Ereignis vom 1. Januar 1810

Hardenberg wird Staatskanzler

Porträt Karl August von Hardenberg

In einer Aufzeichnung vom 19. Juli 1810 über den Tod der Königin Luise berichtet ihr Gatte, König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, auch über ein letztes Gespräch der beiden. Dort heißt es: „Zugleich sank ich an ihrem Bette auf die Knie, ihre Hand küßend, und sprach zu ihr ohngefähr in folgenden Worten. Es ist nicht möglich, daß es Gottes Wille seyn kann, uns zu trennen. Ich bin ja nur durch dich glücklich, und nur durch dich hat das Leben nur allein noch Reiz für mich. Du bist ja mein einziger Freund, zu dem ich Zutrauen habe, und Hardenberg, fiel sie ein…“ (zitiert nach Heinz Ohff, Ein Stern in Wetterwolken. Königin Luise von Preußen, Taschenbuchausgabe 3. Auflage München/ Zürich 1992, S. 442).

Der so noch auf dem Totenbett, gleichsam als politisches Vermächtnis der allseits verehrten Luise dem königlichen Gemahl empfohlene Karl August von Hardenberg war freilich kein geborener Preuße und hatte damals schon eine bewegte Laufbahn im Dienste verschiedener Herren hinter sich.

Geboren am 31. Mai 1750 im kurhannoverschen Essenrode, schlug er nach einem Studium an der Landesuniversität in Göttingen die juristisch-administrative Laufbahn ein und wurde zunächst Auditor in der hannoverschen Justizkanzlei, um einige Monate später in die Finanzkammer versetzt zu werden. 1773 zum Kammerrat ernannt, erwachte schon früh sein Interesse an Fragen der Optimierung der Regierungstätigkeit, das freilich bei seinen Vorgesetzten auf kein Echo stieß. Als Anregungen in einer Denkschrift zur Reform der hannoverschen Verwaltung auch trotz einer persönlichen Vorstellung bei König Georg III. von Großbritannien in London, in Personalunion ja Kurfürst von Hannover, nicht aufgegriffen wurden, nahm Hardenberg 1781 ein Angebot des Herzogs Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel an und wechselte als Geheimer Rat in dessen Dienst. Allerdings gelang es ihm auch hier, dieses Mal aufgrund des beharrlichen Widerstandes der Stände, nicht, seine Ideen sowohl hinsichtlich einer Reform des Schulwesens als auch des Geschäftsganges innerhalb der Administration umzusetzen. So trat er 1791 abermals in andere Dienste, auf Vermittlung des preußischen Ministers von Hey­nitz wurde er Staats- und Kriegsminister in der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach und Bayreuth mit der Aufgabe, nach erfolgter Abdankung des regierenden Markgrafen Alexander die Inkorporation dessen Territoriums in den preußischen Staat zu bewerkstelligen.

1792 schließlich zum preußischen Kabinettsminister bestellt und mit der Leitung der fränkischen Angelegenheiten betraut, geriet Hardenberg, v.a. seit dem Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. 1797, immer stärker in die Auseinandersetzungen zwischen einer reformorientierten und einer auf Bewahrung der bestehenden, insbesondere politisch-sozialen Ordnung abzielenden Partei am Hofe. Das diese Konflikte begleitende, unglückliche außenpolitische Lavieren Preußens führte die Hohenzollernmonarchie 1806 isoliert in den Krieg mit Frankreich und in die Katastrophe von Jena und Auerstedt, nach der das Versagen der herrschenden Schichten und die Unzulänglichkeiten des Systems zu offenkundig geworden waren, um unverändert weiterbestehen zu können.

So kam die Reformpartei ans Ruder, und Hardenberg wurde am 10. April 1807, auch in der Hoffnung, er könne durch ein Bündnis mit Russland das Kriegsglück zugunsten Preußens noch einmal wenden, zum ersten Kabinettsminister ernannt. Als Vertreter einer dezidiert anti-französischen Außenpolitik belastet, musste König Friedrich Wilhelm III. am 14. Juli 1807 jedoch aufgrund des Drucks Napoleons, der Preußen im Frieden zu Tilsit am 9. Juli 1807 auf den Rang einer Mittelmacht herabgedrückt hatte, offiziell seine Entlassung aussprechen. Der Kontakt zum Hof, von dem er auf Anordnung des Kaisers der Franzosen obendrein verbannt war, riss aber nie ganz ab, und Hardenberg hatte die nötige Ruhe, die Grundzüge des späteren Staatsumbaus in der berühmten Rigaer Denkschrift auszuführen.

In der Zwischenzeit war 1808 auf die Regierung des Reichsfreiherrn Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein das vom Grafen Friedrich Ferdinand Alexander Dohna und Karl Sigmund Franz Freiherrn vom Stein zum Altenstein geleitete Staats­ministerium gefolgt, das sich zunehmend mit finanziellen Problemen konfrontiert sah. Die hohen Kontributionsforderungen Frankreichs brachten Preußen in Zusammenwirken mit gesunkenen Einnahmen und einer sich stetig vermehrenden Schuldenlast dem Staatsbankrott nahe. Napoleon, dessen Finanzbedarf sich insbesondere seit dem militärischen Engagement Frankreichs in Spanien 1808 enorm vergrößert hatte, lockerte den direkten politischen Druck auf seine deutschen Zwangsverbündeten, beharrte aber um so mehr auf der Bereitstellung geeigneter finanzieller Mittel. So durfte Hardenberg am 10. Dezember 1808 wieder nach Preußen zurückkehren und geriet mehr und mehr in den Ruf, der einzige zu sein, der die Probleme würde lösen können.

