Ereignis vom 7. April 1348

Gründung der Universität Prag

Logo der Karls-Universität

Am 7. April 1348 verkündete Karl IV., böhmischer und deutscher König, nachdem er bereits anlässlich seines Gründungsprivilegs für die Prager Neustadt am 8. März 1348 beiläufig auch die bevorstehende Universitätsgründung erwähnt hatte, die Errichtung eines „Generalstudiums“ „zur Erhöhung seines geliebten Erbkönigreichs Böhmen“. Den künftigen Doktoren, Magistern und Scholaren versprach er eine reiche Ausstattung seiner Stiftung aus königlichem Gut sowie Geleitschutz auf dem Weg nach und besonderen Schutz vor Ort in Prag. Sie sollten die gleichen Rechte, Freiheiten und Immunitäten genießen, wie sie für Paris und Bologna, die beiden „Uruniversitäten“ Europas, zugesagt waren. Von diesen allgemeinen Bestimmungen abgesehen, fehlt jedoch im Privileg jegliche konkrete Aussage über den Stifterwillen, und was die Ausstattung betraf, so überließ er diese weitgehend der Verantwortung des Prager Erzbischofs.

Karls Privilegien für die Universität Prag waren keine originelle Schöpfung, sondern bedienten sich der in der berühmten Briefsammlung des Petrus de Vinea modellhaft enthaltenen staufischen Privilegien für die „Staatsuniversitäten“ in Neapel und Salerno. Der Universitätsgründung notwendigerweise vorausgegangen war eine Urkunde Papst Clemens’ VI. vom 26. Januar 1347, in der – ganz in der Tradition der Universitätsprivilegierungen – Topoi wie das Lob der Schönheit des Ortes (localis amoenitas), die Fruchtbarkeit der Umgebung und guten Handelsbeziehungen (so daß die Versorgung mit Nahrungsmitteln sichergestellt sei), die Freundlichkeit der Bewohner, auf deren Wohlwollen die Studenten angewiesen waren, Verwendung finden. Nur durch die zuverlässige Regelung einiger grundsätzlicher Rahmenbedingungen konnte die Gründung einer neuen Universität Erfolg haben. Allein die päpstliche Urkunde konnte der neuen Universität das Promotionsrecht zuerkennen und die Allgemeingültigkeit der von der Universität verliehenen akademischen Grade garantieren. Das unterschied die mittelalterliche Universität wesentlich von allen anderen Formen des gelehrten Studiums etwa in Kathedral- oder Ordensschulen. Was die päpstliche Urkunde erlaubte, wurde durch die Stiftung Karls vollzogen: die Gründung eines Generalstudiums „in jeglicher erlaubter Fakultät“. Mit der Verwirklichung der Stiftung wiederum waren notwendigerweise rechtliche Garantien und materielle Zusagen an die Lehrer und Studenten verbunden, die zum größten Teil als Fremde an die Moldau kamen.

