Als im Frühsommer des Jahres 1397 in Danzig erneut über die Herstellung des inneren Friedens in Livland beraten und nach Möglichkeit auch eine Entscheidung herbeigeführt werden sollte, waren erst gut drei Jahrzehnte vergangen, seit im Mai 1366 unter der Leitung von Hochmeister Winrich von Kniprode eine ähnliche Versammlung zusammengetreten war. Da-mals hatten der Hochmeister und der preußische Zweig des Deutschen Ordens aus außenpolitischen Gründen, nämlich wegen des heraufziehenden hansisch-dänischen Konflikts, ein besonderes Interesse daran, die seit Jahrzehnten anhaltenden Machtkämpfe zwischen dem Erzbischof von Riga und dem livländischen Zweig des Ordens beizulegen (vgl. OGT 1991, S. 236-239). Der damalige Erzbischof Fromhold von Vifhusen († 1369) hatte aber die vereinbarte päpstliche und kaiserliche Bestätigung des Verhandlungsergebnisses zu hintertreiben verstanden, obwohl dieses – gemessen an den tatsächlichen Machtverhältnissen in Livland – für ihn günstig gewesen war. Die erzbischöflichen Nachfolger hatten sich daher mit einem politisch gestärkten Landmeister auseinanderzusetzen.
Siegfried von Blomberg († 1374), der nächste Erzbischof, versuchte dies, indem er Papst Gregor XI. veranlaßte, durch die sogenannte Kleiderbulle das klösterliche Zusammenleben der Domherren aufzuheben. Um dies zu ermöglichen, wurde die strengere, prämonstratensische Form der Augustinerregel durch deren ältere, gemäßigtere Form ersetzt. Gleichzeitig tauschten die Domherren ihre der Deutschordenstracht ähnlichen weißen Mäntel gegen die schwarze Augustinertracht. Der Erzbischof wollte damit die politische Bedeutung der Pfründen heben und das Interesse der Vasallenfamilien an diesen Stellen vergrößern. Außer einem wachsenden Mißtrauen des Ordens führte diese Veränderung jedoch zu keinen sichtbaren Erfolgen.
Mit dem folgenden Erzbischof, Johann von Sinten (1374-1393, † 1397), der zunächst zur Beilegung der Streitigkeiten innerhalb des Hochstifts Ösel angerufen worden war, werden Spannungen erkennbar. Die Lösung gelang nicht ihm, sondern erst der Orden setzte sich erfolgreich durch, und Winrich von Kniprode, ein Neffe des gleichnamigen, 1382 ver¬storbe¬nen Hochmei¬sters, wurde neuer Oberhirte des estländischen Inselbistums. Die Spannungen zwischen Erzbi¬schof und livländischem Ordenszweig – dieser vertreten zunächst noch durch Mei¬ster Robin von Eltz († 1388), dann durch dessen Nachfolger Wennemar von Brüggenei (Brüggenoye) († 1401) – nahmen zu, als erzstiftische Vasallen beim Orden vor allem in finanzieller Hinsicht die Unterstützung fanden, die der Erzbischof nicht gewähren konnte und wollte. Erzbischof und Dom-kapitel fanden zwar Hilfe bei Papst Bonifaz IX., doch nutzte ihnen das innerhalb des Landes wenig, so daß sie einem für Frühjahr 1391 einberufenen gesamtlivländischen Landtag die Entscheidung überlassen mußten, eine Regelung wegen der Verpfändung von Lehngütern zu treffen. Da jedoch Erzbischof und Domherren, zumal wegen des Streits der letzteren mit der Stadt Riga, ihre Erfolgsaussichten auf diesem Landtag gering einschätzten, zogen es Johann von Sinten und ein Teil der Domherren vor, Livland zu verlassen, um zu versuchen, ihre Ansprüche gegenüber dem Orden und seinen Verbündeten mit größeren Erfolgsaussichten von außerhalb zu vertreten.