Seine Stunde kam im Jahre 1810. Ein über Mittelsmänner lanciertes Angebot, als Verantwortlicher in das Staatsministerium Dohna/ Altenstein einzutreten, lehnte Hardenberg zunächst noch ab, um nicht in den von ihm als sicher erwarteten Sturz der gesamten Regierung verwickelt zu werden. Dort stellte man ernsthaft Überlegungen an, ein Angebot Napoleons anzunehmen, anstelle der fälligen Geldzahlungen eine Provinz, gedacht war wohl an Schlesien, abzutreten. Eine dahin gehende Äußerung des Freiherrn vom Altenstein am 10. März 1810 auf einem Ball zu Ehren der Königin wurde über den Fürsten Wittgenstein, den Oberkammerherren des Königs, der zeitgleich an einem Gegenentwurf arbeitete, Hardenberg hinterbracht, dem die Rolle zufallen sollte, als Gutachter im Streit über die Finanzplanungen zu fungieren.

Auf Initiative des Königs, der seine sonstigen Minister zwar als ehrenwerte Leute, die aber im übrigen außerstande seien, die Probleme richtig aufzufassen und zu lösen, bezeichnete, kam am 2. Mai 1810 ein Treffen Hardenbergs mit Friedrich Wilhelm III. und der Königin Luise auf der Berliner Pfaueninsel zustande. Hier erhielt Hardenberg Gelegenheit, im Gesamtzusammenhang seine Pläne nicht nur zur Überwindung der Finanzkrise, sondern zum Umbau des gesamten Staatswesens und zu einem personellen Neuanfang vorzustellen. Den inzwischen, um den König nicht direkt mit der von diesem strikt abgelehnten Idee der Gebietsabtretung zu konfrontieren, modifizierten Plan Altensteins, die Mittel zunächst über eine ausländische Anleihe zu beschaffen, wies Hardenberg dabei als völlig ungeeignet zurück und sprach Altenstein überhaupt die Kompetenz ab, auch nur das Finanzwesen Preußens leiten zu können. Er setzte auf eine Steuerreform, um das Geld im Lande selbst beschaffen zu können.

Nachdem im Sommer 1810 das Ministerium Dohna/ Altenstein auch in den Kreisen der höheren Verwaltungsbeamten immer mehr an Rückhalt verlor und der französische Konsul Clérem­bault Friedrich Wilhelm III. persönlich mitgeteilt hatte, dass Napoleon gegen eine Ernennung Hardenbergs keinen Einwand mehr erheben werde, wurde dieser am 4. Juni 1810 vom König zum leitenden Minister ernannt. Potentielle Gegenspieler wie Altenstein, aber auch die Hardenberg zu mächtig erscheinenden Kabinettsräte, allen voran Karl Friedrich Beyme, wurden entlassen, Graf Dohna zog sich nach einigen Monaten aus der Politik zurück.

Am 27. Oktober 1810 schließlich wurde Hardenberg, 1814 zudem in den Fürstenstand erhoben, zum Staatskanzler ernannt und die gesamte Struktur des Regierungsapparats nach dem Direktorialprinzip neu geordnet, eine seiner zentralen Forderungen seit den ersten Denkschriften. Der Staatskanzler, nur dem König selbst unterstehend, leitete von da ab die Politik, die Minister, denen nunmehr ausnahmslos Sachressorts zugeteilt wurden, unterstanden dem Staatskanzler und hatten keinen direkten Zugang zum König mehr. Schließlich wurde das Kabinett des Königs ersatzlos abgeschafft.

Hardenberg gelang es, bis zu seinem am 26. November 1822 auf dem Kongress zu Genua erfolgten Tode, die Fäden der preußischen Politik in den hereinbrechenden stürmischen Zeiten in der Hand zu halten und damit sowohl seine persönliche Macht zu bewahren als auch dem Staat ein verlässliches Entscheidungszentrum zu erhalten.

Lit.: Hans Hausherr, Hardenberg. Eine politische Biographie. I. Teil: 1750-1800, Köln/ Graz 1963, III. Teil: Die Stunde Hardenbergs, 2. Auflage Köln/ Graz 1965 (zuerst ebenda 1963). – Hans Hausherr, Hardenbergs Denkschrift Riga 1807, in: Historische Zeitschrift 157 (1938), S. 267-308. – Hans Hausherr, Stein und Hardenberg, in: Historische Zeitschrift 190 (1960), S. 267-289. – Ingo Hermann, Hardenberg. Der Reformkanzler, Berlin 2003. – Walther Hubatsch, Die Stein- Hardenbergschen Reformen (= Erträge der Forschung, Band 65), Darmstadt 1977. – Rudolf Ibbeken, Preußen 1807-1813. Staat und Volk als Idee und in Wirklichkeit (Darstellung und Dokumentation) (= Veröffentlichungen aus den Archiven Preussischer Kulturbesitz, Band 5), Köln/ Berlin 1970. – Ernst Klein, Von der Reform zur Restauration. Finanzpolitik und Reformgesetzgebung des preußischen Staatskanzlers Karl August von Hardenberg (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, Band 16), Berlin 1965. – Heinz Ohff, Ein Stern in Wetterwolken. Königin Luise von Preußen. Eine Biographie, Taschenbuchausgabe 3. Auflage München/ Zürich 1992. – Thomas Stamm-Kuhlmann, König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. der Melancholiker auf dem Thron, Berlin 1992. – Peter Gerrit Thielen, Karl August von Hardenberg 1750-1822. Eine Biographie, Köln/ Berlin 1967.

Bild: Porträt Karl August von Hardenberg von Friedrich Georg Weitsch, 1822 / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.

Bernhard Mundt (OGT 2010, 299)