Am 15. Mai 1457 verlieh der polnische König Kasimir IV. der Stadt Danzig jenes Privileg, das in einzigartiger Weise die Grundlage ihrer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung bilden sollte. Diese umfassenden Vorrechte machten sie für fast dreieinhalb Jahrhunderte zu einer „Freien Stadt“ mit weitgehender innen- und auch außenpolitischen Selbständigkeit, zu einem der größten Handelsplätze Europas und zu einer der reichsten Städte ihrer Zeit.
Bereits nach der Niederlage des Deutschen Ordens bei Tannenberg 1410 hatte sich Danzig vom siegreichen polnischen König weitreichende Vergünstigungen geben lassen, die aber infolge des Machtumschwungs nicht zum Tragen gekommen waren. Erst die weitere Schwäche des Ordensstaates und die Auflehnung eines Teils der unzufriedenen Stände des Preußenlandes sowie der Städte – hauptsächlich westlich der Weichsel – gegen das Ordensregiment, der sich Danzig nur zögernd anschloss, führten schließlich im Jahr 1454 zur offenen Absage an den Hochmeister und zum Unterwerfungsangebot an den polnischen König. Als die Abfallbewegung nicht mehr aufzuhalten war, nahm auch Danzig seine Chance wahr und entschloss sich zu entschiedenem Handeln. Es kam der Stadt jedoch darauf an, sich jeder Oberherrschaft zu entledigen und die Befugnisse des Königs gegenüber den preußischen Ständen und vor allem gegenüber sich selbst weitestgehend einzuschränken: es sollte nur eine Personalunion, nicht eine Realunion hergestellt werden. Dieses Ziel konnte sie auch in vollem Umfang erreichen.
Am 6. März 1454 wurde die Inkorporation des Ordensgebiets samt den Städten durch König Kasimir vollzogen, am 16. Juni folgte die Huldigung Danzigs gegen die Erteilung eines ersten wichtigen Privilegs, das der Stadt unter anderem ein ausgedehntes Landgebiet zusicherte. Zu diesem Zeitpunkt war die Danziger Burg des Deutschen Ordens bereits vollständig abgebrochen, da man keiner auswärtigen Macht die Möglichkeit geben wollte, sich dort einen Stützpunkt zu verschaffen. Im Jahr 1455 kamen die Rechte auf Erlass eigener Gesetze und zur Erhebung von Steuern hinzu. Da der inzwischen ausgebrochene Krieg zwischen dem Orden einerseits und Polen andererseits, unterstützt von den aufständischen Preußen, weiter anhielt und hauptsächlich mit Danziger Geld finanziert wurde, erwartete die Stadt von König Kasimir weitgehende Belohnungen, die in dem sog. Hauptprivileg vom 15. Mai 1457 auch erfüllt wurden. Neben der Bestätigung aller bisherigen Vorrechte verfügt es die Vereinigung der bisher getrennten Stadtgebiete Rechtstadt, Altstadt und Jungstadt unter einem Rat, gewährt freien Handel mit Polen und Litauen, untersagt den Fremden Wohnung und Handel in der Stadt, verleiht der Stadt alle geistlichen und weltlichen Patronate (mit Ausnahme der Marienkirche), das Münzrecht und das Gericht in Handels- und Strandsachen. Schließlich wird der Stadt die Reichsunmittelbarkeit sowie die Versicherung gegeben, im Umkreis von fünf Meilen keine weitere Stadt und kein Schloss bauen zu lassen.
Die Urkunde, die in deutscher Sprache abgefasst ist, wurde anlässlich eines längeren Aufenthalts des Königs in Danzig ausgestellt. Obwohl manche der Bestimmungen uns heute fremd vorkommen, besaßen sie vor allem für die zukünftige Wirtschafts- und Handelssituation der Stadt eine enorme Bedeutung. Die in den einzelnen Privilegien genannten Vorbehalte des Königs nahmen sich recht bescheiden aus: Neben der Pfarrerbesetzung an St. Marien waren dies das Recht, aus dem Kreis der Ratsherren einen Stellvertreter, den Burggrafen, zu bestimmen; die freie Unterkunft und Bewirtung beim Besuch von König und Hofstaat; das Jagdrecht auf der Nehrung und eine jährliche Geldzahlung von 2.000 Dukaten „in Ansehung der geschenkten Dörfer, Höfe, Mühlen und Gründe“ – eine Summe, deren Höhe bekanntlich in Krisenzeiten erheblich ansteigen konnte.
Der mehrwöchige Aufenthalt König Kasimirs in Danzig wurde von einem ausgedehnten festlichen Treiben umrahmt. Die Stadt entfaltete, trotz des Krieges im Lande, ihren Glanz und wusste so den hohen Gast für sich einzunehmen. Auch dieser war nicht uneigennützig an die Weichselmündung gekommen – er brauchte Danzigs finanzielle Kraft im Kampf gegen die noch längst nicht bezwungene Macht des Deutschen Ordens.