Mit den nun beginnenden Bemühungen des Erzbischofs, der nicht nur mit Polen-Litauen Beziehungen aufnahm, sondern auch bei zahlreichen Reichsfürsten um diplomatische Unterstützung bei Papst und römisch-deutschem König warb, erreichte die Krise um das Erzstift Riga ihr entscheidendes Stadium (vgl. OGT 1993, S. 223-229), das den Deutschen Orden zu umfassenderen Gegenmaßnahmen veranlasste. Hochmeister Konrad von Wallenrode († 1393) sah sich ge-nötigt, deren Koordinierung in die Hand zu nehmen. Der Landmeister hatte wegen der mögli¬chen Bedrohung durch Litauen alle erzstiftischen Schlösser besetzen lassen. Der römisch-deutsche und böhmische König Wenzel aus dem Hause Luxemburg, der dem Orden grollte, weil dieser bis zu diesem Zeitpunkt immer noch nicht bereit gewesen war, die Neumark in Pfand zu nehmen, verlangte die Herausgabe der erzstiftischen Besitzungen, wobei er glaubte, ein Recht als oberster Lehnsherr des Erzbischofs geltend machen zu können. Die Ordensleitung verhielt sich abwartend, weil ihr die Rechtslage ungeklärt erschien, denn ein solches Recht war seitens eines Reichsoberhauptes allzu selten behauptet worden. In Rom wurde der Generalprokurator als ständiger Botschafter des Ordens an der päpstlichen Kurie von verschiedenartigen Helfern unterstützt und beraten. Von hier kam die Empfehlung, die Krise finanziell zu lösen.
Im Januar 1393 weilte Johann von Sinten am Hofe König Wenzels in Prag. Bald darauf wurde bei Berührungen des Königs mit dem Orden der Wunsch des ersteren laut, einen jungen Verwandten, den Stettiner Herzogssohn Otto, als Kandidaten für eine Nachfolge des bisherigen Erzbischofs ins Spiel zu bringen. Wenzel forderte den Orden auf, eine Kandidatur Ottos zu unterstützen. Der Orden betrieb jedoch bei der Kurie seine eigene Politik. Am 24. September 1393 hob Papst Bonifaz IX. alle gegen den Orden verhängten geistlichen Strafen auf. Der bisherige Erzbischof Johann von Sinten erhielt den Ehrentitel eines Patriarchen von Alexandria. An seiner Stelle wurde der oberfränkische Ritterssohn Johann von Wallenrode, ein mutmaßlicher Neffe des kurz zuvor verstorbenen Hochmeisters, der zu dieser Zeit in Bologna die Rechte studierte, neuer Erz¬bischof. Mit päpstlicher Genehmigung wurde er als Priesterbruder in den Deutschen Orden aufgenommen, als er Anfang Dezember in die Marienburg kam, wo gerade Konrad von Jungingen zum neuen Hochmeister gewählt worden war.
Es stellte eine völlig neue Lage dar, daß erstmalig in der bis dahin zwei Jahrhunderte langen Geschichte der Kirche von Riga ein Bruder des Deutschen Ordens Erzbischof war. Papst Boni¬¬faz IX. verstärkte die Stellung des Ordens weiterhin, indem er im März 1394 neben seinen finanziellen Forderungen verfügte, daß künftig nur noch Brüder des Deutschen Ordens in das Domkapitel von Riga aufgenommen werden dürften. Der Widerstand gegen diese Veränderungen in Riga kam einerseits vom Prager Hof. Die dorthin geflohenen alten Domherren ‚wählten‘ gemäß dem Wunsch König Wenzels im November 1394 Otto von Stettin zu ihrem Erzbischof, indem sie die Entscheidungen der Kurie seit September des Vorjahres nicht zur Kenntnis nahmen. Bereits vorher war die von Erzbischof Johann von Wallenrode den geflohenen Domherren gesetzte Frist, auf ihre Pfründen zurückzukehren, verstrichen, so daß er im Februar 1395 sechs neue Domherren aus den Reihen des Deutschen Ordens berief. Zu den diplomatischen Bemühungen, die von Prag ausgingen, gehörte es, dass König Wenzel den König von Polen, die nordischen Könige und andere Fürsten zu Beschützern der Rigaschen Kirche ernannte.
Andererseits erwuchs der nachhaltigere Widerstand gegen den Erzbischof des Ordens in Livland selbst. Die mächtigsten Vasallengeschlechter des Erzstifts, angeführt von den Tiesenhusen, verweigerten den Lehnseid, da sie aus naheliegenden Grün¬den nur an einem schwachen Erzbischof wie Johann von Sinten interessiert waren. Daher nahmen sie Verbindungen zu den alten Domherren auf. Doch waren die Vasallen innerhalb des Landes zu schwach, denn sie unterlagen verhältnismäßig rasch, spätestens im Frühjahr 1395, einem militärischen Vorgehen des Ordens.