Die Universität des Mittelalters unterscheidet sich grundsätzlich von der modernen Universität, wie sie durch die Reformen im 19. Jahrhundert entstand. Im Mittelalter verstand man unter Universitäten zunächst keine Institutionen, sondern reine Genossenschaftsverbände der Lehrenden und Studierenden, den Handwerkerzünften und Kaufmannsgilden vergleichbar. Universitäten gab es bis um die Mitte des 14. Jahrhunderts nur im von der römisch-antiken Tradition geprägten Süd- und Westeuropa. Hier hatten sich um 1200 aus Schulen, die sich um einzelne Lehrer gebildet hatten, zunächst in Bologna und Paris, dann auch an anderen Orten in Italien, Frankreich, England und auf der Iberischen Halbinsel Universitäten gebildet, die im beginnenden 13. Jahrhundert nach der Ausbildung fester Rahmenbedingungen unter königlichen Schutz gestellt und vom Papst privilegiert wurden. Damit setzte die Institutionalisierung der „universitas magistrorum et scholarium“ ein. Die Verbindung mit der universalen Macht der Kirche machte aus den Universitäten oder Generalstudien, wie sie auch genannt wurden, gleichfalls universale Gebilde. Erst mit ihrer Institutionalisierung konnte die Universität kopiert, d.h. gegründet werden. Der ersten Generation der allmählich entstandenen und gewachsenen Universitäten (ex consuetudine) folgte die zweite der durch Könige und Papst gezielt gegründeten Universitäten (ex privilegio). Grundsätzlich bestanden zwei Typen der Universität, jedoch in vielfältigen Abwandlungen: die Juristenuniversität nach Bologneser Muster und die Artisten- und Theologenuniversität nach Pariser Vorbild; von geringerer Bedeutung für die Entwicklung der Universität waren die medizinischen Hochschulen (z.B. Salerno oder Montpellier). Die Voraussetzungen für ein höheres Fachstudium wurden in der Artistenfakultät gelegt, hauptsächlich durch Vermittlung einer Sprachkompetenz (Latein) und Schulung in der akademischen Argumentation und Redekunst (Dialektik und Rhetorik). Es handelte sich beim Artistenstudium um eine Art höherer Schulbildung; dementsprechend waren die Ler¬nenden in dieser Fakultät meist sehr jung. Die Masse der Studenten begnügte sich (allein schon aus finanziellen Gründen) mit dem Spracherwerb, ein geringer Teil bewältigte nach der „trivialen“ auch die mehr naturwissenschaftlich ausgelegte zweite Stufe dieser Ausbildungsphase mit dem Examen zum Magister artium. Die Magister bildeten den Lehrkörper der Artistenfakultät, während wiederum nur ein geringer Teil von ihnen an einer der drei höheren Fakultäten weiterstudierte, in der Regel ein theologisches Studium, das mit der Promotion zum Doktor abgeschlossen wurde. Nur eine kleine Minderheit konnte es sich leisten, die juristischen oder medizinischen Fakultäten zu besuchen. Die Universitäten der ersten und zweiten Generation waren Spezialhochschulen, entweder die „Massenuniversität“ der Artisten mit angeschlossener Theo-logischer Fakultät oder die elitäre Juristenuniversität, an der überwiegend durch Geburt und Besitz begünstigte erwachsene Scholaren studierten und auch selbst die Leitungskompetenzen wahrnahmen. Es wird ersichtlich, daß sich beide Universitätstypen grundsätzlich und unvereinbar gegenüberstanden.

Es ist zu fragen, warum erst so spät bzw. warum überhaupt eine Universität in Prag, die erste außerhalb des sog. „Älteren Europas“, gegründet wurde. Für den Besuch einer Universität war das Bildungsstreben von eher untergeordneter Bedeutung. Wichtiger, und zumal bei den Juristen, war die Perspektive einer Karriere in staatlichem oder kirchlichem Dienst. Dies setzt einen gewissen Bedarf an juristisch geschulten Spezialisten voraus, wie er nur in den differenzierten Gesellschaften der Stadtstaaten Italiens, an der Kurie oder in den modernen Königreichen im Westen Europas vorhanden war. Die Universität bedurfte für ihre Existenz eines hoch entwickelten urbanen Umfeldes. Ein Bedarf außerhalb „Alteuropas“ bestand nicht, auch noch nicht im 14. Jahrhundert; die Rechtswissenschaften studierte man vorwiegend in Italien, Theologie in Frankreich. Die im deutschen Sprachraum, etwa in Köln, Straßburg, Erfurt oder Mag¬deburg, bestehenden Generalstudien der Orden hatten zwar nicht selten „universitäres“ Niveau, waren jedoch interne Studien, deren Abschlüsse nicht allgemein anerkannt wurden. Auch hatte das Papst¬tum kein Interesse, die zentrale (und kontrollierbare) Position von Paris für die Ausbildung der Theologen zu schwächen. Die Gründung der ersten Universität außerhalb „Alteuropas“ war daher von kaum zu unterschätzender Bedeutung, weil sie die bestehenden Verhältnisse in Frage stellte. Die Motive Karls lagen nicht in der Hebung des Bildungsstandes seiner Unterta¬nen, sondern vorrangig im Prestige, dem dynastischen Ruhm und Nutzen, das sich mit einer Universitätsgründung verband, galt das Studium doch als dritte Säule des römisch-christlichen Reiches neben „Sacerdotium“ (Kirche) und „Imperium“ (der weltlichen Herrschaft). Verwunderlich ist es schon, daß es Karl überhaupt gelang, den Papst zur Ausstellung eines Gründungsprivilegs – noch dazu mit derart weitreichenden Zugeständnissen – zu bewegen. Hier kamen ihm die politischen Machtkonstellationen zu Hilfe, denn im Kampf gegen Ludwig den Bayern war das Papsttum auf die Unterstützung der Luxemburger angewiesen gewesen. Die Urkunde für ein Generalstudium in Prag war somit Teil des Ausgleichs für Karls Hilfe. Die Bereitschaft von Clemens VI. mochte zudem dadurch gefördert worden sein, daß es den Zeitgenossen als unwahrscheinlich erscheinen mußte, an abgelegenem Ort wie Prag eine Universität gründen zu können.