Die wichtige Frage nach der staatsrechtlichen Stellung Danzigs wird im Hauptprivileg eher versteckt und unscheinbar, doch eindeutig beantwortet. Gegen Ende des Textes wird dem Rat und den „gemeinen Bürgern unserer Stadt Danzig“ aufgetragen, „dass sie zu ewigen Zeiten niemand für einen Herrn halten noch gehorsam sein sollen in weltlichen Sachen, als allein uns und unseren Nachkommen, den Königen von Polen“. Hier ist der Status der ausschließlich personalen Oberhoheit zweifelsfrei festgehalten.
Diese Position wird noch verstärkt durch den Inhalt der wenige Tage später (25. Mai 1457) gleichfalls in der Hansestadt ausgestellten Urkunde mit der Verleihung bestimmter Ehrenrechte. Der König hebt dabei zunächst die großen Verdienste und den treuen Beistand der Stadt beim Erwerb der Lande Preußen hervor, durch die sie sich vor anderen Städten ausgezeichnet und Belohnung verdient habe. Sie erhält daraufhin das – vielfach begehrte – Recht, mit rotem Wachs zu siegeln, und ihre Bürgermeister dürfen goldgeschmückte Gewänder tragen. Schließlich erfuhr das Danziger Wappen eine entscheidende „Erneuerung und Verbesserung“ (wie es im Text heißt), indem es fortan eine goldene Krone im Oberteil seines Schildes führen durfte. Dieser Zusatz im Wappen ist in der Vergangenheit oft missdeutet worden, namentlich von polnischer Seite, als sei z.B. speziell die polnische Königskrone dem Wappen beigefügt worden. Auch die Ansicht, es solle eine Unterordnung Danzigs unter die Krone Polen angedeutet werden, muß als abwegig gelten. Nicht die polnische Königskrone wird hier verliehen, sondern allein das Sinnbild der wahrhaft königlichen Machtstellung, die die Stadt inzwischen erlangt hatte. Dieser Tenor ist aus allen Vertragstexten, die zwischen Polen und Danzig ausgetauscht wurden, unmissverständlich herauszulesen.
Das Hauptprivileg von 1457 schloss in Verbindung mit zahlreichen anderen Verleihungen eine Fülle weiterer Vorrechte ein, die insgesamt zu jener großartigen Stellung beigetragen haben, der sich die Stadt Danzig in den folgenden Jahrhunderten erfreuen durfte. Nicht nur die Freiheit der inneren Verwaltung sowie der vollen Steuer-, Zoll- und Münzhoheit blieb gewahrt; vielmehr hat die Stadt fortan ohne Rücksicht auf den polnischen König Verträge mit fremden Staaten abgeschlossen, sich an auswärtigen Kriegen beteiligt, stets Gesandte im Ausland unterhalten und ebenso die Vertreter fremder Mächte bei sich empfangen. Zu den vornehmsten Aufgaben zählte die Bürgerschaft aber wohl die Pflicht, ihre verbrieften Rechte und ihre Selbständigkeit gegen jedermann aus eigener Kraft – zur Not auch mit kriegerischen Mitteln – zu verteidigen. Viele Male mußte Danzig im Kampf um diese Rechte bestehen, die die Garanten waren für den Wohlstand und das Selbstbewusstsein der Bürger gleichermaßen wie für die Pracht der Bauten und die Schätze in den Häusern der ehrwürdigen Handelsstadt.
Lit.: Paul Simson: Geschichte der Stadt Danzig, Bd. 1, Danzig 1913; desgl. Bd. 4 (Urkunden), Danzig 1918. – Historia Gdańska. Red. Edmund Cieślak, Bd. 2 (1454-1655), Danzig 1982. – Aleksander Drygas: Rzekomy przywilej Kazimierza Jagiellończyka dla Gdańska z 1455 roku [Das angebliche Privileg Kasimir Jagiellos für Danzig von 1455], in: Rocznik Gdański 41 (1981), S. 185-191. – Ernst Manfred Wermter: Bürgereinung und Königsprivileg. Bemerkungen zur Verfassungsrechtsgeschichte von Danzig 1456/57, in: Die Stadt in Preußen. Beiträge zur Entwicklung vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart (Schriftenreihe Nordost-Archiv, H. 23), Lüneburg 1983, S. 79-104. – Ders.: Das Königliche Preußen . . . 1454 bis 1569 mit dem Hochstift Ermland und den drei großen Städten Danzig, Elbing und Thorn – Innerer Aufbau und das Verhältnis zu Polen, in: Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen. Hrsg. von Peter Baumgart (Veröff. d. Histor. Kommission zu Berlin, Bd. 55), Berlin/New York 1983, S. 129-152. Abb. der Urkunde von 1457 in: K. J. Kaufmann: Danzigs Deutschtum, staatliche Selbständigkeit und Geltung in der Vergangenheit. Urkunden in Lichtbildern, Danzig o. J. [1923], Nr. 12.
Bild: Siegel Danzigs au dem 15. Jahrhundert / Quelle: Wikipedia. Gemeinfrei.
Peter Letkemann (OGT 2007, 335)