Weitreichender und gefährlicher war der Widerstand, der von dem Bischof von Dorpat, Dietrich Damerow, ausging. Als Ordensgegner war er schon in den 70er Jahren bekannt geworden, als er zunächst das Bistum Pomesanien erlangen wollte und schließlich nach länger anhaltenden Bemühungen Bischof von Dorpat und damit nach dem Erzbischof der zweitmächtigste Prälat Livlands wurde. Er, sein Kapitel und seine Vasallen wollten gegenüber dem Deutschen Orden eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit bewahren. Dietrich Damerow entwickelte daher abenteuerliche Bündnispläne, um Erzbischof Johann von Wallenrode und möglichst auch den Orden im ganzen aus Livland zu verdrängen. Es gelang ihm, einen Mecklenburger Herzogssohn aus der Stargarder Linie als Koadjutor zu gewinnen. Er nahm mit der Partei um den pommerschen Kandidaten Otto von Stettin Verbindung auf, ferner mit dem König von Polen und mit Litauen. Da König Wenzel durch dieses Bündnis Litauen unterstützte, hat der Orden dies bei den Kurfürsten angezeigt. Eine Wirkung ist insoweit zu erkennen, als dies später als einer der Punkte in der Begründung für die Absetzung Wenzels als römisch-deutscher König (1400) ers-cheint. Im März 1396 kam es zu förmlichen Bündnissen zwischen Großfürst Witowt von Litauen mit Pommern-Stettin, dem alten Rigaer Dompropst und einer Reihe von Vasallen des Erzstifts sowie mit Dietrich Damerow und dem Stift Dorpat. Doch blieb der Orden nicht untätig. Mit Witowt konnte ein – wenn auch nur befristeter – Sonderfrieden geschlossen werden, von ihm erfuhr der Orden die Planungen für Feldzüge gegen Riga. Erzbischof Johann von Wallenrode erbat sich vom Hochmeister militärische Hilfe. Im Juli 1396 zog der Landmeister mit einem Aufgebot aus Preußen in das Stift Dorpat ein, nur die Stadt Dorpat konnte er nicht einnehmen.
Friedensverhandlungen kamen erst in Gang, als König Wenzel Anfang 1397 den ermländischen Bischof Heinrich Sorbom beauftragte, solche vorzubereiten. Dafür musste es aussichts-reich erscheinen, daß Dietrich Damerow und Heinrich Sorbom beide Elbinger waren und in jüngeren Jahren in der Kanzlei Kaiser Karls IV. gearbeitet hatten. In Segewold, dem Sitz des livländischen Landmarschalls des Ordens, kam es nach Überwindung mancher Schwierigkeiten im Februar 1397 zu ersten Verhandlungen der Kriegsparteien. Hier wurden sowohl zwischen dem Erzbischof und dem Bischof von Dorpat als auch zwischen ersterem und seinen Vasallen Friedensverhandlungen vereinbart, die am 24. Juni in Danzig beginnen sollten. In dieses Frühjahr fällt auch die päpstliche Bulle, die verfügte, daß in Zukunft nur noch ein Deutschordensbruder Erzbischof von Riga werden dürfe, womit kirchenrechtlich die Stellung des Ordens weiter gestärkt wurde.
