Forderungen, die – oftmals wegen Nichtigkeiten – von der katholischen Geistlichkeit vorgebracht wurden und die ebenso oft in langwierige Prozesse mündeten. Diese Prozesse endeten zumeist nicht mit einem Schiedsspruch, sondern mit einem Vergleich, was mit hohen Kosten verbunden war und die ohnehin finanziell schwachen Kommunen sich immer mehr verschulden ließ. Die Stadt Strasburg musste mehr als einmal sich nicht nur um Rechtshilfe an Thorn und Danzig wenden, sondern dort auch um Übernahme der Prozesskosten bitten. Die schwedisch-polnischen Kriege des 17. Jahrhunderts verschlimmerten die Lage, und wohl keine der Klein- und Mittelstädte Westpreußens blieb von den Bedrückungen verschont. Wie stark die Schutzlosigkeit in diesen Zeiten empfunden wurde, zeigt der Umstand, daß Strasburg während des Nordischen Krieges seine Stadtbücher nach Thorn in Sicherheit bringen ließ und sie erst 1709 wieder einforderte. Bei der preußischen Besitznahme 1772 bot auch Strasburg ein trauriges Bild. In der Stadt lebten etwas über 1200 Menschen in 153 Häusern, die Stadtkasse war leer, und die einst blühenden Gewerke – allen voran die Tuchmacher – führten nur noch ein Schattendasein, so daß viele Meister sich wegen der Verarmung als Hilfsarbeiter verdingen mussten. Die staatlichen Aufbaugelder flossen im Falle Strasburgs nur spärlich; es zogen auch nur wenige Kolonistenfamilien zu. Nach dem Tod Friedrichs d. Gr. gab man das verfallende Ordensschloß zum Abbruch frei und verwendete das Material zum Bau von Kolonistenhäusern. Um diese Zeit ging es mit der Stadt wieder aufwärts; sie wird als „ein zwar kleiner, aber ziemlich volkreicher und wegen des starken Verkehrs mit dem benachbarten Polen nahrhafter Ort“ beschrieben, dessen Bürger „sich hauptsächlich vom Bierbrauen, Branntweinbrennen, einem ziemlich beträchtlichen Verkehr mit den Polen und anderen bürgerlichen Gewerben ernähren“. Unter diesem „Verkehr“ war vielfach der Schleichhandel über die nahe russische Grenze zu verstehen, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen beträchtlichen Teil des Strasburger Handelsumsatzes ausmachte und der Stadt sogar eine gewisse wirtschaftliche Blüte bescherte, bis die Verschärfung der Grenzsperren und der Zoll-politik insgesamt diesem ein Ende setzte.

Strasburg blieb im großen und ganzen eine Ackerbürgerstadt, wie sie zu Dutzenden im deutschen Osten anzutreffen war. Die „Großbürger“ bewirtschafteten das Stadtfeld, Holzhäuser, Ställe und Scheunen gehörten noch lange zum Stadtbild, bis einige große Brände bis zur Jahrhundertmitte hier einen Wandel schufen und die neuzeitliche Verkehrserschließung durch Chausseen und Eisenbahn die Neuorientierung der wirtschaftlichen und handelspolitischen Verhältnisse einleitete. Im Jahre 1890 hatte Strasburg 6211 Einwohner, von denen etwas mehr als die Hälfte Polen waren. Diese Bevölkerungsverteilung ist durch die Jahrhunderte annähernd konstant geblieben, wobei nicht unerwähnt bleiben soll, daß – wie schon erwähnt – das gute Einvernehmen zwischen den Nationalitäten als ein besonderes Anliegen der Bewohner Strasburgs vielfältig bezeugt ist. Erst die Ergebnisse der beiden großen Kriege des 20. Jahrhunderts setzten dieser Erscheinung, die auch in vielen anderen Gemeinwesen jener Region anzutreffen war, ein unrühmliches Ende.

Lit.: Preußisches Urkundenbuch, Bd. I T. 2, Königsberg 1909. – Hans Plehn: Geschichte des Kreises Strasburg in Westpreußen, Leipzig 1900. – Ders.: Ortsgeschichte des Kreises Strasburg in Westpreußen, Königsberg 1900. – Rudolf Birkholz: Der Kreis Strasburg. Geschichte eines westpreußischen Gebietes, o. O. 1981. – Ernst Bahr: Strasburg in Westpreußen. Seine wirtschaftliche Entwicklung in sechs Jahrhunderten, in: Westpreußen-Jahrbuch 11 (1961). – Friedrich Borchert: Burgenland Preußen. Die Wehrbauten des Deutschen Ordens und ihre Geschichte, München/Wien 1987.

Foto: Strasburg 1738–1745 / Quelle: Von Georg Friedrich Steiner – http://www.zamki.pl/?idzamku=brodnica, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=24963228

Peter Letkemann