Die Gründung der Universität in Prag ist in vieler Hinsicht bemerkenswert. Zu Recht wurde darauf hingewiesen, daß die „Carolina“, die letzte Universität von universalem Charakter, eine Brücken- und Vermittlerfunktion zwischen den älteren „universalen“ Universitäten „Alteuropas“ und den jüngeren „partikularen“ (also regional verankerten und von der politi-schen Macht abhängigen) Universitäten Mittel- und Nordeuropas einnimmt. In den folgenden eineinhalb Jahrhunderten sollten alle wichtigen Dynastien im Reich und zahlreiche große Städte als Stifter eigener „Landesuniversitäten“ hervortreten: die Habsburger 1365 in Wien, die Wittelsbacher 1386 in Heidelberg, die Wettiner 1409 in Leipzig (begünstigt durch den Auszug der deutschsprachigen Studenten und Magister aus Prag) oder die Städte Köln (1388) und Erfurt (1392). Auch die polnischen und ungarischen Könige traten mit den Luxemburgern auf dem Feld der Universitätsgründung alsbald in Konkurrenz (Krakau 1364 bzw. Pécs/Fünfkirchen 1367). Das Besondere der Prager Gründung besteht in der ausdrücklichen Genehmigung, alle erlaubten Fakultäten an einem Ort und im Rahmen einer Universität zu etablieren. Prag wurde somit zum Urbild der später klassischen Vierfakultätenuniversität. Auch wenn bei späteren Universitätsgründungen des „jüngeren Europa“ die Rechte und Freiheiten der Pariser Universität zitiert wurden, so stand doch im wesentlichen das Prager Modell Pate.

Mit der Gründung des Studium Generale war nicht zugleich eine blühende Universität entstanden. Vielmehr kümmerte die „Carolina“ jahrelang vor sich hin, bis die Gründung Rudolfs von Habsburg auch für Karl Anlaß war, sich wieder seiner Universität zuzuwenden, indem er für Philosophen und Theologen am Karlskolleg und Allerheiligenstift eine Anzahl von bepfründeten Positionen (die Wurzel der späteren Lehrstühle) schuf. Daß das Prager Modell in der schematischen Übertragung widersprüchlicher Privilegien in ein fremdes Umfeld keineswegs unproblematisch war, zeigte sich in exemplarischer Weise in Prag selbst. Die Konflikte zwischen Artisten und Juristen führten bereits 1372 zur Teilung der Universität, wenn auch weiterhin mit einheitlicher Privilegierung. Die für ein Studium in der Fremde wichtigen studentischen Zusammenschlüsse zu „Nationen“ wurden auch für die deutschen „Landesuniversitäten“ übernommen. In Prag wurden die „Nationes“ in das machtpolitische Kalkül König Wenzels hineingezogen. Der Auszug von etwa 75 % der Prager Studenten und Lehrenden 1409 war der Anfang vom Ende der alten Universität Prag, der 1417 durch das Konstanzer Konzil wegen ihrer Involvierung in die hussitischen Unruhen sämtliche Privilegien entzogen wurden. Während so das Prager Studium auf den Rang eines innerböhmischen Ausbildungsinstituts minderen Rechtes und Ranges herabsank, erlangte seine Wirkungsgeschichte europäische Dimensionen.

Lit.: Ferdinand Seibt: Von Prag bis Rostock. Zur Gründung der Universitäten in Mitteleuropa, in: Festschrift für Walter Schlesinger, Bd. 1. Köln/Wien 1973, S. 406-426. – Sabine Schumann: Die „nationes“ an den Universitäten Prag, Leipzig und Wien. Ein Beitrag zur älteren Universitätsgeschichte. Diss. FU Berlin 1974. – Peter Moraw: Die Universität Prag im Mittelalter. Grundzüge ihrer Geschichte im europäischen Zusammenhang, in: Die Universität zu Prag. München 1986, S. 9-134. – Renate Dix: Frühgeschichte der Prager Universität. Gründung, Aufbau und Organisation 1348-1409. Diss. Bonn 1988. – Frank Rexroth: Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Intentionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirklichung im spätmittelalterlichen deutschen Territorialstaat. Köln u.a. 1992. – Peter Moraw: Die Prager Universitäten im Mittelalter, in: Spannungen und Widersprüche. Gedenkschrift für František Graus. Sigmaringen 1992, S. 109-123.

Bild: Logo der Karls-Universität / Quelle: Von Datei:Logo Karls-Universität Prag.svg: Wdwd (blaues Logo)Furfur (Logo schwarz gefärbt) – Datei:Logo Karls-Universität Prag.svg, Vektordaten: [1], SVG Konvertierung durch Wdwd, Logo, https://de.wikipedia.org/w/index.php?curid=7451277

Udo Wennemuth