Der Tag zu Danzig von 1397 hat tatsächlich wie vorgesehen beginnen können. Das Zustandekommen ist zunächst dem Ver¬handlungsgeschick des ermländischen Bischofs, dann aber den weitreichenden diplomatischen Vorbereitungen des Hochmei¬sters Konrad von Jungingen und seines Kanzlers Nikolaus von Holland zu verdanken gewesen. Verhandlungsstätte war das Danziger Ordenshaus, denn hier wurden in den Tagen vom 12. bis zum 15. Juli 1397 die ab-schließenden Urkunden ausgestellt. Anwesend waren außer den unmittelbar Beteiligten, nämlich dem Erzbischof von Riga und dem Bischof von Dorpat, den Vasallen beider Stifter und dem durch seine leitenden Amtsträger vertretenen Deutschen Orden weitere Prälaten und Ständevertreter Livlands und Preußens sowie insbesondere die Stadt Lübeck, der es darum ging, die Interessen des hansischen Handels durch Livland nach Novgorod zu wahren. Zunächst wurde der Friede zwischen dem Erzbischof und seinen Vasallen geschlossen, gesprochen von je sechs Schiedsleuten beider Seiten. Nur wegen der Schlösser der Familie von Tiesenhusen wurde ein besonderer Vergleich zwei Tage später nötig. Kokenhusen blieb dem Erzbischof, während die Tiesenhusen ihre Hauptsitze Berson und Erla zurückerhielten. Den harrischwierischen Vasallen in Nordestland hat der Hochmeister nicht nur ihre alten Privilegien bestätigt, sondern durch eine weitere Urkunde auch das Erbrecht der Lehngüter verbessert, so daß diese Urkunde als die „Jungingensche Gnade“ in die Landesgeschichte eingegangen ist, die das Lehnrecht zu einem Landrecht erweitert habe. In zeitlicher Folge zuletzt wurde der Vergleich zwischen Erzbischof und Orden sowie Bischof und Stift Dorpat geschlossen. Teil der Bestimmungen ist der Verzicht des Ordens auf eine Beteiligung aller livländischen Stifter an Landesverteidigung und Ordensreisen.
Wie 1366 ist dieser neue Danziger Tag wesentlich unter preußischer Führung zustandegekommen. Ähnlich wie damals war in der Zeit zunehmender Spannungen sowohl hinsichtlich des von König Władysław-Jagiełło geführten Polens als auch im Blick auf die nordischen Königreiche, die gerade in diesem Jahr in der Kalmarer Union vereint wurden, der Hochmeister an einer schnellen Beilegung der innerlivländischen Streitig¬kei-ten interessiert. Gewonnen wurde durch den Danziger Tag aus der Sicht des Ordens, daß innerhalb Livlands der Ordensbruder Johann von Wallenrode als Erzbischof anerkannt wurde. Vom Frieden ausgenommen blieben die alten Domherren, soweit sie sich außerhalb des Landes aufhielten und nicht bereit waren zurückzukommen. Die Inkorporierung des Domkapitels in den Orden, die in den Jahren bis 1397 schrittweise erfolgt war, ist ein ungewöhnlicher Vorgang gewesen, der in Gefahr geriet, so-bald die Ordensgegner einmal größeren Einfluss bei der Kurie gewinnen sollten. Verloren hat der livländische Ordenszweig die Verpflichtung der Hochstifte, sich an der Landesverteidigung zu beteiligen. Gestärkt wurden die zum unmittelbaren Ordensgebiet gehörenden Stände Nordestlands. Somit war der neue Tag zu Danzig des Jahres 1397 ein Erfolg der Ordensdiplomatie in erster Linie aus preußischer Sicht, und das zunächst nur für den nächsten Tag. Daß sich Bischof Dietrich Damerow kräftemäßig erschöpft hatte und drei Jahre später sein Bistum gegen eine Rente aufgab, ändert nichts an der weiteren Konstellation, die auch im 15. Jahrhundert neue Auseinandersetzungen zwischen dem livländischen Ordenszweig und den mächtigeren Hochstiften hervorrief. Trotz kommender Rückschläge war mit der erstmaligen Inkorporierung des Rigaer Domkapitels in den Deutschen Orden ein Weg gewiesen, der gegen den Widerstand der Erzbischöfe auf Dauer Riga enger an den Orden gebunden hat.
Quellen: Liv-, Est- und Kurländisches Urkundenbuch 3-6, hg. v. Georg Friedrich von Bunge, Reval 1857-1873. – Akten und Rezesse der livländischen Ständetage 1, hg. v. Oskar Stavenhagen, Leonid Arbusow d. J., Riga 1907-1933.
Lit.: Paul Girgensohn: Die Inkorporationspolitik des Deutschen Ordens in Livland 1378 bis 1397, in: Mitteilungen aus dem Gebiete der Geschichte Liv-, Est- und Kurlands 20, 1910, S. 1-86. – Bernhart Jähnig: Johann von Wallenrode O. T., Bonn-Bad Godesberg 1970. – Ders.: Zur Persönlichkeit des Dorpater Bischofs Dietrich Damerow, in: Beiträge zur Geschichte Westpreußens 6, 1980, S. 5-22.
Bild: Scan aus Johann Christoph Brotzes Buch Sammlung verschiedener Liefländischer Monumente/ Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.
Bernhart Jähnig